Die große, große Umverteilung
- von Bernd Niquet -
Börse hoch, Börse runter, Wirtschaftserholung, Wirtschaftsabschwächung – die ganze Welt ist gegenwärtig verwirrend wie schon lange nicht mehr. Irakkrieg, Goldpreis, Aktiengewinn-Besteuerung, Zins-Abgeltungssteuer, Sozialabgaben-Steigerung, Krankenkassen-Pleiten, Rekord-Verschuldung – alles kunterbunt durcheinander: Wichtig, unwichtig? Kann sein, kann auch nicht sein. Gibt es noch einen roten Faden durch dieses Labyrinth? Ich will einmal versuchen, ein paar Fäden zu knüpfen:
In dieser Woche ist mir ein Aufsatz von Kurt Richebächer in die Hände gekommen, in dem dieser beklagt, dass im Jahr 2001 die Wirtschaft in den USA nur um gut 200 Mrd. Dollar gewachsen, die Verschuldung im Vergleich dazu jedoch überproportional angestiegen ist, nämlich um 1.000 Mrd. Dollar alleine von den Haushalten und Unternehmen zuzüglich weiteren (!) 916 Mrd. Dollar im Finanzsektor. Insgesamt hat die Verschuldung damit also beinahe zehn Mal (!) so stark zugenommen wie die Wirtschaftsleistung. So etwas, das wird selbst der Wirtschaftslaie verstehen, kann natürlich nicht lange gut gehen.
Doch stimmt das eigentlich tatsächlich? Ich habe mir die Zahlen einmal genau angesehen, denn die entscheidende Frage ist doch stets, wenn so viel geborgt wird: Wer leiht denn hier eigentlich? Erstaunlich ist zunächst, dass die These, dass die US-Haushalte ihren Konsum massiv durch Immobilienkredite finanzieren, gar nicht stimmt. Denn die ganze Mortgage-Industrie hat zwar beinahe 900 Mrd. Dollar verliehen, genauso viel jedoch selbst auch wieder aufgenommen – Resultat: null! Größter Finanzierer sind das Ausland mit etwa 360 Mrd. Dollar, das Bankensystem mit 200 Mrd. Dollar, die Lebensversicherungen mit 130 Mrd. Dollar sowie die Geldmarkt- und sonstigen Fonds mit 370 Mrd. Dollar.
Bis auf das Ausland wird also – wie eigentlich auch nicht anders zu erwarten war – nur fleißig hin und her geliehen. Will sagen: Uns wird stets suggeriert, dass es sich hier um Nettoverschuldung handelt, doch das ist mit Ausnahme der Verschuldung gegenüber dem Ausland natürlich nicht wahr. Bleibt die Frage, warum denn nicht nur in den USA gegenwärtig wie verrückt geliehen und geborgt wird?
Schauen wir dazu auf zwei sehr langfristige Trends: (1) In Deutschland hat sich in den letzten dreißig Jahren die Investitionsquote beinahe halbiert. (2) In den USA hat der vergangene Aufwärtszyklus die schwächste Gewinnentwicklung der Nachkriegszeit gebracht. Das kann eigentlich nur bedeuten, dass es im Zeitalter der zunehmenden Globalisierung und Markliberalisierung immer schwieriger wird, Kapital profitabel anzulegen. Spiegelbild dieser Medaille ist, dass die Reallöhne ebenfalls seit zwanzig Jahren nicht angezogen haben. Irgendwie sind wir also in einem Sumpf angelangt, in dem kein Sektor so richtig Freude hat. Und trotzdem wird so fleißig wie noch nie herumgeborgt und herumgeliehen.
Der einzige Hypothese, die diesen gordischen Knoten aus meiner Sicht durchschlägt, ist die folgende: Das gesamte Geschehen steht unter dem beinahe emonokausalen Einfluss einer gigantischen Umverteilung. Konkret: Die Reichen und die Gewinner leihen an die Armen und Verlierer! Die einen bauen gigantische Forderungspyramiden, während die anderen spiegelbildlich die Schulden auftürmen!
Dazu nur in paar Zahlen: Die Unternehmensgewinne sehen nur noch deswegen gut aus, weil die Unternehmen keine Steuern mehr zahlen. In Deutschland kennen wir dies zur Genüge, aber auch in den USA bezahlen 44 der 82 größten Konzerne nicht den normalen Steuersatz und 17 Prozent (1.279 Unternehmen mit einem Vermögen von mehr als 250 Mio. Dollar) gar keine Steuern. Gewinner ist hauptsächlich das reichste Hundertstel der Bevölkerung, deren Einkommen seit 1979 um fast 160 Prozent gestiegen sind. Umso tragischer, dass auch in Deutschland durch das Halbeinkünfteverfahren und die Zins-Abgeltungssteuer die ganz Reichen deutlich bevorteilt werden, die ihre Erträge somit noch trefflicher ausleihen können, während die niedrigen Einkommensschichten, die diese Steuergeschenke über höhere Sozialabgaben zu finanzieren haben, weiterhin in die Verschuldung schlittern.
Der wirkliche Sprengstoff liegt also nicht in den absoluten Zahlen, sondern vielmehr in der internen Verteilung. Und da man hierüber nur spekulieren kann, bleibt man auch hinsichtlich der Frage, wann vielleicht einmal ein großer Knall passieren könnte, letztlich auf das Raten angewiesen. Und dennoch zieht man gerade hier ganz sicher am roten Faden.
