Alcatel bekommt Lucent unter Börsenwert
Verhandlungen stehen kurz vor dem Abschluss
Nach harten Verhandlungen scheint Lucent zu einem Kurs an Alcatel zu gehen, der unter der letzten Börsennotiz liegt. Doch Schwierigkeiten sind vorprogrammiert: Vor allem das Kartellamt und die US-Regierung können den Deal noch verhindern.
Berichten zufolge könnte der Zusammenschluss der Telekommunikationsausrüster Alcatel und Lucent Technologies bereits am Mittwoch dieser Woche bekannt gegeben werden. Erstaunliches Ergebnis der Verhandlungen vom Wochenende: Alcatel wird voraussichtlich keine Prämie gegenüber der aktuellen Börsenbewertung Lucents zahlen. Im Gegenteil, Lucent wird möglicherweise unter Marktwert verkauft.
Der Bericht des „Wall Street Journal“ über ein mögliches Sonderangebot lässt am Dienstag die Alcatel-Aktie steigen, die während der anhaltenden Spekulationen über einen Kaufpreis von 40 Mrd.$ unter Druck geraten ist. Nun heißt es aus unternehmensnahen Kreisen, dass Alcatel vermutlich nur 0,2435 eigene Aktien für jede Lucent-Aktie zu bieten bereit ist. Das bewertet Lucent mit 9,09$ je Aktie, ein deutlicher Abschlag gegenüber den 9,40$, die eine Aktie zuletzt an der Wall Street kostete. Die 58%ige Beteiligung, die Lucent an der kürzlich ausgegliederten Agere Systems hält, sollen in dem Geschäft nicht enthalten sein. Lucent würde folglich zu rund 23,5 Mrd.$ an Alcatel gehen, das sind 6,84$ pro Aktie des Kernkonzerns.
Die Verhandlungen, die das ganze Wochenende in der Nähe von Paris geführt wurden, waren für beide Parteien kein „Picknick“, wie das „Journal“ schreibt. Letztendlich sei man aber in den wichtigsten Punkten überein gekommen. So steht beispielsweise schon jetzt nahezu fest, dass Alcatel-Chef Serge Tchuruk den neuen Konzern führen wird. An seiner Seite wird Lucents Vorstandsvorsitzender Henry Schacht sitzen. Das Unternehmen soll außerdem einen neuen Namen erhalten und seinen Sitz in Frankreich haben.
Zunächst wird es aber zahlreiche Schwierigkeiten geben, das Geschäft, so es denn erfolgt, bei den Wettbewerbsbehörden und anderen staatlichen Stellen genehmigt zu bekommen. Zum einen entsteht durch die Kombination beider Unternehmen ein neuer Branchenführer, eine Tatsache, die für sich genommen schon die Wettbewerbshüter auf den Plan rufen dürfte. Zum anderen könnte die US-Regierung Schwierigkeiten machen, da Lucents Forschungseinheit Bell Laboratories für die Regierung Verschlüsselungstechniken entwickelt hat. Als dritte Schwierigkeit stellt sich die Integration beider Konzerne dar und der Weg Lucents zurück in die Gewinnzone.
Alcatels Chef Serge Tchuruk ist allerdings bekannt als Mann für solche Fälle. Neben anderen Unternehmen hat der „Feuerwehrmann der französischen Industrie“ auch Alcatel saniert. Mit seinen radikalen Maßnahmen hat er dem Konzern allerdings zunächst den höchsten Verlust in der Unternehmensgeschichte beschert, bevor sich diese positiv auf die weitere Unternehmensentwicklung ausgewirkt haben. Die Sanierung des angeschlagenen und hoch verschuldeten Lucent-Konzern könnte nun ähnliche Folgen haben, zumindest was die Delle in der Gewinnentwicklung angeht. Ob die Übernahme sich letztlich auszahlen wird, bleibt hingegen abzuwarten.
Autor: Björn Grabbe, 14:59 29.05.01