SPIEGEL ONLINE - 09. April 2002, 13:52
URL: www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,190966,00.html
Israel
Das heimliche Waffenembargo der Bundesregierung
Von Holger Kulick
Verweigert die Bundesregierung derzeit die Zustimmung zu Waffenlieferungen an Israel? Zu entsprechenden Berichten aus Jerusalem vermeiden die zuständigen Ministerien präzise Stellungnahmen. Hinter den Kulissen wird aber deutlich: Ein zeitweiliger Lieferstopp besteht.
AFP/DPA
Vorwurf aus Israel: Werden Ersatzteile für die Merkawa-Panzer zurückgehalten?
Berlin/Jerusalem - Offensichtlich fehlt der Bundesregierung derzeit die Courage, etwas zu bestätigen, was es nach Ansicht israelischer Quellen seit drei Monaten gibt: Einen Stopp von wichtigen Rüstungslieferungen nach Israel.
So berichten seit gestern israelische Medien, dass mehrere europäische Staaten ohne einen offiziellen Beschluss der EU ihre Ersatzteil-Exporte für die israelischen Streitkräfte verzögert oder eingestellt hätten. Daran würden sich Deutschland, Frankreich und Großbritannien beteiligen. Besonders Bundesaußenminister Joschka Fischer habe auf einen Export-Stopp gedrängt, damit die gelieferten Rüstungsgüter nicht in den besetzten Palästinenser-Gebieten eingesetzt werden könnten, hieß es in israelischen Presseberichten. Das deutsche Embargo betreffe Ersatzteile für den Motor und das Getriebe des israelischen Merkawa-Panzers. Insgesamt ist von 120 sicherheitsrelevanten Produkten die Rede, die momentan mangels Genehmigung nicht ausgeliefert werden dürften.
Widersprüchliche Dementis aus Berlin
Nein, ein Embargo gebe es nicht, heißt es im Bundeskanzleramt, aber zitieren lassen möchte sich niemand. Konkrete Nachfragen wurden heute von allen zuständigen Ministerien in seltener Einmütigkeit abgeblockt. Sowohl Außenministerium als auch Bundeskanzleramt verwiesen unisono und stereotyp auf das hauptverantwortliche Wirtschaftsministerium. Dort lässt die verantwortliche Sprecherin Sabine Maass wortkarg und mürrisch alle Nachfragen abperlen. Der Bundessicherheitsrat entscheide streng nach Vorschrift, und das heiße, "vertraulich und von Fall zu Fall und unter Berücksichtigung der Lage in der entsprechenden Region". Mehr gebe es nicht dazu zu sagen. Von einem Embargo könne aber nicht gesprochen werden.
Die Kernaussage trifft auch zu, ein Embargo gibt es nicht. Stattdessen werden Entscheidungen diplomatisch auf die lange Bank geschoben. Wie SPIEGEL ONLINE aus Kreisen der Bundesregierung erfuhr, werden derzeit zwar mehrere Einzelfallprüfungen vorgenommen, aber weder positiv noch negativ beschieden. In der Praxis führe das natürlich dazu, dass gegenwärtig Lieferungen unterblieben. Denn laut Einschätzung der Bundesregierung lasse die Lage im Nahen Osten den Schluss zu, dass es "nicht angezeigt sei, momentan Rüstungsgüter in die Region zu liefern", so ein hoher Beamter auf Nachfrage. Einen endgültigen Beschluss in die eine oder andere Richtung gebe es derzeit aber tatsächlich nicht.
Israel bislang siebtbester Kunde
Entscheidungen über Rüstungsexporte trifft im Kanzleramt als zuständiges Gremium der Bundessicherheitsrat als ein Ausschuss des Bundeskabinetts. Seine Sitzungen, die vom Bundeskanzler geleitet werden, sind streng geheim. Ihm gehören der Bundeskanzler an, der Chef des Kanzleramts, die Bundesminister des Äußeren, der Verteidigung, der Finanzen, des Inneren, der Justiz, der Wirtschaft sowie der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung an.
