Erste Zinserhöhung könnte die Börsen beflügeln
Von Amey Stone, BusinessWeek Online
21. Mai 2004 Eines muß man der Federal Reserve (Fed) lassen: sie hat ihre Absichten klar durchblicken lassen. Die Anleger sind beinahe einhellig der Meinung, daß das Federal Open Market Committee (FOMC) das Zinsniveau bei der nächsten Sitzung am 30. Juni um 25 Basispunkte erhöhen wird. Man geht davon aus, daß das FOMC die Zinssätze in diesem Jahr noch drei- bis viermal um weitere 25 Basispunkte erhöhen wird, so wie es die Entwicklung der Inflation erfordert. „Die Fed hat sich ganz besondere Mühe gegeben, um ihre Absichten klar zu machen“, sagt Robert Smith, President von Smith Affiliated Capital.
Fed-Beobachter werten die Verwendung des Wortes „maßvoll“ zur Beschreibung des zinspolitischen Ansatzes der Fed - in der nach der Sitzung vom 4. Mai veröffentlichten Stellungnahme - als Beweis für eine anstehende Erhöhung des Zinsniveaus in kleinen Schritten. Noch kürzer liegt die Rede von Alfred Broaddus, President der Richmond Federal Reserve Bank, am 18. Mai zurück, in der dieser die Erwartungen der Anleger hinsichtlich zukünftiger Erhöhungen bestätigte und erläuterte, warum er sich keine Sorgen wegen der Inflation mache.
Ein weiterer Hinweis: Am 20. Mai hat Fed-Governor Ben Bernanke eine Rede mit dem Titel „Schritt für Schritt“ gehalten. Diese Wortwahl allein „deutet auf eine Reihe von Zinssatzerhöhungen um jeweils 25 Prozentpunkte hin“, erklärt Trip Jones, Managing Director Sales bei SunGard Institutional Brokerage.
Zinssatzerhöhung beruhigt Anleger
Diese offensichtlichen Hinweise von Seiten der Fed und die relativ einhellige Meinung der Anleger hinsichtlich deren Absichten sind ein positiver Impuls für den zur Zeit arg gebeutelten Aktienmarkt. Solange die Fed an ihrem Plan festhält, sieht es ganz danach aus, als würde die bisher so gefürchtete erste Zinssatzerhöhung - wenn sie erst einmal erfolgt ist - nun vielmehr den Auftakt zu einer Kurserholung auf dem Aktienmarkt bilden.
Wäre das nicht nett? In den vergangenen drei Monaten haben die Kurse nachgegeben, weil zusätzlich zu den Befürchtungen über die möglichen Auswirkungen höherer Zinssätze die Eskalation der geopolitischen Situation die positive wirtschaftliche Entwicklung und das exzellente Ertragswachstum in den Hintergrund rücken ließ.
Die Besorgnis über eine mögliche Erhöhung des Zinsniveaus hat sich sowohl auf dem Aktien- als auch auf dem Rentenmarkt bereits auf die Kursentwicklung niedergeschlagen (bei Futures ist eine viermalige Erhöhung durch die Fed in diesem Jahr berücksichtigt), woraus sich Potential für einen Anstieg der Wertpapierkurse ergibt, wenn die Zinssatzerhöhung tatsächlich stattgefunden hat.
25 Prozentpunkte sind maßvoll
Einige sind der Ansicht, daß sogar eine Erhöhung um mehr als 25 Basispunkte positiv für den Markt wäre. „Ich glaube, daß es sogar besser wäre, wenn die Fed die Zinssätze stärker erhöhen würde“, sagt Jason Trennert, Chief Investment Strategist bei International Strategy & Investment (ISI) in New York. Er meint, dies würde größeres Vertrauen in die Konjunktur signalisieren. Außerdem könnte die Fed durch schnelles Handeln „die Ängste vor einer möglicherweise notwendigen aggressiven Vorgehensweise zumindest teilweise zerstreuen“, fügt Trennert hinzu. Er räumt jedoch ein, daß eine Erhöhung um einen halben Punkt „sehr unwahrscheinlich ist“.
Der erste Erhöhungsschritt wird für die Anleger in zweifacher Hinsicht beruhigend sein. Zunächst wäre eine Erhöhung um 25 Basispunkte der Beweis dafür, daß die Fed an ihrem Plan einer „maßvollen“ restriktiven Zinspolitik festhält und kein extremer Anstieg, nach dem Modell der aggressiven Zinssatzerhöhungen von 1994 mit ihren verheerenden Auswirkungen auf dem Rentenmarkt, ansteht. „Der Markt sucht nach Beständigkeit in der Botschaft der Fed“, sagt Peter Coolidge, Portfolio Manager bei Deltec Asset Management in New York.
