FIAT: Tradition verkauft keine Autos

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FIAT: Tradition verkauft keine Autos

 
13.06.02 06:13
Nur wenn der Fiat-Konzern zerschlagen wird, kann Fiat überleben

Es ist noch gar nicht so lange her, da entschied sich zwischen Bozen und Bari jeder zweite Autokäufer für einen Fiat, Alfa Romeo oder Lancia - für ein Produkt des Fiat-Konzerns. Diese Zeiten sind vorbei. Mit weniger als einem Drittel Marktanteil in Italien sind die Marken des Turiner Konzerns auf ihrem tiefsten Stand angelangt, auch auf ihren wichtigsten Exportmärkten verlieren die Italiener dramatisch an Boden. Fiat steckt tief in der Krise. Der große Hoffnungsträger, der Golf-Konkurrent Stilo, floppt. Ein hoher Schuldenberg drückt, das laufende Geschäft bringt steigende Verluste.
Nachdem erst vor wenigen Monaten der Chef der Autosparte gehen musste, hat jetzt auch Konzernchef Paolo Cantarella das Unternehmen verlassen. Er macht den Weg frei für die bitter nötige Neuordnung.

Fiat, vor mehr als hundert Jahren als Automobilfabrik in Turin gegründet, ist längst ein unüberschaubares Konglomerat geworden. Die Tochterfirmen stellen Lastwagen, Busse, Land- und Baumaschinen her, aber auch Zündkerzen und ganze Industrieanlagen. Sie verkaufen Versicherungen, geben Zeitungen heraus und haben sich in der Energiebranche engagiert. Das Autogeschäft - mit Ausnahme von Ferrari in der Sparte Fiat Auto gebündelt - erwirtschaftet nur noch gut 40 Prozent des Umsatzes, sorgt aber für den weitaus größten Teil der Verluste. Das geht auch nicht spurlos am Agnelli-Clan vorbei. Der hat bei Fiat noch immer das Sagen, obwohl er nur gut 30 Prozent des Aktienkapitals hält. Clan-Chef Giovanni Agnelli, der bislang den Verkauf der angestammten Autosparte immer ausschloss, ist 81 Jahre alt und schwer krank.

Das Undenkbare scheint jetzt möglich. Denn um das Familienerbe zu retten, muss sich der Clan zu klaren Entscheidungen durchringen: Entweder muss ein Großteil der Nicht-Auto-Beteiligungen versilbert werden, um Fiat Auto grundlegend zu sanieren und den Schuldenberg abzubauen. Oder aber das Autogeschäft selbst muss geopfert werden. Beide Optionen haben schwerwiegende Folgen.

Dass das angestammte Geschäft mit Autos zur großen Belastung wurde, hat hausgemachte Gründe. Zwar liegt die europäische Autokonjunktur derzeit danieder, aber vergleichbare Autohersteller wie PSA (Peugeot/Citro‰n) oder Renault legen gegen den Trend zu. Die Marktflaute macht die Versäumnisse bei Fiat nur deutlicher: Es fehlt, abgesehen von Alfa Romeo, an der Profilierung der Marken; Qualität und Effizienz der Produktion sind vielfach nicht auf Branchenstandard. Die Kapazitäten wurden nicht früh genug der realen Nachfrage angepasst. Das Wichtigste aber: Fiat fehlt es an zugkräftigen Modellen.

Die Italiener haben den jahrelangen Branchenboom nicht genutzt, um diese Defizite zu beseitigen. Wie wichtig die Profilierung der Marken und attraktive Modelle sind, demonstriert die Konkurrenz direkt vor Fiats Haustür. Ausgerechnet im Stammland von Cinquecento und Panda ist der Smart zum Kultauto avanciert. Wer in Rom und Mailand auf sich hält, fährt mit dem Winzling aus dem Hause DaimlerChrysler beim Ristorante vor.

