Gefälschte Firmenzahlen interessieren zunehmend die Justiz
Die Erfinder-Firma des bekannten Computerspiels „Moorhuhnjagd“ scheint am Ende –die Phenomedia AG musste am Dienstagabend einen Insolvenzantrag stellen. Der Schritt hängt offensichtlich zusammen mit der Fälschung von Unternehmenszahlen. Zwei ehemalige Vorstände hatten nach Angaben der Staatsanwaltschaft Bochum zugegeben, nicht existierende Forderungen in die Bilanz eingebucht zu haben. Wegen „unrichtiger Darstellung der
Unternehmensverhältnisse“, wie solche Delikte im Juristendeutsch heißen, wurde am Neuen Markt zuletzt immer wieder ermittelt – beispielsweise gegen ehemalige Verantwortliche der Firmen EM.TV, Comroad und Advanced Medien.
Solche Untersuchungen seien in Deutschland „bislang die Ausnahme gewesen“, sagt Manuel Theisen, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. „Jetzt habe ich den Eindruck, dass es sich häuft.“ Er begründet den Anstieg mit dem zunehmenden Druck auf Börsenwerte, auch in Krisenzeiten gute Resultate zu präsentieren. Auch falle es in den kleinen Unternehmen der New Economy leichter, Bilanzen zu fälschen, weil die Zahl möglicher Mitwisser gering sei. „In größeren Firmen fliegt das vermutlich schneller auf, weil mehr Leute beteiligt werden müssten.“
Tatsächlich haben sich die wenigen Fälle von Bilanzbetrug, die außerhalb des Neuen Marktes bekannt wurden und bereits vor Gericht waren, meist nicht in Großkonzernen zugetragen. Bekannte Namen sind hierbei der Sportbodenhersteller Balsam, das Immobilienunternehmen des Jürgen Schneider und der Bohrgeräte-Spezialist Flowtex. Diese Beispiele stimmen noch in weiteren Punkten überein: Die manipulierten Zahlen waren jeweils für das kriminelle Gesamtsystem wichtig, weil sie Geschäftspartnern einen zu positiven Eindruck von dem Unternehmen vorgaukelten. Bei den Verurteilungen hingegen spielten die Fälschungen nur eine untergeordnete Rolle, weil noch eine ganze Reihe massiverer Betrügereien vorlag. Auch stellen Staatsanwälte ungern die Bilanzdelikte in den Vordergrund, weil die Höchststrafe bei lediglich drei Jahren liegt. Bei Betrug sind die Sanktionen wesentlich härter. So wurde im Flowtex-Prozess der Hauptverantwortliche Manfred Schmider – noch nicht rechtskräftig – zu zwölf Jahren Freiheitsentzug verurteilt.
Doch nicht immer ist die Angelegenheit so klar wie bei Flowtex, wo wesentlich mehr Bohrgeräte im Firmenbesitz ausgewiesen wurden als tatsächlich vorhanden waren. Manchmal ist der Nachweis eines Vergehens wesentlich komplizierter. Karlheinz Küting, Direktor des Instituts für Wirtschaftsprüfung an der Universität des Saarlandes, nennt ein Beispiel: „Wenn ganz eindeutig ist, dass eine Forderung nicht eingebracht werden kann, muss sie abgeschrieben werden. Aber wenn sie trotzdem in der Bilanz stehen bleibt, ist im Nachhinein oft schwer zu sagen, ob nicht doch noch eine gewisse Hoffnung bestanden hat.“ Er fordert deshalb neue Gesetze „zur Abschreckung“ für all jene Firmenverantwortlichen, die sich in einer „Grauzone zwischen sauberer Bilanzierung und Bilanzfälschung“ bewegten. Die Sanktionen könnten aus Sicht des Professors von der Aussetzung des Handels mit der betreffenden Aktie bis hin zu hohen Geldstrafen und Freiheitsentzug reichen. Als Vorbild nennt Küting die USA, die im Zuge des Enron-Skandals die Regeln für Bilanzvergehen wesentlich verschärfen wollen.
Quelle:SZ