Ein Griff in die Mottenkiste
Von Bernd Niquet
Von dem französischen Philosophen Blaise Pascal stammt das schöne Bonmot, nach dem alle Schwierigkeiten auf dieser Welt ihre Ursache darin finden, dass "... die Menschen einfach nicht auf ihrem Zimmer bleiben können." Nun mag sich durch die Informationstechnologie diese Situation eher noch verschlimmert haben, so dass heutzutage der Ausspruch des luxemburgischen Premierministers Jean-Claude Juncker das Maß vorgibt, der vor einiger Zeit einmal gesagt hat: "Wir wollen gemeinsam ein neues Europa schaffen, können aber nicht einmal den Mund halten."
Keine Börse ohne Beängstigungen
Nicht anders ist es nun auch an der Börse, wo es ganz generell zur Normalität gehört, alles, was auch nur im Entferntesten denkbar ist - so wie auch stets die eine oder andere Undenkbarkeit - stets von Neuem dem Anleger aufs Butterbrot zu schmieren. Ich kann mich noch gut an die Situation nach dem Crash 1998 erinnern, in dem die Aktienmärkte binnen kurzer Zeit genauso viel Prozentpunkte verloren haben, wie im berühmten Crash von 1929, nämlich etwa 38 Prozent von der Spitze. Doch als der Crash dann langsam überwunden schien, wurden wir in Anbetracht der expansiven Geldpolitik gerade der US-Notenbank mit dem folgenden Szenario konfrontiert:
Denn nun, so die Auguren damals, gibt es letztlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder, die Geldpolitik greift, doch dann werden wir in absehbarer Zeit eine Hyperinflation erleben. Oder aber, sie greift nicht, weshalb wir folglich in der Deflation versinken werden. Doch was ist in Wirklichkeit passiert? Es ist das passiert, was uns auch ein Karl Kraus beschert hätte, der in vergleichbarer - allerdings deutlich deftigerer - Situation einmal gesagt hatte: "Wenn ich zwischen zwei Übeln zu wählen hätte, dann würde ich keins von beiden wählen."
Die Suche in der Mottenkiste
Heute dagegen ist die Situation schon fast als moderat zu bezeichnen. Denn auch heute haben wir einen Crash hinter uns, der im Blue-Chip-Bereich zwar moderater ausfiel, im Technologiebereich jedoch den schärfsten der letzten hundert Jahre darstellte - doch die schrecklichen Alternativen à la 1998 finden sich gegenwärtig eigentlich nirgendwo in den Medien. Im Gegensatz dazu wird in fast biederer Manier ein altes und schon längst vergessenes Phänomen aus der Mottenkiste hervorgekramt. Es heißt: STAGFLATION.
Erinnern wir uns einmal zurück: In den 70er Jahren gab es eine große Diskussion um die sogenannte "Phillips-Kurve", welche besagte, dass die Politik stets dem folgenden Trade-off unterliegt: Entweder sie senkt die Arbeitslosigkeit und erhält damit Inflation - oder aber sie bekämpft die Inflation und ist damit mit eine ansteigenden Arbeitslosigkeit konfrontiert. Die Wirklichkeit hat uns dann jedoch - sicherlich in Unkenntnis der "genialen" Phillips-Kurve - gleich beides beschert: eine hohe Arbeitslosigkeit durch eine stagnierende Wirtschaft bei gleichzeitiger (!) Inflation.
Und das, glaubt man den gegenwärtigen Thesen, könnte uns demnächst erneut bevorstehen, nämlich eine schwache Wirtschaftsentwicklung bei zeitgleich anziehender Inflation. Als Indikator für dieses Szenario wird ein "Spread" am US-Anleihemarkt angeführt, der ausweist, dass die Renditen am langen Ende deutlich ansteigen, die Renditen der inflationsbereinigten 10-jährigen Anleihen hingegen kontinuierlich fallen. Soll heißen: Der Zinsanstieg am langen Ende weist nicht auf eine höhere Kreditnachfrage und damit auch nicht auf ein Anziehen der Wirtschaft hin, sondern ganz einfach auf einen Aufschlag für die zu erwartende Inflation.
