Hans Bernecker: Warten auf Godot

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jack303:

Hans Bernecker: Warten auf Godot

 
09.01.03 10:27
Warten auf Godot  


Mails/Nachrichten vom 09.01.2003, Bernecker & Cie.

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Guten Morgen, meine Damen und Herren,
warten auf Godot. Also die Sitzung des Sicherheitsrates der UN am 27. Januar. Ob dies das letzte entscheidende Datum ist, mag freilich offen sein. Im Vorfeld läuft es fast 90 % identisch zu den Jahren 1990/91, also der damaligen Kuwait-Krise. Sie können die Überschriften von damals und heute sowohl globalpolitisch als auch konjunkturpolitisch fast aufeinanderlegen. Wer über ein Archiv verfügt, sollte sich den Spaß machen. Wer über die damaligen AB’s verfügt, tut das gleiche. Wie es anschließend weiterging, sollten Sie schon jetzt ebenfalls nachlesen.

Die Vortage der Quartalsberichte IV/2002 werden weniger dramatisch verlaufen, als diejenigen der Quartale vorher. Die Analystenerwartungen werden zwar vielfach verfehlt, aber ich neige eher zu der Ansicht: Hier liegen die Analysten falscher als die Vorstände. Das dies zu Irritationen führt, liegt auf der Hand. Die aktuellen Zahlen von SAP, die heute zu diskutieren sind, sind ein wichtiger Beleg dafür. Mein Rat: Lesen und anschließend weglegen. Denn:

Alles, was in 2002 geschehen ist, ist nicht nur Historie, sondern auch eine einmalige Konstellation. Wie dies im langfristigen Gewinnzyklus der vergangenen 22 Jahre aussieht, lesen Sie in der morgigen AB anhand einer sehr eindrucksvollen Grafik nach. Im Vorgriff:

New York macht die Tendenz. Allein dies zählt jetzt. Dies gilt jedoch wiederum ausschließlich für die Technologie. Hier zählt: Die Ertragserholungen werden nachhaltig sein, aber sehr stark schwanken. Wenn Intel alle drei Wochen seine Prognose überdenkt (gestern erneut), dann ist dies typisch. Wenn der PC-Hersteller Gateway seine bisherige Prognose leicht reduziert, so gilt das gleiche. Oracle sieht es ebenfalls anders und prognostiziert ein mäßiges Wiederanziehen der IT-Ausgaben. Mit dem Einwand des Finanzchefs Jeff Henley: „Mäßiges Wachstum, aber keine schnelle Erholung“. Entscheidend ist also: Wie entwickelt sich Umsatz und Gewinn im Verlauf des ganzen Jahres?

Schlußfolgerung daraus: Keine einzige meiner Technik-Empfehlungen muß ich zurücknehmen. Aber täglich schreibe ich: Hüten Sie sich davor, an festen Tagen zu kaufen, etwa wenn die eine oder andere Aktie plötzlich angestoßen wird, 1 - 1 ½ $ zulegt oder auch 2 $, um anschließend die Hälfte dieses Gewinns wieder abzugeben. Schwache Tage, das sind die Kauftage.

Die Telekommunikation verwirrt die Gemüter. Gestern führte eine kritische Branchenstudie von UBS Warburg zu schwächeren Notierungen bis 6,2 % für Verizon Communication. Dagegen legte AT&T um 1,44 % zu. Ergo: Verizon ist bei 39 $ schon wieder ein Kauf. Zu den Handy-Titeln hatte ich mich bereits geäußert.

In Europa guckt alles auf Bagdad und anschließend auf New York. Das daraus ein babylonisches Gedanken- und mithin Sprachgewirr entsteht, ist nur logisch. Schlägt man die heutige Presse auf, weiß man anschließend nun wirklich nicht, was zählt. Nehmen Sie dies als Unterhaltungswert. Seriöse Überlegungen sind jetzt theoretisch richtig, aber praktisch höchst fragwürdig. Das die deutsche Börse in diesem Umfeld die labilste bleibt, habe ich hinreichend begründet. Sorge macht mir nach wie vor die hohe Volatilität. Sie begünstigt kurzfristige Tagesspekulationen in einem Umfang, wie es an keinem Markt Europas möglich ist.

Technisch gesehen: Die Daily-Basis im DAX dürfte mit der Schwäche von gestern schon dem unteren Wendepunkt nahe sein. Das Restrisiko liegt bei 100/150 Punkten. Die sich daraus ergebende Weekly-Basis stellt sich wie folgt dar: Die einschlägigen Indikatoren stehen kurz vor einem Kaufsignal (Stochastik etc.). Daraus ergibt sich: Um die Stabilisierungszone von rd. 2850 im DAX baut sich eine wichtige technische und auch psychologische „Unterstützung“ auf. Bis zum 27. Januar muß sie allerdings halten. Indes:

Der DAX ist für mich nur ein Tages-Stimmungs-Barometer. Mich interessiert, wie ich schon erläutert habe: Schauen Sie auf das, was im DAX passiert, nämlich in den 30 Titeln. Das ist wichtiger.

Eine Kaufempfehlung gebe ich heute natürlich nicht. Die entsprechenden Fakten lesen Sie in der morgigen AB. Eine Kardinalfrage stellt sich gleichwohl:

Wie sind Konsum- und Einzelhandels-Aktien grundsätzlich zu bewerten? Ich habe mich von all diesen Titeln weitgehend ferngehalten, und zwar sowohl drüben wie hüben. Im Prinzip war das richtig. Ich halte es auch jetzt noch für richtig, solche Positionen zu eliminieren. Mit den einzelnen Bewertungen der Unternehmen hat dies nicht viel zu tun. Das gesamte Branchenbild sieht schlecht aus. Trotz der niedrigen Kurse verkaufen? Ja, weil Sie in den alternativen Möglichkeiten der Technologie mehr verdienen. Das ist die Kardinalfrage. Ferner:

Der Einzelhandel in USA und Europa/Deutschland steht schlicht und einfach im Wind. Die negativen Zahlen kennen Sie. Aber wußten Sie auch, was sich im Internet abspielt?

Die neuesten Zahlen sind eindrucksvoll. Der Handel im Internet wächst zur Zeit je nach Branche in einem rasanten Tempo zwischen 15 und 23 %. Sie haben die Zahlen des weltgrößten, Amazon, kürzlich gelesen. Die Margen sind noch klein, aber ganz offensichtlich ist: Im Internet, hier speziell Handel, brummt es. Das ist ein wichtiger Baustein für meine langfristige Internet-Einschätzung. Aber:

Internet ist nicht gleich Internet. Interessieren Sie sich für die Frage, wer im Internet diese beschriebene Dynamik technisch auch darstellt. Das sind die entscheidenden Favoriten. Vielleicht werfen Sie einen Blick dazu auf die Seite 7 der nächsten AB.

Europa: Die nächste EZB-Zinssenkung darf eingeplant werden. Sie hat psychologische, aber wenig faktische Bedeutung. Orientieren Sie sich daran also nicht. Damit folgt die EZB letztlich dem, was die Amerikaner vorgegeben haben.

Schlußfolgerung für heute: Nach der gestrigen Schwäche besteht heute Raum für eine mehr oder weniger deutliche Erholung, und das entlastet wenigstens die Gemüter. Unbedingter Handlungsbedarf ist jedoch nicht gegeben. Da heute und morgen eine ganze Reihe ökonomischer Daten erscheinen, wird es also in der Stimmung hin und her gehen. Anschließend ist alles vergessen, und deshalb erwähne ich es nicht gesondert.

Mit freundlichen Grüßen

Hans A. Bernecker
 




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