Eine Gummizelle mit Frühstück bitte
Wohnen in der Kunst: Im Berliner Hotel "Propeller Island City Lodge" werden die absurdesten Nachtträumereien Wirklichkeit
Von Josef Engels
Die Albrecht-Achilles-Straße in Wilmersdorf kann man ruhigen Gewissens jedem empfehlen, den der Hauptstadt-Hype gehörig auf die Nerven geht. Hier ist die Metropole erschreckend stinknormal. Ausgehend vom Kurfürstendamm, der in dieser Ecke wie eine abgeschminkte Uralt-Diva wirkt, schlägt man sich an grauen Mietskasernen aus den 60er Jahren vorbei. Bis man dann, neben einer der unzähligen über die Stadt verteilten Schlecker-Filialen, bei der Nummer 58 auf einen unscheinbaren Hauseingang stößt. Leuchtbuchstaben formieren da etwas lustlos das Wort "Hotel". Nun gut, mal wieder eine der üblichen Absteigen. Denkt man. Wenn man sich aber dann überwindet, im ersten Stock des Hauses an der Tür mit dem Hinweis "Propeller Island City Lodge" zu läuten, erlebt man sein blaues Wunder. Denn hinter dieser Pforte verbirgt sich die mit Sicherheit durchgeknallteste Herberge Deutschlands.
Ersonnen wurde sie von Lars Stroschen, einem 40-Jährigen, der mit Dreitagebart, keck ins Gesicht fallendem Haupthaar und roter Strumpfhose keinen Hehl daraus macht, dass er ein Künstler ist. Als Orgelspieler, Klangdesigner und Grafiker verdiente er sich jahrelang seine Brötchen. Nebenbei fertigte er auch ungewöhnliche Möbelstücke an. Irgendwann hatte er eine eigenwillige Idee: Wie wäre es, wenn man mal ein Hotel eröffnete, dass aus lauter Kunst bestünde - also gewissermaßen ein Museum mit Übernachtungsmöglichkeit? Jeder - Architekten, Handwerker, Behörden, Freunde - habe versucht, ihm dieses Hirngespinst auszureden, bekennt Stroschen. Aber irgendwie konnte er die Bank und Investoren davon überzeugen, aus zwei Etagen eines ehemaligen Wilmersdorfer Allerwelts-Hotels die Herberge seiner Träume zu machen. Zwei Jahre lang werkelte er kreditfinanziert auf den 750 Quadratmetern. Heraus gekommen sind dabei 30 schier unglaubliche Räume, in denen abenteuerlustige Berlin-Besucher seit Anfang dieses Jahres die Nacht verbringen können.
Nichts in diesem Hotel geht mit rechten Dingen zu. Asymmetrie hat Stroschen zum dominierenden Gestaltungsprinzip erhoben. Verwinkelt sind die Gänge, schräg die Flurwände - im wahrsten Sinne verrückt ist das. Wer da noch nicht den Verstand verloren hat, tut dies spätestens beim Betreten der Zimmer. Im Raum "Knast" sieht man sich einer Gefängnispritsche gegenüber und einer Wand mit Gitterstreifenmuster. Im Mauerwerk klafft ein etwa ein Meter großes Loch, davor liegen Steinbrocken und Hammer. Alles am Boden festgeklebt, versteht sich. Ist schließlich Kunst. Wer sich durch das Loch zwängt, gelangt allerdings nicht ins Freie, sondern in einen zusätzlichen Mini-Raum. Dort kann man seine Habseligkeiten verstauen. Oder sich auf einen Stuhl hocken und depressiv werden. Sollte daraus eine ernsthafte Gemütskrankheit erwachsen, empfiehlt sich der Umzug ins Zimmer mit dem Namen "Therapie". Klinisch weiß ist das, und in der Mitte thront ein OP-Tisch für zwei. An der Wand hängt ein Flokati, Leuchten in verschiedenen Farben tauchen den Raum je nach Stimmungslage des Patienten in blutsturzrotes, arztkittelgrünes oder nahtodblaues Licht. Falls eine derartige Therapie zu unheilbaren Folgeschäden führt - möglicherweise ist noch ein Plätzchen in der "Gummizelle" frei, einem Zimmer ganz aus grünem Noppenleder. Allzu sehr wüten sollte man dort aber nicht. Wie heißt es nämlich so schön auf den Schildern, die Stroschen überall in seinem Hotel angebracht hat? "Bitte behandeln Sie das handgemachte Kunstwerk mit Umsicht und Respekt". Aber keine Angst: Es sind auch noch Zimmer frei, die den Besucher auf weniger harte Proben Stellen. Der "Grandma's Room" etwa, in dem sich im Inneren eines monströsen Kleiderschranks Dusche und Toilette verbergen.