Bernd Niquet, im Dezember 2002
E-Mail: berndniquet@t-online.de
- von Bernd Niquet -
Börse hoch, Börse runter, Wirtschaftserholung, Wirtschaftsabschwächung – die ganze Welt ist gegenwärtig verwirrend wie schon lange nicht mehr. Irakkrieg, Goldpreis, Aktiengewinn-Besteuerung, Zins-Abgeltungssteuer, Sozialabgaben-Steigerung, Krankenkassen-Pleiten, Rekord-Verschuldung – alles kunterbunt durcheinander: Wichtig, unwichtig? Kann sein, kann auch nicht sein. Gibt es noch einen roten Faden durch dieses Labyrinth? Ich will einmal versuchen, ein paar Fäden zu knüpfen:
In dieser Woche ist mir ein Aufsatz von Kurt Richebächer in die Hände gekommen, in dem dieser beklagt, dass im Jahr 2001 die Wirtschaft in den USA nur um gut 200 Mrd. Dollar gewachsen, die Verschuldung im Vergleich dazu jedoch überproportional angestiegen ist, nämlich um 1.000 Mrd. Dollar alleine von den Haushalten und Unternehmen zuzüglich weiteren (!) 916 Mrd. Dollar im Finanzsektor. Insgesamt hat die Verschuldung damit also beinahe zehn Mal (!) so stark zugenommen wie die Wirtschaftsleistung. So etwas, das wird selbst der Wirtschaftslaie verstehen, kann natürlich nicht lange gut gehen.
Doch stimmt das eigentlich tatsächlich? Ich habe mir die Zahlen einmal genau angesehen, denn die entscheidende Frage ist doch stets, wenn so viel geborgt wird: Wer leiht denn hier eigentlich? Erstaunlich ist zunächst, dass die These, dass die US-Haushalte ihren Konsum massiv durch Immobilienkredite finanzieren, gar nicht stimmt. Denn die ganze Mortgage-Industrie hat zwar beinahe 900 Mrd. Dollar verliehen, genauso viel jedoch selbst auch wieder aufgenommen – Resultat: null! Größter Finanzierer sind das Ausland mit etwa 360 Mrd. Dollar, das Bankensystem mit 200 Mrd. Dollar, die Lebensversicherungen mit 130 Mrd. Dollar sowie die Geldmarkt- und sonstigen Fonds mit 370 Mrd. Dollar.
Bis auf das Ausland wird also – wie eigentlich auch nicht anders zu erwarten war – nur fleißig hin und her geliehen. Will sagen: Uns wird stets suggeriert, dass es sich hier um Nettoverschuldung handelt, doch das ist mit Ausnahme der Verschuldung gegenüber dem Ausland natürlich nicht wahr. Bleibt die Frage, warum denn nicht nur in den USA gegenwärtig wie verrückt geliehen und geborgt wird?
Schauen wir dazu auf zwei sehr langfristige Trends: (1) In Deutschland hat sich in den letzten dreißig Jahren die Investitionsquote beinahe halbiert. (2) In den USA hat der vergangene Aufwärtszyklus die schwächste Gewinnentwicklung der Nachkriegszeit gebracht. Das kann eigentlich nur bedeuten, dass es im Zeitalter der zunehmenden Globalisierung und Markliberalisierung immer schwieriger wird, Kapital profitabel anzulegen. Spiegelbild dieser Medaille ist, dass die Reallöhne ebenfalls seit zwanzig Jahren nicht angezogen haben. Irgendwie sind wir also in einem Sumpf angelangt, in dem kein Sektor so richtig Freude hat. Und trotzdem wird so fleißig wie noch nie herumgeborgt und herumgeliehen.
Der einzige Hypothese, die diesen gordischen Knoten aus meiner Sicht durchschlägt, ist die folgende: Das gesamte Geschehen steht unter dem beinahe emonokausalen Einfluss einer gigantischen Umverteilung. Konkret: Die Reichen und die Gewinner leihen an die Armen und Verlierer! Die einen bauen gigantische Forderungspyramiden, während die anderen spiegelbildlich die Schulden auftürmen!
Dazu nur in paar Zahlen: Die Unternehmensgewinne sehen nur noch deswegen gut aus, weil die Unternehmen keine Steuern mehr zahlen. In Deutschland kennen wir dies zur Genüge, aber auch in den USA bezahlen 44 der 82 größten Konzerne nicht den normalen Steuersatz und 17 Prozent (1.279 Unternehmen mit einem Vermögen von mehr als 250 Mio. Dollar) gar keine Steuern. Gewinner ist hauptsächlich das reichste Hundertstel der Bevölkerung, deren Einkommen seit 1979 um fast 160 Prozent gestiegen sind. Umso tragischer, dass auch in Deutschland durch das Halbeinkünfteverfahren und die Zins-Abgeltungssteuer die ganz Reichen deutlich bevorteilt werden, die ihre Erträge somit noch trefflicher ausleihen können, während die niedrigen Einkommensschichten, die diese Steuergeschenke über höhere Sozialabgaben zu finanzieren haben, weiterhin in die Verschuldung schlittern.
Der wirkliche Sprengstoff liegt also nicht in den absoluten Zahlen, sondern vielmehr in der internen Verteilung. Und da man hierüber nur spekulieren kann, bleibt man auch hinsichtlich der Frage, wann vielleicht einmal ein großer Knall passieren könnte, letztlich auf das Raten angewiesen. Und dennoch zieht man gerade hier ganz sicher am roten Faden.
Bernd Niquet, im Dezember 2002
E-Mail: berndniquet@t-online.de