ich möchte hier mal zur Diskussion und Nachdenken anregen
unter dem Titel "EULENSPIEGEL" oder "wie alles begann"
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Kinder von heute - sie tun mir Leid
SCHULE Warum hat sich alles so verändert? Haben wir es übertrieben mit dem Besserhaben? Ein Vergleich von damals und heute.
Von Horst Schüler
Hamburg - Nein, so recht zufrieden ist Hardy nicht. Ein neues Handy hat er zwar bekommen, aber der gewünschte CD-Player lag nicht auf dem Geburtstagstisch. Und die Levis-Jeans auch nicht. Dafür aber ein Buch, irgendwas Geschichtliches. Puuh! Mal sehen, ob er wenigstens auf dem Flohmarkt ein paar Euro dafür rausschlagen kann. Ein Buch!
Hardy ist zwölf geworden. Und eigentlich tut er mir Leid in seiner Unzufriedenheit. Armes Kind. Arme Kinder, die so aufwachsen.
Gehen Ihnen diese Szenen auch nicht aus dem Sinn, die vor kurzem über den Fernsehschirm flimmerten? Tödlich gelangweilte Kinder in einer Hamburger Hauptschulklasse, am Pult ein völlig allein gelassener Lehrer, der seinen Unterrichtsstoff ins Leere predigt. Derweil die paar, die sich wenigstens zur Schule bemüht haben, mit allem beschäftigt sind, nur nicht mit Zuhören. Sind das wirklich Kinder, die sich da vor ihm flegeln?
Kann gar nicht ausbleiben, dass man unwillkürlich an die eigene Kindheit zurückdenkt. Wehmütig wird es einem ums Herz, weil wir zwar gemeinsam auf dieser Erde leben, die Enkel und die Großeltern, ein paar Jahrzehnte nur voneinander getrennt. Doch wills einem scheinen, es müssten tausend Jahre zwischen uns liegen, so unterschiedlich wachsen wir auf. Schlimmer: So fremd und verständnislos stehen wir uns oft gegenüber.
Zwölf, dreizehn Jahre alt - du lieber Himmel. Wir sind damals aufgestanden, wenn der Lehrer die Klasse betrat und wenn wir etwas gefragt wurden. Nicht mal im Traum wäre es jemandem eingefallen, dem Lehrer despektierlich zu kommen, ihn gar zu duzen. Und natürlich hütete sich jeder, zu spät zum Unterricht zu erscheinen. Zum Ende einer Pause verließen wir, Klasse für Klasse und zu zweit nebeneinander, den Schulhof. Und natürlich hatten wir in dieser Pause unser von "Muttern" geschmiertes Leberwurstbrot gegessen und nicht etwa einen Schokostreifen, gekauft in der Schulkantine. Die gab es nämlich gar nicht. Haschisch, Ecstasy, Kokain - Mensch, wir kannten nicht mal diese Namen.
Kommt da jemandem der Verdacht, ich wollte einer Erziehung zum Kadavergehorsam das Wort reden? Unsinn, blanker Unsinn. Wir sind doch gerade erst in das Leben gestellt worden, junge ungebärdige Fohlen, irgendwie mussten wir doch lernen, mit diesem Leben umzugehen. Das wird uns Menschen doch nicht in die Wiege gelegt: Anstand, Pflichten zu erfüllen, einer alten Dame im Bus den Platz anzubieten, der Mutter in den Mantel zu helfen, dem Gleichaltrigen nichts wegzunehmen, "Bitte" und "Danke" zu sagen, einen behinderten Menschen über die Straße zu geleiten, zu wissen, dass man nicht alles haben kann, was man gern hätte, dass erst die Arbeit kommt und dann das Vergnügen, und dass man Schulden so fürchten sollte wie der Teufel das Weihwasser.
Arme Kinder, die das alles oft nicht mehr lernen. Von wem denn auch? Muss nicht in vielen Familien die Mutter mitarbeiten, weil sonst das Geld vorn und hinten nicht reicht? Manchmal auch nur, um den Zweitwagen zu finanzieren? Oder weil sie überhaupt allein steht mit ihrem Kind, von dessen Vater im Stich gelassen? Schaut doch nur die Vorbilder aus der Schickimicki-Szene an, denen Kinder nachstreben. Und hat nicht sogar ein bekannter Politiker mal zynisch gesagt, dies alles seien Werte, mit denen man auch ein KZ führen könne?