Die Aggressionsschwelle wird im "Propeller Island", das sich seinen Namen aus einem utopischen Roman von Jules Verne geborgt hat, sowieso schwerlich zu überschreiten sein. Dafür sorgen die Lautsprecherboxen in den Zimmern, aus denen nach Bedarf Seelen beruhigende Klänge dringen: Sound-Scapes des Hotelbesitzers oder tropisches Regenwald-Geplätscher mit Vogelstimmen-Beilage.
Es empfiehlt sich, vor der Buchung eines Zimmers (Preise zwischen 75 und 110 Euro) erst einmal die Website www.propeller-island.de zu besuchen. Da ist jeder Raum, zu dem es vor Ort auch eine eigene Bedienungsanleitung gibt, detailliert beschrieben. Man kann dort für sich selbst herausfinden, ob man lieber in einem Bergwerksstollen, einem indischen Tempel oder in dem beklopptesten Gemach im "Propeller Island" nächtigen möchte: dem Raum "Upside Down", in dem Bett, Tisch, Stuhl und Lampe an der Decke kleben. Geschlafen wird hier auf Matratzen, die im Boden eingelassen sind. Womit sich das alte Vorurteil dann doch wieder bestätigt: In Berlin steht selbst in äußerlich stinknormalen Häusern alles auf dem Kopf.
www.welt.de/daten/2002/02/20/0220me315424.htx
Wohnen in der Kunst: Im Berliner Hotel "Propeller Island City Lodge" werden die absurdesten Nachtträumereien Wirklichkeit
Von Josef Engels
Die Albrecht-Achilles-Straße in Wilmersdorf kann man ruhigen Gewissens jedem empfehlen, den der Hauptstadt-Hype gehörig auf die Nerven geht. Hier ist die Metropole erschreckend stinknormal. Ausgehend vom Kurfürstendamm, der in dieser Ecke wie eine abgeschminkte Uralt-Diva wirkt, schlägt man sich an grauen Mietskasernen aus den 60er Jahren vorbei. Bis man dann, neben einer der unzähligen über die Stadt verteilten Schlecker-Filialen, bei der Nummer 58 auf einen unscheinbaren Hauseingang stößt. Leuchtbuchstaben formieren da etwas lustlos das Wort "Hotel". Nun gut, mal wieder eine der üblichen Absteigen. Denkt man. Wenn man sich aber dann überwindet, im ersten Stock des Hauses an der Tür mit dem Hinweis "Propeller Island City Lodge" zu läuten, erlebt man sein blaues Wunder. Denn hinter dieser Pforte verbirgt sich die mit Sicherheit durchgeknallteste Herberge Deutschlands.
Ersonnen wurde sie von Lars Stroschen, einem 40-Jährigen, der mit Dreitagebart, keck ins Gesicht fallendem Haupthaar und roter Strumpfhose keinen Hehl daraus macht, dass er ein Künstler ist. Als Orgelspieler, Klangdesigner und Grafiker verdiente er sich jahrelang seine Brötchen. Nebenbei fertigte er auch ungewöhnliche Möbelstücke an. Irgendwann hatte er eine eigenwillige Idee: Wie wäre es, wenn man mal ein Hotel eröffnete, dass aus lauter Kunst bestünde - also gewissermaßen ein Museum mit Übernachtungsmöglichkeit? Jeder - Architekten, Handwerker, Behörden, Freunde - habe versucht, ihm dieses Hirngespinst auszureden, bekennt Stroschen. Aber irgendwie konnte er die Bank und Investoren davon überzeugen, aus zwei Etagen eines ehemaligen Wilmersdorfer Allerwelts-Hotels die Herberge seiner Träume zu machen. Zwei Jahre lang werkelte er kreditfinanziert auf den 750 Quadratmetern. Heraus gekommen sind dabei 30 schier unglaubliche Räume, in denen abenteuerlustige Berlin-Besucher seit Anfang dieses Jahres die Nacht verbringen können.