Reale Gefahr oder Fehldeutung?
Ich denke, dass es ganz sicher vermessen wäre, zu glauben, dass nach dem, was sich im letzten Jahr an den Börsen abgespielt hat, keine Schreckensbilder an die Wand gemalt werden würden. Doch für ein Schreckensbild ist das Stagflations-Gespenst eigentlich ziemlich harmlos. Hinzu kommt: Die Stagflation der 70er Jahre hat sich aus der exorbitanten Inflationsbekämpfung einer zweistelligen (!) Inflationsrate ergeben - weshalb sich alle Parallelen mit dem Heute eigentlich von selbst verbieten sollten.
Auch scheint in einer aufgrund der Informationstechnologie immer enger zusammenwachsenden Welt jeder Gedanke an deutliche Preissteigerungen absurd, da - mit Ausnahme des Erdöls sowie einiger administrativ gesetzter Preise - bei jedem Preiserhöhungsversuch eines Unternehmens sofort mindestens ein Konkurrent präsent sein wird, der diesen neuen Preis sogleich unterbietet. Das Stagflations-Gespenst bleibt daher für mich auch das, was sein Hinterteil bezeichnet - nämlich ein Gespenst!
Real ist an ihm in Hinsicht auf die Zukunftsbetrachtung jedoch ganz sicher die Stagnationsgefahr, denn sollte die US-Wirtschaft im dritten Quartal nicht bereits wieder deutlicher anziehen, dann können die Unternehmensergebnisse keinesfalls die jetzigen Erwartungen erfüllen. Mein Rat ist daher, weiterhin sehr genau auf mögliche Schwächezeichen der US-Wirtschaft zu achten, die Inflations- oder Stagflationsprobleme jedoch dorthin zu packen, wo sie hingehören - nämlich in den Gespensterturm, in die Mottenkiste und in das Geschichtsbuch.
Dr. Bernd Niquet ist Buchautor. Seine beiden aktuellen Neuerscheinungen "1000 Prozent Gewinn" und "Die Welt der Börse" handeln über den Crash der Hightech-Aktien.
Von Bernd Niquet
Von dem französischen Philosophen Blaise Pascal stammt das schöne Bonmot, nach dem alle Schwierigkeiten auf dieser Welt ihre Ursache darin finden, dass "... die Menschen einfach nicht auf ihrem Zimmer bleiben können." Nun mag sich durch die Informationstechnologie diese Situation eher noch verschlimmert haben, so dass heutzutage der Ausspruch des luxemburgischen Premierministers Jean-Claude Juncker das Maß vorgibt, der vor einiger Zeit einmal gesagt hat: "Wir wollen gemeinsam ein neues Europa schaffen, können aber nicht einmal den Mund halten."
Keine Börse ohne Beängstigungen
Nicht anders ist es nun auch an der Börse, wo es ganz generell zur Normalität gehört, alles, was auch nur im Entferntesten denkbar ist - so wie auch stets die eine oder andere Undenkbarkeit - stets von Neuem dem Anleger aufs Butterbrot zu schmieren. Ich kann mich noch gut an die Situation nach dem Crash 1998 erinnern, in dem die Aktienmärkte binnen kurzer Zeit genauso viel Prozentpunkte verloren haben, wie im berühmten Crash von 1929, nämlich etwa 38 Prozent von der Spitze. Doch als der Crash dann langsam überwunden schien, wurden wir in Anbetracht der expansiven Geldpolitik gerade der US-Notenbank mit dem folgenden Szenario konfrontiert:
Denn nun, so die Auguren damals, gibt es letztlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder, die Geldpolitik greift, doch dann werden wir in absehbarer Zeit eine Hyperinflation erleben. Oder aber, sie greift nicht, weshalb wir folglich in der Deflation versinken werden. Doch was ist in Wirklichkeit passiert? Es ist das passiert, was uns auch ein Karl Kraus beschert hätte, der in vergleichbarer - allerdings deutlich deftigerer - Situation einmal gesagt hatte: "Wenn ich zwischen zwei Übeln zu wählen hätte, dann würde ich keins von beiden wählen."
