17.09.2008 18:55 "Kurskorrekturen sind überzogen"
Das Hamburger Unternehmen Kremlin investiert in russische Aktien. boerse.ARD.de fragte Vorstand Axel Pothorn, warum die Kurse in Russland so heftig eingebrochen sind, welche Schuld daran die Politik hat und ob es noch tiefer geht.
Kremlin-Chef Pothorn
Pothorn: Da gibt es eine Vielzahl von Gründen. Die weltwirtschaftlichen Rahmendaten führten dazu, dass Anleger Geld abzogen. Außerdem drückten die Rezessionsängste auf die Öl- und Rohstoffpreise, die Treiber der russischen Wirtschaft. Das hat die Aktien nach unten gezogen.
boerse.ARD.de: Haben auch die jüngsten Eingriffe der Politik in die Wirtschaft die Anleger verunsichert?
Pothorn: Ja, es gibt auch hausgemachte Gründe für den Kursverfall. Die von Putin gegenüber dem Bergbau-Konzern Mechel erhobenen Vorwürfe wegen unerlaubter Preisbildung und der Streit um TNK-BP haben bei Anlegern Befürchtungen einer neuen Yukos-Krise aufflammen lassen.
boerse.ARD.de: Wie stark belastet der Kaukasus-Konflikt die Börse?
Pothorn: Der Kaukasus-Konflikt und andere Konfliktherde haben die Anleger stark verunsichert. Denn Kriege beeinflussen immer die Börse. Die Kontroverse zwischen Russland und der NATO hat zusätzlich für Aufregung gesorgt. Wir gehen davon aus, dass amerikanische und britische Anleger in einer Art Strafaktion ihr Geld deswegen abgezogen haben.
boerse.ARD.de: Dies sind aber alles Belastungsfaktoren aus den letzten Monaten. Warum sind die Kurse gerade am Dienstag und Mittwoch so dramatisch eingebrochen? Liegt es an der akuten Liquiditätskrise?
Pothorn: Die heftigen Kurseinbrüche in dieser Woche machen uns auch ratlos. Wir haben derzeit mehr Fragen als Antworten. Zum Liquiditätsengpass kann ich noch nichts sagen, dazu fehlen mir die nötigen Informationen.
boerse.ARD.de: Wird sich der Kursverfall an der russischen Börse weiter fortsetzen? Oder stehen wir schon bald vor einer Erholung?
Pothorn: Wir sind keine Propheten. Russland kann sich nicht abkoppeln von den westlichen Börsen. Vieles hängt von der Rohstoffpreis-Entwicklung ab. Die große Frage ist, wo die russische Börse ihren Boden findet. Wir sehen diesen bei einem RTS-Stand von 900 bis 1.000 Punkten. Da gibt es noch Rückschlagspotenzial. Doch die Vergangenheit hat gezeigt, dass es nach Kurseinbrüchen schnell wieder nach oben gehen kann. Wir rechnen folglich mit einer Jahresend-Rally.
boerse.ARD.de: Wenn es an der russischen Börse einen Crash gibt, fahren Sie mit uns besser, hat einst der Ex-Geschäftsführer der Kremlin AG, Jörn Schmidt, gesagt. In den letzten Monaten ist die Kremlin-Aktie aber ähnlich stark eingebrochen wie der russische Leitindex...
Pothorn: Das liegt daran, dass die Anleger zu wenig über unser Geschäftsmodell wissen. Sie setzen uns irrtümlicherweise mit dem russischen Leitindex RTS gleich. Natürlich können auch wir uns nicht dem Crash in Russland entziehen. Auch Nebenwerte sind von dem derzeitigen Kursrutsch betroffen. Allerdings sind die Auswirkungen auf unser Small-Cap-Portfolio gerade in Krisenzeiten in der Regel weniger dramatisch, da aufgrund der starken Unterbewertung und der Tatsache, dass sich in diesem Sektor mehr strategische Investoren tummeln, hier eine gewisse Downside-Protection gegeben ist.
boerse.ARD.de: Können Sie erklären, was Kremlin mit russischen Nebenwerten zu tun hat?