Nichts in diesem Hotel geht mit rechten Dingen zu. Asymmetrie hat Stroschen zum dominierenden Gestaltungsprinzip erhoben. Verwinkelt sind die Gänge, schräg die Flurwände - im wahrsten Sinne verrückt ist das. Wer da noch nicht den Verstand verloren hat, tut dies spätestens beim Betreten der Zimmer. Im Raum "Knast" sieht man sich einer Gefängnispritsche gegenüber und einer Wand mit Gitterstreifenmuster. Im Mauerwerk klafft ein etwa ein Meter großes Loch, davor liegen Steinbrocken und Hammer. Alles am Boden festgeklebt, versteht sich. Ist schließlich Kunst. Wer sich durch das Loch zwängt, gelangt allerdings nicht ins Freie, sondern in einen zusätzlichen Mini-Raum. Dort kann man seine Habseligkeiten verstauen. Oder sich auf einen Stuhl hocken und depressiv werden. Sollte daraus eine ernsthafte Gemütskrankheit erwachsen, empfiehlt sich der Umzug ins Zimmer mit dem Namen "Therapie". Klinisch weiß ist das, und in der Mitte thront ein OP-Tisch für zwei. An der Wand hängt ein Flokati, Leuchten in verschiedenen Farben tauchen den Raum je nach Stimmungslage des Patienten in blutsturzrotes, arztkittelgrünes oder nahtodblaues Licht. Falls eine derartige Therapie zu unheilbaren Folgeschäden führt - möglicherweise ist noch ein Plätzchen in der "Gummizelle" frei, einem Zimmer ganz aus grünem Noppenleder. Allzu sehr wüten sollte man dort aber nicht. Wie heißt es nämlich so schön auf den Schildern, die Stroschen überall in seinem Hotel angebracht hat? "Bitte behandeln Sie das handgemachte Kunstwerk mit Umsicht und Respekt". Aber keine Angst: Es sind auch noch Zimmer frei, die den Besucher auf weniger harte Proben Stellen. Der "Grandma's Room" etwa, in dem sich im Inneren eines monströsen Kleiderschranks Dusche und Toilette verbergen.
Die Aggressionsschwelle wird im "Propeller Island", das sich seinen Namen aus einem utopischen Roman von Jules Verne geborgt hat, sowieso schwerlich zu überschreiten sein. Dafür sorgen die Lautsprecherboxen in den Zimmern, aus denen nach Bedarf Seelen beruhigende Klänge dringen: Sound-Scapes des Hotelbesitzers oder tropisches Regenwald-Geplätscher mit Vogelstimmen-Beilage.
Es empfiehlt sich, vor der Buchung eines Zimmers (Preise zwischen 75 und 110 Euro) erst einmal die Website www.propeller-island.de zu besuchen. Da ist jeder Raum, zu dem es vor Ort auch eine eigene Bedienungsanleitung gibt, detailliert beschrieben. Man kann dort für sich selbst herausfinden, ob man lieber in einem Bergwerksstollen, einem indischen Tempel oder in dem beklopptesten Gemach im "Propeller Island" nächtigen möchte: dem Raum "Upside Down", in dem Bett, Tisch, Stuhl und Lampe an der Decke kleben. Geschlafen wird hier auf Matratzen, die im Boden eingelassen sind. Womit sich das alte Vorurteil dann doch wieder bestätigt: In Berlin steht selbst in äußerlich stinknormalen Häusern alles auf dem Kopf.
www.welt.de/daten/2002/02/20/0220me315424.htx