Insolvenzen: Staatshilfe ad acta
Von Christian Baulig, Hamburg, und Anton Notz, Berlin
Jahrelang sorgte in Deutschland ein Netz von Banken, Industrie und Politik dafür, dass Großunternehmen nicht Pleite gehen. Herlitz und Holzmann, Dornier und Kirch müssen jetzt auf die rettende Hand des Staats verzichten. Haben die Politiker aus den gescheiterten Hilfsaktionen der Vergangenheit gelernt?
Die Rückkehr aus seinem Osterurlaub hatte sich Gregor Gysi anders vorgestellt. Geordneter, undramatischer. Stattdessen schon wieder ein Krisentag in Berlin. Herlitz pleite. 3000 Arbeitsplätze in Gefahr. "Und was macht der Wirtschaftssenator?", bestürmen ihn Reporter vor seinem Amtszimmer.
Der Herr Senator baut sich vor den Kameras auf, reckt den Kopf in die Höhe - und sagt forsch, Berlin und Potsdam hätten immerhin eine Bürgschaft über elf Mio. Euro zugesagt. "Mehr wäre gegenüber den Steuerzahlern nicht zu vertreten", sagt das PDS-Mitglied. Und gibt ganz unsozialistische Dinge von sich: "Wenn’s dem Unternehmen dreckig geht, setzen alle wieder nur auf den Staat", mäkelt Gysi. "Aber meistens bringt das nicht viel."
Die Hoffnung der Herlitz-Mitarbeiter, der rote Senator würde mit dem ganzen Gewicht seines Amtes eine Insolvenz des Schreibwarenherstellers verhindern, hat sich nicht erfüllt. Anderswo wird das staatliche Sprungtuch ebenfalls eingerollt. Der Bauriese Holzmann, der Flugzeughersteller Fairchild Dornier, der Elek-tronikkonzern Schneider und wohl auch die Kirch-Gruppe warten auf einen Retter aus der Politik. Die Zusammenarbeit zwischen Staat, Banken und Konzernen, wie sie jahrzehntelang in der Deutschland AG praktiziert wurde, scheint nicht mehr zu funktionieren.
Bombardier und LTU gerettet
Noch im Januar ließ sich Bundeskanzler Gerhard Schröder als Retter des Bombardier-Werks in Halle-Ammendorf feiern. Der kanadische Bahntechnik-Hersteller revidierte seine Entscheidung, den Standort aufzugeben, nachdem der Kanzler zusätzliche Aufträge der Deutschen Bahn zugesagt hatte.
Nordrhein-Westfalen wendete im Spätherbst die Insolvenz des Ferienfliegers LTU ab, indem die Stadtsparkasse Düsseldorf treuhänderisch LTU-Anteile der konkursreifen Swissair übernahm und die Landesregierung eine Bürgschaft stellte.
Für die meisten Ökonomen sind solche Fälle eine fragwürdige Interpretation von Wirtschaftspolitik: "Ich habe immer Bauchschmerzen, wenn der Staat ein Unternehmen auffängt", sagt Eckhardt Wohlers vom Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA). Politiker könnten nicht erkennen, ob ein Unternehmen noch zu retten sei. Wettbewerber, die ohne Staatshilfen auskommen müssen, würden benachteiligt. Und immer mehr Firmen gerieten in Versuchung, um Staatshilfe zu betteln. "Man kommt in Teufels Küche, wenn man Präzedenzfälle schafft", sagt Wohlers.
Erfolgsaussichten fragwürdig
Wenn Politiker marode Firmen retten, ist die Gefahr der Verschwendung von Steuergeldern immens, die Erfolgsaussichten sind fragwürdig. Diese Erkenntnis hat sich spätestens seit der endgültigen Pleite von Philipp Holzmann durchgesetzt.
Der Kanzler hatte dem Frankfurter Baukonzern im Herbst 1999 medienwirksam Kredite und Bürgschaften des Bundes in Höhe von 125 Mio. Euro zugesagt. Die Gläubigerbanken gewährten dem angeschlagenen Traditionskonzern daraufhin eine Schonfrist, die Belegschaft verzichtete auf einen Teil des Lohns.
"Das hat dem Kanzler damals zum Image eines Wirtschaftsmachers verholfen", sagt Matthias Jung, Vorstandsmitglied der Forschungsgruppe Wahlen. In Umfragen stieg das Ansehen Schröders, die Regierung legte bei der Zufriedenheit der Bürger wichtige Punkte zu.
Die Aktion erwies sich freilich als Strohfeuer. Das Sanierungskonzept ging nicht auf, Ende 2001 war das Eigenkapital auf 174 Mio. Euro zusammengeschmolzen. Im Frühjahr weigerten sich die Banken schließlich, weitere Kredite zu gewähren. Diesmal versuchte Genosse Schröder - trotz Bitten der Gewerkschaften - gar nicht erst, ein Hilfspaket zu schnüren.
Die Opposition weidete den Fall genüsslich aus: "Wenn die Großen Pleite gehen, kommt der Bundeskanzler, wenn die Kleinen Pleite gehen, kommt der Konkursverwalter", ätzte Unionsfraktionschef Friedrich Merz im Bundestag. FDP-Wirtschaftsexperte Rainer Brüderle höhnte, das "Holzmann-Fiasko" sei zum "Schröder-Fiasko" geworden. Der Imagegewinn ist perdu.
