EZB lässt Leitzinsen unverändert
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Leitzinsen in der Euro-Zone erwartungsgemäß unverändert gelassen und zugleich ihre Handlungsbereitschaft angesichts möglicher Folgen der Terroranschläge in den USA bekräftigt. Die Notenbank erklärte am Donnerstag in Frankfurt, die Anschläge beeinträchtigten die fundamentale Stärke der US-Wirtschaft nicht. "Der EZB-Rat wird die weitere Entwicklung der US- und der Weltwirtschaft aufmerksam beobachten." Analysten, die mehrheitlich trotz der an den Finanzmärkten herrschenden Unsicherheit nach den Anschlägen nicht mit einer Zinssenkung gerechnet hatten, zeigten sich von dem Zinsbeschluss nicht überrascht. Aus den Äußerungen von EZB-Präsident Wim Duisenberg am Mittwoch habe man nicht auf eine bevorstehende geldpolitischen Lockerung schließen können. Der für die Refinanzierung der Geschäftsbanken maßgebliche Mindestbietungssatz beim Zinstender betrage weiterhin 4,25 Prozent, teilte die EZB mit. Auch der Zinskorridor für den Geldmarkt blieb unverändert. Die Sätze dafür betragen weiterhin 3,25 Prozent für Übernachteinlagen der Banken bei der EZB (Einlagenfazilität) und 5,25 Prozent für Übernachtkredite (Spitzenrefinanzierungsfazilität). Die EZB hatte erst vor 14 Tagen die Leitzinsen zum zweiten Mal in diesem Jahr um 25 Basispunkte gesenkt. Der EZB-Rat brachte seine "tiefe Trauer über die beispiellosen und tragischen terroristischen Vorfälle" in den USA zum Ausdruck. Dadurch werde aber die fundamentale Stärke und Widerstandsfähigkeit der US-Wirtschaft nicht beeinträchtigt. Die EZB bekräftigte ihre Bereitschaft - wie bereits mit zwei Schnelltendern geschehen - durch ausreichende Liquidität ein normales Funktionieren der Finanzmärkte zu unterstützen. Die Zentralbank werde die Lage an den Märkten weiter beobachten und wenn nötig handeln. "Das Eurosystem koordiniert seine Aktivitäten mit dem Federal-Reserve-System der USA und anderen führenden Zentralbanken der Welt." Auch die US-Notenbank und die Bank of Japan hatten die Banken am Mittwoch mit zusätzlichen Finanzspritzen versorgt. Nach Auffassung von Volkswirten sind die Folgen der verheerenden Terroranschläge auf die USA vom 11. September für das Wirtschaftswachstum in den USA und der gesamten Welt noch nicht absehbar. Deshalb sei eine Zinssenkung der EZB sehr unwahrscheinlich gewesen. "Das wäre zu emotional gewesen", sagte Elwin de Groot von der Fortis Bank in Amsterdam. Für die Euro-Zone sei eine Zinssenkung jetzt auch nicht notwendig und käme angesichts des nur langsamen Inflationsrückgangs zu früh. Einige Wirtschaftsforscher hatten eine weltweite Rezession wegen der Anschläge nicht ausgeschlossen, andere rechnen zumindest mit längerem Anhalten der Konjunkturschwäche. Nach wir vor erwarten Experten, dass die EZB angesichts der schwachen Konjunktur und der rückläufigen Inflationsgefahr die Zinsen in diesem Jahr noch einmal reduzieren wird. An den Finanzmärkten waren Spekulationen aufgekommen, die wichtigsten Notenbanken könnten wegen des Schocks in den USA kurzfristig eine gemeinsame Zinssenkungsrunde beschließen. Manuela Preuschl von der Deutschen Bank geht davon aus, dass die EZB zunächst die Folgen der Terrorakte einzuschätzen versucht. "Die Erwartung ist nach wie vor, dass die Zinsen in diesem Jahr noch einmal gesenkt werden. Für genauere Aussagen ist die Situation im Moment noch zu unklar", sagte sie. Stephen Webster von 4Cast hält die Aussage der EZB, die US-Wirtschaft werde nicht beeinträchtigt, für zu optimistisch. Sollte die US-Notenbank schon in den kommenden Tagen die Zinsen senken, werde die EZB womöglich am 27. September nachziehen. Sonst rechnet er am 11. Oktober mit dem dritten Zinsschritt dieses Jahres. Auch Dirk Chlench von der Hypothekenbank in Essen, der mit weltweiten Zinssenkungen wegen der Anschläge rechnet, geht davon aus, dass die EZB eine Zinssenkung der Fed abwartet. EZB-Präsident Wim Duisenberg habe mit seinen Äußerungen am Mittwoch im Europäischen Parlament sehr deutlich gemacht, dass in dieser Woche keine Zinssenkung zu erwarten gewesen sei, sagten Analysten. Der EZB-Chef hatte wie bereits vor zwei Wochen das gegenwärtige Zinsniveau als angemessen zur Sicherung eines stabilen Preisniveaus auf mittlere Sicht bezeichnet und die Erwartung geäußert, die Inflation werde 2002 und 2003 im Schnitt unter der EZB-Toleranzgrenze von zwei Prozent liegen. Für ein Urteil über die Folgen der Anschläge sei es noch zu früh, hatte Duisenberg gesagt. "Ein schneller Schritt... hätte eher zu Panikreaktionen geführt als für Stabilität und Ruhe gesorgt." Der Euro reagierte auf den Zinsentscheid nicht merklich und notierte weiter bei Kursen um 0,9060 Dollar.