Von Susanne Benker
Mit fiktiven Geschichten wollen Unternehmen die Kommunikationsfähigkeit ihrer Mitarbeiter steigern. In Projektgruppen bei IBM, ABB und anderen IT-Konzernen haben die Beteiligten durchweg gute Erfahrungen mit der Methode gemacht.
Nick und T. Rex sind Abteilungsleiter in einem Technologiekonzern. Beide haben eines gemeinsam: Sie können einander nicht riechen.
Nick, jung und dynamisch, ist bei den Mitarbeitern als Teamplayer und Förderer beliebt. T. Rex dagegen ist ein Vorgesetzter alten Schlags, der wenig von Training und Kooperation hält. "Learning by doing" heißt seine Devise. Als ein Projekt, an dem beide beteiligt sind, beinah scheitert, weil ein neuer Mitarbeiter kein Einführungstraining erhalten hat, kommt es zu einem Eklat.
Zum Glück ist alles bloß Fiktion: Nick und T. Rex sind Protagonisten einer konstruierten Geschichte, die man sich in der amerikanischen Entwicklungsabteilung von ABB erzählte. Storytelling heißt die Methode. Der walisische Unternehmensberater Dave Snowden hat sie maßgeblich entwickelt.
Spannung versus Logik
Storytelling wird in Unternehmen eingesetzt, um auf geschäftliche Abläufe einzuwirken. "Eine Geschichte enthält Spannung", so Snowden, Europa-Direktor des Institute for Knowledge Management, "Manager können Mitarbeiter durch sie zum Miterleben bringen." Seit Jahren befasst sich Snowden mit der Wirkung von Geschichten und den Methoden des Storytellings. "Mit logischen Argumenten", so seine Erfahrung, "ist es schwer, Menschen in Unternehmen zu Veränderungen zu bewegen."
Es geht jedoch nicht um beliebige Geschichten. "Als Grundlage dienen Anekdoten aus dem Geschäftsalltag, die man sich so erzählt", erläutert Peter Schütt, der beim IT-Konzern IBM in der Sparte Software Services Lotus tätig ist. "Letztlich ist ihre Summe ein Spiegelbild der Unternehmenskultur", sagt er, "denn sie vermitteln die Regeln des Miteinander im Unternehmen." Schütt hält große Stücke auf Snowdens Methode.
"Wir hatten davon gehört, wie IBM Storytelling anwendet, um den Geschäftserfolg zu steigern", erinnert sich Harsh Karandikar, Manager des Global R&D Lab for Engineering and Manufacturing bei ABB. "Das wollten wir auch in unserem Bereich ausprobieren." Das zu lösende Problem: Enormer Erfolgsdruck ließ den Entwicklungsteams wenig Zeit für die gründliche Einarbeitung neuer Mitarbeiter. Obwohl Best-Practice-Datenbanken im Unternehmen existieren, die Trainingsmöglichkeiten beschreiben, werden sie kaum von den Verantwortlichen genutzt. Das sollte sich ändern. Karandikar übernahm die Rolle des Sponsors und warb im Unternehmen für die neue Methode.
Unter der Leitung von Snowden ließen sich die Ingenieure und Fachkräfte von IBM-Spezialisten, darunter Schütt, in die Kunst des Storytellings einweihen. Anschließend luden sie ABB-Manager und Projektleiter aus Deutschland, Schweden, der Schweiz und den USA zur Gruppendiskussion ein. Das Thema: "Wie bringt man von knappen Budgets gebeutelte Entwicklungsabteilungen dazu, in wichtige langfristige Maßnahmen wie Planungsprozesse oder Trainingskurse zu investieren?", erinnert sich Peter Fröhlich, Leiter des Storytelling-Projekts bei ABB.
Begeisterte Erzähler
So mancher Teilnehmer entpuppte sich als begeisterter Erzähler. "In den Workshops schaukelten sich die Leute gegenseitig auf", erinnert sich Fröhlich, "die alten Hasen im Management überboten einander mit ihren Erfahrungen. Kaum schilderte jemand, dass seine Abteilung bereits 1993 mit Prozessverbesserungen begonnen hatte, konterten die anderen mit weiter zurückliegenden Beispielen."
