Aus der FTD vom 27.6.2001
Der Aufstieg des Neuen Marktes bis ins Frühjahr 2000 erinnert an die Schlacht von König Pyrrhus bei Ausculum gegen die Römer: "Noch so ein Sieg, und wir sind verloren!"
Die Anleger haben im vorigen Jahr an den Vormarsch der Neuen Ökonomie geglaubt und alle Opfer gebracht, um daran teilzuhaben. Der Neue Markt hatte in der Gunst der Anleger über die alten Börsensegmente gesiegt. Kein Preis war zu hoch. Die Unternehmen haben - meist vermutlich unwissentlich - unrealistisch hohe Erwartungen geschürt. Firmen wie T-Online oder EM.TV , die kaum Umsätze erzielten, wurden so bewertet wie DaimlerChrysler oder VW . Selbst die fragwürdigsten Neuemissionen wurden den Banken aus den Händen gerissen, als ob es morgen keine mehr gäbe.
Genau so ist es gekommen, denn es gibt ja fast keine mehr. Die Anleger mussten massive Verluste einstecken und haben das Vertrauen verloren. Es ist fraglich, ob es so schnell wieder zurückkehrt. Viele der früheren Stars haben Gewinnwarnungen herausgegeben, die sich gewaschen haben. EM.TV, Intershop , Brokat und Heyde sind nur einige Beispiele. Mit Gewinn- und Umsatzschätzungen kann man nichts anfangen, da sie oft binnen wenigen Wochen hinfällig sind. Wie soll man die Unternehmen da bewerten?
Viele Firmen machen Verluste, und ihre Zukunft ist unsicher. Auch wenn sie gute Produkte bieten: Wer kann es den Kunden verdenken, wenn sie abwarten und so die wirtschaftliche Situation noch schlimmer machen. Fondsmanager müssen sich fragen, ob sie einen Wert wieder loswerden können, wenn er sich schlecht entwickelt hat. Die Handelsvolumina sprechen nicht dafür.
Es gibt nur wenige richtig gute Firmen, anders als an der Nasdaq kaum welche mit Weltgeltung. Die Guten sind oft teuer, es kann sie jederzeit erwischen. Aixtron ist das jüngste Beispiel. Firmen wie Thiel sehen auf den ersten Blick nicht hoch bewertet aus. Aber auch bei ihnen geht die Rechnung nur auf, wenn sie die ehrgeizigen Ziele erfüllen.
Wie jedes andere Segment leidet der Neue Markt unter dem wirtschaftlichen Umfeld. Und bestimmt gibt es ein paar Perlen. Eine wieder freundlichere Börsenverfassung vorausgesetzt, ist der Neue Markt vermutlich sogar eine einträgliche Wette. Doch noch so ein Sieg wie voriges Jahr, und er ist verloren.
Cap Gemini
Das schlechte Vorzeichen war da. Auf der Analystentagung vor zwei Wochen hatte die IT-Beratung Cap Gemini , spezialisiert auf die Integration von Softwaresystemen, einen finanziellen Ausblick verweigert. Der kam am Dienstag, und die Aktie ging in den Keller.
Die Systemberater hängen stark von der Konjunktur ab. Integrationsprojekte werden dann aufgeschoben, wenn sich beim Kauf neuer Hard- und Software kaum mehr sparen lässt. Da rund 70 Prozent des Umsatzes der Systemberater aus solchen Projekten stammen, trifft sie ein anhaltender Wirtschaftsabschwung hart. So gesehen könnten die Anbieter von Standardsoftware wie SAP aber das Schlimmste bald hinter sich haben. Langfristig sind die Beratungsfirmen interessant. Die IT-Abteilungen der Kunden können den angestellten Spezialisten oft nicht die Aufstiegschancen bieten wie die Systemhäuser. Zudem werden die Anforderungen an die Expertise der Berater größer. Das fördert die Ausgliederung der IT-Beratung aus den Unternehmen hin zu den Systemhäusern.
Cap Gemini kostet noch das 15fache des bisher für 2002 geschätzten Gewinns. Das ist nicht übermäßig viel. Für EDS , den am ehesten vergleichbaren börsennotierten Konkurrenten, ist der 20fache Gewinn zu zahlen.
Wer über Zyklen hinwegdenkt, der kann einen Blick auf Cap Gemini riskieren. Aber solange an der Konjunkturfront weiter schwarze Wolken drohen, darf man von der Aktie nicht zu viel erwarten.
Merrill Lynch
Das ist kein gutes Signal für die Branche. Merrill Lynch hat seine Gewinnprognose eine Woche vor Quartalsende ein Drittel niedriger gehängt als die Analystenschätzungen. Wenn die Investor-Relations-Manager von Merrill nicht geschlafen haben, muss das Juni-Geschäft extrem stark eingebrochen sein.
Die Gewinne von Investmentbanken hängen eng an der Börse und sind daher schwer vorherzusagen. Um den Anlegern Schocks zu ersparen, füttern die Banker die sie beobachtenden Analysten der Konkurrenz inzwischen übers Quartal verteilt mit Info-Häppchen. Bei Goldman Sachs und Morgan Stanley endet das Quartal vier Wochen früher. Beide hatten ihre Anleger so gut auf die schlechten Zahlen vorbereitet, dass Goldman den Konsens der Analysten traf und Morgan Stanley sogar leicht darüber lag. Es kann daher sein, dass auch Merrill positiv überrascht, wenn die endgültigen Zahlen kommen. Das ändert am wackligen Ausblick für den Sektor aber wenig.
