Die gemischten Gefühle des Kapitals
Während in der westlichen Hemisphäre der Frühling zurückkehrt - der Algorithmus der Natur mutiert entsprechend den Codes der Erneuerung und Transformation - wird der Winter der Militäraktionen, der wirtschaftlichen Kannibalisation, der ökonomischen Migration von Tag zu Tag strenger. Die leuchtenden Farben des Sommers, die die Neue Ökonomie einst versprach, liegen jetzt unter den Schneewehen der Massenentlassungen und Arbeitslosigkeit in G8-Länder begraben. Der Neoliberalismus treibt die Blizzards der Verarmung über die weiten Territorien des globalen Ghettos. Der Krieg, den einige Gruppierungen auf ewig fortführen wollen, friert unser Sehvermögen auf unfruchtbaren Horizonten ein.
Die Serenade ist tot, sang eine anarchistische Band namens Conflict. Und viele der Ausblicke auf die Welt, die uns die Medien derzeit bieten, erinnern eindeutig an das apokalyptische Gefühl, das sich in vielen Hardcore Punksongs findet. Doch der Soundtrack, den man heute zwischen den Zeilen mehr als einer wirtschaftlichen Publikation ausmachen kann, ruft eher den 70er Jahre Popklassiker 'Love is in the Air' in Erinnerung.
Man nehme beispielsweise folgendes Statement aus einem Artikel von Tim Sanders, einem leitenden Angestellten bei Yahoo!, der in der Februarausgabe von Fast Company erschien:
"Die mächtigste Wirtschaftskraft ist nicht Gier oder etwa die rohe Energie ungebremsten Wettbewerbs. Die mächtigste Wirtschaftskraft ist die Liebe. Die profundeste Transformation der Wirtschaft - eine Transformation, die durch die schrecklichen Begebenheiten in New York und Washington nur noch dringender wurde - ist der Untergang der Barracudas, der Haie und Piranhas und der Aufstieg von netten, klugen Menschen, die ihre Arbeit mit Leidenschaft machen. Vergessen wir für einen Moment das Internet. Vergessen wir die Wall Street und die Bundesregierung. Diese Ökonomie ist deshalb anders, weil die lausigen Typen zuletzt ins Ziel kommen."
Es wäre leicht, eine Kritik dieses Statements mit einer massiven Dosis Ironie zu versehen. Wenn man von "netten, klugen Menschen" liest, die die Wirtschaft durch Liebe transformieren, fällt es schwer, eine solche Idee nicht mit der okkulten Geschichte von Enron oder den Auswirkungen der internationalen Finanzpolitik auf Länder wie Argentinien zu vergleichen, wo die Ökonomie inzwischen die gleiche Position eingenommen hat, wie die desaparecidos des letzten Jahrhunderts. Es ist schwierig in diesen Beispielen den Einfluss der Liebe auszumachen, wenn die Melodie eher einem korporativen Gangsta Rap ähnelt.
Oder sollen wir Tim Sanders Artikel einfach als ein weiteres Produkt von der Hand weisen, das auf dem Informationsmarkt verkauft werden soll, ohne jede reale Bedeutung oder Auswirkung oder Tiefe. Einfach das Resultat einer uninspirierten Marketing-Abteilung (der Artikel als Appetithappen für Sanders Buch zum Thema "Liebe ist die Killer Anwendung: Wie man Geschäfte macht und Freunde beeinflusst", in den USA am Valentinstag veröffentlicht!). Oder die wirtschaftliche Entsprechung der New Age Praxis, alte Weltphilosophien zu mundgerechten Häppchen von Fast Food Weisheit weiterzuverarbeiten.
Und doch erscheinen diese Optionen letztendlich als oberflächliche Reaktionen. Sanders Argument baut auf drei Punkten auf: dem Erwerb von Wissen; der Wichtigkeit, dieses Wissen innerhalb des eigenen Netzwerks zu teilen; und dem Mitgefühl. Es ist schwer, gegen eine dieser abstrakten Vorstellungen zu argumentieren (obwohl es in Bezug auf ihre praktische Implementierung Raum für Widerspruch geben sollte). Aber sollten wir die Message "Liebe deinen Geschäftspartner" ernst nehmen?
