„Die Weltwirtschaft ist stabiler als gedacht“

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jack303:

„Die Weltwirtschaft ist stabiler als gedacht“

 
11.09.02 08:11



10. Sep. 2002 Thorsten Polleit, Chefvolkswirt bei Barclays Capital, sieht den internationalen Terrorismus als größte Bedrohung für die Weltwirtschaft. Dennoch stellt er für die zukünftige Konjunkturentwicklung eine vorsichtig optimistische Prognose. FAZ.NET sprach mit ihm über die Gründe, warum er eine erneute Rezession nicht befürchtet - eine Deflation aber ebensowenig erwartet.

Herr Polleit, die Warnsignale häufen sich. Das Konjunkturbarometer ifo-Index weist nach unten. Die Aufträge für die Industrie gehen zurück. Wie steht es um die Konjunktur?

Allen pessimistischen Stimmen zum Trotz hat die ohnehin schon geschwächte Weltwirtschaft eine Reihe „negativer Schocks“ - zu nennen sind der Terror des 11. Septembers und die Vertrauens- und Kursverluste auf den internationalen Aktienmärkten - erstaunlich gut abgefedert. Die Weltwirtschaft ist stabiler geworden, als es allgemein vermutet wird. Für eine Verbesserung der Konjunkturlage wird es jedoch Zeit brauchen, mehr Zeit, als das noch vor einigen Monaten vielfach erwartet wurde.

In den USA und im Euroraum haben sich die Aufschwungkräfte abgeflacht, und ich gebe zu: Es braucht derzeit nicht allzu viel Phantasie, um sich eine drastische Verschlechterung der Weltwirtschaftslage bis hin zu einer ausgeprägten Weltwirtschafts- und -finanzkrise auszumalen. Doch wenn es zu keinen weiteren „negativen Schocks“ im Zuge der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus kommt, halte ich einen Rückfall in eine rezessive Entwicklung für unwahrscheinlich.

Dennoch haben verschiedene Volkswirte in letzter Zeit wieder das Wort „Rezession“ in den Mund genommen. Sie halten das für unbegründet?

Grundsätzlich verfügen wir nur über sehr begrenztes Wissen, die Entwicklungen in der Zukunft verlässlich einzuschätzen. Wenn jedoch Variablen zu Rate gezogen werden, die sich als verlässlich für die Konjunkturprognose erwiesen haben, muss die Hoffnung auf eine moderate Erholung nicht ad acta gelegt werden. Ein Beispiel: Der Rückgang des vielbeachteten ifo-Index, der einen recht guten Gleichlauf mit der Konjunktur aufweist, ist vor allem auf eine scharfe Reversion der Erwartungskomponente zurückzuführen. Die Erwartungen waren in den Vormonaten massiv nach oben geschnellt, der Überschwang wird nun auf ein realistischeres Niveau zurückgeführt.

Es gibt also Hoffung auf eine moderate Erholung. In welchem Zeitraum ist denn damit zu rechnen?

Unsere empirischen Schätzungen deuten an, dass die Konjunktur im Euroraum Ende Herbst den Tiefpunkt hinter sich lassen wird und danach leichte Besserungstendenzen sichtbar werden. Dem nur allzu schnell um sich greifenden Skeptizismus sollte entgegen gehalten werden: Das marktwirtschaftliche System ist der beste Garant für die Erfüllung der Hoffnung auf künftige wachsende und den Wohlstand mehrende volkswirtschaftliche Aktivität.

Der zur Zeit relevante Unsicherheitsfaktor liegt nicht im marktwirtschaftlichen System selbst begründet; die Selbstheilungskräfte der Marktwirtschaft sind überaus stark. Es sind die unabsehbaren Folgen des internationalen Terrorismus, einhergehend mit den Spannungen in der geopolitischen Architektur, die die größte Bedrohung für die westliche Welt einschließlich ihrer Wirtschaften darstellen. Die westliche Welt steht vor einer in dieser Form noch nicht da gewesenen Herausforderung.

Würden Sie ihre Prognose auch für den Fall eines Krieges im Irak beibehalten?

Ein militärisches Vorgehen gegen den Irak kann unterschiedliche Konsequenzen haben. Bleibt der Militärschlag zeitlich und räumlich begrenzt, hätte dies natürlich gänzlich andere Folgen als eine Entwicklung, die mit einer anhaltenden, sich ausbreitenden Eskalation im Nahen Osten einherginge. Da ich auf ein entschiedenes und erfolgreiches Vorgehen der USA und Großbritannien im Kampf gegen die Bedrohung des Terrorismus setze, gehe ich von einer wirtschaftlichen Besserung aus.

Was den Irak betrifft gibt es ja noch die Frage der eventuell steigenden Ölpreise. Welchen Preis könnten wir denn gerade noch so verkraften? Wo wäre die Schmerzgrenze?

Bekanntermaßen reduziert ein steigender Ölpreis die realen Einkommen und die aggregierte Nachfrage und dämpft die Konjunktur. Der Anstieg des Ölpreise auf nunmehr knapp 30 US-Dollar dürfte bereits Bremswirkungen entfalten, die offensichtlich aber noch verkraftbar erscheinen. Ein Ölpreis, der sich dauerhaft auf 35 bis 40 US-Dollar bewegt, dürfte die Euroraum-Konjunktur empfindlich treffen. Der Euro-US-Dollar-Wechselkurs wird zudem wichtig für die heimische Ölrechnung sein. Wenngleich auch in den kommenden Monaten der Dollar noch gegenüber dem Euro an Wert verlieren könnte, rechne ich in längerer Frist mit einer Fortsetzung der Dollar-Aufwertung gegenüber dem Euro.

