SPIEGEL ONLINE - 10. November 2006, 14:01
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DIVIDENDEN-AUSBLICK
Raus mit den Milliarden!
Von Lutz Reiche
Dividendenjäger dürfen sich die Hände reiben. Deutschlands Großkonzerne werden im Jahr 2007 so viel von ihrem Gewinn ausschütten wie nie zuvor. Um die Aktionäre bei Laune zu halten, gehen sie dafür mitunter an die Substanz.
Wenn man den Auguren glauben darf, wird das Jahr 2007 ein großartiges Jahr - zumindest für Dividendenjäger. Dann werden Deutschlands 30 größte Unternehmen rund 21,6 Milliarden Euro für das zurückliegende Geschäftsjahr an die Aktionäre verteilen - ohne Sonderausschüttungen wohlgemerkt. Im Jahr 2004 waren die Ausschüttungen nicht einmal halb so hoch.
Die Dividenden werden sogar stärker steigen als die Gewinne. Während letztere im Jahr 2006 voraussichtlich um etwa zehn Prozent klettern dürften, sollen die Dividenden in 2007 gar um rund 19 Prozent anziehen, schätzt die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW).Die Konzerne werden im Schnitt also mehr ausschütten als sie verdienen. Nach Überzeugung von LBBW-Stratege Frank Schallenberger werden sich viele Konzerne mit solcher Großzügigkeit übernehmen. "Auf Dauer ist diese Quote viel zu hoch und kaum zu halten", sagt er. Dabei dürfte aus Sicht eines Anlegers gerade die Nachhaltigkeit der Dividendenzahlung von großer Bedeutung sein. Gleichwohl, so räumt der Experte ein, liegt der Dax mit einer Ausschüttungsquote von rund 40 Prozent der Gewinne noch drei bis fünf Prozentpunkte unter dem europäischen Niveau.
Negativbeispiel Enel
Trotzdem könne man solche Steigerungsraten nicht unendlich lange durchhalten. "Irgendwann sollte sich da ein Gleichlauf einstellen", betont Schallenberger. Lieber kleinere aber dafür kontinuierliche Dividendensteigerungen als eine einmalig hohe Quote. "Dann weiß der Investor woran er ist. Und er hat die Sicherheit, dass magere Jahre auch sicher überbrückt werden können."
Dividenden 2007: Die größten Zahler, Steigerungen und Renditen
Als Negativbeispiel führt Schallenberger den Energiekonzern Enel an. Die Italiener schütteten in der Vergangenheit regelmäßig mehr Dividende aus als sie an Gewinn einfahren konnten und finanzierten dabei einen Teil der Ausschüttungen wiederholt durch Beteiligungsverkäufe. "Das ist kein zukunftsweisendes Modell. Denn irgendwann muss die Dividende zurückgefahren werden", sagt LBBW-Experte Schallenberger.
Auch der Düsseldorfer RWE-Konzern strebt nach eigenen Aussagen künftig eine Ausschüttungsquote von bis zu 80 Prozent an, um die Aktionäre an den satten Gewinnen der vergangenen Jahre teilhaben zu lassen, wie es offiziell heißt. Der Energieriese wird nach Schätzungen von LBBW und LRP seine Dividende auf rund 3,50 Euro nahezu verdoppeln und damit so stark steigern wie kein anderes Unternehmen im Dax. Doch auch wenn es gerade in dieser Branche zurzeit leicht fällt wie nie, Geld zu verdienen, bleibt Schallenberger skeptisch. "Aus Sicht der Investoren ist das sicher löblich. Aber RWE wird diese hohe Dividende kaum halten können".
Nachholbedarf gegenüber dem Rest Europas
Zu den wenigen Konzernen im Dax, die ihre Dividende voraussichtlich unverändert lassen zählt Tui. Im Gegensatz zu Infineon , deren Aktionäre wohl leer ausgehen werden, wird der Reisekonzern aber immerhin noch 0,77 Euro Dividende je Anteilsschein seinen Eigentümern überweisen. Tui bringt es damit wie RWE auf eine Dividendenrendite von 4,4 Prozent, der zweithöchsten nach der Telekom.
Doch der Schein trügt. Die hohe Dividendenrendite ist ähnlich wie bei der Telekom dem in der Vergangenheit schwachen Kursverlauf geschuldet. Und der Hannoveraner Konzern wird für das laufende Geschäftsjahr in 2007 mehr ausschütten als er verdient. Kurzum: Tui geht zumindest kurzfristig an die Substanz.
Natürlich kennen auch die Finanzvorstände die Bedenken, die der Experte formuliert. Doch für sie stehen offensichtlich die gewichtigen Aspekte im Vordergrund, die für einen Anstieg der Ausschüttungen sprechen. Einer davon ist der "Nachholbedarf" gegenüber dem Rest Europas. Nicht zuletzt die Finanzwerte im EuroStoxx50 konnten in den vergangenen Jahren mit einer deutlich höheren Dividendenrendite als Banken und Versicherer hier zu Lande auftrumpfen. Da will auch die in der Vergangenheit etwas knauserige Allianz nicht mehr zurückstehen und künftig bis zu 40 Prozent des Gewinns an die Aktionäre weiterreichen.
Andreas Hürkamp, Stratege von der Landesbank Rheinland-Pfalz (LRP), sieht noch einen anderen Grund. "Wir sind davon überzeugt, dass einzelne Dax-Konzerne im Fokus von Hedgeonds und anderen Unternehmen stehen", sagt der Experte. Da sei eine attraktive Dividende eben eine Option, den Aktienkurs nach oben zu treiben, um so eine feindliche Übernahme zu erschweren.
Telekom ist der größte Dividendenzahler
Schließlich gibt es jene Unternehmen, die ihre Aktionäre schlicht bei Laune halten müssen, da ihre Aktie in der Vergangenheit alles andere als eine überzeugende Performance abgeliefert hat. Die Deutsche Telekom ist so ein Fall. Trotz eines voraussichtlich fallenden Gewinns wird der Konzern etwa 80 Prozent dieses Gewinns an die Aktionäre weiterreichen. Mit rund 3,5 Milliarden Euro ist die Telekom nicht nur größter Dividendenzahler im Dax, sondern weist mit 6,2 Prozent zugleich die höchste Dividendenrendite aus. Kurzfristig orientierte Dividendenritter mag das anlocken. Für jene geschundenen T-Aktionäre, die länger investiert sind, ist das nicht mehr als ein Trostpflaster. Zur Erinnerung: Im Jahr 2002 und 2003 gingen sie leer aus. Und die T-Aktie wird trotz ihrer im Spätsommer gestarteten Aufholjagd wahrscheinlich auch in diesem Jahr die schwächste Kursperformance im Dax aufweisen.
Also, raus mit den Milliarden! Fast ein wenig mitleidsvoll meint ein Börsianer: "Was soll Konzernchef Ricke auch machen? Wenn er die Aktionäre nicht bei der Stange hält, gehen sie auf die Barrikaden und er muss womöglich noch früher seinen Hut nehmen als jetzt bereits spekuliert wird."