Leid müssen sie uns tun, diese Kinder. Eingekreist von fragwürdigen Idolen, von Markenkleidung, Handys, Hip-Hop und allen möglichen anderen Bewegungen. Im Ziel einer Werbemaschinerie, die ihnen vorgaukelt, alles könnten sie erwerben, notfalls auf Kredit. Wohlstandskinder? Ach was, verführte Kinder.
Lassen wir die politischen Verhältnisse mal beiseite, vergleichen wir nur Kindheit mit Kindheit: Waren wir da nicht besser dran, damals? Sicher, die gebratenen Tauben flogen uns nicht in den Mund, aber Kind sein durften wir. Ganz einfach Kind. Wir bauten uns Höhlen, spielten "Ankriegezeck" (Fangen), Trapper und Indianer. Wir peitschten einen billigen Triesel auf der Straße, jagten mit einem Reifen um die Wette oder tauschten Murmeln. Zum Geburtstag bekamen wir einen Stabilbaukasten oder ein neues Kleid, zu Weihnachten eine Burg, einen Puppenwagen und "Auerbachs Kinderkalender".
Wir gingen für die Mutter einholen und mussten Schularbeiten machen, bevor sie uns nach draußen ließ. Wir bettelten um dreißig Pfennige für die Kindervorstellung im Kino, unsere Helden hießen Tom Mix, Winnetou und Old Shatterhand. Nach der Konfirmation begannen wir so langsam das andere Geschlecht zu entdecken, dann "gingen" wir zusammen, wie es hieß. Die ganz Kühnen sogar Hand in Hand, aber sehen durfte es niemand. Und als Lehrling war es selbstverständlich, für die Gesellen einzukaufen und nach Feierabend den Arbeitsraum zu säubern. Für all die Mühe gab es im ersten Lehrjahr drei, im zweiten vier und im dritten fünf Mark die Woche.
Richtig: Wenn es um das ging, was wir heute Konsum nennen, dann waren wir schlecht dran. Wer ein Fahrrad mit Ballonreifen fuhr, der wurde schon beneidet. Große Reisen in den Ferien, ins Ausland etwa? Vergesst es! Wie denn, wenn Vater man eben fünfzig, sechzig Mark wöchentlich nach Hause brachte, Sparen also selbstverständlich war.
Es gibt Bilder, die sich einem in die Seele einbrennen, unauslöschlich. Etwa dieser kleine, weiße Kindersarg, in dem mein verstorbener Bruder lag und den die Eltern gemeinsam in einem Bollerwagen zum Friedhof zogen, weil sonst die Beerdigungskosten zu hoch gewesen wären.
Dennoch möchte ich meine Kindheit nicht tauschen mit der heutigen. Und manchmal, in den stillen Minuten, wenn man ins Grübeln kommt und sich fragt: Warum musste das alles so kommen? Warum hat sich das alles so verändert, die Kindheit, die Jugend, die Wertvorstellungen, mit denen man "groß" wird? Müssen wir Alten uns dann nicht einen Packen eigener Schuld an dieser Entwicklung eingestehen? Wir waren es doch schließlich, die nach diesem verfluchten Krieg meinten, unsere Kinder sollten es einmal besser haben als wir?
Haben wir es dann aber nicht gewaltig übertrieben mit dem "Besserhaben"? War doch eigentlich zwangsläufig, dass uns das plötzlich überrollte, ganz so, als hätte man bei einem abschüssig fahrenden Wagen die Bremsen entfernt. Antiautoritäre Erziehung, das Gefasel vom Leistungsdruck, vor dem man Kinder bewahren müsse. Disziplin ein Unwort, Lehrer, denen jeder Respekt von Amts wegen entzogen wurde, Eltern und Schule, die sich gegenseitig die Schuld an mangelnder Erziehung gaben.
Ja, und jetzt jammern wir. Trauern einem Bildungsstand nach, für den Deutschland einmal berühmt war. Schimpfen über Kinder, die sich aus Büchern nichts mehr machen, von Lehrern sich nichts sagen lassen, die in dem Irrglauben aufwachsen, das ganze Leben sei ein einziger Spaß, um sich in Drogen zu flüchten, wenn sie am Abgrund dieser Spaßgesellschaft stehen.
Ab und zu wird im Fernsehen der Film "Die Feuerzangenbowle" gezeigt. Diese prächtige Schulgeschichte von "anno dunnemal", mit einem großartigen Heinz Rühmann in der Hauptrolle. Beobachten Sie mal Ihre Kinder, wie toll sie diesen Film finden, wie sie sich unbewusst sehnen nach solcher Schule, nach solcher Jugend. Arme Kinder.
