Lufthansa-Chef Jürgen Weber über sein Krisenmanagement
Herr Weber, die Lufthansa hat die Folgen des 11. September gut bewältigt, Ihrem Partner in der Star Alliance, United Airlines, dagegen geht es ganz schlecht. Was haben Sie besser gemacht?
Entscheidend war, dass wir nach dem 11. September sehr schnell reagiert haben. Jeden Tag, an dem man nicht handelt, verliert man Geld. Das, was wir vor zehn Jahren, in der Golfkrise, in neun Monaten geschafft haben, erledigten wir dieses Mal in weniger als neun Wochen. Und wir haben gemeinsam, im Team gehandelt. Schwierige Maßnahmen sind immer nur gemeinsam durchzusetzen. Ein zusätzlicher Vorteil für uns ist, dass die meisten in unserem Management-team Erfahrungen mit Krisenbewältigung haben. Vor zehn Jahren waren wir auch schon in verantwortlicher Position.
Hatten und haben es Europas Fluggesellschaften nicht leichter als die Amerikaner?
Der Markt ist für alle, die global operieren, derselbe. Wir sind stärker in Europa engagiert, die Amerikaner in den USA. Grundsätzliche Unterschiede gibt es keine. Worin wir uns tatsächlich unterscheiden, ist unser gänzlich anderes Verständnis von Zusammenarbeit im Unternehmen: zwischen Management, Mitarbeitern, Betriebsräten, Gewerkschaften.
Sie betonen, wie wichtig der Konsens für Ihren spektakulären Turn- around war. Können Sie das etwas näher erläutern?
Wenn man etwas tun muss, was den Menschen weh tut, erzeugt das immer Gegendruck. Wer akzeptiert schon freudestrahlend, wenn ihm der Chef sagt, du musst mehr arbeiten für weniger Geld? Es kommt darauf an, wie man den Konflikt austrägt, wie man die Probleme den Mitarbeitern klar macht. Wir waren an der Spitze, im Management, die Ersten, die den Mitarbeitern vorgemacht haben, was wir von ihnen verlangen. Deshalb konnten wir die Mehrzahl der Mitarbeiter und ihrer Vertretungen überzeugen. Der Anteil der Personalkosten an den Gesamtkosten beträgt bei Lufthansa ungefähr 23 Prozent, bei United fast 50 Prozent. Bei diesem Personalkostenanteil wäre die Lufthansa ganz schnell pleite.
War auch der schwache Arbeitsmarkt ein wichtiger Verbündeter beim Durchsetzen von Sparmaßnahmen?
Leider geht das tatsächlich immer einfacher, wenn die Angst am Horizont droht. Aber es ist falsch, erst dann zu handeln, wenn das Unternehmen in Gefahr ist. Gerade wenn es gut geht, muss man anfangen, zu sparen und neue Entscheidungen treffen. Anfang vergangenen Jahres wollten die Mitarbeiter nicht schon wieder neue Sparprogramme über sich ergehen lassen, sie wollten auch einmal die Früchte der Arbeit „genießen“ können. Wir wussten aber, dass sich die Lage 2001 verschlechtern würde. Deshalb haben wir unser D-Check-Programm gestartet, mit dem wir alle Prozesse auf den Prüfstand gestellt haben. Dazu kam ein „Akut“-Programm nach dem 11. September. Mit den Einsparungen anzufangen wäre auch dann richtig und notwendig gewesen, wenn der 11. September nicht gekommen wäre.
Haben Sie den Einbruch vorausgesehen?
Unser größtes Problem ist nicht der 11. September, sondern die lahmende deutsche Konjunktur. Uns trifft es schwer, dass wir im Wachstum um zwei Prozent hinter unseren Hauptwettbewerberländern zurückliegen. Uns trifft das veränderte Reiseverhalten der Menschen, ob bei Touristen- oder Geschäftsreisen. Bei allen Firmen, überall, wird gespart. Nicht nur der Personenverkehr, auch die Luftfracht ist betroffen. Das Volumen geht seit längerem zurück. Nach unserer Erfahrung signalisiert zurückgehende Luftfracht, dass bald noch größere wirtschaftliche Probleme kommen. Ich sehe die Entwicklung in diesem Lande lange nicht so rosig wie einige unserer Politiker. Wir haben ein Konjunkturproblem, das durch den 11. September beschleunigt wurde und an Schärfe zugenommen hat!
Die Pleitenwelle geht also weiter?
De facto sind die Hälfte der Fluggesellschaften in der Welt pleite. Das ist teilweise auf äußere Einflüsse zurückzuführen, aber vieles ist auch selbstverschuldet. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich etliche Fluggesellschaften selbst in eine schwierige Position hineinmanövriert. Sie sind hoch verschuldet, müssen Mitarbeiter entlassen, können keine Dividende zahlen und ihren Aktionären keine positive Aussichten bieten.
