Gamma-Strahlung kann Milzbranderreger abtöten  

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Gamma-Strahlung kann Milzbranderreger abtöten  

 
17.10.01 22:12
Der US-Impfstoff hat aber zu starke Nebenwirkungen für eine zivile Nutzung. Milzbrand-Epidemie bei Rindern in Kansas

Per Kabinettsbeschluss war das Berliner Robert-Koch-Institut (RKI) vergangene Woche zur zentralen Informationsstelle für biologische Waffen ausgerufen worden. Dessen Präsident Reinhard Kurth hat seitdem alle Hände voll damit zu tun, einen Schwall besorgter Anfragen von Politikern und Journalisten zu beantworten.
Wie die Jungfrau zum Kind sei sein Institut zu der neuen Aufgabe gekommen, bekennt der Professor der Infektionsbiologie freimütig. "Früher hätte ich das Wort Bioterrorismus nicht einmal in den Mund genommen. Doch wir haben unsere politische Unschuld verloren. Man weiß jetzt, dass es das wirklich gibt."
Am kommenden Montag wollen Experten des RKI die Bundesministerien darüber informieren, wie in den Poststellen am besten mit Briefen umgegangen werden sollte, die im Verdacht stehen, Krankheitserreger zu enthalten. Das weiße Pulver, das in dieser Woche in einem an das Bundeskanzleramt gerichteten Brief gefunden worden war, enthielt jedenfalls definitiv keine Milzbranderreger, bestätigt Professor Reinhard Kurth.
"Die Verbreitung von Krankheitserregern per Brief ist noch die kleinste Gefahr", weiß der RKI-Chef. Sein Institut hat schließlich eine ganze Reihe möglicher Szenarien entwickelt, wie ein Angriff mit biologischen Waffen aussehen könnte. Diese Szenarien sind aus verständlichen Gründen streng geheim. Schließlich will man weder Terroristen noch Trittbrettfahrer in ihrer Fantasie unterstützen. Und in der Bevölkerung gilt es schließlich Panik zu vermeiden.

