Geldanlage: Im Spätsommer lauert der Frust
Von Horst Fugger
An der Börse sind August und September schwächelnde Monate - die Historie belegt es.
Die Hoffnungen auf eine Sommer-Rally an den Weltbörsen sind begraben. Investoren und Analysten glauben eher, dass die massiven Leitzinssenkungen seit Jahresbeginn sich Ende des dritten, Anfang des vierten Quartals an der Wall Street positiv bemerkbar machen dürften. Dann, so die verbreitete Hoffnung, werden die Kurse wieder steigen. Tatsächlich spricht einiges für dieses Szenario. Aber vor Oktober kann die Börse unmöglich durchstarten: Im historischen Vergleich ist eine Hausse im September etwa so wahrscheinlich wie ein Sommergewitter am Neujahrstag.
Innere Gesetzmäßigkeit
Wer’s nicht glaubt, den belehrt ein Blick zurück: Im Zeitraum von 1950 bis 2000 zeigte der amerikanische Leitindex S&P 500 Jahr für Jahr ein charakteristisches Verlaufsmuster. In den einzelnen Monaten war die Performance jedoch so unterschiedlich, dass diese Differenzen nach den Maßstäben der Statistik nicht auf Zufall beruhen können. Für eine innere Gesetzmäßigkeit spricht zudem, dass das Phänomen nicht nur an der Wall Street, sondern auch an allen anderen etablierten Weltbörsen zu beobachten waren.
Der S&P 500 stand im Januar 1950 bei 17 Punkten, Ende 2000 bei gut 1300 Punkten, ist also in diesem Zeitraum um das 85fache gestiegen. Das Erstaunliche: Trotz dieser enormen Aufwärtsbewegung gab es zwei Monate, nämlich August und September, die im Durchschnitt Kursverluste brachten. Der Oktober, der ja weltweit im Ruf steht, der schlechteste Börsenmonat des Jahres zu sein, nimmt immerhin einen Mittelplatz ein - wenn auch keinen guten. Die Angst der Börsianer vor dem Oktober ist dennoch nachvollziehbar: Erstens fanden die beiden schlimmsten Crashs der neueren Börsengeschichte (1929 und 1987) tatsächlich im Oktober statt, und zweitens wird der Oktober an der Technologiebörse Nasdaq seinem schlechten Ruf vollauf gerecht. Der Vergleichszeitraum reicht hier nicht so weit zurück, weil die Nasdaq erst 1971 entstanden ist. Von der Gründung bis Ende 2000 stieg der Nasdaq-Composite- Index um 4300 Prozent. Einziger Verlustmonat war stets der Oktober mit einem durchschnittlichen Minus von 0,4 Prozent.
Freundlich zum Jahreswechsel
Das für die meisten etablierten Börsen typische Verlaufsmuster kann man wie folgt beschreiben: Der Zeitraum mit den ausgeprägtesten Kursbewegungen reicht von August bis Januar. Im August, September und Oktober war in den vergangenen Jahrzehnten wenig bis nichts zu gewinnen. Von November bis Januar waren dagegen oft ausgeprägte Haussephasen zu beobachten. Die meist freundliche, oft sogar euphorische Börsenstimmung um die Jahreswende mag nachvollziehbare Ursachen haben: Die Investoren erhalten in diesem Zeitraum "frisches Geld" in Form von Jahresprämien, Zinsen, Weihnachtsgeld und dergleichen. Ein Teil dieser Liquidität fließt an die Kapitalmärkte.
Erstaunlich: Obwohl die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr an den Börsen als flaue Phase mit geringen Umsätzen gilt, übertrifft die Performance "zwischen den Jahren" an der Wall Street im Langfristvergleich den Jahresdurchschnitt um das 13fache. Der Januar ist nicht nur weltweit der gewinnträchtigste, sondern auch ein besonders interessanter Börsenmonat. An der Wall Street spricht man vom Januar-Barometer. Gemeint ist damit, dass die Börsentendenz im Januar mit erstaunlicher Treffsicherheit den Trend des gesamten Jahres prognostiziert. Wenn der S&P 500 im Januar steigt, steht ein gutes Börsenjahr bevor. Fällt er aber, dann sollten sich die Investoren warm anziehen. Von 1950 bis 2000 hat sich dieser Zusammenhang in 46 von 51 Fällen bestätigt.