Das Szenario wurde gefilmt, die Beiträge schriftlich fixiert. "Wir sammelten in diesen Workshops insgesamt 30 Anekdoten aus unserem Arbeitsalltag", so Fröhlich, "und dabei fiel uns auf, dass Geschichten, die das Scheitern beschrieben, eine stärkere Wirkung zeigten als solche mit positiven Ergebnissen."
"In diesen Geschichten wiederholt sich ein bestimmtes Rollenverhalten", erklärt Schütt, "zwischen den Zeilen sind feste Regeln, Wertvorstellungen und Ansichten enthalten. Wie in jeder Soap-Opera werden sich drei bis fünf Hauptcharaktere herausbilden." Es gehe indes nicht darum, Personen im Unternehmen bloßzustellen: "Jeder, der die Typenbeschreibung hört, soll damit bestimmte, im Unternehmen typische Verhaltensweisen verbinden", so Schütt.
Bei ABB kristallisierten sich drei Hauptcharaktere heraus: "Der Manager alten Schlags - Spitzname T. Rex -, der wenig von Schulungen hielt; sein Gegenpol, der dynamische Jungmanager Nick, der für aktives Training von Mitarbeitern eintrat; und zwischen den Fronten der neue Mitarbeiter, der noch keinerlei Einweisung erhalten hat", so Fröhlich. Ein Cartoonist skizzierte die Typen während des Workshops.
"Mit welchen Geschichten kann der entscheidende Schritt zum Handeln ausgelöst werden?", lautete die nächste Frage. Die Teams zerlegten ihre Anekdoten in kleine Module als Bausteine für Lerngeschichten. "Das ist wichtig, damit der Stallgeruch, der sich über die spezielle Sprache eines Unternehmens verrät, dranbleibt", erläutert Schütt.
Dann konstruierten die ABB-Manager daraus folgende Lerngeschichte: Ein neuer Mitarbeiter kommt mit der komplexen Verwaltungssoftware eines Projekts nicht zurecht. Nick sieht dies als Problem und beantragt trotz der knappen Deadline des Projekts eine Schulung für den Neuen. Der Hardliner T. Rex lehnt dies ab. "Er wird es mit der Zeit schon lernen", so sein Standpunkt. Demotiviert macht sich der Mitarbeiter wieder an die Arbeit. Da schickt ihm eine Teamkollegin zur Aufheiterung während der Arbeit einen "Dilbert"-Cartoon. Doch der "Dilbert" gerät mitten in die Projektdateien und zerstört ein wichtiges Programm. Die Folge: Terminverzug.
Spannungen in der Gruppe
Nick bügelt den Fehler aus, indem er die verlorene Datei am Wochenende neu schreibt. T. Rex hingegen kann seinen Fehler nicht offen eingestehen. Aber immerhin hat er etwas gelernt und zeigt Humor: Ihn stört es zwar immer noch, dass die Mitarbeiter einander Cartoons schicken, aber nun kommt er selbst in das Projektbüro und druckt ihnen den neuesten "Dilbert" aus.
"Diese Version verbreiteten die Teilnehmer des Workshops in der Entwicklungsgruppe", sagt Fröhlich. Schließlich wurde durch das Weitererzählen der Geschichte das Bewusstsein dafür geweckt, wie wichtig Trainingsseminare sind. "Das war den Mitarbeitern zwar vorher schon klar", sagt er, doch identifizierten sie sich jetzt wesentlich stärker mit dieser Erkenntnis. "Geschichten eignen sich viel besser als technische Anweisungen, da sie komplexe Sachverhalte und Werte beispielhaft vor Augen führen", so Fröhlich, "denn beim Erzählen wird nicht so stark gefiltert. Man gerät geradezu in einen Strom des Erzählens."
Auch der Umgang der Teams untereinander hat sich seitdem verändert. "Diese Methodik, richtig angewandt, kann tief in das Herz des Unternehmens eingreifen", sagt Schütt. "Unser Pilotprojekt hat in der gewählten kleinen Gruppe einen guten Effekt erzielt", sagt Karandikar. Um das "zarte Pflänzchen Storytelling", so Fröhlich, zu gießen, braucht freilich es die Zustimmung des Topmanagements und "eine gute Umgebung im Sinne eines tragfähigen Business Cases".
© 2002 Financial Times Deutschland
und diese Märchen erzählen sie dann uns.