Doch Kurth lässt durchblicken, dass es sich bei diesen Horrorvisionen um ein überaus stark verzweigtes Netzwerk von Möglichkeiten handelt. Schließlich kommen mindestens zwölf verschiedene Erregertypen, die so genannten dirty dozen, infrage. Und die lassen sich auf die verschiedensten Weisen verbreiten und freisetzen - eben nicht nur per Brief. "Wir haben ein diffuses, erhöhtes Gefährdungspotenzial", beschreibt Kurth die aktuelle Lage, "wir sind aber auch nicht gefährdeter als unsere Nachbarländer." In den nächsten Tagen und Wochen sei gleichwohl "mit einigen Entscheidungen zu rechnen", so Kurth.
Kanzleramtsberater Oliver Thränert vom Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit warnt in diesem Zusammenhang vor jeder Form der Panikmache und versucht zu relativieren: "Krankheitserreger sind noch keine biologischen Waffen. Kriminelle und Terroristen können mit ihnen nur begrenzt Schaden anrichten." Dennoch gesteht er ein, dass durch die Anschläge mit Milzbrandbakterien in den USA "eine neue Lage aus dem Nichts" entstanden sei.
Thränert sieht indes nicht Osama Bin Laden als den Urheber der Milzbrandbriefe an. "Das passt nicht zu seiner Handschrift", meint der Politikexperte. Vielmehr vermutet er Rechtsradikale in den USA hinter den Briefattentaten. Ein Indiz dafür sei, dass schon Anfang der neunziger Jahre ein Rechtsradikaler versucht habe, Pesterreger zu beschaffen.
Die jetzt in den Briefen gefundenen Milzbranderreger gehören alle, wie aufwendige Analysen inzwischen zweifelsfrei belegt haben, zum gleichen Stamm. Mit ihm war in den fünfziger Jahren in einem US-Forschungslabor gearbeitet worden. Bis Anfang der neunziger Jahre, so erläutert Kurth, habe man Bakterienproben zwischen Forschungsinstituten ohne weitere Kontrollmaßnahmen "auf kollegialem Wege" ausgetauscht. Daher könne heute nicht mehr rekonstruiert werden, wie die jetzt verschickten Erreger schließlich in die falschen Hände geraten konnten. Seit etwa zehn Jahren sei jedoch die eindeutige Indentifizierung und Registrierung von Empfängern biologischer Agenzien Standard. Im Falle von Milzbrand benötigen Terroristen indes gar nicht den Lieferservice eines Biolabors. "Für jeden halbwegs ausgebildeten Mikrobiologen ist der Zugang zu Milzbranderregern leicht", weiß Professor Reinhard Kurth. Schließlich kommen Milzbrandbakterien überall im Erdreich vor. Je wärmer das Klima ist, desto mehr Erreger tummeln sich in den Böden.
"Die lassen sich leicht aus dem Erdboden züchten", bestätigt Thränert. In Kansas wütet derweil unter Rindern eine natürliche Milzbrandepidemie. Bereits 35 Farmen wurden unter Quarantäne gestellt. Würden Menschen das Fleisch dieser Tiere roh essen, so Kurth, könnte man mit dem Auftreten von Darmmilzbrand rechnen.
Die große Stabilität der Milzbrandbakterien, deren Sporen problemlos Jahrzehnte überdauern können, sowie die unweigerliche Todesfolge bei einer unbehandelten Infektion der Lunge, hatten die Biowaffenentwickler in der früheren Sowjetunion davon überzeugt, dass es sich hier um einen idealen biologischen Kampfstoff handelt.
Wie der später in die USA übergelaufene sowjetische Biowaffenexperte Ken Alibek enthüllte, wurden Milzbranderreger in der Sowjetunion im Tonnenmaßstab produziert. Was mit den großen Mengen des Tod bringenden, weißen Pulvers geschehen ist, ist unklar. Gewiss ist nur, dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine stattliche Zahl von Biowaffenexperten das Land auf der Suche nach neuen Arbeitgebern verlassen hat - vielleicht sogar mit Proben von Erregern, auf jeden Fall aber mit dem Know-how ihrer Produktion und Verbreitung.
Die Warnungen Alibeks - und vielleicht auch die Visionen einiger erschreckender Bio-fiction-Romane - hatten dann in den neunziger Jahren die USA bewogen, einen Milzbrandimpfstoff zu entwickeln. Obwohl dieser schwere Nebenwirkungen besitzt, werden damit seit einigen Jahren amerikanische Soldaten geimpft. Für deutsche Soldaten steht indes bis heute kein Impfschutz gegen Milzbrand zur Verfügung.
"Auf Grund seiner erheblichen Nebenwirkungen hätte dieser Impfstoff niemals eine Chance, für die Zivilbevölkerung zugelassen zu werden", erklärt Kurth. Doch neue, besser verträgliche und auch wirksamere Impfstoffe gegen Milzbrand seien in der Entwicklung: "Es gibt da mehrere Kochrezepte."
Auch die Gentechnik könnte im Kampf gegen die Milzbranderreger eine wichtige Rolle spielen. Ihr Genom steht kurz vor der Entschlüsselung. Von dem so gewonnenen Wissen könnte die Erforschung neuer Impfstoffe entscheidend profitieren. Auf der anderen Seite, so Kurth, werde die Gefahrenlage aber auch durch die Gentechnik "deutlich verschärft". Mit ihrer Hilfe ließen sich schließlich noch perfidere Killer im Labor konstruieren. "Manchmal denke ich nachts im Bett darüber nach, welch hoch pathogene Erreger sich da möglicherweise erzeugen lassen könnten." Und um gegen diese - wiederum mit Hilfe der Gentechnik - einen wirksamen Impfstoff zu entwickeln, würde man dann bis zu fünf Jahrzehnte benötigen. Der zu allem entschlossene Angreifer scheint also im Zeitalter der Biowaffen im Vorteil zu sein.
"Wir hatten das Gebiet der Biowaffen in Deutschland aus den Augen verloren", gesteht Kurth ein und stellt fest, dass der Zivilschutz nach dem Ende des kalten Krieges hier zu Lande "fast gegen Null" gefahren worden ist. Bereits im Mai 2000 hatte indes Ken Alibek in einem Interview mit der WELT eindringlich gewarnt: "Einige Regierungen in Europa verhalten sich wie kleine Kinder. Sie denken gar nicht daran, dass wir durch biologische Waffen bedroht sind." Damals wollte ihm hier zu Lande noch kaum jemand so recht glauben. Das hat sich jetzt geändert.
"Es geht nun um den Schutz der Bevölkerung, und wir werden in verschiedenen Gremien tätig", betont Kurth. "Wir müssen den Zivilschutz verbessern und effektiver machen", fordert Thränert. Zumindest für die Problematik der mit Briefen verschickten Erreger scheint eine technische Lösung in Sicht zu sein. Milzbranderreger und deren Sporen, aber auch andere Krankheitserreger, lassen sich nämlich durch intensive Gammastrahlung abtöten, bestätigt Kurth.
Würde man also verdächtige Briefe - oder vorsichtshalber vielleicht sogar alle - mit diesen hochenergetischen Wellen aus einer Strahlenkanone bestrahlen - wie dies schon heute mit Gewürzen geschieht, um sie von Bakterien zu befreien - wäre die Gefahr im Prinzip gebannt. Doch wer weiß, was sich Terroristenhirne dann ausdenken würden.

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