In der Vergangenheit hat sich gezeigt, daß der Markt auf die erste einer Reihe von Zinssatzerhöhungen fast immer mit einer Kurserholung reagiert, sagt Trennert. „Das einzige Mal, wo dies nicht unmittelbar der Fall war, war 1994, als die erste Erhöhung der Fed völlig überraschend kam“, sagt er.
Fed hält Inflation im Auge
Außerdem wäre eine Erhöhung des Zinsniveaus ein beruhigender Hinweis auf eine nicht zu selbstgefällige Haltung der Fed im Hinblick auf inflationäre Risiken. In letzter Zeit wächst diesbezüglich die Besorgnis der Anleger - nicht wegen der derzeitigen Höhe der Inflation, sondern wegen ihres Anstiegs in den vergangenen Monaten.
Im Jahr 2003 ist die Kerninflationsrate im Bereich persönliche Konsumausgaben um nur 0,8 Prozent gestiegen, erklärte Broaddus in seiner Rede am 18. Mai. In den zwölf Monaten bis März 2004 jedoch stieg diese Rate auf 1,5 Prozent. Diesem deutlichen Anstieg „gilt natürlich unser aller Aufmerksamkeit, denn es ist unser Ziel, die Inflation zu kontrollieren“, sagte er. „Ich werde wohl meine alten Inflationsfalkenfedern entstauben, falls ich noch einmal mit den Flügeln schlagen muß bevor ich die Fed verlasse“. Die Botschaft für die Anleger lautet: Keine Sorge wegen der Inflation, die Fed kümmert sich darum.
Am 30. Juni und danach werden die Marktreaktionen auf die Nachricht von der Erhöhung größtenteils von der wirtschaftlichen Entwicklung im Mai abhängen (es scheint im Vergleich zum April eine leichte Abkühlung zu geben), aber darüber hinaus ist auch die Formulierung der Stellungnahme der Fed von Bedeutung. „Eine Zinssatzerhöhung steht fest“, sagt Coolidge. „Ungeklärt ist aber bisher die Frage, wie die Fed sie vermittelt.“
Konjunktur könnte Zinssatzerhöhung obsolet werden lassen
Wenn die Konjunktur sich im kommenden Monat leicht abschwächt, sind weitere Zinssatzerhöhungen, wie sie auf dem Markt für Futures prognostiziert werden, vielleicht gar nicht erforderlich. „Vieles erledigt sich von selbst“, sagt Smith. Die steigenden Rohstoffpreise sind (mit Ausnahme des Ölpreises) wieder gesunken und die Verbraucherausgaben scheinen angesichts eines steigenden langfristigen Zins- und Hypothekenzinsniveaus leicht zurückzugehen. Und die chinesische Regierung versucht, ihre überhitzte Konjunktur zu beruhigen.
Darüber hinaus wird sich das Wachstum der Unternehmensgewinne im dritten und vierten Quartal im Vergleich zum Vorjahr verlangsamen. Das Arbeitsplatzwachstum steigt zwar, ist aber noch immer nicht überragend. Die Unternehmen müssen aufgrund des hohen Produktivitätswachstums keine neuen Mitarbeiter einstellen, um der Nachfrage gerecht zu werden. Und die verbesserte Kapazitätsauslastung bleibt unterhalb der Belastungsgrenze, jenseits derer es zu Lieferengpässen kommen würde.
Inflationsängste sind übertrieben
Alles in allem halten viele Wirtschaftswissenschaftler die Inflationsängste der Anleger für übertrieben. „Wenn die Anleger glauben, daß die Fed der ersten Zinssatzerhöhung nur ungern schnell eine zweite folgen lassen möchte, werden die Kurse sich erholen“, sagt Smith.
Bis zur Sitzung der Fed sind es noch sechs Wochen und die wirtschaftlichen Perspektiven und Marktaussichten können sich bis dahin noch dramatisch verändern. Wenn die Wirtschaft boomt, könnten die Aktienkurse ins Stocken geraten, da die Anleger dann befürchten müßten, daß weitere und größere Zinssatzerhöhungen nötig sind, um der Inflation Herr zu werden. „Wenn das Wachstum weiterhin stark bleibt und die Kerninflationsindikatoren weiterhin steigen, wird [die Fed] etwas schneller reagieren müssen“, sagt Joel Naroff, President von Naroff Economic Advisors in Holland, Pennsylvania. Das könnte zu stärkeren Abverkäufen führen.
Aber da es vermehrt Anzeichen dafür gibt, daß die Konjunktur sich von selbst etwas verlangsamt, sieht es zunehmend danach aus, als wäre die erste Erhöhung des Zinsniveaus ein Grund zum Feiern statt zum Fürchten.
Text: @cri