Ist der Neue Markt noch zu retten? Experten

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Dixie:

Ist der Neue Markt noch zu retten? Experten

 
20.08.01 09:25
diskutieren mit Welt am Sonntag

Ist der Neue Markt noch zu retten?

Die deutsche High-Tech-Börse taumelt von einem Tief zum anderen. WELT am SONNTAG holte führende Marktteilnehmer an einen Tisch, um Wege aus dem Debakel zu finden

Diskussionsrunde im Frankfurter Hilton-Hotel Foto: WamS/Harder

Am Runden Tisch diskutieren: Elmar Thöne (DG-Bank, Leiter Neuemissionen), Götz Albert (Independent Research, Leiter der Analyse), Waltraud Kaserer (WELT am SONNTAG), Carsten Heise (Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz), Rainer Riess (Deutsche Börse AG, Chef des Neuen Markts), Michael Höfling (WELT am SONNTAG), Christian Holtmann (Singulus Technologies, Finanzvorstand), Karl Fickel (Lupus Alpha Asset Management, Fondsmanager) und Frank Stocker (WELT am SONNTAG).

WELT am SONNTAG: 200 Milliarden Euro sind am Neuen Markt seit dem Höchststand vernichtet worden. Sind das wirklich nur völlig normale Anlaufprobleme, wie es sie auch an der Nasdaq gegeben hat?

Karl Fickel: Die Ähnlichkeit zur Nasdaq ist natürlich frappierend. Nach zwei bis drei Jahren gab es dort ähnliche Probleme, hoch schießende Kurse und Insidermanipulationen. Die US-Wertpapieraufsicht SEC hat dann die Regeln verschärft. Doch die Gründe für die Malaise am Neuen Markt sind vielfältig: da waren alle sowohl Täter als auch Opfer als auch Getriebene. Es war eine Schraube, die sich nach oben gedreht hat.

Rainer Riess: Es ist aber wichtig festzuhalten, dass die Ereignisse der vergangenen Monate am Neuen Markt kein deutsches Phänomen sind. An der US-High-Tech-Börse Nasdaq wurden im Jahre 2000 ungefähr 60 Milliarden Dollar an Kapital aufgenommen. Am Neuen Markt waren es 13 Milliarden Euro. An der Nasdaq gab es rund 500 Neuemissionen, am Neuen Markt 130. Das entspricht auch etwa der Relation der Volkswirtschaften. Und auch die einzelnen Branchen haben sich vergleichbar entwickelt.

WamS: Aber sind nicht doch grundlegende Fehler gemacht worden? In den Zulassungsbestimmungen zum Neuen Markt steht beispielsweise, dass ein Unternehmen drei Jahre bestehen soll. Das wurde in der Hochphase oft über Bord geworfen.

Riess: "Soll" heißt nicht "muss". Das erklärte Ziel des Neuen Markts war und ist, Wachstumsunternehmen anzuziehen. Und es kann gute Gründe geben, warum ein Unternehmen, das noch nicht drei Jahre alt ist, an die Börse geht. Sonst wären einige Biotech-Firmen nicht an die Börse gegangen, vielleicht nie gegründet worden. Wir wollen sicher nicht zu den Zeiten zurück, als ein Unternehmen in Deutschland durchschnittlich 55 Jahre alt war, als es an die Börse ging, und Wachstumsunternehmen der Weg an die Börse versperrt war.

Fickel: Ja, aber zwischen 55 Jahren und sechs Monaten ist ja schon ein dramatischer Unterschied, und es gibt noch etwas dazwischen. Von den Börsengängen im vergangenen Jahr waren in der Tat viele noch im Venture-Capital-Stadium. Und wenn man Wachstumsunternehmen eine Chance geben will, dann aber halbreife Pflänzchen an die Börse bringt, dann sehe ich doch die Deutsche Börse in der Pflicht, mit ihren Spielregeln für Ordnung zu sorgen.

Riess: Über die Börsenreife eines Unternehmens entscheidet nie eine Börse oder eine Aufsichtsbehörde. Auch nicht in den USA. Dazu sind die Marktbeteiligten da: Die Investment-Banken erstellen mit dem Unternehmen einen Verkaufsprospekt. Und auf der anderen Seite gibt es Investoren, die diesen Prospekt lesen müssen, um zu entscheiden, ob sie die Aktie zeichnen wollen. Letztlich entscheidet der Markt über die Börsenreife einer Firma.

