Chef der US-Notenbank steuert die Weltwirtschaft auf einen riskanten Kurs
Greenspan ist kein Heiliger mehr
Von TORSTEN RIECKE
Heute ist wieder Greenspan-Tag. Wenn der Chef der US-Notenbank Fed vor den amerikanischen Parlamentariern seine Halbjahresbilanz vorlegt, ist ihm die Aufmerksamkeit der Finanzwelt rund um den Globus sicher.
Mehr als fünf Prozent der weltweit produzierten Güter und Dienstleistungen werden von den USA importiert. Ob die Schwellenländer in Lateinamerika, die Tigerstaaten in Asien oder der Exportweltmeister Deutschland – das wirtschaftliche Schicksal der Welt wird zum großen Teil von den USA bestimmt. Wer daran zweifelt, muss sich nur die Wirtschaftsnachrichten der vergangenen zwei Wochen vor Augen führen: Argentinien und Mexiko verlieren das Vertrauen der Märkte, Singapur in der Rezession und Deutschland kurz davor. Die Flaute in den USA hat den wirtschaftlichen Puls in vielen Ländern fast zum Stillstand gebracht.
Hat die US-Wirtschaft das Schlimmste überstanden und senkt die Fed noch einmal die Zinsen? Auf diese Fragen erwarten Politiker, Unternehmensführer und Finanzmanager von Alan Greenspan Antworten. Ihm, der die USA in einen zehn Jahre dauernden Boom geführt hat, vertrauen sie. Und der jetzt 75-jährige Magier unter den Notenbankern wird sein Publikum nicht enttäuschen.
In der ihm eigenen prosaischen Sprache wird Greenspan den Gebeutelten und Verzagten auf Börsenplätzen, in Hauptstädten und Konzernzentralen Mut machen. Das ist Teil seines Jobs, eine Rezession in den USA und damit eine globale Talfahrt zu verhindern. Greenspan weiß nur zu gut, das sein Zauber nur wirken kann, wenn die wirtschaftliche Stimmung nicht kippt.
Der Fed-Chef hat sich deshalb nicht allein auf die sechs Zinssenkungen in diesem Jahr um insgesamt 275 Basispunkte verlassen. Immer wieder hat Greenspan betont, dass die US-Wirtschaft dank Internet und Hochtechnologie einen Paradigmenwechsel zu einer New Economy vollzogen hat. Das Hauptmerkmal dieses Wirtschaftswunderlandes ist ein dauerhafter Produktivitätsschub. Zwischen 1973 und 1994 ist die Arbeitsproduktivität jährlich um etwa 1,4 Prozent gestiegen. Seit 1995 hat sich das Wachstum auf Grund der technologischen Entwicklung auf 2,8 Prozent verdoppelt. Sollte dieser Trend anhalten, bedeutet das: geringere Inflation, steigende Einkommen und Gewinne sowie ein höheres Wirtschaftswachstum.
Greenspan glaubt an dieses Szenario und sieht sich selbst als Mentor des Übergangs. Eine tiefe Rezession könnte seinen Traum zerstören und sein Vermächtnis beschädigen.
Die Chancen, dass der mächtigste Notenbanker der Welt sein Ziel erreicht, stehen nicht schlecht. Die meisten Indikatoren in den USA weisen seit ein paar Wochen auf eine langsame wirtschaftliche Erholung in der zweiten Jahreshälfte hin. Nach einer Umfrage unter 50 US-Ökonomen rechnet die Mehrheit in diesem Jahr mit einem Wachstum von 1,8 Prozent und in 2002 mit einem Plus von mehr als drei Prozent. Das Gespenst der Rezession scheint also verjagt. Das Restrisiko will Greenspan notfalls mit einer weiteren Zinssenkung im August eliminieren.
Kann die Welt also aufatmen? Ist die New Economy mit einem blauen Auge davongekommen?
Eine wachsende Zahl von Ökonomen in den USA ist anderer Meinung. Für sie hat die aggressive Geldpolitik Greenspans ein verhängnisvolles Strohfeuer erzeugt, dass ebenso schnell erlischt wie es angezündet wurde. Stephen Roach, Chefökonom der Investmentbank Morgan Stanley, wirft Greenspan vor, durch seine Euphorie für die New Economy erst Konsumenten, Unternehmen und Investoren zu übertriebenen Ausgaben und Investitionen verleitet und später die Überreaktionen nicht rechtzeitig bekämpft zu haben. Greenspan sei so Teil des Problems der US-Wirtschaft geworden.
Adam Posen vom Institute for International Economics sieht in der aktivistischen Geldpolitik der Fed den untauglichen Versuch, die Wirtschaft mit Hilfe einer kurzfristigen Feinsteuerung um die Klippen zu lenken. Gerade in einer Krise, die nicht durch Zinserhöhungen, sondern durch Überinvestitionen ausgelöst worden sei, wäre es klüger, stärker auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft zu vertrauen. Posen befürchtet, dass die Zinssenkungen in 2002 einen Mini-Boom erzeugen, dessen inflationäre Auswirkungen dann durch Zinserhöhungen in 2003 bekämpft werden müssten.
Einig sind sich die meisten Kritiker in ihrer Skepsis gegenüber der New Economy. Der Investitionsboom der vergangenen Jahre, so ihre Befürchtung, habe nicht den von Greenspan erhofften Produktivitätsschub gebracht. Die überfüllten Läger und Überkapazitäten deuteten vielmehr darauf hin, dass Dinge produziert wurden, die niemand haben wolle oder benötige.
Bewahrheitet sich das, würde Greenspan nicht als Vater der New Economy, sondern als Zauberlehrling der Old Economy in die Geschichtsbücher eingehen.
