Von Marc Faber
Es gibt kaum ein Thema in der Wirtschaftskunde, das so wenig verstanden wird wie Inflation und Deflation. Wenn Anleger an Hyperinflationszeiten denken, nehmen sie an, dass eine Hyperinflation zu einem hohen Preisniveau führt, während man Preisstabilität oder Deflation mit tiefen Preisen identifiziert. Tatsache ist aber, dass die Weimarer Hyperinflationsjahre wie die südamerikanische Hyperinflation in den achziger Jahren zu ganz tiefen Preisen führten, insbesondere an den Finanzmärkten.
Weshalb dieses Paradox? Ganz einfach, weil in Ländern, welche eine Periode galoppierender Inflation erleben, der Devisenkurs schneller fällt als das inländische Preisniveau steigt. Dieser Umstand führte dazu, dass ausgedrückt in US-Dollar der deutsche Börsenindex zwischen 1920 und 1923 um 98 Prozent an Wert einbüßte und dass in Argentinien im Jahre 1987, der gesamte Börsenwert aller Gesellschaften auf weniger als eine Milliarde DM gesunken war.
Ebenso große Missverständnisse ergeben sich in der Beurteilung der Inflation im heutigen Wirtschaftsumfeld: Es trifft zwar zu, dass in den Industrieländern seit dem Jahr 1980 der Index der Konsumpreise bis vor kurzem mit fallenden Zuwachsraten sich erhöhte, aber dafür sind die Preise von Aktien und Obligationen stark gestiegen. Nun stellen Sie sich einen typischen Haushalt vor, der konsummiert und einen Teil seines Einkommens für die Altersvorsorge auf die Seite legt. In Amerika konnte im Jahre 1982 dieser Haushalt mit rund 100 Arbeitsstunden einen Dow Jones Industrial Average, der damals auf rund 850 stand und über sechs Prozent rentierte, kaufen. Heute braucht aber, dieser gleiche Haushalt rund 800 Arbeitsstunden, um einen Dow Jones, der zur Zeit auf knapp 11 000 steht und 1,5 Prozent rentiert, zu kaufen. Nun mag ein Zentralbankpräsident bemerken, dass zur Zeit die Inflation kein Problem ist, aber für diesen Haushalt könnte der Kauf des Dow Jones auf diesem Niveau, falls er nicht mehr steigt sondern fällt, zu einem langfristigen Problem werden, wie das im übrigen in Japan seit 1990 der Fall war. Dort hat nämlich seit 1990 der fallende Aktienmarkt Reichtum zerstört und somit den Verbrauch vermindert.
Was ich damit sagen möchte, ist, dass Inflationen, ganz verschieden verkleidet, auftauchen: Es gibt Zeiten, wo die Inflation offensichtlich ist, dann nämlich, wenn die Löhne, Rohstoff- und Konsumentenpreise stark steigen, wie das der Fall war in den siebziger Jahren. Dann gibt es auch Zeiten, wo die Konsumentenpreise kaum ansteigen, aber Vermögenswerte rasch an Wert zunehmen, wie Immobilien in den achziger Jahren oder Aktien in den neunziger Jahren. Diese letzteren, kaum bemerkbaren Inflationen sind aber besonders gefährlich, weil sie das Publikum zu Spekulationskäufen mit geborgtem Geld verleiten. Und wenn dann eines Tages die Preise nicht mehr wie erwartet steigen, sondern fallen, können die ausstehenden Kredite nicht mehr getilgt werden. In extremen Fällen, wie in Amerika nach dem Jahr 1929, in Japan nach 1990 und Asien nach 1997 folgen dann Wirtschaftskrisen. Und zumal die amerikanische Börse noch nie zuvor so hoch bewertet wurde, sollte die Zukunft der Finanzmärkte und auch der Weltwirtschaft, doch mit einiger Besorgnis beurteilt werden.