Gegen die Bilder blutender Kinder hat das Pentagon keine Chance, aber CNN will gegensteuern
Wie soll man die Menschen, angesichts dieser Bilder, von der Humanität des Krieges in Afghanistan überzeugen?
Washington - "Wie kann ein Mann in einer Höhle", fragte Richard Holbrooke jüngst in einer schonungslose selbstkritischen Kolumne, "propagandistisch die führende Kommunikationsgesellschaft der Welt ausmanövrieren?". Die Einschätzung selbst bestreitet niemand mehr. Aber dass Holbrooke, der unter einem Präsidenten Al Gore heute Außenminister wäre, mit der Assoziation des Höhlenmenschen spielt, ist mehr als verräterisch. Das schwer verwundete Amerika hat die Lufthoheit im Äther durch einen trotzigen Hochmut aufs Spiel gesetzt und durch die schwächeren Bilder verloren. Gegen blutende, verblutete Kleinkinder wirken die kalten Kamikaze-Treffersequenzen einer Raketenkamera für Amerikaner und Verbündete läppisch und in der muslimischen Welt zynisch. Zynisch, aber wahr, ist auch die alte Bühnen- und Filmweisheit, dass neben der Natürlichkeit von Kindern die besten Schauspieler verblassen.
Und das gilt auf Leben und Tod. Im Golfkrieg trafen Fehlabwürfe eigene Truppen, und die noch neue Videogame-Perspektive, darauf achtete das Pentagon, ließ sich in der Heimat ohne Reue genießen, weil die Raketen in Wüsten-Stellungen, nicht Vororte zu schlagen schienen. Eine Entwicklung, die CNN-Chef Walter Isaacson so nicht mehr hinnehmen will. Von seinen Korrespondenten forderte er am Mittwoch, ihre Berichterstattung "ausgewogener" zu gestalten: So sollten sie bei ihren Beiträgen über die Zerstörungen in Afghanistan und das Elend der Bevölkerung darauf hinweisen, dass die Taliban-Führung mörderischen Terroristen Schutz gewähre. Angesichts dieser Tatsache "ist es fast pervers, sich zu stark auf das Elend und die Verluste in Afghanistan zu konzentrieren", so Isaacson.
Der Mann ist angeschlagen: Im Golfkrieg wurde der Mythos von CNN begründet, in Afghanistan sticht die Gegengründung Al Dschasira CNN aus, weil der Sender von den Taliban geduldet und von Bin Laden und seinen Paladinen für ihre Hasspredigten bevorzugt wird.
Nur die Selbstzensur der Networks auf Bitten der US-Regierung - auch kein Zeichen von Souveränität - hat verhindert, dass die Amerikaner in ihren Kabelkanälen die Wahl hätten zwischen Rumsfeld und Bin Laden. Es gibt auch in den USA Menschen, die lieber das Böse selbst sehen wollten als die monotone Aussageverweigerung der US-Militärs beim Briefing.
Der Bilderkampf zwischen der Stimme des Islam und Voice of Amerika wurde natürlich am 11. September in Manhattan entschieden. Nichts wird je entfernt die emotionale Wucht der explodierenden Jets und der Feuer, Glas, Stahl, Rauch und am Ende verzweifelte Menschen spuckenden Türme haben. Die Terroristen sind arm, Wegelagerer ohne Städte: Sie haben keine mächtigen Symbole wie die Twin Tower. Und nähme man, Gott behüte, etwas vergleichbar die virtuos gefilmte Verwüstung Mekkas und Medinas durch amerikanische Bomben, den Amerikanern taugte es nicht zur Vergeltung, nur den Muslimen zum Heiligen Krieg.
In den Tagen nach dem 11. September haben die US-Networks die beiden angreifenden Maschinen in endlosen Wiederholungen aus immer neuen Perspektiven zu Angriffswellen geformt. Der Overkill endete in Abstumpfung und Kinderalbträumen. Es fehlte die visuelle Fortsetzung. Und weil es von Ground Zero keine Bilder von Verletzten, wundersam Geretteten, erst recht nicht von Toten gibt, weil kein Massenmord seine Opfer je so spurlos vernichtete, hat das Amerika der Taliban-Fernsehserie "Collateral Damage in Kabul" nichts entgegen zu setzen. Müll, verbogener Stahl, Dämpfe wie aus Höllenfeuern, Menschenasche. Was soll sich Amerika zeigen? Man müsste dem Publikum heute stündlich die Bilder vom Einsturz des Trade Centers verordnen. Als Therapie, Eigenblutbehandlung. Der ästhetisierte Tod der 6000 in Manhattan müsste gerinnen zum Gegengift wider das würgende Mitleid über einem zerfetzten Kind in Kandahar.
Und dann ist da der unsichtbare Feind an der Heimatfront, wo Amthrax tötet und Angst lähmt. Wieder gehen die TV-Sender unter im virtuellen Bildersturm. Sie zeigen wütende Postler, beschwichtigende Mediziner, ratlose Politiker, ängstliche Bürger, die sich ihrer Post mit Gummihandschuhen und Mundschutz nähern. Auch das soll Krieg sein - in dem die erste Schlacht schon verloren ist.