WamS: Wie prüfen die Investmentbanken die Börsenreife?

Elmar Thöne: Wir schauen uns vor allem das Management an und prüfen, ob Instrumente wie Rechnungswesen und Controlling da sind. Das war nicht immer einfach, weil viele Unternehmen noch nicht lange existierten und dort sehr viele junge Leute dabei waren. Doch andererseits gibt es auch eine Reihe von Unternehmen, die jahrelang von einem erfahrenen Management begleitet wurden und dann nach dem Börsengang in Schwierigkeiten kamen. Deshalb sagt die Dauer der Existenz eines Unternehmens nichts über dessen Qualität aus. Wichtig ist aber: Der Börsenprospekt der Emissionsbank ist immer nur eine Darstellung der Vergangenheit der Firma. Für die Zukunft hilft nur das Research.

WamS: Damit sind die Analysten angesprochen, die für die Prognosen zuständig sind. Und da hat sich die Zunft in letzter Zeit ja nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Brauchen wir eigentlich Analysten, wenn sie so oft daneben liegen?

Götz Albert: Das große Missverständnis ist, dass Analysten für ein öffentliches Gut gehalten werden. Das sind sie nicht. Analysten haben meist eine Bindung an eine Bank, an einen Arbeitgeber. Deshalb wundere ich mich über die häufig auftauchende Frage, ob Analysten Erfüllungsgehilfen der Banken sind. Sie werden schließlich von den Banken bezahlt. Wenn mich der Verkäufer in einem Möbelgeschäft überzeugt, Polstermöbel zu kaufen, dann ist es ja auch keine Frage, ob er das vielleicht im Interesse des Möbelhauses getan hat. Ich sage ganz offen, ich fühle mich in erster Linie meinen Kunden verpflichtet, die ich persönlich kenne und die mich bezahlen.

Fickel: Aber das eigentliche Problem, das dahinter steckt, ist doch Folgendes. Anfang der 90er-Jahre mussten Trainees in den Wertpapierhandelsabteilungen noch mindestens zwei Jahre Handlangerdienste machen, um Analyst zu werden. Nach drei Jahren durften sie vielleicht erste kleine Studien schreiben, und bis zum Senior-Researcher brauchten sie vier oder fünf Jahre. In der Hype-Phase liefen Analysten frisch von der Uni weg herum, die gerade mal Excel-Tabellen erstellen und optimieren konnten. Von Fundamental-Analyse, vom Sich-Eingraben in eine Firma, hatten sie keine Ahnung. Das war genau so bei den Fondsmanagern und in anderen Bereichen.

Albert: Die gesamte Investment-Branche hatte ein Zeit- und Mengenproblem. Die Werte sind explodiert. Und man hatte den Anspruch, alles zu begleiten. Deshalb änderte sich der Anspruch: Tiefe war nicht mehr so wichtig, man ging nur noch in die Breite. Finanz- und Bilanzanalyse waren out, es interessierte nur noch das Geschäftsmodell. Das wird jetzt gerade wieder deutlich zurückgefahren.

WamS: Wenn wir jetzt darauf zu sprechen kommen, was sich ändern soll - was wünscht sich dann ein Unternehmen wie Singulus?


Christian Holtmann: Wir sind zwar nicht gegen den Neuen Markt, sind aber insgesamt mit den Rahmenbedingungen unzufrieden. Ich möchte, dass unser Aktienkurs sich beispielsweise mehr an fundamentalen Daten ausrichtet. Deshalb ist mein Lösungsansatz eine stärkere Segmentierung. Der Nemax 50 als einziges Segment innerhalb des Neuen Markts genügt nicht. Man muss unterscheiden zwischen den spekulativen neuen Unternehmen, einem mittleren Wachstumssegment und einem Premium-Segment mit den fundamental starken Firmen.