Nach Angaben des bundesdeutschen Rüstungsexportberichts für 2000 gilt Israel als siebtbester Kunde für Rüstungsgüter aus deutschen Landen. Als Empfängerland für explizite "Kriegswaffen" wird Israel sogar an zweiter Stelle aufgeführt. Damals wurden Einzelgenehmigungen in Höhe von 346,4 Millionen DM erteilt, zu rund 71 Prozent betraf das die Lieferungen von "Teilen für Panzer und gepanzerte Fahrzeuge, Teile für Lkw" und zu weiteren 24 Prozent "Torpedos, Munitionszünderteile, Nebeltöpfe und Signalmunition". Die ausstehenden fünf Prozent werden im veröffentlichten Teil des Rüstungsexportberichts nicht näher benannt.
Beschwerden Israels
DPA
Sauer auf Deutschland? Israels Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser
Am Dienstag bestätigte eine Sprecherin des israelischen Verteidigungsministers gegenüber der "Financial Times Deutschland" eine Verzögerung von Ersatzteilen made in Germany. "Wir haben die Verzögerungen gegenüber Bundesaußenminister Joschka Fischer angesprochen", wird Rachel Naibik-Aschkenazi zitiert. Die Deutsche Presse-Agentur berichtete, der israelische Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser habe sogar einen Beschwerdebrief an Fischer geschrieben. Nach Angaben der israelischen Presse gebe es im dortigen Verteidigungsministerium auch Überlegungen, Deutschland öffentlich und mit Blick auf seine nationalsozialistische Vergangenheit zu kritisieren.
Sprecher des deutschen Außenministeriums zeigten sich auf Nachfrage allerdings gelassen. Eine solche Beschwerde sei bislang nicht bekannt, auch kein entsprechender Brief des erbosten israelischen Verteidigungsministers. Allerdings entspreche es auch nicht den Gepflogenheiten des Ministeriums, über Schreiben Dritter Auskunft zu geben, allenfalls über das, was der eigene Minister schreibt. Mehr sei derzeit nicht zu sagen.
URL: www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,190966,00.html
Israel
Das heimliche Waffenembargo der Bundesregierung
Von Holger Kulick
Verweigert die Bundesregierung derzeit die Zustimmung zu Waffenlieferungen an Israel? Zu entsprechenden Berichten aus Jerusalem vermeiden die zuständigen Ministerien präzise Stellungnahmen. Hinter den Kulissen wird aber deutlich: Ein zeitweiliger Lieferstopp besteht.
AFP/DPA
Vorwurf aus Israel: Werden Ersatzteile für die Merkawa-Panzer zurückgehalten?
Berlin/Jerusalem - Offensichtlich fehlt der Bundesregierung derzeit die Courage, etwas zu bestätigen, was es nach Ansicht israelischer Quellen seit drei Monaten gibt: Einen Stopp von wichtigen Rüstungslieferungen nach Israel.
So berichten seit gestern israelische Medien, dass mehrere europäische Staaten ohne einen offiziellen Beschluss der EU ihre Ersatzteil-Exporte für die israelischen Streitkräfte verzögert oder eingestellt hätten. Daran würden sich Deutschland, Frankreich und Großbritannien beteiligen. Besonders Bundesaußenminister Joschka Fischer habe auf einen Export-Stopp gedrängt, damit die gelieferten Rüstungsgüter nicht in den besetzten Palästinenser-Gebieten eingesetzt werden könnten, hieß es in israelischen Presseberichten. Das deutsche Embargo betreffe Ersatzteile für den Motor und das Getriebe des israelischen Merkawa-Panzers. Insgesamt ist von 120 sicherheitsrelevanten Produkten die Rede, die momentan mangels Genehmigung nicht ausgeliefert werden dürften.
