Von Matthias Wulff
München - Morgen steht Thomas Haffa, 48, wieder so ein brutaler Tag bevor. Wenn die Bilanzexperten seines Unternehmens EM.TV noch rechtzeitig an diesem Wochenende die Geschäftszahlen zusammenbekommen, muss er sich das erste Mal seit fünf Monaten der Öffentlichkeit stellen. Auf der Pressekonferenz wird er die Geschäftszahlen präsentieren und einen Ausblick auf die künftige Marschrichtung des Unternehmens geben. Und er wird sich selber neu vermarkten müssen. Haffa unplugged.
Haffa kann sich an "schönere Termine" erinnern. Vor einem Jahr war er noch der Medienstar, konnte als Erfolgsmensch die Regie übernehmen. Morgen sind seine Ziele bescheidener: Er hofft auf "ein reinigendes Gewitter" und darauf, dass ihm die Öffentlichkeit die Aufrichtigkeit bei seinen Bemühungen, die Firma wieder in Schwung zu bekommen, abnimmt. Und dass dann mit der Vergangenheitsbewältigung Schluss ist, und er sich wieder ums Geschäft kümmern kann.
Brutale Tage hat Haffa in den vergangenen Monaten zur Genüge erlebt. Haffa, der an EM.TV 42,9 Prozent der Anteile hält, musste miterleben wie der Markwert des Unternehmens - und damit auch sein Vermögen - von 27 Milliarden Mark auf gut 800 Millionen Mark schrumpfte. Haffa sagt, dass ihn der Verlust seines Privatvermögens nicht so sehr stört. Geld sei für ihn immer eine abstrakte Größe gewesen.
Schlimm aber waren die Schlagzeilen, die den einstigen Popstar der New Economy in nur wenigen Monaten zum Watschenmann der Nation degradierten. Schlimm war der Verrat von Menschen, von denen er dachte, sie seien seine Freunde. Und am schlimmsten war für seine Familie die "Riesenbelastung", die er verursacht hatte und noch immer anhält.
Haffa ist "durch den Sturm gesegelt". Doch er ahnt, dass die ruhige See noch nicht in Sicht ist. Niemand weiß, ob er sie je erreichen wird. "Ich bin nicht angetreten um aufzustecken, wenn der Wind von vorne kommt."
Das liest sich forscher, als er sich anhört. Der Verkäuferschwung seiner Stimme, mit der er viele für sich gewinnen konnte und der manche abstößt, ist verklungen. Die himmelblauen Augen glänzen nicht mehr, das bubenhafte Lachen ist verschwunden. Der, wie die "Bunte" ermittelte, "erotischste Mann der deutschen Wirtschaft" mag an Sexappeal verloren haben. Aber die Kämpfernatur ist wieder zurück.
Ein Rücktritt, wie Aktionärsschützer es forderten, kommt für ihn nicht infrage. Heute nicht mehr. In den letzten Monaten, beim Lesen der teilweise gehässigen Geschichten über ihn, habe er sich manchmal gefragt, ob es noch einen Sinn mache, im Unternehmen zu bleiben: "Diese Momente hat es gegeben."
Bescheidener, leiser und seine eigenen Worte stärker kontrollierend tritt er im Vergleich zu früher auf. Mehr als einmal sagt er, er habe Fehler gemacht. Seine Überpräsenz in den bunten Blättern gehöre dazu. Im Unternehmen habe er zu wenig auf ein ordentliches Controlling geachtet. Alles sei zu sehr auf ihn konzentriert gewesen. Das eigentliche Kerngeschäft - Vermarktung, Handel und Vertrieb von Kinder- und Jugend-TV-Programmen - habe er vernachlässigt. Stattdessen habe er sich zu stark auf Firmenkäufe konzentriert.
Letztere waren es, die das Unternehmen zu einem Sanierungsfall machten. In wenigen Monaten zwischen 1999 und 2000 beteiligte er sich, angefacht von den unaufhörlich steigenden Börsenkursen, an immer mehr Firmen. Der Kaufrausch beschert ihm heute jede Menge Sorgen.
Auf der Verkaufsliste steht die Beteiligung an der Tele-München- Gruppe. Aus der Filmhandelsfirma von Herbert Kloiber muss er voraussichtlich aussteigen, um die Genehmigung für den Einstieg der KirchGruppe bei EM.TV vom Bundeskartellamt zu erhalten. Haffa rechnet mit der Genehmigung mit Auflagen, doch einer Zusammenballung der Macht am Filmrechtemarkt mit Tele München werden sie kaum zustimmen wollen.
Auch die defizitäre Jim-Henson-Company, Erfinderin der "Sesamstraße" und der "Muppets" soll veräußert werden. Haffa, etwas spät, ist aufgegangen, wie schwierig es ist, ein US-Unternehmen von Deutschland aus zu führen. Jetzt sei ein Totalverkauf der Anteile möglich, aber Haffa macht keinen Hehl daraus, dass er lieber ein US-Medienunternehmen als Partner hätte. Man sei in Gesprächen.
Immerhin. Mit den Autoherstellern, die sich gerne an der Formel 1 beteiligen würden, wird derzeit nicht gesprochen. Bei EM.TV wartet man ab, dass die andere Seite sich rührt. Schließlich hatten die Münchener lange genug im vergangenen Jahr mit denen verhandelt, ohne dass es zu einem Abschluss gekommen war. Manager von EM.TV und vor allem von der KirchGruppe erwecken bei ihrer Schwärmerei über das Vermarktungspotenzial der Formel 1 nicht den Eindruck, als hätten sie gerne die Autohersteller als Teilhaber mit dabei.
Über die Zukunft, über die Erfolge von "Biene Maja", "Pokémon" und "Sesamstraße" redet Haffa am liebsten. Doch morgen wird noch einmal über die Vergangenheit zu sprechen sein.
Haffa und sein neuer Stellvertreter Rainer Hüther, der vor sieben Wochen von der KirchGruppe kam, wollen beide Tabula rasa machen. Mit unliebsamen Nachrichten wollen sie die Aktionäre nicht mehr überraschen. Beide scheinen gut miteinander auszukommen. Haffa macht nicht den Eindruck, als hätte ihm die KirchGruppe einen Wachhund reingedrückt, und scheint dem aus DSF und Kirch-New-Media-Zeiten durchaus krisenerprobten Hüther zu vertrauen. "Wir ticken beide gleich", sagt Haffa.
Blindes Verständnis wird das Duo auch brauchen, wenn sie die vorausichtlich heftigen Verlustzahlen präsentieren müssen. Ging EM.TV im Dezember 2000 noch von einen Gewinn vor Zinsen und Steuern von rund 50 Millionen Mark aus, beliefen sich die jüngsten Schätzungen des Bankhauses Merill Lynch auf einen Nettoverlust von einer Milliarde Mark. Es wird voraussichtlich noch viel mehr sein. Denn der Abschreibungsbedarf bei EM.TV sei "sehr, sehr hoch", heißt es im Umfeld des Unternehmens. Wie hoch der sei, werde erst endgültig an diesem Wochenende feststehen. "Es klingt verrückt", heißt es, "die Verluste schwanken, je nachdem wie EM.TV abschreibt, in Milliardenhöhe."
An der Endfassung für den Verlauf der Pressekonferenz wird am Wochenende noch gestrickt. Ob Haffa das Comeback gelingt oder ob sein Lebensfilm zum Drama verkommt, wird zu einem guten Teil am Montag entschieden. Ein brutaler Tag.