Gruß Brummer
Mit fiktiven Geschichten wollen Unternehmen die Kommunikationsfähigkeit ihrer Mitarbeiter steigern. In Projektgruppen bei IBM, ABB und anderen IT-Konzernen haben die Beteiligten durchweg gute Erfahrungen mit der Methode gemacht.
Nick und T. Rex sind Abteilungsleiter in einem Technologiekonzern. Beide haben eines gemeinsam: Sie können einander nicht riechen.
Nick, jung und dynamisch, ist bei den Mitarbeitern als Teamplayer und Förderer beliebt. T. Rex dagegen ist ein Vorgesetzter alten Schlags, der wenig von Training und Kooperation hält. "Learning by doing" heißt seine Devise. Als ein Projekt, an dem beide beteiligt sind, beinah scheitert, weil ein neuer Mitarbeiter kein Einführungstraining erhalten hat, kommt es zu einem Eklat.
Zum Glück ist alles bloß Fiktion: Nick und T. Rex sind Protagonisten einer konstruierten Geschichte, die man sich in der amerikanischen Entwicklungsabteilung von ABB erzählte. Storytelling heißt die Methode. Der walisische Unternehmensberater Dave Snowden hat sie maßgeblich entwickelt.
Spannung versus Logik
Storytelling wird in Unternehmen eingesetzt, um auf geschäftliche Abläufe einzuwirken. "Eine Geschichte enthält Spannung", so Snowden, Europa-Direktor des Institute for Knowledge Management, "Manager können Mitarbeiter durch sie zum Miterleben bringen." Seit Jahren befasst sich Snowden mit der Wirkung von Geschichten und den Methoden des Storytellings. "Mit logischen Argumenten", so seine Erfahrung, "ist es schwer, Menschen in Unternehmen zu Veränderungen zu bewegen."
Es geht jedoch nicht um beliebige Geschichten. "Als Grundlage dienen Anekdoten aus dem Geschäftsalltag, die man sich so erzählt", erläutert Peter Schütt, der beim IT-Konzern IBM in der Sparte Software Services Lotus tätig ist. "Letztlich ist ihre Summe ein Spiegelbild der Unternehmenskultur", sagt er, "denn sie vermitteln die Regeln des Miteinander im Unternehmen." Schütt hält große Stücke auf Snowdens Methode.
"Wir hatten davon gehört, wie IBM Storytelling anwendet, um den Geschäftserfolg zu steigern", erinnert sich Harsh Karandikar, Manager des Global R&D Lab for Engineering and Manufacturing bei ABB. "Das wollten wir auch in unserem Bereich ausprobieren." Das zu lösende Problem: Enormer Erfolgsdruck ließ den Entwicklungsteams wenig Zeit für die gründliche Einarbeitung neuer Mitarbeiter. Obwohl Best-Practice-Datenbanken im Unternehmen existieren, die Trainingsmöglichkeiten beschreiben, werden sie kaum von den Verantwortlichen genutzt. Das sollte sich ändern. Karandikar übernahm die Rolle des Sponsors und warb im Unternehmen für die neue Methode.
Unter der Leitung von Snowden ließen sich die Ingenieure und Fachkräfte von IBM-Spezialisten, darunter Schütt, in die Kunst des Storytellings einweihen. Anschließend luden sie ABB-Manager und Projektleiter aus Deutschland, Schweden, der Schweiz und den USA zur Gruppendiskussion ein. Das Thema: "Wie bringt man von knappen Budgets gebeutelte Entwicklungsabteilungen dazu, in wichtige langfristige Maßnahmen wie Planungsprozesse oder Trainingskurse zu investieren?", erinnert sich Peter Fröhlich, Leiter des Storytelling-Projekts bei ABB.
Begeisterte Erzähler
So mancher Teilnehmer entpuppte sich als begeisterter Erzähler. "In den Workshops schaukelten sich die Leute gegenseitig auf", erinnert sich Fröhlich, "die alten Hasen im Management überboten einander mit ihren Erfahrungen. Kaum schilderte jemand, dass seine Abteilung bereits 1993 mit Prozessverbesserungen begonnen hatte, konterten die anderen mit weiter zurückliegenden Beispielen."