Widersprüchliche Dementis aus Berlin
Nein, ein Embargo gebe es nicht, heißt es im Bundeskanzleramt, aber zitieren lassen möchte sich niemand. Konkrete Nachfragen wurden heute von allen zuständigen Ministerien in seltener Einmütigkeit abgeblockt. Sowohl Außenministerium als auch Bundeskanzleramt verwiesen unisono und stereotyp auf das hauptverantwortliche Wirtschaftsministerium. Dort lässt die verantwortliche Sprecherin Sabine Maass wortkarg und mürrisch alle Nachfragen abperlen. Der Bundessicherheitsrat entscheide streng nach Vorschrift, und das heiße, "vertraulich und von Fall zu Fall und unter Berücksichtigung der Lage in der entsprechenden Region". Mehr gebe es nicht dazu zu sagen. Von einem Embargo könne aber nicht gesprochen werden.
Die Kernaussage trifft auch zu, ein Embargo gibt es nicht. Stattdessen werden Entscheidungen diplomatisch auf die lange Bank geschoben. Wie SPIEGEL ONLINE aus Kreisen der Bundesregierung erfuhr, werden derzeit zwar mehrere Einzelfallprüfungen vorgenommen, aber weder positiv noch negativ beschieden. In der Praxis führe das natürlich dazu, dass gegenwärtig Lieferungen unterblieben. Denn laut Einschätzung der Bundesregierung lasse die Lage im Nahen Osten den Schluss zu, dass es "nicht angezeigt sei, momentan Rüstungsgüter in die Region zu liefern", so ein hoher Beamter auf Nachfrage. Einen endgültigen Beschluss in die eine oder andere Richtung gebe es derzeit aber tatsächlich nicht.
Israel bislang siebtbester Kunde
Entscheidungen über Rüstungsexporte trifft im Kanzleramt als zuständiges Gremium der Bundessicherheitsrat als ein Ausschuss des Bundeskabinetts. Seine Sitzungen, die vom Bundeskanzler geleitet werden, sind streng geheim. Ihm gehören der Bundeskanzler an, der Chef des Kanzleramts, die Bundesminister des Äußeren, der Verteidigung, der Finanzen, des Inneren, der Justiz, der Wirtschaft sowie der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung an.
Nach Angaben des bundesdeutschen Rüstungsexportberichts für 2000 gilt Israel als siebtbester Kunde für Rüstungsgüter aus deutschen Landen. Als Empfängerland für explizite "Kriegswaffen" wird Israel sogar an zweiter Stelle aufgeführt. Damals wurden Einzelgenehmigungen in Höhe von 346,4 Millionen DM erteilt, zu rund 71 Prozent betraf das die Lieferungen von "Teilen für Panzer und gepanzerte Fahrzeuge, Teile für Lkw" und zu weiteren 24 Prozent "Torpedos, Munitionszünderteile, Nebeltöpfe und Signalmunition". Die ausstehenden fünf Prozent werden im veröffentlichten Teil des Rüstungsexportberichts nicht näher benannt.
Beschwerden Israels
DPA
Sauer auf Deutschland? Israels Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser
Am Dienstag bestätigte eine Sprecherin des israelischen Verteidigungsministers gegenüber der "Financial Times Deutschland" eine Verzögerung von Ersatzteilen made in Germany. "Wir haben die Verzögerungen gegenüber Bundesaußenminister Joschka Fischer angesprochen", wird Rachel Naibik-Aschkenazi zitiert. Die Deutsche Presse-Agentur berichtete, der israelische Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser habe sogar einen Beschwerdebrief an Fischer geschrieben. Nach Angaben der israelischen Presse gebe es im dortigen Verteidigungsministerium auch Überlegungen, Deutschland öffentlich und mit Blick auf seine nationalsozialistische Vergangenheit zu kritisieren.
Sprecher des deutschen Außenministeriums zeigten sich auf Nachfrage allerdings gelassen. Eine solche Beschwerde sei bislang nicht bekannt, auch kein entsprechender Brief des erbosten israelischen Verteidigungsministers. Allerdings entspreche es auch nicht den Gepflogenheiten des Ministeriums, über Schreiben Dritter Auskunft zu geben, allenfalls über das, was der eigene Minister schreibt. Mehr sei derzeit nicht zu sagen.