Stärkere Ausschläge
Wer nun meint, solche Daten seien für moderne Kapitalmärkte nicht relevant, täuscht sich gewaltig. In den letzten zehn bis 15 Jahren waren diese so genannten kalendarischen Anomalien sogar deutlich stärker ausgeprägt als früher. Während es nachvollziehbare Gründe für die freundliche Stimmung von November bis Januar gibt, hat bisher niemand eine einleuchtende Erklärung für die Flaute von August bis Oktober gefunden.
Deutungsversuche sind teils auf materieller, teils auf psychologischer Ebene angesiedelt. So wurde als Grund angeführt, dass Investoren im Sommer teure Urlaubsreisen finanzieren und daher Aktien verkaufen müssen. Eine andere Erklärung: Die kürzer werdenden Tage und das schlechtere Wetter lösen bei den Anlegern Pessimismus aus. Beide Argumente lassen sich mit einer simplen Tatsache widerlegen: Den so genannten September-Effekt gibt es auch in Australien und Neuseeland. Dort beginnt allerdings um diese Zeit der Frühling. Die kalendarischen Anomalien sind also für das Börsengeschehen von größter Bedeutung, aber ihre Ursachen bleiben weitgehend unerforscht.
Tröstlich zu wissen, dass auch bei der Statistik die Ausnahme die Regel bestätigt. Zum Beispiel stieg der Dow Jones im August 1986 um 7,1 Prozent, im August 1982 sogar um 11,6 Prozent. Und wenn doch alle Stricke reißen sollten: Der nächste Januar kommt bestimmt.
© 2001 Financial Times Deutschland
Von Horst Fugger
An der Börse sind August und September schwächelnde Monate - die Historie belegt es.
Die Hoffnungen auf eine Sommer-Rally an den Weltbörsen sind begraben. Investoren und Analysten glauben eher, dass die massiven Leitzinssenkungen seit Jahresbeginn sich Ende des dritten, Anfang des vierten Quartals an der Wall Street positiv bemerkbar machen dürften. Dann, so die verbreitete Hoffnung, werden die Kurse wieder steigen. Tatsächlich spricht einiges für dieses Szenario. Aber vor Oktober kann die Börse unmöglich durchstarten: Im historischen Vergleich ist eine Hausse im September etwa so wahrscheinlich wie ein Sommergewitter am Neujahrstag.
Innere Gesetzmäßigkeit
Wer’s nicht glaubt, den belehrt ein Blick zurück: Im Zeitraum von 1950 bis 2000 zeigte der amerikanische Leitindex S&P 500 Jahr für Jahr ein charakteristisches Verlaufsmuster. In den einzelnen Monaten war die Performance jedoch so unterschiedlich, dass diese Differenzen nach den Maßstäben der Statistik nicht auf Zufall beruhen können. Für eine innere Gesetzmäßigkeit spricht zudem, dass das Phänomen nicht nur an der Wall Street, sondern auch an allen anderen etablierten Weltbörsen zu beobachten waren.