Fickel: Ich sehe vor allem die Deutsche Börse in der Pflicht. Sie hat zwar die Meldepflicht für Aktienverkäufe durch Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder eingeführt. Doch das wird durch Geschäfte über Familienmitglieder oder Vermögensverwalter umgangen. Wenn ich die Deutsche Börse darauf anspreche, dann bekomme ich gesagt, da sei nichts zu machen, wegen des Eigentumsrechts in Paragraf XY...


Fortsetzung Teil 2
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Ist der Neue Markt noch zu retten? (Teil 2)

Riess: Das Eigentumsrecht ist im Grundgesetz geregelt!
Fickel: Ja, aber da muss ich sagen, in den USA gibt es das auch! Deshalb sollte man - wenn denn Einigkeit besteht, dass man das auch hier haben will - sich zusammentun und einen Sprecher bestimmen, der zum Gesetzgeber geht. Und wenn der Gesetzgeber den Neuen Markt haben will, dann müssen hier und da gesetzliche Lücken geschlossen werden. Sonst redet sich immer jeder raus und sagt, ich kann ja nichts machen.

Riess: Die Deutsche Börse hat seit Beginn des Neuen Markts eine Vorreiterrolle eingenommen. Wir haben Anfang 1997 Quartalsberichte eingeführt und die Rechnungslegung nach IAS oder US-GAAP. Anders als in den USA und vielen anderen Ländern haben wir dabei nicht auf den Gesetzgeber gewartet. Die Deutsche Börse ist auch bei Directors Dealings in Vorlage getreten und hat zum 1. März die nachträgliche Meldepflicht für Aktiengeschäfte von Vorständen und Aufsichtsräten in die privatrechtlichen Regeln aufgenommen. Unser Vertragspartner ist jedoch das Unternehmen, daher können wir auch nur die Organe des Unternehmens verpflichten. Anderen Personen können wir als Börse keine Vorschriften machen. Wir haben mit ihnen keinerlei Geschäftsbeziehungen. Der Gesetzgeber denkt bereits über mögliche Erweiterungen im Rahmen des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes nach - das begrüßen wir.

Carsten Heise: Es gibt aber auch verfassungsrechtlich zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmungen, auch bei Artikel 14 des Grundgesetzes. Insofern kann man nicht ohne weiteres sagen, dass weiter gehende Regularien hier nicht möglich seien. Ich würde aber auch zustimmen, gesetzliche Regelungen müssen her. Sie merken ja selber bei der Deutschen Börse, dass es nicht so leicht ist, privatrechtliche Regeln zu verändern. Jetzt gründet sich ja auch ein Interessenverband von Neuer-Markt-Unternehmen, die möglicherweise eine Gegenposition zum Thema Delisting aufbauen wollen. Es wäre sinnvoller, wenn das eine oder andere, worüber man streitet, gesetzlich geregelt würde.

Thöne: Das ist eigentlich das Gleiche, was Herr Fickel sagte, man bräuchte einen Interessenverband, der bestimmte Dinge diskutiert, so wie hier.

Holtmann: Ich denke auch, wir brauchen eine klare Regelung, wann ein Vorstand kaufen und verkaufen darf und wann nicht. Die gegenwärtige Situation ist ja so, dass man ständig Gefahr läuft, in der Öffentlichkeit angeprangert zu werden, egal was man macht. Wir haben bei Singulus daher gesagt, wir kaufen überhaupt keine eigenen Aktien mehr. Denn es würde immer vermutet, dass wir Insiderwissen haben. Es muss eine klare Regelung geben. Ob sie juristisch verankert ist oder ob es ein ungeschriebenes Gesetz ist, ist egal.


WamS: Viel Hoffnung ruht derzeit auf dem Vierten Finanzmarktförderungsgesetz. Es sollte ja eigentlich schon vor den Sommerferien als Entwurf vorliegen. Nun hat sich das verzögert und mit einem Inkrafttreten ist nicht vor Mitte 2002 zu rechnen. Fast ein Jahr Zeit - das ist ziemlich lange für den Neuen Markt. Haben Sie alle in Berlin zu wenig Druck gemacht, damit das relativ rasch umgesetzt wird?

