"Die Börse hat uns hart bestraft"
AKTIENresearch, 10. August 2000
Viele Medienwerte wurden am Neuen Markt in die Tiefe gerissen. Besonders stark erwischte es dabei edel music, deren Aktie gegenüber dem Höchststand im vergangenen Jahr fast 80 Prozent an Wert einbüßte. AKTIENresearch sprach mit dem neuen Finanzvorstand Michael Diederich.
AR: In einer Ausgabe des Wirtschaftsmagazins "Capital" wurde edel music ein Flopwert der Medienbranche genannt. Dadurch rutschten Sie irrtümlich auf eine der am Neuen Markt kursierenden "Todeslisten". Wie gehen Sie damit um?
Diederich: Diese Art der Berichterstattung ist unseriös. Ursprünglich bezogen sich die aus den USA auf den Neuen Markt übergeschwappten Todeslisten nur auf die Liquidität von Internetwerten. Aber auch edel music wurde plötzlich mit dieser Pleiteliste in Verbindung gebracht. In einer Ad-hoc-Mitteilung haben wir noch während des Handels mitgeteilt, dass edel music in seiner Liquidität nicht gefährdet ist. Doch in kurzer Zeit waren unsere Mitarbeiter und die Finanzwelt so verunsichert, dass wir tagelang Überzeugungsarbeit leisten mussten.
AR: Die edel-Aktie stürzte schon vorher ab. Nach Höchstkursen von 85 Euro liegt sie mittlerweile nur noch bei 18 Euro. Hat der zunächst steile Kursanstieg nach der Emission zu sorglos gemacht?
Diederich: Ich glaube nicht, dass wir zu sorglos waren. Die Konzentration lag einfach zu stark darauf, unser Unternehmen voranzubringen. Normale Marktgepflogenheiten wie Investor Relations wurden daher vernachlässigt. Zudem wurden wir von der Marktentwicklung überrascht – einer Phase, in der speziell die Medienwerte rapide Kursverluste erlitten. Hinzu kam, dass wir im November unsere Ergebnisziele nach unten revidieren mussten, da einige Künstler ihre Alben nicht zum geplanten Zeitpunkt abliefern konnten. Die Börse hat dies hart bestraft.
AR: Geht es mit dem Kurs noch weiter bergab?
Diederich: Der Boden müsste jetzt erreicht sein. Betrachtet man die Kurs-Gewinn-Verhältnisse für 2001, dann ist edel music einer der günstigsten Werte im Nemax. Seit dem Bestehen 1986 waren wir immer profitabel. Nur einmal hatten wir Pech. Doch durch die bereits entwickelte Größe bleibt dem Unternehmen weiterhin viel Potenzial. Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass der Wert weiter sinkt – es sei denn, der Neue Markt bricht insgesamt ein.
AR: Die bei Ihnen unter Vertrag stehenden Interpreten wie Blümchen oder Sash! sind national bekannt. Doch edel music fehlen attraktive Künstler mit hohen Verkaufszahlen über einer Million Tonträgern. Ist der internationale Star in Sicht, der hohe Gewinne bringt?
Diederich: Zugegeben, bisher war unsere Künstleraufstellung recht national. Doch in diesem Jahr haben wir mit "Baha Men", "2be3" und "Craig David" gleich drei Gruppen am Start, die das Zeug haben, international zum Millionenseller zu werden. Zunächst mussten wir erst einmal für solche Künstler attraktiv werden. Das haben wir durch die Schaffung einer neuen "Pipeline" mit einem gut ausgebauten Vertriebs- und Marketingnetz geschafft.
AR: Stichwort Internet. Die Musikindustrie wird grade umgekrempelt. Immer mehr Titel werden aus dem Netz geladen. Hat die Branche diese Entwicklung verschlafen?