Und wem zwei Sitze zu wenig sind, der tauscht seinen Fiat oder Lancia immer öfter gegen einen Peugeot, Renault, VW oder Toyota. Wer wirklich aufs Geld schauen muss, nimmt sich einen kleinen Koreaner, so wie die feinen Herrschaften sich lieber im Mercedes oder BMW zeigen. Lediglich Alfa Romeo macht - dank seines unverwüstlichen Images und eines geglückten Designs - bei den Sportlimousinen eine positive Ausnahme.

Die Fiat-Oberen haben diese Probleme durchaus erkannt. Bereits Anfang 2000 holten sie sich den weltgrößten Autohersteller General Motors (GM) als Partner ins Haus. GM übernahm 20 Prozent von Fiat Auto, die Italiener erhielten im Gegenzug gut 5 Prozent der GM-Aktien. Der Einkauf der europäischen GM-Tochter Opel wurde mit Fiat zusammengelegt, die Motoren- und Getriebefertigung in eine gemeinsame Gesellschaft eingebracht. Diese Kooperation eröffnet - theoretisch - riesige Einsparpotenziale. Doch nach leicht realisierbaren Anfangserfolgen - etwa durch den Abgleich von Einkaufspreisen - kommt jetzt der schwierige Teil. Die Fusion von Daimler und Chrysler hat dies offenkundig gemacht. Wirkliche Ersparnis eröffnet die Entwicklung gemeinsamer Plattformen, also des technischen Grundgerüstes für ein Fahrzeug. Gemeinsame Projekte wurde zwar bereits angepackt, doch angesichts der Entwicklungszeiten für neue Modelle werden die daraus folgenden Produkte frühestens in drei, vier Jahren auf den Markt kommen.

In der Partnerschaftsvereinbarung aus dem Jahre 2000 wurde festgelegt, dass Fiat ab 2004 das Recht hat, GM auch die restlichen Anteile von Fiat Auto anzudienen. Angesichts der verschärften Krise erscheint es allerdings sinnvoll, diese "Put-Option" früher auszuüben.

Die Probleme wären damit freilich längst noch nicht gelöst. Opel arbeitet sich derzeit ebenfalls mühsam aus der Krise, und die Modellprogramme von Fiat und Opel überschneiden sich weitgehend. Der Fiat Stilo konkurriert direkt mit dem Opel Astra, der Punto mit dem Corsa. Hinzu kommt, dass GM vor kurzem die koreanische Marke Daewoo übernommen hat, die die Rolle des Lieferanten preiswerter Kleinwagen im GM-Konzern übernehmen soll. Richtig glücklich wären die GM-Strategen wohl nur über die sportliche Prestigemarke Alfa als Ergänzung zu Saab und Cadillac. Eine Flucht unter das GM-Dach hieße auf jeden Fall: Der Abbau von Kapazitäten und Arbeitsplätzen bei Fiat fiele wohl noch drastischer aus, als kürzlich vom neuen Fiat-Auto-Chef Giancarlo Boscetti angekündigt. Dennoch ist dies für das Überleben der Marke Fiat die langfristig sinnvollere und wahrscheinlichere Option.

Die Alternative - also der Verkauf anderer Konzernteile und der teilweise Börsengang der Tocher Ferrari - ist angesichts der desolaten Verfassung der Aktienmärkte wenig attraktiv. Zudem wäre eine mindestens zwei oder drei Jahre lange Durststrecke zu überwinden, bis neue Modelle eine Trendwende einleiten könnten. Wie schwierig der Erfolg kalkulierbar ist, macht der neue Stilo deutlich. Obwohl technisch mit allen Feinheiten dieser Klasse ausgestattet und bei Vergleichtests mit der Konkurrenz absolut ebenbürtig, sind die Kunden offenbar nicht in ausreichender Zahl bereit, für einen Fiat genauso viel Geld auszugeben wie für einen VW oder Peugeot.

Jedes Zögern im Hause Fiat würde das Image weiter schädigen. Egal, wie sich der Agnelli-Clan entscheidet: Jede Option muss schnell durchgezogen werden. Angesichts der knallharten Konkurrenz in der Branche könnten die Marken Fiat und Lancia sonst nur noch für Tradition ohne Zukunft stehen.

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