Hans Bernecker: Vertrauenskrise

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jack303:

Hans Bernecker: Vertrauenskrise

 
27.06.02 10:17
Vertrauenskrise  

Hans Bernecker: Vertrauenskrise
Mails/Nachrichten vom 27.06.2002, Bernecker & Cie.

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Guten Morgen, meine Damen und Herren,
eine Vertrauenskrise ist für die Börsen schlimmer als Krieg. Skandale sind deshalb wie eine Art Minicrash. Beides gehört zusammen und ist in der Regel der Endpunkt einer sehr negativen Börse. Wo liegt er?

An den Indizes läßt sich das nicht festmachen. In Extremlagen zählen keine Trendli-nien in den Charts. Also ist die Aussagefähigkeit der Chartanalyse sehr begrenzt. Das einzige, was in einer solchen Lage zählt, ist die Meßlatte für das Krankheitsfie-ber im Markt, also das Fieberthermometer. Dafür gibt es nur die Volatilitätsindizes. Sie sind deshalb auch nur in solchen Extremlagen zu verwenden. Soweit zum Hand-werkszeug in der aktuellen Lage.

Wall Street vollführte gestern eine Art Intra Day-Reversal. Das ist hochinteressant. Am Ende nur 0,07 % im Minus. Der Nasdaq sogar + 0,38 %, so daß auch der Nas-daq 100 Tracking Stock mit + 0,10 % bei 25,56 $ schloß. Ist damit der WORLDCOM-Skandal ausgestanden? Ich meine ja, aber die Frage ist, ob weitere Leichen bei an-deren im Keller liegen. Das weiß niemand und mithin bleibt diese Frage im Raum. Folge:

Bei Umsätzen von 1,98 Mrd Stück an der Nyse und 1,758 Mrd an der Nasdaq, bei einer Relation von etwa 1:2 für upside- gegen downside-Volume und einer solchen von 1:5 für die Relation new highs/new lows, liegt die Annahme eines Ausverkaufes gestern schon sehr nahe. Das einzige, was mich daran stört, ist, daß die Volatilität meine Grenzmarke noch nicht erreicht hat. Da heute Donnerstag ist, kann ich mir auch schlecht vorstellen, daß ein weiterer schwacher Tag am Freitag zu einem fe-sten Markt führt. Denn niemand wird in dieser aktuellen Lage mit großen Positionen ins Wochenende gehen. Also neige ich dazu, abzuwarten. Hier kommt WORLDCOM erneut ins Spiel: Wie stark sind die Banken engagiert? Gibt es dazu in den nächsten Tagen noch eine neue Hiobsbotschaft, sind CITIGROUP oder MORGAN weiter unter Druck, was nicht zu erkennen ist. Andererseits verkenne ich nicht:

Der S + P 500 baute gestern auf der Basis 950, was gleichzeitig bis auf 6 Punkte das Tief vom September ist, eine Unterstützung auf. Er endete bei 973 als Schluß. Damit nahe am Tageshoch. Also:

Wer mutig ist, kauft die ersten Stücke. Wer vorsichtig ist, wartet bis Montag, siehe oben, obwohl die Volatilität noch nicht den gewünschten Endpunkt erreicht hat.

Frankfurt dürfte heute versuchen, die erwartete Tendenz in New York vorwegzuneh-men. Sie ist technisch in der besseren Lage. Es würde mich nicht wundern, wenn wir sogar mit einem positiven Verlauf über die Runden kommen. Denn ein direkter Be-zug zu New York besteht nicht, sondern nur eine Stimmungsbrücke. VDAX 37 ist zwar nicht der Idealfall, aber mindestens ernst zu nehmen. Wichtig:

Fokussieren Sie sich auf die Septembertiefs für alle relevanten DAX-Aktien. Nur ganz wenige werden dieses Tief nicht erreichen. ALLIANZ und MÜNCHN. RÜCK haben es bereits getestet. Das sind Kaufkurse. Bei TELEKOM laufen die ersten Eindeckungen, aber es gibt keine neue Baisseposition. Allerdings ist die Volatilität enorm hoch. Mein Vorschlag:

Wenn es nochmals deutlich schwächer werden sollte, orientieren Sie sich allein am VDAX. Meine Marke lag bisher bei 42, gestern 37,50 im Hoch. Natürlich ist das et-was spitz gerechnet, aber: Ich reduziere meine Linie auf etwa 39/40. Das liegt daran, daß der Markt nun schon fast 20 % verloren hat und eine Art Crash in Raten damit absolvierte. In einem solchen Fall ist ein Tiefschlag à la New York kaum noch mach-bar. Andererseits wissen Sie:

Den absoluten Tiefstkurs werden Sie nicht erwischen. Verfahren Sie deshalb so, wie in der letzten AB beschrieben: Mehrere Orders mit steigendem Umfang bei fallenden Kursen. Damit kommen Sie einigermaßen an die Tiefstkurse heran. Das sollten Sie schon heute in den Markt legen, gültig per Ultimo. Stellen Sie diese Limitspannen sehr weit. Tiefstkurse sind manchmal nur für fünf Minuten gültig, und in diesem Fall muß Ihre Order im Markt liegen. Hintergrund:

Märkte, die nach unten überziehen, sind genau so zu sehen wie Märkte, die es nach oben tun. Denken Sie an Januar/Februar 2000, als es in die Gegenrichtung ging und sich alle für Millionäre hielten. Das Spiel war am 10. März vorbei. Jetzt erleben Sie das Spiegelbild nach unten. Ich halte das für sehr gesund, wenn auch wahnsinnig nervenbelastend. Bitte erinnern Sie sich zurück, was Sie damals möglicherweise falsch gemacht haben, um es jetzt richtig zu machen.

Eine Anmerkung zu WORLDCOM: Bilanztricks dieser Art hat es immer gegeben. Gewinnschönung durch Aktivierung von Ausgaben für Reparaturen sind ein probates Mittel dieser Art. Ich könnte Ihnen zwei oder drei Fälle in Deutschland nennen, die sich mit dieser Methode fast 20 Jahre lang über die Runden gerettet haben. Am En-de waren sie allerdings pleite. Das funktioniert auch nach deutschem Bilanzrecht.

Zu den Hedge Funds: Sie spielen im Moment auf der richtigen Seite. Ich werde Ihnen morgen an dieser Stelle berichten, wie die Arbeitsmethoden aussehen. Das kann ich in der AB wegen des Umfanges nicht tun. Aber für Sie ist es gleichwohl interessant. Das spielt jetzt eine Rolle im Dollarkurs.

Die akute Schwäche geht mir zu weit. Sie ist aber Folge mehrerer sogenannter Trendfolgesysteme, die in diesem hochliquiden Markt mit sehr großen Beträgen von weit über 10 Mrd $ gespielt werden können, teils bei Kasse, teils bei Termin. Mit Hintergründen wie Leistungsbilanz oder Vertrauensverlust etc. hat das nichts zu tun. Während ich diktiere, schaue ich auf den Schirm einiger dieser Systeme, die ich ken-ne, und kann das gut nachvollziehen. Auch dazu morgen mehr.

Schlußbemerkung für heute: Ein schwacher Anfang oder ein schwacher Verlauf und ein positives Ende wären das Ideal, um in die Startlöcher zu gehen. Indes: Sollten Sie den heutigen Tag ohne Handlung überstehen, ist nichts verloren. Wenn es eine Rally gibt, hält diese längere Zeit, und dann haben Sie auch noch am Montag Zeit zu disponieren.

Herzlichst Ihr

Hans A. Bernecker
 




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