Welche Fehler wurden gemacht?
Es wird viel zu sehr auf Marktanteile geschaut, statt auf Qualität und eine wettbewerbsfähige Kostenstruktur, und vor allem auf auskömmliche Preise. Die meisten unserer Wettbewerber verkaufen ihr Produkt unter Gestehungskosten. Preisdumping, um die Sitze zu füllen, führt in den Ruin.
Das führt früher oder später zu einer Marktbereinigung. Davon wird die Lufthansa dann profitieren.
Jede Krise hat auch gute Seiten. Jetzt trennt sich die Spreu vom Weizen. Ich habe im vergangenen Jahr schon, als wir noch unsere internen Probleme hatten, gesagt: Wenn wir jetzt richtig handeln, wird die Lufthansa aus dieser Krise gestärkt hervorgehen. Wir dürfen aber nicht nachlassen und müssen die Erfolge weiter ausbauen.
Warum schwankt der Aktienkurs der Lufthansa trotz des Turn-around weiter so stark?
Die Aktienkurse in der Branche waren immer schon sehr anfällig für äußere Ereignisse: Die Ölkrise, der Golfkrieg hatten entsprechende Auswirkungen. Daran hat sich nichts geändert. Der 11. September wirkt verschärft, weil das Ereignis nicht irgendwo im Nahen Osten oder in einem fernen Kriegsgebiet, sondern mitten im Herzen des größten Luftfahrtmarkts der Welt, in New York, stattfand. Das führte zu einer regelrechten Hysterie.
Sie halten die Reaktionen für übertrieben?
Die Entwicklung der Aktienkurse hat heutzutage kaum noch etwas mit den Ergebnissen der Unternehmen, mit ihrer Strategie, ihren Bilanzen und operativen Ergebnissen zu tun. Sie gehen nach oben, wenn schlechte Nachrichten verkündet werden. Es kommen gute Nachrichten, die Schulden werden in Milliardenhöhe abgebaut, und was passiert? Der Aktienkurs geht nach unten. In vielen Bereichen ist das inzwischen wie ein Monopolyspiel. Eine schlimme Entwicklung.
Sie haben den Spitznamen der „Rechner“. Wo kommt der her?
Rechnen kann ich in der Tat, und jeder Unternehmensführer muss ein Rechner sein. Wenn man sich in der Branche umsieht, dann weiß man gleich, wo die Rechenstunden zu kurz gekommen sind. Ob die Mitarbeiter oder die Lieferanten das hören mögen oder nicht: Entscheidend für den Erfolg von Unternehmen sind die Kosten. Wer auf der Kostenseite nicht wettbewerbsfähig ist, braucht sich über andere Dinge keine Gedanken zu machen. Mit großen Vertriebs- und Beteiligungsstrategien allein kann man die Firma nicht zum Erfolg führen. Man muss mit den Kosten anfangen, und deshalb muss man rechnen können. Und wenn man dafür einen Titel bekommt, dann ist das umso schöner. Da fühle ich mich geehrt.
Sind gute Manager vor allem gute Rechner?
Kosten sind wie Gänseblümchen. Kaum sind sie geschnitten, wachsen sie wieder nach und müssen wieder geschnitten werden. Gutes Management bedeutet, dass intelligent Kosten eingespart werden, sodass Produkt und Qualität dabei möglichst noch besser werden. Ein Beispiel dafür ist unser Electronic Ticket: Wir sparen Personal, der Kunde spart Zeit und erhält damit ein besseres Produkt.
Was zeichnet, außer stets auf die Kosten zu achten, einen guten Manager noch aus?
Eine verantwortliche Unternehmensführung muss vor allem glaubwürdig sein. Sie muss im langfristigen Interesse des Unternehmens handeln und nicht kurzfristig, mit Blick auf den nächsten Quartalsbericht. Für mich heißt das: Der Unternehmer muss immer den Kunden, die Mitarbeiter und den Aktionär im Auge haben, sie wollen wir zufriedenstellen. Ich führe das Unternehmen nicht nach den publizierten Wunschträumen.
Fällt es Ihnen persönlich schwer, die Konflikte auszuhalten, die eine solche Unternehmensführung mit sich bringt?
Das Jahr 2001 war für mich bisher das schwierigste in meinen 35 Berufsjahren. Es war nicht nur der 11. September. Hinzu kam der sich ab Anfang April abzeichnende teilweise dramatische Rückgang der Luftfracht, der extrem steile Einbruch der Konjunktur. Als drittes kam der Pilotenstreik hinzu, mit den daraus entstehenden Problemen: Kosten, Imageschaden und schlechte Stimmung innerhalb der Firma.
Haben Sie mit den Piloten inzwischen wieder Frieden geschlossen?