Noch einmal zurück zur nationalen Sichtweise. Die Parteien gehen mit der konjunkturellen Situation, vor allem nach dem Hochwasser sehr unterschiedlich um. Gerhard Schröder hat die Steuerreform ausgesetzt. Wie bewerten sie diesen Schritt?

Die Negativeffekte von beliebigen Eingriffen in das Wirtschaftsleben werden unterschätzt. Wirtschafts- und Finanzpolitik muss berechenbar sein. Die Rahmenbedingungen, die vorgegeben werden, müssen Unternehmen Planungssicherheit bieten. Leider wird in Deutschland immer wieder gegen das Prinzip der Verlässlichkeit verstoßen. Diese Verstöße behindern nicht nur die Konjunktur, sondern auch langfristig eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung. Eine Verschiebung der bereits angekündigten Steuersenkung ist daher auch negativ zu bewerten. Eine Finanzierung der Flutschäden durch Kredite oder zusätzliche Steuern ist abzulehnen. Die Kosten der Flutkatastrophe sollten durch Umschichtungen im laufenden Haushalt finanziert werden.

Edmund Stoiber setzt eher auf eine Art Deficit Spending. Ist das denn das richtige Mittel?

Staatskredite sind die Steuern von morgen. Die Flutschäden mit zusätzlichen Staatskrediten zu bezahlen, wäre eine scheinheilige Art der Solidaritätsbekundung: Durch eine Kreditfinanzierung würden die Portemonnaies der laufenden Generation geschont und die Kosten auf die künftigen Generationen verschoben. Und vor allem: Die desolaten Staatsfinanzen gestatten es nicht mehr, weitere Kredite aufzunehmen. Angesichts der absehbaren Demographie in Deutschland und der deutschen Wachstumsschwäche könnte eine weitere Erhöhung der Staatsschulden die künftige wirtschaftliche und politische Stabilität ernstlich gefährden. Jede weitere Erhöhung der Staatsschuld in Deutschland wäre fahrlässig.

Ist es auch fahrlässig, den Stabilitätspakt aufzuweichen?

Der Stabilitätspakt ist eine „produktive Regel“, die auf keinen Fall gebrochen werden sollte. Er verhindert, dass Politiker und Wahlbürger dem überaus starken Anreiz erliegen, den heutigen Konsum weiter auf Kosten der künftigen Generation zu finanzieren. Der Stabilitätspakt ist eine ökonomisch aufgeklärte Antwort, diesem Problem zu begegnen. Doch leider steht es schlecht um den Pakt: Einer mentalen Unterminierung des Vertrags wird wohl bald die inhaltliche Verwässerung folgen.

Bei der schwächelnden Konjunktur könnte ja grundsätzlich auch wieder die Geldpolitik ins Spiel kommen. Wim Duisenberg hat aktuell entschieden, den Leitzins nicht zu senken. Die Amerikaner sind mit Zinssenkungen etwas freigebiger gewesen. Wie begründet ist denn die Sorge um eine Deflation - in den USA, aber auch bei uns?

Inflation wie Deflation sind monetäre Phänomene. Zur Zeit herrscht keine Geldangebotsknappheit, weder im Euroraum noch in den USA. Vielmehr ist in beiden Währungsräumen das Geldmengenwachstum nach wie vor relativ hoch. Allerdings hat sich die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, d. h. die Häufigkeit, mit der Geld zu Käufen eingesetzt wird, in beiden Währungsräumen deutlich vermindert. Dies dürfte aber vor allem an der schwachen Konjunktur liegen.

Einiges spricht dafür, dass die üppige Geldausstattung der Volkswirtschaften früher oder später in einem konjunkturellen Impuls mündet. Ob weitere Zinssenkungen der Geldpolitik hilfreich sind, ist fraglich. Sie sind aber keinesfalls ausgeschlossen, da die Konjunktursorgen der Notenbankpolitiker zuzunehmen scheinen und Zinssenkungen vermutlich auch als geeignet eingestuft werden, um die Kreditvergabe der Banken zu beleben.

Ihr Fazit?

Der internationale Terrorismus ist die große Bedrohung für die westliche Welt, eine Bedrohung, die in ihrem Ausmaß nur schwer abschätzbar ist. Dieser Gefahr muss entschieden begegnet werden. Ein ungetrübtes Vertrauen in das Funktionieren des marktwirtschaftlichen Systems ist das beste Argument für die Aussicht auf konjunkturelle Besserung.

Von größerer Besorgnis als die aktuelle Konjunkturschwäche müsste die ausgeprägte Wachstumsschwäche im Euroraum sein. Das Trendwachstum ist zu gering, als dass das heutige Wohlstandsniveau für die Zukunft gesichert wäre. Das Gebot der Stunde muss sein: Steuern und Staatsausgaben senken, weniger Bürokratie und mehr Markt.




Das Gespräch führte Nadine Bös

Text: @nabs
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