Die Kursrally wachstumsstarker Aktien ist vorerst vorbei. Gefragt sich plötzlich wieder preiswerte, solide Qualitätstitel. Experten raten auch zu „Verlierer-Aktien“, die zu Unrecht geprügelt wurden und am Boden liegen.
HB ZÜRICH/FRANKFURT/DÜSSELDORF. Laufen Börse und Konjunktur gut, dann steigen die Aktien wachstumsstarker Zukunftsbranchen (Growth) besonders stark. In der Krise liegen dagegen oft solide, defensive Qualitätstitel (Value) vorne. So einfach diese Börsenregel klingt – Investmentprofis und Privatanlegern fällt es schwer, den optimalen Zeitpunkt zu erwischen.
So entwickelten sich in den ersten Monaten nach den Tiefstständen am 21. September Wachstumstitel wie Infineon, Nokia und Cisco zwar deutlich besser als Qualitätstitel wie Nestlé und Coca Cola. Doch seit Tagen verlieren die Technologietitel an Schwung – trotz der Anzeichen für eine Konjunkturerholung in den USA.
Ist die Growth-Rally also schon wieder vorbei? Und was bedeutet der erneute Favoritenwechsel für Anleger?
„2002 könnte es ein Kopf-an- Kopf-Rennen der beiden Anlagestile Growth und Value geben“, meint Kevin McCloskey, der beim US-Fondshaus Federated Investors 3,1 Mrd. Dollar nach Value-Kriterien verwaltet. Für eine Growth-Strategie sprechen die hohen Kassenbestände der Investoren, denn die Kursrally nach dem Terrortief im Herbst zeigte, dass Anleger frisches Geld am liebsten in heiße Tech-Titel – eben Growth-Aktien – stecken.
Andererseits sind viele Aktien aus diesem Bereich schon sehr teuer. Während die Kurse bis vor kurzem stiegen, waren die Gewinnprognosen der Analysten rückläufig. So stehen dem gestiegenen Börsenwert vieler Firmen geschrumpfte Ertragsaussichten gegenüber. Gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) sind die US-Börsen so hoch bewertet wie zum Höhepunkt des Technologiebooms im März 2000.
Value-Investoren wetten darauf, dass günstiger bewertete Branchen bald aufholen. „Die immer noch hohe Bewertung der Börsen spricht derzeit für die Value-Strategie“, sagt McCloskey. Diese Sichtweise teilen immer mehr Experten. So warf die Investmentbank Morgan Stanley kürzlich mehrere Growth-Aktien aus ihrem europäischen Musterportefeuille – darunter der Halbleiterwert ASM Lithography und der Softwareanbieter Misys. Auch die US-Strategen von JP Morgan halten viele Growth-Aktien für zu teuer.
Privatanleger sollten aber nicht zu oft zwischen den Anlagestilen Growth und Value wechseln. Wer immer dem neuesten Trend hinterher läuft, wechselt womöglich zum falschen Zeitpunkt die Fronten.
Bei der Aktienauswahl setzen die Morgan-Stanley-Strategen neuerdings mehr auf Value-Kriterien wie die Dividendenrendite und Cash-flow (Finanzkraft des Unternehmens). Die Schweizer Value-Spezialisten von Hansberger Global Investors achten zusätzlich auf einen niedrigen Kurs im Verhältnis zum Buchwert (Summe aller Vermögenswerte). Ebenfalls wichtig: zyklische Trends, neue Produkte oder ein neues Management. Hansberger empfiehlt derzeit besonders Substanzwerte aus Schwellenländern. Sie seien niedriger bewertet als vergleichbare Titel in den Industrienationen. Im Fonds Julius Bär Emerging Markets Value, den Hansberger für Julius Bär managt, sind koreanische Substanzaktien am stärksten gewichtet. Zu den Favoriten zählen neben der Kookmin Bank der Elektrokonzern Samsung Electronics und der Stahlhersteller Pohang Iron Steel. Unter den Standardwerten favorisiert Julius Bär aus Value-Sicht derzeit die britische Bank HSBC, die Softwareanbieter Microsoft und Unisys, den Pharmakonzern Novartis und IBM.