Diederich: Der Distributionskanal Internet wurde in der Branche lange unterschätzt. Im Moment findet eine Annäherung statt: Die technischen Plattformen suchen vermehrt nach Inhalten. Wie das Abrechnungsmodell für den Musikvertrieb im Internet letztendlich aussehen wird, ist allerdings noch offen. Fest steht jedoch, dass das Internet den Gesamtumsatz der Branche weiter erhöhen wird.
AR: Aus diesem Wandel ziehen viele Unternehmen ihre Konsequenzen. Wie reagiert edel?
Diederich: Wir haben bereits Kooperationen mit Liquid Audio und Microsoft getroffen, um den digitalen Vertrieb zu verstärken. Exklusiv stellen wir jedoch noch keine Titel ins Internet. Trotz unserer Strategie muss man realistisch sehen, das edel music im Bereich Internet sicher keine Maßstäbe setzen wird und kann.
AR: Auf ihrer Homepage wird noch immer Ihr Vorgänger als Finanzvorstand geführt.
Diederich: Das ist möglich, da wir zur Zeit stark mit dem operativen Geschäft zu tun haben. Doch für den Herbst ist ein Relaunch unseres Internetauftritts geplant.
AR: edel music ist mit 16 Prozent am Sender Viva beteiligt. Was versprechen Sie sich davon?
Diederich: Viva ist ein 24-stündiger Werbesender für Musik. Dieses Investment haben wir gewählt, um bei einem erfolgversprechenden Internetportal dabei zu sein. Da fast jeder Viva kennt, ist auch keine große Marketingkampagne mehr nötig.
AR: Welche Ziele verfolgt edel?
Diederich: Zunächst einmal wollen wir unsere Glaubwürdigkeit innerhalb des Kapitalmarktes zurückgewinnen. Ende des Jahres 2000 werden wir die Ergebnisse zeigen, die wir prognostiziert haben. Zudem möchten wir unseren Marktanteil in Deutschland von knapp vier Prozent auch auf internationaler Ebene erreichen. Beim Umsatz rechnen wir für dieses Jahr mit einer Milliarde Mark.
AR: edel besitzt nach einer Vielzahl von Übernahmen rund 70 Tochtergesellschaften. Dadurch hat das Unternehmen ein gutes internationales Produktions- und Vertriebsnetz erschlossen. Besteht dabei auch die Gefahr, sich zu verzetteln?
Diederich: Gut, die Gruppe ist durch Übernahmen sehr schnell gewachsen. Doch oft gibt es Situationen wie diese: Ein für uns interessantes Unternehmen wie "Play It Again Sam" ist auf dem Markt verfügbar. Dann heißt es: "Da schlagen wir jetzt zu oder niemals." Bisher haben wir die von unserem Vorstandsvorsitzenden Michael Haentjes beim Börsengang angekündigte internationale Akquirierungsstrategie konsequent verfolgt. Dabei glaube ich nicht, dass wir uns verzetteln.
AR: Leidet ein Finanzvorstand beim Fall des Aktienkurses persönlich mit?
Diederich: Generell gilt, dass die am Aktienkapital eines Unternehmens beteiligten Mitarbeiter stolz sind und eine höhere Motivation haben. Sinkt dann der Kurs, spürt man das auch bei diesen Mitarbeitern. Trotzdem – die Leidensfähigkeit unserer Mitarbeiter ist in diesen Dingen groß. Persönlich habe ich selbst kaum Zeit, über diese Wertveränderungen nachzudenken. Ich glaube nicht, dass dieses Denken von Quartal zu Quartal einem Unternehmen langfristig gut tut
AR: Ihr Aktienkurs wurde von der Pflicht zur Veröffentlichung von Quartalszahlen besonders hart getroffen.
Diederich: Absolut. Wenn ich etwas Bestimmtes aufbauen will, bekomme ich das nicht immer quartalsweise dokumentiert. Bei größeren Unternehmen glätten sich solche Anlaufkosten. Man verliert schnell den Faden, wenn man nur darauf hört, was der Kapitalmarkt verlangt.