Heise: Es wird ja an vielen Baustellen gleichzeitig gearbeitet. Da gibt es ja noch das Übernahmegesetz, und auch das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz erfasst viele unterschiedliche Regelungsbereiche. Das braucht Zeit. Was haben wir davon, wenn wir jetzt eine schnelle Regelung bekommen, die in sich nicht konsistent, nicht sauber oder widersprüchlich ist oder zu mehr Verwerfungen führt, als dass sie nützt.

Fickel: Aber wenn beispielsweise ein Arbeitskreis Neuer Markt dort oben anklopfen und sagen würde, wir haben auch noch ein paar Dinge beizutragen, wäre das schon etwas anderes.

WamS: Was wäre denn so eine gemeinsame Wunschliste, um den Neuen Markt wieder nach vorn zu bringen?

Heise: Wir brauchen vor allem einen Direktanspruch der Anleger auf Schadenersatz. Wenn heute ein Vorstand gegen seine Amtspflichten verstößt und seine Aktiengesellschaft schädigt, haben die Aktionäre keine unmittelbare Handhabe. EM.TV oder Infomatec zeigen ja, wie dornenreich der Weg ist, da etwas zu erreichen.

Albert: Ich weiß nicht, ob es Sinn macht, Firmenvorstände selbst in die Haftung zu nehmen und Schadenersatzklagen gegen Firmen zu erleichtern. Mich stört, dass wir je nach Marktsituation Einzelregelungen diskutieren. Vor einem Jahr gab es nur die Diskussion um den gesetzlich verankerten Anspruch auf Zuteilung von Neuemissionen. Wir sollten differenzieren zwischen dem, was in dieser negativen Situation wirklich nötig ist, und den Dingen, die nur bürokratische Verstarrung bringen.

Thöne: Wir reden immer von Transparenz. Kreditinstitute erstellen zwar Research, verteilen es aber nicht breitflächig, weil es ein Haftungsrisiko gibt. Dennoch sollte Research für jeden zugänglich gemacht werden.

Albert: Aber neutrales Research ist nicht kostenlos zu bekommen. Und beim übrigen Analysematerial muss man die Sellside- von den Buyside-Analysten unterscheiden, das sind zwei verschiedene Wesen. Wer als Sellside-Analyst für eine Bank arbeitet, hat natürlich ein Interesse daran, eine Aktie zu verkaufen, ist damit interessengeleitet.

Thöne: Wenn ich aber die Auswahl habe zwischen Sell- und Buyside-Analysen, kann ich mir selber ein Urteil bilden. Das ist eine wesentliche Erweiterung der Informationspolitik.

WamS: Keiner will eine Überregulierung des Neuen Markts, aber es gibt ja Punkte, die die Emotionen hochschlagen lassen. Beispielsweise die Meldepflicht für Aktiengeschäfte von Vorständen. Die Deutsche Börse sagt, ihr seien gesetzlich die Hände gebunden, sie könne nur eine nachträgliche Meldepflicht vorschreiben. Sollten sich nicht die Firmen selbst verpflichten, vorher zu melden? Damit würden sie ja auch das geforderte Premiumsegment schaffen.

Holtmann: Wenn es so etwas gäbe, würden viele Firmen mitmachen, das weiß ich. Herr Riess, Sie sind das Gesicht für diese Börse, das ist Ihr Produkt. Ein ganz exzellentes, aber Sie müssen die Sache vorantreiben, damit es das bleibt.

Riess: Wir nehmen die Rolle als Gestalter der Rahmenbedingungen für den Neuen Markt sehr ernst. Denn der Neue Markt hat, unabhängig von der Relevanz für die Deutsche Börse, eine große volkswirtschaftliche Bedeutung.

Heise: Es fehlt auch die Verbindlichkeit für freiwillige Selbstverpflichtungen. Von 100 Unternehmen bekommt man nicht 100 Unterschriften. Die drei, die nicht unterschreiben, schwächen den Kodex und seine Aussagekraft.

Holtmann: Das glaube ich nicht, dafür würde die Presse schon sorgen. Wenn eine Firma das nicht macht, dann bekommt sie das im Kurs zu spüren. Man kann sich nicht immer hinter juristischen Dingen verstecken. Vieles ist machbar, wenn man will.