Value-Fondsmanager sind ständig auf der Suche nach geprügelten „Verlierer“-Aktien, deren Kurs am Boden liegt. Dann warten sie, bis andere Investoren den Titel entdecken. „Wenn Wall-Street-Analysten eine Aktie in den Himmel loben und aggressive Growth-Fondsmanager einsteigen, verabschieden wir uns von einer Aktie“, sagt Fondsmanager McCloskey. Das bedeute häufig, gegen den Trend zu handeln. Als Beispiel nennt McCloskey IBM, bislang eine seiner stärksten Positionen. „Hier könnte bald die Zeit zum Verkauf kommen“, sagt er, „aber wer trennt sich schon gerne von einem erfolgreichen Wert, den die Analysten lieben?“
Statistisch gesehen schlugen Value-Aktien über die vergangenen 25 Jahre den Gesamtmarkt – ein Ziel, das die meisten Fondsmanager verfehlen. Doch in der Praxis stößt die Value-Strategie auf Probleme. „Bei Pleitefällen wie Enron sind Growth- und Value-Investoren gleichermaßen gescheitert“, sagt McCloskey. „Die einen kauften die Aktie bei 80 Dollar, wir bei 18 Dollar. Aber alle haben fast 100 % verloren, weil der Kurs praktisch auf null abgestürzt ist“, erklärt er.
Die Kunst des Value-Investing besteht darin, Pleitekandidaten zu unterscheiden von Firmen, die es nochmal schaffen. Auf Letzteres hofft McCloskey bei Lucent Technologies. Der US-Netzwerk-Spezialist hat seine Belegschaft von einst 110 000 Mitarbeitern halbiert, verlor zuletzt Milliarden und wichtige Marktanteile und hat an der Börse kräftig eingebüßt – in den vergangenen zwei Jahren über 90 Prozent. „Wir halten an unserer Position fest und setzen auf einen Turnaround im Laufe des Jahres“, sagt McCloskey.
HB ZÜRICH/FRANKFURT/DÜSSELDORF. Laufen Börse und Konjunktur gut, dann steigen die Aktien wachstumsstarker Zukunftsbranchen (Growth) besonders stark. In der Krise liegen dagegen oft solide, defensive Qualitätstitel (Value) vorne. So einfach diese Börsenregel klingt – Investmentprofis und Privatanlegern fällt es schwer, den optimalen Zeitpunkt zu erwischen.
So entwickelten sich in den ersten Monaten nach den Tiefstständen am 21. September Wachstumstitel wie Infineon, Nokia und Cisco zwar deutlich besser als Qualitätstitel wie Nestlé und Coca Cola. Doch seit Tagen verlieren die Technologietitel an Schwung – trotz der Anzeichen für eine Konjunkturerholung in den USA.
Ist die Growth-Rally also schon wieder vorbei? Und was bedeutet der erneute Favoritenwechsel für Anleger?
„2002 könnte es ein Kopf-an- Kopf-Rennen der beiden Anlagestile Growth und Value geben“, meint Kevin McCloskey, der beim US-Fondshaus Federated Investors 3,1 Mrd. Dollar nach Value-Kriterien verwaltet. Für eine Growth-Strategie sprechen die hohen Kassenbestände der Investoren, denn die Kursrally nach dem Terrortief im Herbst zeigte, dass Anleger frisches Geld am liebsten in heiße Tech-Titel – eben Growth-Aktien – stecken.
Andererseits sind viele Aktien aus diesem Bereich schon sehr teuer. Während die Kurse bis vor kurzem stiegen, waren die Gewinnprognosen der Analysten rückläufig. So stehen dem gestiegenen Börsenwert vieler Firmen geschrumpfte Ertragsaussichten gegenüber. Gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) sind die US-Börsen so hoch bewertet wie zum Höhepunkt des Technologiebooms im März 2000.
