Kaufen heißt nicht immer kaufen

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Kaufen heißt nicht immer kaufen

 
08.04.01 23:27
Ende März gab Staranalystin Abby Joseph Cohen bekannt, den Anteil der Aktien in ihrem Musterdepot um fünf Prozent zu verringern und damit den Bargeldbestand zu erhöhen. Zudem wies die Aktienexpertin von Goldman Sachs darauf hin, dass sie Technologiewerte nicht länger als unterbewertet betrachte. Mit diesen beiden Aussagen, die die Finanzwelt als High-Tech-Aktienmüdigkeit wertete, löste sie einen Mini-Crash aus: Der US-Technologie-Index "Nasdaq Composite" verlor innerhalb von drei Börsentagen über zehn Prozent.

Kein Zweifel: Die Macht der Aktien-Analysten wächst. Doch die Experten reden keineswegs Klartext. Empfehlungen wie "Strong buy", "Outperformer" oder "Akkumulieren" müssen erst entschlüsselt werden. Und selbst dann sind diese "Ratings" noch längst nicht mit einander vergleichbar. Die Wertpapierhäuser beschäftigen ganze Heerscharen von Experten, die börsennotierte Unternehmen unter die Lupe nehmen und daraus ihre Einschätzungen zur Zukunft der Firma und deren Aktienkurses formulieren. Diese Informationen sollen den professionellen Investoren im eigenen Hause, zum Beispiel Fondsbetreuern, aber auch der Öffentlichkeit bei Anlageentscheidungen helfen.

Leider verwenden die Analysten kein einheitliches Rating-Schema. Die Bedeutung der Begriffe schwankt je nach Research-Abteilung. Eine Kaufempfehlung kann bei einem Analysten "Strong buy" heißen, der andere sagt "Buy" und der dritte spricht von "Outperformer". Am gebräuchlichsten sind die englischen Begriffe. Aber auch die deutschen Übersetzungen werden öfter in ein Rating-Schema gefasst.

Grundsätzlich benutzen die Wertpapierhäuser zwei verschiedene Ratingsysteme – ein absolutes und ein relatives.

Relative Ratingsysteme orientieren ihre Empfehlungen daran, wie sich der Kurs einer Aktie im Vergleich zu einem Index, etwa dem Dax, entwickeln wird. Beispiel hierfür sind die Bezeichnungen "Outperformer", "Market Performer" und "Underperformer". "Outperformer bedeutet, dass sich eine Aktie über einen bestimmten Zeitraum hinweg besser entwickeln wird als der Index.

Absolute Bewertungssysteme dagegen beurteilen das Kurspotenzial einer Aktie unabhängig vom Marktumfeld. Oft verbergen sich diese Ratings hinter "Buy", "Hold" und "Sell". "Buy" heißt dann etwa: "Diese Aktie hat ein Kurspotenzial von xy Prozent."


Verschiedene Massstäbe

Eine Hilfe sind die Empfehlungssysteme nicht immer. Denn so unterschiedlich wie die Begriffe sind auch die Anforderungen, die die Analysten an die Vergabe der Ratings knüpfen.

Wird erwartet, dass sich der Kurs einer Aktie um zehn beziehungsweise 20 Prozent schlechter als der Index entwickelt, sprechen Deutsche Bank-Analysten vornehm von "Underperform", während Merrill Lynch die Sache weitaus deut licher mit "Reduce" beziehungsweise "Sell", also verkaufen, beim Namen nennt.

Wenn ABN Amro die Buy-Empfehlung ausgibt, rechnen die Experten mit einer Kurssteigerung von zehn Prozent über dem Index. West LB Panmure erwartet für ein "Buy" schon 20 Prozent.

Die Herabstufung von "Strong buy" auf "Buy" durch den Deutsche-Bank-Analysten kann den gleichen Effekt haben wie die von "Buy" auf "Accumulate" des Kollegen bei Merrill Lynch. Die begriffliche Bedeutung des Ratings tritt dabei in den Hintergrund. Bedeutsam ist die Degradierung, die meist mit deutlichen Kursverlusten quittiert wird.