Das Szenario wurde gefilmt, die Beiträge schriftlich fixiert. "Wir sammelten in diesen Workshops insgesamt 30 Anekdoten aus unserem Arbeitsalltag", so Fröhlich, "und dabei fiel uns auf, dass Geschichten, die das Scheitern beschrieben, eine stärkere Wirkung zeigten als solche mit positiven Ergebnissen."
"In diesen Geschichten wiederholt sich ein bestimmtes Rollenverhalten", erklärt Schütt, "zwischen den Zeilen sind feste Regeln, Wertvorstellungen und Ansichten enthalten. Wie in jeder Soap-Opera werden sich drei bis fünf Hauptcharaktere herausbilden." Es gehe indes nicht darum, Personen im Unternehmen bloßzustellen: "Jeder, der die Typenbeschreibung hört, soll damit bestimmte, im Unternehmen typische Verhaltensweisen verbinden", so Schütt.
Bei ABB kristallisierten sich drei Hauptcharaktere heraus: "Der Manager alten Schlags - Spitzname T. Rex -, der wenig von Schulungen hielt; sein Gegenpol, der dynamische Jungmanager Nick, der für aktives Training von Mitarbeitern eintrat; und zwischen den Fronten der neue Mitarbeiter, der noch keinerlei Einweisung erhalten hat", so Fröhlich. Ein Cartoonist skizzierte die Typen während des Workshops.
"Mit welchen Geschichten kann der entscheidende Schritt zum Handeln ausgelöst werden?", lautete die nächste Frage. Die Teams zerlegten ihre Anekdoten in kleine Module als Bausteine für Lerngeschichten. "Das ist wichtig, damit der Stallgeruch, der sich über die spezielle Sprache eines Unternehmens verrät, dranbleibt", erläutert Schütt.
Dann konstruierten die ABB-Manager daraus folgende Lerngeschichte: Ein neuer Mitarbeiter kommt mit der komplexen Verwaltungssoftware eines Projekts nicht zurecht. Nick sieht dies als Problem und beantragt trotz der knappen Deadline des Projekts eine Schulung für den Neuen. Der Hardliner T. Rex lehnt dies ab. "Er wird es mit der Zeit schon lernen", so sein Standpunkt. Demotiviert macht sich der Mitarbeiter wieder an die Arbeit. Da schickt ihm eine Teamkollegin zur Aufheiterung während der Arbeit einen "Dilbert"-Cartoon. Doch der "Dilbert" gerät mitten in die Projektdateien und zerstört ein wichtiges Programm. Die Folge: Terminverzug.
Spannungen in der Gruppe
Nick bügelt den Fehler aus, indem er die verlorene Datei am Wochenende neu schreibt. T. Rex hingegen kann seinen Fehler nicht offen eingestehen. Aber immerhin hat er etwas gelernt und zeigt Humor: Ihn stört es zwar immer noch, dass die Mitarbeiter einander Cartoons schicken, aber nun kommt er selbst in das Projektbüro und druckt ihnen den neuesten "Dilbert" aus.
"Diese Version verbreiteten die Teilnehmer des Workshops in der Entwicklungsgruppe", sagt Fröhlich. Schließlich wurde durch das Weitererzählen der Geschichte das Bewusstsein dafür geweckt, wie wichtig Trainingsseminare sind. "Das war den Mitarbeitern zwar vorher schon klar", sagt er, doch identifizierten sie sich jetzt wesentlich stärker mit dieser Erkenntnis. "Geschichten eignen sich viel besser als technische Anweisungen, da sie komplexe Sachverhalte und Werte beispielhaft vor Augen führen", so Fröhlich, "denn beim Erzählen wird nicht so stark gefiltert. Man gerät geradezu in einen Strom des Erzählens."
Auch der Umgang der Teams untereinander hat sich seitdem verändert. "Diese Methodik, richtig angewandt, kann tief in das Herz des Unternehmens eingreifen", sagt Schütt. "Unser Pilotprojekt hat in der gewählten kleinen Gruppe einen guten Effekt erzielt", sagt Karandikar. Um das "zarte Pflänzchen Storytelling", so Fröhlich, zu gießen, braucht freilich es die Zustimmung des Topmanagements und "eine gute Umgebung im Sinne eines tragfähigen Business Cases".
© 2002 Financial Times Deutschland
und diese Märchen erzählen sie dann uns.
Gruß Brummer