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gruss julius
unter dem Titel "EULENSPIEGEL" oder "wie alles begann"
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Kinder von heute - sie tun mir Leid
SCHULE Warum hat sich alles so verändert? Haben wir es übertrieben mit dem Besserhaben? Ein Vergleich von damals und heute.
Von Horst Schüler
Hamburg - Nein, so recht zufrieden ist Hardy nicht. Ein neues Handy hat er zwar bekommen, aber der gewünschte CD-Player lag nicht auf dem Geburtstagstisch. Und die Levis-Jeans auch nicht. Dafür aber ein Buch, irgendwas Geschichtliches. Puuh! Mal sehen, ob er wenigstens auf dem Flohmarkt ein paar Euro dafür rausschlagen kann. Ein Buch!
Hardy ist zwölf geworden. Und eigentlich tut er mir Leid in seiner Unzufriedenheit. Armes Kind. Arme Kinder, die so aufwachsen.
Gehen Ihnen diese Szenen auch nicht aus dem Sinn, die vor kurzem über den Fernsehschirm flimmerten? Tödlich gelangweilte Kinder in einer Hamburger Hauptschulklasse, am Pult ein völlig allein gelassener Lehrer, der seinen Unterrichtsstoff ins Leere predigt. Derweil die paar, die sich wenigstens zur Schule bemüht haben, mit allem beschäftigt sind, nur nicht mit Zuhören. Sind das wirklich Kinder, die sich da vor ihm flegeln?
Kann gar nicht ausbleiben, dass man unwillkürlich an die eigene Kindheit zurückdenkt. Wehmütig wird es einem ums Herz, weil wir zwar gemeinsam auf dieser Erde leben, die Enkel und die Großeltern, ein paar Jahrzehnte nur voneinander getrennt. Doch wills einem scheinen, es müssten tausend Jahre zwischen uns liegen, so unterschiedlich wachsen wir auf. Schlimmer: So fremd und verständnislos stehen wir uns oft gegenüber.
Zwölf, dreizehn Jahre alt - du lieber Himmel. Wir sind damals aufgestanden, wenn der Lehrer die Klasse betrat und wenn wir etwas gefragt wurden. Nicht mal im Traum wäre es jemandem eingefallen, dem Lehrer despektierlich zu kommen, ihn gar zu duzen. Und natürlich hütete sich jeder, zu spät zum Unterricht zu erscheinen. Zum Ende einer Pause verließen wir, Klasse für Klasse und zu zweit nebeneinander, den Schulhof. Und natürlich hatten wir in dieser Pause unser von "Muttern" geschmiertes Leberwurstbrot gegessen und nicht etwa einen Schokostreifen, gekauft in der Schulkantine. Die gab es nämlich gar nicht. Haschisch, Ecstasy, Kokain - Mensch, wir kannten nicht mal diese Namen.
Kommt da jemandem der Verdacht, ich wollte einer Erziehung zum Kadavergehorsam das Wort reden? Unsinn, blanker Unsinn. Wir sind doch gerade erst in das Leben gestellt worden, junge ungebärdige Fohlen, irgendwie mussten wir doch lernen, mit diesem Leben umzugehen. Das wird uns Menschen doch nicht in die Wiege gelegt: Anstand, Pflichten zu erfüllen, einer alten Dame im Bus den Platz anzubieten, der Mutter in den Mantel zu helfen, dem Gleichaltrigen nichts wegzunehmen, "Bitte" und "Danke" zu sagen, einen behinderten Menschen über die Straße zu geleiten, zu wissen, dass man nicht alles haben kann, was man gern hätte, dass erst die Arbeit kommt und dann das Vergnügen, und dass man Schulden so fürchten sollte wie der Teufel das Weihwasser.
Arme Kinder, die das alles oft nicht mehr lernen. Von wem denn auch? Muss nicht in vielen Familien die Mutter mitarbeiten, weil sonst das Geld vorn und hinten nicht reicht? Manchmal auch nur, um den Zweitwagen zu finanzieren? Oder weil sie überhaupt allein steht mit ihrem Kind, von dessen Vater im Stich gelassen? Schaut doch nur die Vorbilder aus der Schickimicki-Szene an, denen Kinder nachstreben. Und hat nicht sogar ein bekannter Politiker mal zynisch gesagt, dies alles seien Werte, mit denen man auch ein KZ führen könne?