Heise: Beim Übernahmekodex haben wir gesehen, dass auch gute Unternehmen nicht unterschrieben haben. Nun müssen wir in den Kursteil der Zeitung schauen, ob vor dem Unternehmensnamen ein "ü" steht, um festzustellen, ob die unterschrieben haben oder nicht. Demnächst stehen da dann fünf Buchstaben - das kann`s nicht sein.

Fickel: Ein weiteres Problem ist der Streubesitz. Oft liest man "25 Prozent Streubesitz". Die Frage ist aber: Wie hoch ist der freie Streubesitz? Manchmal sind größere Anteile im festen Besitz von Versicherungen. Das gehört eigentlich nicht mehr zum Streubesitz. Müsste man da nicht etwas ändern? Die Deutsche Börse sollte zumindest Informationen über den "Free Freefloat" zur Verfügung stellen.

Riess: Wir haben den Begriff Streubesitz klar definiert und werden zum Beispiel ab Juni 2002 die Indizes nach Streubesitz gewichten.


Fortsetzung Teil 3

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Ist der Neue Markt noch zu retten? (Teil 3)

Holtmann: Mir gibt das zu denken. Markt heißt doch, dass ein Austausch stattfindet. Viele Neue-Markt-Unternehmen werden aber kaum noch gehandelt. Da haben viele dran verdient, und einer hat es bezahlt: der Investor. Da stimmt doch was nicht. Ist die Börse für die gering gehandelten Unternehmen noch der richtige Marktplatz? Gehören die nicht eher in eine Form des Venture-Capital-Bereichs?
Riess: Börse heißt nicht Versicherung. Wir wollen doch nicht dahin zurück, dass wir Investments nur mit Versicherungspolice haben, das ist der falsche Weg. Dann ist die Wachstumsfinanzierung abgeschnitten. Aber der Investor darf eines erwarten: Regeln, die Transparenz und Fairness sichern.

Thöne: Wer vor zwei Jahren 400 Millionen Euro Marktkapitalisierung hatte, dessen Freefloat kommt ja oft jetzt in der Baisse rein bewertungstechnisch genauso herunter. Er wird dann für diverse Marktteilnehmer einfach uninteressant. Und keiner kann alle 350 Unternehmen des Neuen Markts beobachten, 200 davon stehen sicher nicht im Fokus der Investoren.

Holtmann: Genau. Und deshalb sagen die US-Großinvestoren: der Neue Markt ist zu unübersichtlich, der Nemax 50 kein Premiumsegment. Da gibt es katastrophale Firmen, ich kann dort nicht investieren. Die sagen aber auch: Wenn es ein Premiumsegment gäbe, würde ich das beobachten und dort auch einsteigen.


Fickel: Das Problem ist doch, dass die Zusammensetzung des Nemax 50 sich am Börsenwert orientiert. Das ist aber kein Kriterium für die Güte einer Firma. Man müsste einen Katalog mit Qualitätskriterien aufstellen und daraus den Index erstellen.

Riess: Das ist aber doch die klassische Funktion des Markts. Wir können objektive Kriterien anlegen, aber wenn wir als Börse sagen würden, hier ist ein gutes Unternehmen, dort ein schlechtes, dann würden wir unsere Rolle als neutraler Marktorganisator verlassen.

Fickel: Aber Sie geben doch Ihren guten Namen für den Index her. Dann kann ihnen doch keiner verbieten, als erste Börse der Welt einen solchen Katalog zu schaffen. Zum Beispiel einen Index mit Unternehmen, die in den letzten zwei Jahren organisch um jeweils 20 Prozent gewachsen sind. Sie sind eine Riesenorganisation und müssen doch mal abseits des Mainstreams denken.

Riess: Wenn sie die magische Formel haben: Wir machen`s gerne. Die Idee ist gut, aber sie müssen ja wieder von historischen Werten ausgehen, und morgen kann wieder alles ganz anders sein.

Heise: Wer soll sich eigentlich am Neuen Markt tummeln? Den Institutionellen sind die Volumina zu niedrig, die Privaten haben die Nase voll. Man könnte ein Premiumsegment schaffen. Aber was ist mit den anderen 250 Firmen? Steckt man die in den Keller, wo sie keiner mehr sieht? Wer soll die kaufen?