Wie stark die Reaktion auf eine solche Herab- oder Heraufstufung ist, hängt von mehreren Faktoren ab. Ganz entscheidend ist die aktuelle Börsensituation. Während eine Heraufstufung in einem freundlichen Umfeld einen starken Kursschub auslösen kann, verpufft diese Wirkung möglicherweise in einer Baisse.

Außerdem ist die Reputation des Analysten von Bedeutung. Eine Herauf- oder Herabstufung eines bekannten Analysten wie Henry Blodget von Merrill Lynch oder Mary Meeker von Morgan Stanley Dean Witter kann die Kurse stark bewegen, während weniger bekannte Kollegen womöglich kaum beachtet werden.

Eigeninteresse der Banken

Es steht außer Frage, dass die Analysten mit ihren Bewertungen großen Einfluss auf die Kursentwicklung nehmen können – zumindest kurzfristig. Investoren sollten diesen Einschätzungen aber nicht unkritisch gegenüberstehen. Denn Banken und Investmenthäuser sind nicht frei von Eigeninteressen, wenn sie ihre Empfehlungen aussprechen.

Selten sind klare "Sell"- beziehungsweise "Verkaufen"-Empfehlungen zu lesen, weil die Institute dadurch die Unternehmen verprellen würden. So könnten die Institute ihre wichtigste Quelle für heiße Insider-Informationen verlieren und eventuell sogar zukünftige Geschäfte gefährden.

War das Institut zudem als Konsortialmitglied am Börsengang beteiligt, steht ein anderes Interesse im Vordergrund: Meist haben die an der Emission beteiligten Investmenthäuser noch erhebliche Aktienanteile im Depot, so dass sie an einem hohen Kurs interessiert sind.

Ebenso wenig werden die Institute keine Verkaufsempfehlung geben, wenn bedeutende Kunden Aktien des Unternehmens halten. Eine solche Empfehlung hätte für diese Kunden unter Umständen einen Vermögensverlust zur Folge, was sich kein Institut auf die Fahne schreiben will. So kommt allenfalls eine Halten-Empfehlung heraus, wenn es "Verkaufen" heißen sollte.

Insgesamt gibt es weitaus mehr Kaufen- als Verkaufen-Empfehlungen. Gleichwohl wird eine Herabstufung von "Kaufen" auf "Halten" oftmals von den Investoren als versteckte Verkaufsempfehlung gedeutet, so dass ein ähnlicher Effekt wie bei einer offenen "Verkaufen"-Empfehlung zustande kommt.

Aktienschwemme

Auch die hohe Erwartungshaltung der Investoren besonders bei den High-Tech-Titeln ist oftmals schuld an den sehr positiven Ratings. Kein Institut will sich sagen lassen, dass es den High-Tech-Trend verpasst habe. Dazu kommt, dass die Vielzahl der Neuemissionen in diesem Bereich die Analysten überfordert. Für die neueren Börsensegmente wie den Neuen Markt und den Smax gibt gar es nicht genug Experten, um alle Unternehmen zu analysieren.

Fazit: Als kritischer Investor sollte man nicht blind nach Analysten-Empfehlungen kaufen oder verkaufen. Eigene Recherche ist durch nichts zu ersetzen. Es ist aber sinnvoll, Heraufstufungen als Anlass zu nutzen, sich das Unternehmen gründlicher anzusehen. Umgekehrt sollten Herabstufungen dazu führen, das Depot nach "Leichen" zu durchsuchen.

Nicht immer wird man durch Eigenrecherche zu dem gleichen Ergebnis kommen wie die Profis. Das muss aber nicht unbedingt zum Crash im eigenen Depot führen. Die Fehlbarkeit der Analysten wird von einer Studie bewiesen: Regelmäßig erzielt ein Affe, der die Zusammensetzung seines Aktiendepots durch willkürliches Auswählen bestimmt, eine bessere Performance als die gegen ihn angetretenen Wertpapierexperten.

Siehe auch Thread:

http://www.ariva.de/cgi-bin/...391113365&a=all&suchwort=&nr=63065&677

Oder auch Thread:

http://www.ariva.de/cgi-bin/f_anz.pl?nr=62462

Schönen Wochenanfang
Arbeiter

 
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