Zumindest ist der leitende Angestellte von Yahoo! nicht die einzige Stimme aus der Welt der Wirtschaft, die radikale Ansichten vertritt (Und was ist radikaler als Liebe? Jesus wurde dafür gekreuzigt, John Lennon erschossen, etc). Es ist allerdings eine ganz andere Sache, ob dieser Radikalismus tiefer geht oder einfach nur ein kosmetischer Effekt ist. Aber wenn wir etwas ändern wollen, ist dann die Wirtschaftsarena nicht die ideale Umgebung? Könnte das nicht effektiver sein als beispielsweise protestierend auf die Strasse zu gehen (wie jüngst in Barcelona)?
Allerdings ändern die Auswirkungen der globalen Widerstandsbewegung gegen den Hyper-Kapitalismus die Wahrnehmung davon, wie Geschäfte abgewickelt werden. In der Februarausgabe von Business2.0 findet sich ein Artikel mit dem Titel: "Was? Jetzt sollen wir Profit machen und ethisch handeln?". Das geht zwar nicht so weit, für die Liebe als Geschäftswerkzeug zu werben, aber die Autoren ( Don Tapscott und Anthony Williams) weisen drauf hin, dass das amerikanische Volk sich jetzt von seinen Firmen ein soziales Gewissen wünscht. Ethische Grundsätze scheinen, vor allem nach dem 11. September, auf der Trendliste zu stehen. Der Artikel kommt zu folgendem Schluss:
"Firmen, die die Führung übernehmen, werden die Belohnungen früher ernten, und es ist so viel angenehmer, morgens zur Arbeit zu kommen, ohne sich durch die Demonstranten kämpfen zu müssen, die die Eingangshalle belagern."
Die Moral der Geschichte ist, dass ethische Grundsätze das Ergebnis verbessern können, aber ist das ethisch? Und können wir in einem Zeitalter, in dem Profit der einzige wahre Prophet ist, von ethischen Grundsätzen sprechen? Ist die nihilistische Neigung des Marktes, alle unsere Träume als Illusionen neu zu verpacken, nicht einfach amoralisch? Über Moral zu sprechen scheint gefährlich, als ob man in irgendeinem Schurkenstaat oder einer Bananenrepublik in einem Minenfeld stünde. Doch einige lenken unsere Aufmerksamkeit immer noch auf so dornige Themen, und das in einem Tonfall, der ebenso schwarzweiß ist wie das Fernsehen der 50er Jahre. Ein Artikel) von Dinesh D'souza, kürzlich erschienen in Red Herring, zollt dem moralischen Fortschritt, der in der Technologie eingebettet ist, Tribut. Der ehemalige Analyst des Weissen Hauses schreibt:
"...Technologie macht nicht nur unsere Leben einfacher; sie stärkt auch unsere Grundwerte. Also kann technologischer Fortschritt moralischen Fortschritt generieren. Die Aufhebung der Sklaverei ist dafür die dramatischste Illustration."
Eine Illustration vielleicht, aber in dem Sinn eines hübschen Bildes, eines intellektuellen Wunschdenkens. Ansonsten wäre es schwierig all denen zu erklären, warum sie nicht befreit wurden, die jetzt in der Sklaverei der Verschuldung, dem Verkauf ihrer Kinder, dem Menschenhandel (wie er von den Vereinten Nationen angeprangert wird) verstrickt sind. Der American Anti-Slavery Gruppe zufolge sind heute weltweit mehr als 30 Millionen Menschen versklavt. Das sind mehr als zu irgendeinem anderen historischen Zeitpunkt. Und doch hört und sieht man nichts von ihnen. Sie sind nur die sub-atomaren Partikel der globalen Ökonomie.
Man könnte argumentieren, dass sich die Sklaverei über ihre semantischen Grenzen hinaus erstreckt. Dass die Ketten und Handschellen der Sklaverei die soziale Leiter erklimmen. Vom Generaldirektor, der ausgebrannt ist, bis zum Arbeiter im Sweatshop, der in einem Feuer in einer Fabrik verbrennt, bleiben wir Sklaven einer hektischen Arbeitsstruktur, brutaler Deadlines, finanziellen Drucks. Dieser erbarmungslose Konkurrenzkampf macht uns zu blinden Mäusen, gefangen in einem ökonomischen Irrgarten. Sterile sado-masochistische Machtspiele, die wir in unseren täglichen Leben spielen.
Was uns wieder zu der Überlegung zurückführt, welche Rolle die Liebe im 21. Jahrhundert spielt. Könnte sie wirklich die treibende Kraft sein, der Auslöser für die Befreiung der Menschheit? Sollte der Soundtrack von Bob Marley stammen, der singt "emanzipiert euch von geistiger Sklaverei"? Oder ist das eine höfliche Art uns mitzuteilen, dass wir weiter verarscht werden?