Albert: Es gibt doch eine Tendenz, die gerade den US-Investoren entgegenkommt. Die suchen nicht nach einzelnen Aktien, die kaufen gleich die ganzen Firmen. Im Fokus sind die guten Unternehmen, die auf Buchwert oder sogar auf halbem Buchwert notieren. Diese Unternehmen hatten ein Going-Public, dann ein Being-Public, das hat nicht so geklappt, und jetzt gibt`s vielleicht ein Going-Private: Das ist ein Qualitätshinweis für den Markt. Es gibt Firmen, die sind interessant, aber sie sind zu klein und notieren unter Buchwert. Die werden übernommen.

Fickel: Ja, aber darunter gibt es etliche Aktien, die zu den Hypezeiten an den Markt gekommen sind. Mit dem Geld haben sie sich fit gemacht, und sie haben bis jetzt alle ihre Ziele punktgenau erfüllt. Und jetzt lassen sie sich Übernahmeangebote machen, die zehn Prozent über dem jetzigen Kurs liegen. Da stehe ich dann aber auf und sage: Das ist Abzocke! Da holt sich der Vorstand, erst Geld an der Börse, macht damit das Unternehmen fit und lässt es dann übernehmen, weil er vielleicht keine Lust mehr hat. Und im Hintergrund passiert nämlich Folgendes: Der Vorstand verkauft seine Anteile zum Emissionpreis, aber der Aktionär muss unter dem Emissionspreis verkaufen. Da gehe ich als Anleger dann auf die Barrikaden.

WamS: Der Neue Markt steht in der Wahrnehmung offenbar vor der Bedeutungslosigkeit. Großanleger wollen nicht kaufen, die Medien berichten lieber über Bayer oder Telekom. Herr Riess, können Sie damit leben?

Riess: Schon diese Diskussionsrunde widerspricht der Aussage, der Neue Markt sei bedeutungslos. Der Neue Markt ist ein Symbol - auch für die Entwicklung der Aktienkultur. Der Neue Markt hat viel verändert, im Sinne von mehr Transparenz am Kapitalmarkt. Es gibt keine Alternative für die Eigenkapitalfinanzierung junger Wachstumsunternehmen. Wir brauchen das Segment.

Holtmann: Volkswirtschaftlich war der Neue Markt ein Muss, und für den Anleger ist das Segment auch ein Stück Faszination. Wenn der Neue Markt mein Produkt wäre, dann wüsste ich, wie ich das pflege und dafür kämpfe. Ich würde mich nicht darauf zurückziehen, nur die Firmen in die Pflicht zu nehmen.

WamS: Ist die Nasdaq Europe eigentlich eine ernsthafte Gefahr für die Deutsche Börse?

Riess: Die Nasdaq Europe hat die gleichen Probleme wie alle europäischen Wachstumsmärkte und wird darüber hinaus von den Unternehmen kaum als IPO-Plattform angenommen. Mit dem Neuen Markt haben wir den größten und liquidesten Wachstumsmarkt in Europa. Er läuft auf dem Xetra-System, das in 16 Ländern bei über 400 Marktteilnehmern verbreitet ist. Und von allen europäischen Ländern haben wir die strengsten Transparenzregeln.

Fickel: Europa braucht ein Gegengewicht zur Nasdaq in den USA. Noch hat die Deutsche Börse die Chance, bei der Europäisierung dieser Fortschritts- und Technologiebörse die Vorreiterrolle zu übernehmen. Sie darf sich das nicht aus der Hand nehmen lassen. Tut sie das, stehen die Chancen für die Nasdaq Europe gut, das zu übernehmen.

WamS: Was sind Ihre Hoffnungen für die nächste Zeit?

Heise: Ich habe zwei Hoffnungen: Der Markt muss wieder anspringen, dazu bedarf es auch guter Neuemissionen, die dann erst einmal für grundlegend bessere Stimmung sorgen. Und danach dürfen wir keine Übertreibung nach oben mehr sehen.

Thöne: Fakt ist bei allen Diskussionen: Wenn es den Neuen Markt nicht gäbe, müsste man ihn erfinden. Alle Marktteilnehmer sind aufgefordert, so viel Transparenz wie möglich zu schaffen, auch wenn es nicht gesetzlich geregelt ist.