Der S&P 500 stand im Januar 1950 bei 17 Punkten, Ende 2000 bei gut 1300 Punkten, ist also in diesem Zeitraum um das 85fache gestiegen. Das Erstaunliche: Trotz dieser enormen Aufwärtsbewegung gab es zwei Monate, nämlich August und September, die im Durchschnitt Kursverluste brachten. Der Oktober, der ja weltweit im Ruf steht, der schlechteste Börsenmonat des Jahres zu sein, nimmt immerhin einen Mittelplatz ein - wenn auch keinen guten. Die Angst der Börsianer vor dem Oktober ist dennoch nachvollziehbar: Erstens fanden die beiden schlimmsten Crashs der neueren Börsengeschichte (1929 und 1987) tatsächlich im Oktober statt, und zweitens wird der Oktober an der Technologiebörse Nasdaq seinem schlechten Ruf vollauf gerecht. Der Vergleichszeitraum reicht hier nicht so weit zurück, weil die Nasdaq erst 1971 entstanden ist. Von der Gründung bis Ende 2000 stieg der Nasdaq-Composite- Index um 4300 Prozent. Einziger Verlustmonat war stets der Oktober mit einem durchschnittlichen Minus von 0,4 Prozent.
Freundlich zum Jahreswechsel
Das für die meisten etablierten Börsen typische Verlaufsmuster kann man wie folgt beschreiben: Der Zeitraum mit den ausgeprägtesten Kursbewegungen reicht von August bis Januar. Im August, September und Oktober war in den vergangenen Jahrzehnten wenig bis nichts zu gewinnen. Von November bis Januar waren dagegen oft ausgeprägte Haussephasen zu beobachten. Die meist freundliche, oft sogar euphorische Börsenstimmung um die Jahreswende mag nachvollziehbare Ursachen haben: Die Investoren erhalten in diesem Zeitraum "frisches Geld" in Form von Jahresprämien, Zinsen, Weihnachtsgeld und dergleichen. Ein Teil dieser Liquidität fließt an die Kapitalmärkte.
Erstaunlich: Obwohl die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr an den Börsen als flaue Phase mit geringen Umsätzen gilt, übertrifft die Performance "zwischen den Jahren" an der Wall Street im Langfristvergleich den Jahresdurchschnitt um das 13fache. Der Januar ist nicht nur weltweit der gewinnträchtigste, sondern auch ein besonders interessanter Börsenmonat. An der Wall Street spricht man vom Januar-Barometer. Gemeint ist damit, dass die Börsentendenz im Januar mit erstaunlicher Treffsicherheit den Trend des gesamten Jahres prognostiziert. Wenn der S&P 500 im Januar steigt, steht ein gutes Börsenjahr bevor. Fällt er aber, dann sollten sich die Investoren warm anziehen. Von 1950 bis 2000 hat sich dieser Zusammenhang in 46 von 51 Fällen bestätigt.
Stärkere Ausschläge
Wer nun meint, solche Daten seien für moderne Kapitalmärkte nicht relevant, täuscht sich gewaltig. In den letzten zehn bis 15 Jahren waren diese so genannten kalendarischen Anomalien sogar deutlich stärker ausgeprägt als früher. Während es nachvollziehbare Gründe für die freundliche Stimmung von November bis Januar gibt, hat bisher niemand eine einleuchtende Erklärung für die Flaute von August bis Oktober gefunden.
Deutungsversuche sind teils auf materieller, teils auf psychologischer Ebene angesiedelt. So wurde als Grund angeführt, dass Investoren im Sommer teure Urlaubsreisen finanzieren und daher Aktien verkaufen müssen. Eine andere Erklärung: Die kürzer werdenden Tage und das schlechtere Wetter lösen bei den Anlegern Pessimismus aus. Beide Argumente lassen sich mit einer simplen Tatsache widerlegen: Den so genannten September-Effekt gibt es auch in Australien und Neuseeland. Dort beginnt allerdings um diese Zeit der Frühling. Die kalendarischen Anomalien sind also für das Börsengeschehen von größter Bedeutung, aber ihre Ursachen bleiben weitgehend unerforscht.
Tröstlich zu wissen, dass auch bei der Statistik die Ausnahme die Regel bestätigt. Zum Beispiel stieg der Dow Jones im August 1986 um 7,1 Prozent, im August 1982 sogar um 11,6 Prozent. Und wenn doch alle Stricke reißen sollten: Der nächste Januar kommt bestimmt.
© 2001 Financial Times Deutschland