Samstag, 8. November 2003
«Hedonisches Wachstum»
Nicht jedermann empfindet das Wachstum der US-Wirt-schaft als «Atem beraubend» so wie die NZZ. Burkhard P. Varnholt, Chefanalyst der Credit Suisse Private Banking, setzt hinter das aufs ganze Jahr hochgerechnete Plus von 7,2% oder 140 Mrd. $ im 3. Quartal 2003 ein dickes Fragezeichen. Zwei Dinge gilt es laut Varnholt zu relativieren, um einen Vergleich zur europäischen Wirtschaft ziehen zu können. Zum einen enthalte die Zunahme 60 Mrd. $ an staatlichen Rüstungsausgaben für den Krieg in Irak und dessen Besetzung. Zum anderen berechnen die USA ihr Wachstum hedonisch. Das heisst, auch qualitative Verbesserungen fliessen ein. Als Beispiel nennt Varnholt einen Computer, der schneller ist als sein Vorgängermodell, aber gleich viel kostet. In Europa äussert sich das nicht in Wachstum, in den USA schon. Varnholt beziffert diese Effekte fürs 3. Quartal auf 70 Mrd. $.
Kopf an Kopf mit Europa
Subtrahiert man die Rüstungsausgaben und das he-donische Wachstum von den 7,2%, bleiben laut Varnholt für das 3. Quartal in den USA gerade 0,6% - vergleichbar mit den 0,5% im Euro-Raum. Für das 2. Quartal, als die USA ein Plus von 3,8% ausgewiesen hatten, kommt Varnholt bereinigt auf +0,08% (Euro-Raum -0,06%).
Angespannter Arbeitsmarkt
Positiv ist für Varnholt, dass viele Unternehmen rigoros restrukturiert haben und deshalb bereits von geringen Konjunkturimpulsen überproportional profitieren könnten. Mit grösserer Sorge beobachtet er, dass die wirtschaftspolitische Munition der USA zur Neige gehe. Zum einen treiben Rüstungsausgaben und Fiskalpolitik (Steuergutschriften) das US-Haushaltdefizit auf immer neue Rekordhöhen (500 Mrd. $), zum anderen habe die Notenbank nach einer Reihe von Leitzins-Senkungen auf 1,0%, den tiefsten Stand seit 45 Jahren, ihr geldpolitisches Pulver praktisch verschossen. Zudem haben diese Massnahmen laut Varnholt eher die Kapitalproduktivität der Firmen gestärkt und nicht den Arbeitsmarkt stimuliert. Das bestätigen US-Analysten: Bisher umgingen viele Betriebe Neueinstellungen mit technologischer Aufrüstung und längeren Arbeitszeiten. Die Frage ist jetzt, ob sich der Arbeitsmarkt noch vor den US-Präsidentschaftswahlen in einem Jahr erholt. (T.G.)
Copyright © St.Galler Tagblatt AG
www.tagblatt.ch
Grüße
NL
«Hedonisches Wachstum»
Nicht jedermann empfindet das Wachstum der US-Wirt-schaft als «Atem beraubend» so wie die NZZ. Burkhard P. Varnholt, Chefanalyst der Credit Suisse Private Banking, setzt hinter das aufs ganze Jahr hochgerechnete Plus von 7,2% oder 140 Mrd. $ im 3. Quartal 2003 ein dickes Fragezeichen. Zwei Dinge gilt es laut Varnholt zu relativieren, um einen Vergleich zur europäischen Wirtschaft ziehen zu können. Zum einen enthalte die Zunahme 60 Mrd. $ an staatlichen Rüstungsausgaben für den Krieg in Irak und dessen Besetzung. Zum anderen berechnen die USA ihr Wachstum hedonisch. Das heisst, auch qualitative Verbesserungen fliessen ein. Als Beispiel nennt Varnholt einen Computer, der schneller ist als sein Vorgängermodell, aber gleich viel kostet. In Europa äussert sich das nicht in Wachstum, in den USA schon. Varnholt beziffert diese Effekte fürs 3. Quartal auf 70 Mrd. $.
Kopf an Kopf mit Europa
Subtrahiert man die Rüstungsausgaben und das he-donische Wachstum von den 7,2%, bleiben laut Varnholt für das 3. Quartal in den USA gerade 0,6% - vergleichbar mit den 0,5% im Euro-Raum. Für das 2. Quartal, als die USA ein Plus von 3,8% ausgewiesen hatten, kommt Varnholt bereinigt auf +0,08% (Euro-Raum -0,06%).
Angespannter Arbeitsmarkt
Positiv ist für Varnholt, dass viele Unternehmen rigoros restrukturiert haben und deshalb bereits von geringen Konjunkturimpulsen überproportional profitieren könnten. Mit grösserer Sorge beobachtet er, dass die wirtschaftspolitische Munition der USA zur Neige gehe. Zum einen treiben Rüstungsausgaben und Fiskalpolitik (Steuergutschriften) das US-Haushaltdefizit auf immer neue Rekordhöhen (500 Mrd. $), zum anderen habe die Notenbank nach einer Reihe von Leitzins-Senkungen auf 1,0%, den tiefsten Stand seit 45 Jahren, ihr geldpolitisches Pulver praktisch verschossen. Zudem haben diese Massnahmen laut Varnholt eher die Kapitalproduktivität der Firmen gestärkt und nicht den Arbeitsmarkt stimuliert. Das bestätigen US-Analysten: Bisher umgingen viele Betriebe Neueinstellungen mit technologischer Aufrüstung und längeren Arbeitszeiten. Die Frage ist jetzt, ob sich der Arbeitsmarkt noch vor den US-Präsidentschaftswahlen in einem Jahr erholt. (T.G.)
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