Das Gespräch führten Waltraud Kaserer, Michael Höfling und Frank Stocker.
Dixie:

Wir befinden uns im Bullenmarkt! Wußtet Ihr das?

 
20.08.01 11:14
Der unsichtbare Bullenmarkt
Von Carsten Volkery, New York
Seit über einem Jahr geht es an der Börse abwärts, oder etwa doch nicht? Auf oder ab - in den Augen von US-Analysten ist das nur eine Frage der Perspektive.

New York - Den Urlaub diesen Sommer haben sie sich verdient, die amerikanischen Anleger. Seit Monaten nichts als Ärger an der Börse, der eine oder andere ist auch noch gefeuert worden. Das setzt zu. Da hilft es, zunächst einmal zu fliehen.


AP

Technologiebörse Nasdaq: minus 20 Prozent


Und vielleicht erscheinen die Dinge nach dem Urlaub in einem neuen Licht. Genau betrachtet war dieses Jahr nämlich gar nicht so schlecht. Sicher, die Zahlen deuten zunächst auf das Gegenteil hin. Der Nasdaq-Composite-Index: minus zwanzig Prozent seit Anfang des Jahres. Der Dow Jones: minus fünf Prozent. Der S&P 500: minus zehn Prozent.

Aber was sind schon Indizes? Sie sind eine Auswahl der wichtigsten Aktien, noch dazu überladen mit den aktuellen Modewerten. In den vergangenen Jahren haben besonders Technologie-Aktien ihren Weg in die Marktbarometer gefunden, allen voran Cisco, Intel, Sun. Kein Wunder also, dass die Indizes den Aufstieg und Fall der Tech-Aktien brav nachvollziehen. Aber die Indizes zeichnen ein verzerrtes Bild. Denn, erinnert Philip Roth von Morgan Stanley: "Tech ist nicht der Markt."

Völlig unbeeindruckt von dem Crash-Geschrei ist die durchschnittliche Aktie nämlich seit Anfang des Jahres gestiegen. Um genau 2,5 Prozent, laut einer Rechnung von Banc One Investment Advisers. Die Geldmanager haben 1500 Aktien untersucht, neben den 500 großen Werten auch die 400 mittleren und 600 kleinen Werte des S&P. Während die großen Aktien nachgegeben haben, konnten sich die kleinen bemerkenswert gut halten. Doch der Trend bleibt weitgehend unbemerkt, weil die angeschlagenen Riesen den Blick auf die kleinen Überflieger verstellen.


K O N T E X T

· Börsenschluss Frankfurt: Dax verliert 140 Punkte




Für manche Profis sind das "old news". "Seit Dezember befinden wir uns in einem Bullenmarkt", schreibt Arne Alsin, Gründer von Alsin Capital Management, auf der Finanz-Website TheStreet.com. Ein unsichtbarer Bullenmarkt, über den niemand redet, der aber gewieften Anlegern immer noch satte Gewinne beschert. Alsins Portfolio beispielsweise hat nach eigenen Angaben seit Anfang des Jahres 41 Prozent zugelegt.

Die Lehre daraus? Man sollte die Indizes einfach ignorieren. "Vergessen Sie das Timing der Märkte, wählen sie einzelne Aktien", rät Ralph Acampora, Analyst bei Prudential Securities. Perlenfischen ist wieder angesagt, wenn es kollektiv nur abwärts geht.

Dabei sind auch Tech-Aktien nicht tabu. So haben etliche große Fonds Microsoft aufgestockt. Der größte Fonds der USA, Fidelity Investments, hat die Softwarefirma wieder in seine Top-5-Auswahl aufgenommen, neben Old-Economy-Elitefirmen wie Citigroup, General Electric, Exxon Mobil und Fannie Mae.

Wenn man Alsins Lesart der Statistik glaubt, dann könnte der unsichtbare Bullenmarkt noch eine ganze Weile dauern: "Die durchschnittliche Länge der Rallye nach einem Bärenmarkt betrug in der Vergangenheit 46 Monate." Also: nur keine Eile im Urlaub.





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