Die Sorgen am Neuen Markt
Der Aufstieg des Neuen Marktes bis ins Frühjahr 2000 erinnert an die Schlacht von König Pyrrhus bei Ausculum gegen die Römer: "Noch so ein Sieg, und wir sind verloren!"
Die Anleger haben im vorigen Jahr an den Vormarsch der Neuen Ökonomie geglaubt und alle Opfer gebracht, um daran teilzuhaben. Der Neue Markt hatte in der Gunst der Anleger über die alten Börsensegmente gesiegt. Kein Preis war zu hoch. Die Unternehmen haben - meist vermutlich unwissentlich - unrealistisch hohe Erwartungen geschürt. Firmen wie T-Online oder EM.TV , die kaum Umsätze erzielten, wurden so bewertet wie DaimlerChrysler oder VW . Selbst die fragwürdigsten Neuemissionen wurden den Banken aus den Händen gerissen, als ob es morgen keine mehr gäbe.
Genau so ist es gekommen, denn es gibt ja fast keine mehr. Die Anleger mussten massive Verluste einstecken und haben das Vertrauen verloren. Es ist fraglich, ob es so schnell wieder zurückkehrt. Viele der früheren Stars haben Gewinnwarnungen herausgegeben, die sich gewaschen haben. EM.TV, Intershop , Brokat und Heyde sind nur einige Beispiele. Mit Gewinn- und Umsatzschätzungen kann man nichts anfangen, da sie oft binnen wenigen Wochen hinfällig sind. Wie soll man die Unternehmen da bewerten?
Viele Firmen machen Verluste, und ihre Zukunft ist unsicher. Auch wenn sie gute Produkte bieten: Wer kann es den Kunden verdenken, wenn sie abwarten und so die wirtschaftliche Situation noch schlimmer machen. Fondsmanager müssen sich fragen, ob sie einen Wert wieder loswerden können, wenn er sich schlecht entwickelt hat. Die Handelsvolumina sprechen nicht dafür.
Es gibt nur wenige richtig gute Firmen, anders als an der Nasdaq kaum welche mit Weltgeltung. Die Guten sind oft teuer, es kann sie jederzeit erwischen. Aixtron ist das jüngste Beispiel. Firmen wie Thiel sehen auf den ersten Blick nicht hoch bewertet aus. Aber auch bei ihnen geht die Rechnung nur auf, wenn sie die ehrgeizigen Ziele erfüllen.
Wie jedes andere Segment leidet der Neue Markt unter dem wirtschaftlichen Umfeld. Und bestimmt gibt es ein paar Perlen. Eine wieder freundlichere Börsenverfassung vorausgesetzt, ist der Neue Markt vermutlich sogar eine einträgliche Wette. Doch noch so ein Sieg wie voriges Jahr, und er ist verloren.
Cap Gemini
Das schlechte Vorzeichen war da. Auf der Analystentagung vor zwei Wochen hatte die IT-Beratung Cap Gemini , spezialisiert auf die Integration von Softwaresystemen, einen finanziellen Ausblick verweigert. Der kam am Dienstag, und die Aktie ging in den Keller.
Die Systemberater hängen stark von der Konjunktur ab. Integrationsprojekte werden dann aufgeschoben, wenn sich beim Kauf neuer Hard- und Software kaum mehr sparen lässt. Da rund 70 Prozent des Umsatzes der Systemberater aus solchen Projekten stammen, trifft sie ein anhaltender Wirtschaftsabschwung hart. So gesehen könnten die Anbieter von Standardsoftware wie SAP aber das Schlimmste bald hinter sich haben. Langfristig sind die Beratungsfirmen interessant. Die IT-Abteilungen der Kunden können den angestellten Spezialisten oft nicht die Aufstiegschancen bieten wie die Systemhäuser. Zudem werden die Anforderungen an die Expertise der Berater größer. Das fördert die Ausgliederung der IT-Beratung aus den Unternehmen hin zu den Systemhäusern.
Cap Gemini kostet noch das 15fache des bisher für 2002 geschätzten Gewinns. Das ist nicht übermäßig viel. Für EDS , den am ehesten vergleichbaren börsennotierten Konkurrenten, ist der 20fache Gewinn zu zahlen.
Wer über Zyklen hinwegdenkt, der kann einen Blick auf Cap Gemini riskieren. Aber solange an der Konjunkturfront weiter schwarze Wolken drohen, darf man von der Aktie nicht zu viel erwarten.
Merrill Lynch
Das ist kein gutes Signal für die Branche. Merrill Lynch hat seine Gewinnprognose eine Woche vor Quartalsende ein Drittel niedriger gehängt als die Analystenschätzungen. Wenn die Investor-Relations-Manager von Merrill nicht geschlafen haben, muss das Juni-Geschäft extrem stark eingebrochen sein.
Die Gewinne von Investmentbanken hängen eng an der Börse und sind daher schwer vorherzusagen. Um den Anlegern Schocks zu ersparen, füttern die Banker die sie beobachtenden Analysten der Konkurrenz inzwischen übers Quartal verteilt mit Info-Häppchen. Bei Goldman Sachs und Morgan Stanley endet das Quartal vier Wochen früher. Beide hatten ihre Anleger so gut auf die schlechten Zahlen vorbereitet, dass Goldman den Konsens der Analysten traf und Morgan Stanley sogar leicht darüber lag. Es kann daher sein, dass auch Merrill positiv überrascht, wenn die endgültigen Zahlen kommen. Das ändert am wackligen Ausblick für den Sektor aber wenig.