HANDELSBLATT, Mittwoch, 18. Juli 2001
Greenspan ist kein Heiliger mehr
Von TORSTEN RIECKE
Heute ist wieder Greenspan-Tag. Wenn der Chef der US-Notenbank Fed vor den amerikanischen Parlamentariern seine Halbjahresbilanz vorlegt, ist ihm die Aufmerksamkeit der Finanzwelt rund um den Globus sicher.
Mehr als fünf Prozent der weltweit produzierten Güter und Dienstleistungen werden von den USA importiert. Ob die Schwellenländer in Lateinamerika, die Tigerstaaten in Asien oder der Exportweltmeister Deutschland – das wirtschaftliche Schicksal der Welt wird zum großen Teil von den USA bestimmt. Wer daran zweifelt, muss sich nur die Wirtschaftsnachrichten der vergangenen zwei Wochen vor Augen führen: Argentinien und Mexiko verlieren das Vertrauen der Märkte, Singapur in der Rezession und Deutschland kurz davor. Die Flaute in den USA hat den wirtschaftlichen Puls in vielen Ländern fast zum Stillstand gebracht.
Hat die US-Wirtschaft das Schlimmste überstanden und senkt die Fed noch einmal die Zinsen? Auf diese Fragen erwarten Politiker, Unternehmensführer und Finanzmanager von Alan Greenspan Antworten. Ihm, der die USA in einen zehn Jahre dauernden Boom geführt hat, vertrauen sie. Und der jetzt 75-jährige Magier unter den Notenbankern wird sein Publikum nicht enttäuschen.
In der ihm eigenen prosaischen Sprache wird Greenspan den Gebeutelten und Verzagten auf Börsenplätzen, in Hauptstädten und Konzernzentralen Mut machen. Das ist Teil seines Jobs, eine Rezession in den USA und damit eine globale Talfahrt zu verhindern. Greenspan weiß nur zu gut, das sein Zauber nur wirken kann, wenn die wirtschaftliche Stimmung nicht kippt.
Der Fed-Chef hat sich deshalb nicht allein auf die sechs Zinssenkungen in diesem Jahr um insgesamt 275 Basispunkte verlassen. Immer wieder hat Greenspan betont, dass die US-Wirtschaft dank Internet und Hochtechnologie einen Paradigmenwechsel zu einer New Economy vollzogen hat. Das Hauptmerkmal dieses Wirtschaftswunderlandes ist ein dauerhafter Produktivitätsschub. Zwischen 1973 und 1994 ist die Arbeitsproduktivität jährlich um etwa 1,4 Prozent gestiegen. Seit 1995 hat sich das Wachstum auf Grund der technologischen Entwicklung auf 2,8 Prozent verdoppelt. Sollte dieser Trend anhalten, bedeutet das: geringere Inflation, steigende Einkommen und Gewinne sowie ein höheres Wirtschaftswachstum.
Greenspan glaubt an dieses Szenario und sieht sich selbst als Mentor des Übergangs. Eine tiefe Rezession könnte seinen Traum zerstören und sein Vermächtnis beschädigen.
Die Chancen, dass der mächtigste Notenbanker der Welt sein Ziel erreicht, stehen nicht schlecht. Die meisten Indikatoren in den USA weisen seit ein paar Wochen auf eine langsame wirtschaftliche Erholung in der zweiten Jahreshälfte hin. Nach einer Umfrage unter 50 US-Ökonomen rechnet die Mehrheit in diesem Jahr mit einem Wachstum von 1,8 Prozent und in 2002 mit einem Plus von mehr als drei Prozent. Das Gespenst der Rezession scheint also verjagt. Das Restrisiko will Greenspan notfalls mit einer weiteren Zinssenkung im August eliminieren.
Kann die Welt also aufatmen? Ist die New Economy mit einem blauen Auge davongekommen?
Eine wachsende Zahl von Ökonomen in den USA ist anderer Meinung. Für sie hat die aggressive Geldpolitik Greenspans ein verhängnisvolles Strohfeuer erzeugt, dass ebenso schnell erlischt wie es angezündet wurde. Stephen Roach, Chefökonom der Investmentbank Morgan Stanley, wirft Greenspan vor, durch seine Euphorie für die New Economy erst Konsumenten, Unternehmen und Investoren zu übertriebenen Ausgaben und Investitionen verleitet und später die Überreaktionen nicht rechtzeitig bekämpft zu haben. Greenspan sei so Teil des Problems der US-Wirtschaft geworden.
Adam Posen vom Institute for International Economics sieht in der aktivistischen Geldpolitik der Fed den untauglichen Versuch, die Wirtschaft mit Hilfe einer kurzfristigen Feinsteuerung um die Klippen zu lenken. Gerade in einer Krise, die nicht durch Zinserhöhungen, sondern durch Überinvestitionen ausgelöst worden sei, wäre es klüger, stärker auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft zu vertrauen. Posen befürchtet, dass die Zinssenkungen in 2002 einen Mini-Boom erzeugen, dessen inflationäre Auswirkungen dann durch Zinserhöhungen in 2003 bekämpft werden müssten.
Einig sind sich die meisten Kritiker in ihrer Skepsis gegenüber der New Economy. Der Investitionsboom der vergangenen Jahre, so ihre Befürchtung, habe nicht den von Greenspan erhofften Produktivitätsschub gebracht. Die überfüllten Läger und Überkapazitäten deuteten vielmehr darauf hin, dass Dinge produziert wurden, die niemand haben wolle oder benötige.
Bewahrheitet sich das, würde Greenspan nicht als Vater der New Economy, sondern als Zauberlehrling der Old Economy in die Geschichtsbücher eingehen.
HANDELSBLATT, Mittwoch, 18. Juli 2001