Leid müssen sie uns tun, diese Kinder. Eingekreist von fragwürdigen Idolen, von Markenkleidung, Handys, Hip-Hop und allen möglichen anderen Bewegungen. Im Ziel einer Werbemaschinerie, die ihnen vorgaukelt, alles könnten sie erwerben, notfalls auf Kredit. Wohlstandskinder? Ach was, verführte Kinder.
Lassen wir die politischen Verhältnisse mal beiseite, vergleichen wir nur Kindheit mit Kindheit: Waren wir da nicht besser dran, damals? Sicher, die gebratenen Tauben flogen uns nicht in den Mund, aber Kind sein durften wir. Ganz einfach Kind. Wir bauten uns Höhlen, spielten "Ankriegezeck" (Fangen), Trapper und Indianer. Wir peitschten einen billigen Triesel auf der Straße, jagten mit einem Reifen um die Wette oder tauschten Murmeln. Zum Geburtstag bekamen wir einen Stabilbaukasten oder ein neues Kleid, zu Weihnachten eine Burg, einen Puppenwagen und "Auerbachs Kinderkalender".
Wir gingen für die Mutter einholen und mussten Schularbeiten machen, bevor sie uns nach draußen ließ. Wir bettelten um dreißig Pfennige für die Kindervorstellung im Kino, unsere Helden hießen Tom Mix, Winnetou und Old Shatterhand. Nach der Konfirmation begannen wir so langsam das andere Geschlecht zu entdecken, dann "gingen" wir zusammen, wie es hieß. Die ganz Kühnen sogar Hand in Hand, aber sehen durfte es niemand. Und als Lehrling war es selbstverständlich, für die Gesellen einzukaufen und nach Feierabend den Arbeitsraum zu säubern. Für all die Mühe gab es im ersten Lehrjahr drei, im zweiten vier und im dritten fünf Mark die Woche.
Richtig: Wenn es um das ging, was wir heute Konsum nennen, dann waren wir schlecht dran. Wer ein Fahrrad mit Ballonreifen fuhr, der wurde schon beneidet. Große Reisen in den Ferien, ins Ausland etwa? Vergesst es! Wie denn, wenn Vater man eben fünfzig, sechzig Mark wöchentlich nach Hause brachte, Sparen also selbstverständlich war.
Es gibt Bilder, die sich einem in die Seele einbrennen, unauslöschlich. Etwa dieser kleine, weiße Kindersarg, in dem mein verstorbener Bruder lag und den die Eltern gemeinsam in einem Bollerwagen zum Friedhof zogen, weil sonst die Beerdigungskosten zu hoch gewesen wären.
Dennoch möchte ich meine Kindheit nicht tauschen mit der heutigen. Und manchmal, in den stillen Minuten, wenn man ins Grübeln kommt und sich fragt: Warum musste das alles so kommen? Warum hat sich das alles so verändert, die Kindheit, die Jugend, die Wertvorstellungen, mit denen man "groß" wird? Müssen wir Alten uns dann nicht einen Packen eigener Schuld an dieser Entwicklung eingestehen? Wir waren es doch schließlich, die nach diesem verfluchten Krieg meinten, unsere Kinder sollten es einmal besser haben als wir?
Haben wir es dann aber nicht gewaltig übertrieben mit dem "Besserhaben"? War doch eigentlich zwangsläufig, dass uns das plötzlich überrollte, ganz so, als hätte man bei einem abschüssig fahrenden Wagen die Bremsen entfernt. Antiautoritäre Erziehung, das Gefasel vom Leistungsdruck, vor dem man Kinder bewahren müsse. Disziplin ein Unwort, Lehrer, denen jeder Respekt von Amts wegen entzogen wurde, Eltern und Schule, die sich gegenseitig die Schuld an mangelnder Erziehung gaben.
Ja, und jetzt jammern wir. Trauern einem Bildungsstand nach, für den Deutschland einmal berühmt war. Schimpfen über Kinder, die sich aus Büchern nichts mehr machen, von Lehrern sich nichts sagen lassen, die in dem Irrglauben aufwachsen, das ganze Leben sei ein einziger Spaß, um sich in Drogen zu flüchten, wenn sie am Abgrund dieser Spaßgesellschaft stehen.
Ab und zu wird im Fernsehen der Film "Die Feuerzangenbowle" gezeigt. Diese prächtige Schulgeschichte von "anno dunnemal", mit einem großartigen Heinz Rühmann in der Hauptrolle. Beobachten Sie mal Ihre Kinder, wie toll sie diesen Film finden, wie sie sich unbewusst sehnen nach solcher Schule, nach solcher Jugend. Arme Kinder.
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gruss julius