Ich sehe am besten nicht mehr in mein Depot

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das Zentrum d.:

Ich sehe am besten nicht mehr in mein Depot

 
07.04.01 17:30
"Ich sehe am besten einfach nicht mehr in mein Depot"

Der Umgang mit Verlusten will gelernt sein / Viele Anleger halten zu lange an ihren Werten fest


hbe. FRANKFURT, 6. April. Eine der Antworten der Privatanleger auf die derzeitige Baisse ist einfach: "Ich sehe einfach nicht mehr hin", lautet das Rezept. Aus ökonomischer Perspektive ist diese Strategie nicht nachzuvollziehen, und sie legt die Vermutung nahe, daß viele Investoren bei ihrer Anlagepolitik über einige psychologische Fallstricke stolpern. "Ich bin überzeugt von meinen Aktien und weiß, daß sie auch wieder zulegen werden", lautet eine mögliche Entgegnung von denen. Doch das Argument überzeugt nicht so recht: Man könnte auch jetzt aus den Werten aussteigen, das Geld zinsbringend am Geldmarkt anlegen und die Aktien zu einem späteren Zeitpunkt wieder billiger einsammeln.

Eine andere mögliche Erklärung ist schlichtweg Resignation: Der Anleger ergibt sich seinem Schicksal - dann wäre eigentlich ein Ausstieg, aber nicht ein Aussitzen angebracht. Eine weitere Erklärungsmöglichkeit: Anleger wollen Verluste nicht realisieren, weil das der Beleg dafür wäre, daß man sich bei der ursprünglichen Anlage falsch entschieden hat. Das löst beim Anleger eine sogenannte kognitive Dissonanz, also ein psychologisches Unwohlsein, aus, und um diese zu vermeiden, flüchtet er sich in Erklärungen, die ihm ein Aussitzen der Verluste ermöglichen. Die Folge all dieser psychologischen Fallstricke: Die Anleger lassen Verluste zu lange laufen. Umgekehrt zeigt die Erfahrung, daß viele Anleger ihre Gewinne zu früh realisieren.

Die Neigung der Anleger, Gewinne zu früh zu realisieren und Verluste zu lange laufen zu lassen, bezeichnet man als Dispositionseffekt. Eine empirische Untersuchung aus dem Jahr 1998 gibt Hinweise darauf, daß dieser Effekt wirklich vorliegt: Anhand von 10 000 zufällig ausgewählten Datensätzen eines amerikanischen Diskountbrokers untersuchten Wissenschaftler, wie hoch der Anteil realisierter Gewinne und Verluste an den Gesamtgewinnen und -verlusten war. Der Anteil der realisierten Gewinne wurde ermittelt, indem man diese ins Verhältnis zu den möglichen Gewinnen eines Tages setzte; der Anteil der realisierten Verluste wurde entsprechend ermittelt. Das Ergebnis: Der Anteil der realisierten Gewinne betrug durchschnittlich 24 Prozent; der Anteil der realisierten Verluste nur 15 Prozent. Eine Ausnahme ließ sich nur für den Dezember nachweisen; hier haben offenbar steuerlich motivierte Überlegungen eine Rolle gespielt.

Ist der Dispositionseffekt eine Krankheit unerfahrener Kleinanleger? Mitnichten: Die Resultate veränderten sich nicht, als man die Untersuchung nur auf die Handelsteilnehmer mit hoher Handelsaktivität beschränkte, von denen man mehr Erfahrung und Professionalität erwartete; Erfahrung bewahrt offenbar auch nicht vor dem Dispositionseffekt.

Ähnliche Ergebnisse wurden auch in experimentellen Studien erzielt. Ihr Resultat: Gewinne werden aus Risikoscheu zu früh realisiert; Verluste werden aufgrund der höheren Risikofreude der Anleger, wenn sie sich bereits im Verlustbereich befinden, zu spät realisiert. Hier würde eine einfache Börsenweisheit helfen: Gewinne laufen lassen, Verluste begrenzen, wer darauf hört, hat Aussichten, aus dieser verhängnisvollen psychologischen Falle zu entkommen.

Diese Überlegungen machen klar, daß der Einstiegskurs des Anlegers entscheidenden Einfluß auf seine Anlagestrategie hat - er ist der mentale Anker, an dem er die Verluste und Gewinne seiner Aktie bewertet und an dem er seine Dispositionen

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ausrichtet. Das macht aber wenig Sinn: Nicht der Einstandskurs, sondern die zukünftigen Kursaussichten der Aktie sollten den Ausschlag für die Anlageentscheidung geben. Dieser mentale Anker kann sich aber auch leicht ändern, und damit ändert sich dann auch das Anlegerverhalten.

Ein anderer möglicher Anker ist der Höchstkurs der Aktie: Wenn die Aktie einmal auf diesem Niveau notiert hat, so macht der Anleger diesen Höchstkurs zu seinem neuen Bezugspunkt und richtet sich daran aus. Kursverluste werden an ihm gemessen. Das kann unter Umständen einen Verkauf der Aktie auch über dem Einstandspreis verhindern, da der Kursverlust jetzt ja als nicht so gravierend empfunden wird. Rational betrachtet ist das unsinnig: Nur, weil eine Aktie einmal so hoch bewertet war, bedeutet das nicht, daß sie diesen Wert auch jemals wiedersehen wird - und vor allem nicht, daß sie von dort nicht wieder ins Bodenlose fallen kann, wie sich bei der Aktie der Deutschen Telekom in den zurückliegenden zwölf Monaten zeigte. Ein anderer möglicher mentaler Anker kann aber auch wieder im Verlustbereich auftauchen, beispielsweise wenn der Anleger einen bestimmten Anteil seines Investments auf alle Fälle wieder erhalten muß, um beispielsweise ausstehenden Verpflichtungen nachzukommen. Kommt der Kurs in die Nähe dieser Marke, so wird die Verlustaversion auf einmal viel größer; das kann dann zum Verkauf führen.

Die Lehre aus diesen Überlegungen: Man sollte sich vor dem Engagement ein Verlustlimit setzen, an das man sich dann auch konsequent hält. Damit verhindert man, ein Opfer des Dispositionseffektes zu werden. Die eigentliche Gretchenfrage für den Anleger ist eigentlich, ob er die betreffende Aktie auch heute noch kaufen würde. Verneint er diese Frage, so gibt es für ihn auch keinen Grund, weiterhin an der Aktie festzuhalten. Zudem muß er auch bedenken, daß Geld, das er in verlustbringenden Positionen investiert, nicht frei ist für andere, möglicherweise lukrativere Investments.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.04.2001, Nr. 83 / Seite 25
Zwergnase:

Wie wahr, wie wahr - nur die allerwenigsten

 
07.04.01 18:55
handeln auch konsequent danach.Ich selbst musste dies auch erst nach einigen schmerzhaften Erfahrungen lernen. Gr. ZN
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