Bürger sind kritischer geworden
Die Lust an neuen Interventionen ist dem Kanzler vergangen. Sie würden die Chancen auf eine Wiederwahl auch kaum mehren, sagt Wahlforscher Jung: "In der Bevölkerung hat sich der Eindruck festgesetzt, dass es um die wirtschaftliche Situation nicht gut steht." Von dieser Meinung lasse sich der Wähler nicht durch eine spektakuläre Rettungsaktion abbringen.
Ohnehin ist längst nicht mehr ausgemacht, dass Deutschlands Bürger derlei staatliche Eingriffe gutheißen. "Die Leute sind kritischer geworden", sagt Jung, "sie haben begriffen, dass die Unterstützung einer Firma zu Lasten Dritter geht."
So hat sich auch Kanzlerkandidat Edmund Stoiber bei den jüngsten Wirtschaftsdebakel im Freistaat mit Hilfszusagen vornehm zurückgehalten. Im Januar meldete der Allgäuer Unterhaltungselektronik-Hersteller Schneider nach jahrelangem Laborieren Insolvenz an. Ende der 90er Jahre hatte die bayerische Staatsregierung das malade Unternehmen noch durch neue Kredite und den Einstieg der staatlichen Förderbank LfA gerettet. Jetzt verweigerte die Regierung eine erneute Finanzspritze.
Beim Flugzeughersteller Fairchild Dornier in Oberpfaffenhofen wendete die Staatsregierung die Insolvenz ebenfalls nicht ab. Auf einem Krisengipfel bemühten sich Bayerns Wirtschaftsminister Otto Wiesheu und Finanzminister Kurt Faltlhauser am Dienstagabend lediglich um Schadensbegrenzung.
Zugeständnis der Politik: Die Bayerische Landesbank und die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau werden sich an einem Massekredit in Höhe von 102 Mio. Euro beteiligen, damit bei Dornier weiter produziert werden kann.
Beobachter glauben nicht an Sinneswandel
Selbst bei der Kirch-Gruppe wird die Politik aller Voraussicht nach die Insolvenz nicht abwenden, obwohl der Medienkonzern bei der Bayerischen Landesbank mit 1,9 Mrd. Euro im Obligo steht. Noch vor einem Jahr finanzierte das halb staatliche Institut Kirchs Einstieg in die Formel 1.
An einen echten Sinneswandel der Volksvertreter mag jedoch kaum ein Beobachter glauben: "Politiker möchten gestalten", sagt HWWA-Ökonom Wohlers. Das belegt schon ein Blick in den aktuellen Bundeshaushalt. Insgesamt darf die Regierung innerhalb Deutschlands dieses Jahr Bürgschaften, Garantien oder sonstige Gewährleistungen von bis zu knapp 85 Mrd. Euro übernehmen. Von dem Haftungsausschluss profitieren Unternehmen jeder Größe, vom Existenzgründer bis zur Expo. Ein Umdenken ist nicht zu erkennen: Der Haushaltsposten ist im laufenden Budget sogar zehn Prozent größer als im vergangenen Jahr.
Die Politik beugt sich vielmehr ökonomischen Zwängen, vor allem dem zunehmenden Unwillen der Banken, schlechtem Geld gutes hinterherzuwerfen. "Die Banken haben sich emanzipiert", sagt Josef Esser, Politikwissenschaftler an der Uni Frankfurt. Die Geldhäuser zögen mit der Politik nicht mehr wie selbstverständlich an einem Strang, wenn es um die Rettung eines Unternehmens geht. "Die Institute sehen sich nicht mehr primär als Hausbanken der deutschen Industrie, sondern als Investmentfirmen, die ihr Geld mit Börsengängen und Fusionen verdienen", sagt Esser.
Ohne die Kooperationsbereitschaft der Großfinanz sind selbst Ministerpräsidenten und der Bundeskanzler machtlos. "Wenn sich die Banken herausziehen, kann der Staat nur verlieren", sagt Johann Eeckhoff, Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Uni Köln. Das habe man auch an den Kabinettstischen erkannt. Zudem hemmen die Brüsseler Wettbewerbshüter Politiker in ihrer Hilfsbereitschaft. Bei der Holzmann-Rettung 1999 riskierte Schröder handfesten Streit mit EU-Kommissar Mario Monti. Selbst der Dornier-Kredit muss durch die Europa-Mühlen. "Die Politik kann nicht mehr, wie sie will", sagt Esser.
Wie groß die Versuchung ist, in alte Muster zurückzufallen, zeigt der jüngste Vorstoß von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wolfgang Clement und Kanzler Schröder. Sie wollen den Fußballvereinen der ersten und zweiten Bundesliga mit Ausfallbürgschaften in dreistelliger Millionenhöhe über die mögliche Pleite der Kirch-Gruppe hinweghelfen, die die Fernsehrechte an den Spielen vermarktet. Auch Edmund Stoiber soll die Staatshilfe gutheißen.