Value-Investoren wetten darauf, dass günstiger bewertete Branchen bald aufholen. „Die immer noch hohe Bewertung der Börsen spricht derzeit für die Value-Strategie“, sagt McCloskey. Diese Sichtweise teilen immer mehr Experten. So warf die Investmentbank Morgan Stanley kürzlich mehrere Growth-Aktien aus ihrem europäischen Musterportefeuille – darunter der Halbleiterwert ASM Lithography und der Softwareanbieter Misys. Auch die US-Strategen von JP Morgan halten viele Growth-Aktien für zu teuer.
Privatanleger sollten aber nicht zu oft zwischen den Anlagestilen Growth und Value wechseln. Wer immer dem neuesten Trend hinterher läuft, wechselt womöglich zum falschen Zeitpunkt die Fronten.
Bei der Aktienauswahl setzen die Morgan-Stanley-Strategen neuerdings mehr auf Value-Kriterien wie die Dividendenrendite und Cash-flow (Finanzkraft des Unternehmens). Die Schweizer Value-Spezialisten von Hansberger Global Investors achten zusätzlich auf einen niedrigen Kurs im Verhältnis zum Buchwert (Summe aller Vermögenswerte). Ebenfalls wichtig: zyklische Trends, neue Produkte oder ein neues Management. Hansberger empfiehlt derzeit besonders Substanzwerte aus Schwellenländern. Sie seien niedriger bewertet als vergleichbare Titel in den Industrienationen. Im Fonds Julius Bär Emerging Markets Value, den Hansberger für Julius Bär managt, sind koreanische Substanzaktien am stärksten gewichtet. Zu den Favoriten zählen neben der Kookmin Bank der Elektrokonzern Samsung Electronics und der Stahlhersteller Pohang Iron Steel. Unter den Standardwerten favorisiert Julius Bär aus Value-Sicht derzeit die britische Bank HSBC, die Softwareanbieter Microsoft und Unisys, den Pharmakonzern Novartis und IBM.
Value-Fondsmanager sind ständig auf der Suche nach geprügelten „Verlierer“-Aktien, deren Kurs am Boden liegt. Dann warten sie, bis andere Investoren den Titel entdecken. „Wenn Wall-Street-Analysten eine Aktie in den Himmel loben und aggressive Growth-Fondsmanager einsteigen, verabschieden wir uns von einer Aktie“, sagt Fondsmanager McCloskey. Das bedeute häufig, gegen den Trend zu handeln. Als Beispiel nennt McCloskey IBM, bislang eine seiner stärksten Positionen. „Hier könnte bald die Zeit zum Verkauf kommen“, sagt er, „aber wer trennt sich schon gerne von einem erfolgreichen Wert, den die Analysten lieben?“
Statistisch gesehen schlugen Value-Aktien über die vergangenen 25 Jahre den Gesamtmarkt – ein Ziel, das die meisten Fondsmanager verfehlen. Doch in der Praxis stößt die Value-Strategie auf Probleme. „Bei Pleitefällen wie Enron sind Growth- und Value-Investoren gleichermaßen gescheitert“, sagt McCloskey. „Die einen kauften die Aktie bei 80 Dollar, wir bei 18 Dollar. Aber alle haben fast 100 % verloren, weil der Kurs praktisch auf null abgestürzt ist“, erklärt er.
Die Kunst des Value-Investing besteht darin, Pleitekandidaten zu unterscheiden von Firmen, die es nochmal schaffen. Auf Letzteres hofft McCloskey bei Lucent Technologies. Der US-Netzwerk-Spezialist hat seine Belegschaft von einst 110 000 Mitarbeitern halbiert, verlor zuletzt Milliarden und wichtige Marktanteile und hat an der Börse kräftig eingebüßt – in den vergangenen zwei Jahren über 90 Prozent. „Wir halten an unserer Position fest und setzen auf einen Turnaround im Laufe des Jahres“, sagt McCloskey.