Pothorn: Wir betreiben Stock-Picking am russischen Aktienmarkt. Dabei setzen wir nicht auf die Gazproms oder Lukoils, sondern auf kleine unterbewertete Nebenwerte. Wir investieren direkt an der russischen Börse.
boerse.ARD.de: Wie reagieren Sie als Fondsmanager auf die Situation in Russland? Schichten Sie um?
Pothorn: Wir fahren eine Politik der ruhigen Hand. Langfristig sehen wir uns gut aufgestellt. Nach dem Kurseinbruch sehen wir inzwischen wieder günstige Gelegenheiten zum Einstieg. Die Kurskorrekturen der letzten Tage waren überzogen. Fundamental bleibt der russische Aktienmarkt eine Erfolgsstory.
boerse.ARD.de: Wer sind Ihre Favoriten?
Pothorn: Wir suchen bevorzugt nach unterbewerteten Firmen, die aufgrund spezieller Faktoren attraktiv sind. Dazu zählen ungeklärte Eigentumsverhältnisse oder eine unzureichende Corporate Governance. Das hat uns in der Vergangenheit gute Erfolge gebracht. Unsere aktuellen Favoriten sind Rohstoff explorierende und –verarbeitende Firmen aus der Kupfer-, Nickel- und Kohle-Industrie sowie Düngemittelhersteller. In unserem Portfolio befinden sich auch Kaufhäuser und Hersteller von Konsum- und Investitionsgütern.
boerse.ARD.de: Können Sie mal Beispiele nennen?
Pothorn: Zum Beispiel Juzhuralnickel, Russlands zweitgrößter Nickel-Produzent. Die Aktie ist grob unterbewertet, weil sie kaum bekannt ist. Vor dem Crash lag das KGV bei vier. Jetzt ist es noch niedriger. Ein anderes Erfolgsbeispiel ist Black Earth Farming. Das Unternehmen kauft große Agrarflächen und lässt dort Getreide anbauen nach modernen Methoden. Die Erträge auf den fruchtbaren Böden sind hoch.
boerse.ARD.de: Wie hat sich der Gewinn im ersten Halbjahr entwickelt?
Pothorn: Unsere Gewinne kommen vor allem aus dem Verkauf von Aktien. Im ersten Halbjahr haben wir einen Überschuss von 250.000 Euro erzielt. Das ist weniger als im Vorjahreszeitraum. Der Rückgang hängt mit Abschreibungen auf Wertpapiere sowie Kursverlusten aufgrund des Dollar-Verfalls im 1. Halbjahr zusammen.
boerse.ARD.de: Werden Sie in diesem Jahr schwarze Zahlen schreiben?
Pothorn: Das ist derzeit schwierig zu beantworten. Wenn die Talfahrt nicht weitergeht und eine Jahresend-Rally kommt, werden wir sicherlich einen Gewinn ausweisen. Sollten die Kurse allerdings weiter nach unten driften, droht weiterer Wertberichtigungsbedarf auf unser Portfolio.
boerse.ARD.de: Glauben Sie, dass deutsche Anleger über Russland genug Bescheid wissen?
Pothorn: Das Wissen der deutschen Anleger über Russland ist noch gering. Sie haben jahrelang das enorme Potenzial des Marktes nicht erkannt. Dabei hat die Börse einen rasanten Sprung nach oben gemacht. Lag der RTS 1998 noch bei 26 Pünktchen, notiert er heute bei über 1.000 Zählern. Russland ist nicht nur Öl. Der Markt steht inzwischen auf vielen Füßen. Allerdings ist er noch jung, unausgereift und neigt daher zu heftigen Übertreibungen – in beide Richtungen.
Das Interview führte Notker Blechner.