Die Suche in der Mottenkiste
Heute dagegen ist die Situation schon fast als moderat zu bezeichnen. Denn auch heute haben wir einen Crash hinter uns, der im Blue-Chip-Bereich zwar moderater ausfiel, im Technologiebereich jedoch den schärfsten der letzten hundert Jahre darstellte - doch die schrecklichen Alternativen à la 1998 finden sich gegenwärtig eigentlich nirgendwo in den Medien. Im Gegensatz dazu wird in fast biederer Manier ein altes und schon längst vergessenes Phänomen aus der Mottenkiste hervorgekramt. Es heißt: STAGFLATION.
Erinnern wir uns einmal zurück: In den 70er Jahren gab es eine große Diskussion um die sogenannte "Phillips-Kurve", welche besagte, dass die Politik stets dem folgenden Trade-off unterliegt: Entweder sie senkt die Arbeitslosigkeit und erhält damit Inflation - oder aber sie bekämpft die Inflation und ist damit mit eine ansteigenden Arbeitslosigkeit konfrontiert. Die Wirklichkeit hat uns dann jedoch - sicherlich in Unkenntnis der "genialen" Phillips-Kurve - gleich beides beschert: eine hohe Arbeitslosigkeit durch eine stagnierende Wirtschaft bei gleichzeitiger (!) Inflation.
Und das, glaubt man den gegenwärtigen Thesen, könnte uns demnächst erneut bevorstehen, nämlich eine schwache Wirtschaftsentwicklung bei zeitgleich anziehender Inflation. Als Indikator für dieses Szenario wird ein "Spread" am US-Anleihemarkt angeführt, der ausweist, dass die Renditen am langen Ende deutlich ansteigen, die Renditen der inflationsbereinigten 10-jährigen Anleihen hingegen kontinuierlich fallen. Soll heißen: Der Zinsanstieg am langen Ende weist nicht auf eine höhere Kreditnachfrage und damit auch nicht auf ein Anziehen der Wirtschaft hin, sondern ganz einfach auf einen Aufschlag für die zu erwartende Inflation.
Reale Gefahr oder Fehldeutung?
Ich denke, dass es ganz sicher vermessen wäre, zu glauben, dass nach dem, was sich im letzten Jahr an den Börsen abgespielt hat, keine Schreckensbilder an die Wand gemalt werden würden. Doch für ein Schreckensbild ist das Stagflations-Gespenst eigentlich ziemlich harmlos. Hinzu kommt: Die Stagflation der 70er Jahre hat sich aus der exorbitanten Inflationsbekämpfung einer zweistelligen (!) Inflationsrate ergeben - weshalb sich alle Parallelen mit dem Heute eigentlich von selbst verbieten sollten.
Auch scheint in einer aufgrund der Informationstechnologie immer enger zusammenwachsenden Welt jeder Gedanke an deutliche Preissteigerungen absurd, da - mit Ausnahme des Erdöls sowie einiger administrativ gesetzter Preise - bei jedem Preiserhöhungsversuch eines Unternehmens sofort mindestens ein Konkurrent präsent sein wird, der diesen neuen Preis sogleich unterbietet. Das Stagflations-Gespenst bleibt daher für mich auch das, was sein Hinterteil bezeichnet - nämlich ein Gespenst!
Real ist an ihm in Hinsicht auf die Zukunftsbetrachtung jedoch ganz sicher die Stagnationsgefahr, denn sollte die US-Wirtschaft im dritten Quartal nicht bereits wieder deutlicher anziehen, dann können die Unternehmensergebnisse keinesfalls die jetzigen Erwartungen erfüllen. Mein Rat ist daher, weiterhin sehr genau auf mögliche Schwächezeichen der US-Wirtschaft zu achten, die Inflations- oder Stagflationsprobleme jedoch dorthin zu packen, wo sie hingehören - nämlich in den Gespensterturm, in die Mottenkiste und in das Geschichtsbuch.
Dr. Bernd Niquet ist Buchautor. Seine beiden aktuellen Neuerscheinungen "1000 Prozent Gewinn" und "Die Welt der Börse" handeln über den Crash der Hightech-Aktien.