Mit der Mehrzahl der Piloten hatte ich keine Probleme. Aber die mangelnde Solidarität einiger war schon eine Enttäuschung für mich.
Haben Sie dabei selbst auch Fehler gemacht?
Ich sehe jetzt, ein Jahr danach, dass ich leider Recht gehabt habe, und brauche mir deshalb nichts vorzuwerfen. Ich wusste, dass die Zeiten schwieriger werden und dass man längerfristig denken und wettbewerbsfähig bleiben muss. Wissen Sie: Ich bin immer in meinem Leben den geraden Weg gegangen, und deshalb wissen die Menschen, die mit mir zusammenarbeiten – Geschäftspartner, Gewerkschaftler, Piloten –, woran sie sind.
Sie haben als einer der Ersten die Bedeutung von Luftfahrtallianzen vorher gesehen und die Star Alliance aufgebaut. Ist die Allianz jetzt in der Krise?
Keineswegs, sie ist stabil wie eh und jeh. Es zeigt sich gerade jetzt, in der Krise, wie richtig das Konzept ist, das anfänglich von vielen kritisiert wurde: keine Kapitalbindung, sondern große Flexibilität in Bezug auf die Partner. Ein Partner in Australien ist ausgeschieden, aber keiner von uns hat Geld verloren. Wenn Partner ausscheiden, dann ist das ärgerlich, vielleicht kurzfristig auch schmerzlich, aber ein Bündnis wie die Star Alliance braucht sich überhaupt keine Sorgen zu machen. Wenn einer geht, dann stehen drei andere vor der Tür, die gerne kommen würden.
Sind die Billigflieger eine Bedrohung?
Nein, so lange wir gut sind. Die Lufthansa ist ein Qualitätscarrier mit einem globalen Netzwerk, sie bedient die großen Flughäfen dieser Welt. Billigflieger haben ein anderes Geschäftsmodell. Sie fliegen nicht die großen Flughäfen an, bieten keine weltweiten Flugverbindungen an und bieten nicht die Qualität, die unsere Kunden überwiegend fordern.
Wenn die Billigflieger in einer anderen Liga fliegen, warum reagieren Sie jetzt selbst mit einem neuen Preissystem darauf?
Wir waren bisher bemüht, die Spreizung zwischen dem niedrigsten und höchsten Tarif nicht allzu groß werden zu lassen, um Diskussionen, wie sie in diesem Land üblich sind, zu vermeiden. Bevor die Discountwelle kam, wäre es auch gefährlich gewesen, anders vorzugehen. Heute werden Flüge für zehn oder gar vier Euro angeboten, und so können wir uns ohne große Probleme erlauben, die Spreizung zu vergrößern. Genau das haben wir gemacht.
Und die Lufthansa beteiligt sich an einer Billigfluggesellschaft ...
Wir sind mit 24 Prozent an Eurowings beteiligt, die Germanwings gegründet hat. Das ist keine Lufthansa-Gesellschaft.
Werden die Discounter am Ende auch im Flugverkehr den Sieg davontragen, wie im deutschen Einzelhandel?
Nein. Keiner kann die ökonomischen Gesetze außer Kraft setzen. Fliegen kann im Durchschnitt nicht billiger werden. Das gilt auch für die Billigflieger. Es werden doch nicht alle Tickets für zehn Euro verkauft.
Ist die Deregulierung zu weit gegegangen?
Im Gegenteil! Wir brauchen eine neue Welt-Luftverkehrsordnung. Der Markt muss weiter geöffnet werden. Die Staaten müssen von bilateralen Regelungen Abschied nehmen, die den Marktzugang einschränken. Sowohl die europäische als auch die amerikanische Luftfahrt sind so weit gereift, dass ein weiterer Liberalisierungsschritt getan werden könnte. Ich bin ein Befürworter eines offenen, gemeinsamen transatlantischen Luftverkehrsmarktes.
Sie haben im Dezember 15 Großraumjets von Airbus geordert. Was macht Sie so optimistisch, dass Sie die auch gewinnbringend einsetzen können?
Es wird in der Welt zu viel Pessimismus verbreitet. Ich weiß nicht, wie man wirtschaftlich und auch privat weiterleben kann, mit nur noch Negativszenarien vor Augen. Dann funktioniert nichts mehr, und wir können zumachen – alle zusammen. Wir, die Lufthansa, sind in der Tat optimistisch. Wir haben viele Vorteile: eine geografisch günstige Lage, hervorragend ausgebildete Mitarbeiter, eine zukunftsweisende Strategie mit unserem Aviationkonzern und einen guten Heimatmarkt. Wie die Zukunft aussieht, hängt vor allem von uns selbst ab.
Andreas Henry/Krisztina Koenen
Quelle: WirtschaftsWoche
11.09.2002 17:00:05