Wie die Geschichte vom Terror-Pärchen zerfällt
Von Matthias Gebauer
Knapp eine Woche nach der Festnahme von zwei angeblichen Bombenattentätern in Heidelberg wird der Vorwurf des Terrorismus zunehmend fragwürdig. Weder gibt es die vermuteten Hintermänner, noch waren die gefundenen Chemikalien hoch gefährlich. Der von der Politik groß verkaufte Coup gerät zur zweifelhaften Inszenierung.
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Vor dem US-Hauptquartier in Heidelberg herrschen seit Freitag erhöhte Sicherheitsmaßnahmen
Heidelberg - Im Kampf gegen den Terror brauchen die Feinde griffige Namen. Und so dauerte es nicht lange am vergangenen Freitagabend, bis auch zwei Möchtegern-Attentäter aus Heidelberg einen Namen hatten, der sich gut einprägte. Der 25-jährige Osman P. und seine 23-jährige Freundin Astrid E. waren von da ab das "Terror-Pärchen", das den "schwersten Anschlag auf eine US-Auslandseinrichtung seit dem 11. September" plante, wie die "Washington Post" dramatisch vermeldete.
Wenige Tage nach der spektakulären Festnahme in einer beschaulichen Heidelberger Wohngegend lichtet sich der Nebel um den Schauplatz des Blitz-Angriffs im Anti-Terror-Kampf deutscher Behörden. Je mehr Fakten aus den Ermittlungen bekannt werden, umso deutlicher wird, dass Osman P. und Astrid E. keine professionellen Gotteskrieger im Auftrag al-Qaidas oder einer anderen Terror-Organisation sind. Dementsprechend wenig überraschte es, dass die Heidelberger Justiz am Mittwoch mitteilte, dass beide bisher kein "Geständnis im Sinne des Haftbefehls" abgegeben hätten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, sie hätten anlässlich des Jahrestages der Attacken vom 11. September einen Bombenanschlag auf einen US-Supermarkt in Heidelberg geplant.
Dass die Darstellung der Gefahr durch das angebliche "Terror-Pärchen" übertrieben war, signalisiert auch, dass der für Terrorismus zuständige Generalbundesanwalt Kay Nehm das Verfahren bisher nicht an sich gezogen hat und dies nach Einschätzung seiner Ermittler auch nicht tun wird. Dabei hatte Bayerns Innenminister und "Kompetenz"-Team-Mitglied Günther Beckstein (CSU) den Heidelberger Fall sofort benutzt, um seine Kritik an der vermeintlich zu laschen Terror-Bekämpfung der Bundesregierung zu begründen, und seine Forderungen nach strengeren Ausländerkontrollen und Sicherheitsüberprüfungen bei Menschen wiederholt.
380 Gramm Schwarzpulver
Vielleicht hätte Beckstein mit seinen Kommentaren etwas vorsichtiger sein sollen, denn die vom baden-württembergischen Innenminister Thomas Schäuble (CDU) am Freitag eilig präsentierten Beweise gegen die beiden Verdächtigen werden immer fragwürdiger. So hatte Schäuble gesagt, dass in dem Haus des Pärchens 130 Kilogramm Chemikalien zur Herstellung von hochexplosivem Sprengstoff gefunden wurden. Die soll Osman P. bei seinem Arbeitgeber, einem Großhandel für Chemikalien, gestohlen haben. Aus dem Chemielager auf der Terrasse habe der Mann Bomben bauen wollen, folgerte Schäuble.
Mittlerweile haben die Ermittler die Chemikalien untersucht. Das Ergebnis: Bisher verfügte Osman P. nur über gerade mal rund 380 Gramm Schwarzpulver, dessen Beschaffung auch ohne Chemiekenntnisse nicht gerade schwierig ist. Ein Anschlag am 11. September wäre demnach gar nicht möglich gewesen. Insgesamt, so die Einschätzung der Sprengstoffexperten, hätte Osman P. aus den gefundenen Stoffen etwa 20 Kilogramm des Stoffes herstellen können, der in jedem handelsüblichen Silvester-Kracher enthalten ist.
Osman P.s Arbeitgeber teilte unterdessen mit, dass in seinem Lager nur Chemikalien lagerten, die man in jedem Baumarkt legal erwerben könnte. Becksteins wiederholte Forderung nach schärferen Kontrollen von Personal in sicherheitsrelevanten Bereichen und der dazu nötigen Lockerung des Datenschutzes wurde mit dieser Erkenntnis schlagartig substanzlos.
Rohrstücke und Zünder passen nicht
Als vergleichsweise harmlos entpuppten sich auch die fünf vermeintlichen Rohrbomben aus dem Appartement des "Terror-Pärchens". Innenminister Schäuble hatte noch am Freitag von "fertigen" Bomben gesprochen, die nur noch platziert werden sollten. Mittlerweile sind sich die Ermittler des Landeskriminalamtes nicht mehr sicher, ob die gefundenen Rohrstücke und die angeblichen Zünder überhaupt zu einer Rohrbombe kombiniert werden können, da sie nicht richtig zusammen passen. Ob Osman P. überhaupt in der Lage war, solche Bomben zu bauen, ist weiter unklar, obwohl die Anleitung dazu im Internet leicht zu finden ist.
Auch der angeblich stark religiös geprägte Hintergrund des Pärchens stellt sich nach den Festnahmen als weniger eindeutig dar. So hatte Schäuble über Osman P. von einem radikalen, streng gläubigen Muslim gesprochen. Die Wirklichkeit sieht anders aus: In keiner der Heidelberger Gemeinden ist der 25-jährige Türke regelmäßiger Gast, lediglich sein Vater ist als eifriger Moschee-Besucher bekannt. Menschen aus dem Umfeld des Pärchens berichten mittlerweile, dass der Lebensstil von Osman P. überhaupt nicht den engen Regeln des Islam entsprach. So trank Osman P. in der Walldorfer Markstube gern Alkohol, hatte mehrere Beziehungen zu Frauen und stand schon wiederholt wegen Drogenkonsums und -handel vor dem Richter. Im Jahr 1999 wäre er sogar fast abgeschoben worden, da er wegen eines Drogendelikts verurteilt wurde. Zum Bild des radikal-islamischen Attentäters will das nicht so recht passen.
Private Motive?
Die Behörden kommentieren all diese Fakten bisher nicht. Zwar sind sich die beteiligten Ermittler sicher, dass Osman P "irgendwas" mit den Chemikalien vorhatte. Ob es aber ein gezielter Anschlag auf US-Einrichtungen werden sollte, werde für sie immer unklarer, gesteht einer der Fahnder ein.
Mittlerweile gibt es auch Gerüchte, dass sich die beiden Verdächtigen vielleicht aus ganz anderen Gründen an dem US-Supermarkt "PX" rächen wollten, in dem Astrid E. als Kassiererin arbeitete. So berichteten Bekannte des Paares in der Lokal-Presse, dass Astrid E. mit der Leitung des Marktes Probleme gehabt habe und womöglich gekündigt werden sollte. Stellen sich diese Gerüchte als wahr heraus, wird der Terror-Verdacht immer unhaltbarer
Gleichwohl nähren die bekannten Fakten aus den Ermittlungen weiter den Verdacht, dass besonders Innenminister Schäuble den Fall des "Terror-Pärchens" im Zusammenhang mit dem Jahrestag des 11. Septembers, aber auch wegen des laufenden Wahlkampfes, unbewusst oder absichtlich überdramatisiert hat. Auf eine entsprechende Nachfrage reagierte der Innenminister bei einer Presskonferenz am Dienstag mehr als gereizt, blieb aber eine Antwort schuldig.