Warum die Vorstellung vom sanften Islam in eine Sackgasse führt
Nachdem die Militärschläge gegen Afghanistan begonnen hatten, sprach Osama bin Laden davon, dass nun die „Schlacht zwischen dem Glauben und dem Unglauben“ begonnen habe. Eine von Gott gesegnete Gruppe des Islams, die „Speerspitzen des Islams“, habe Amerika zerstört. Diese Rhetorik wird der seit den Anschlägen aufgeflammten Diskussion über den Islam weitere Nahrung geben.
Die Debatte unterscheidet sich wenig von jenen, die schon 1979 (Iranische Revolution), 1989 (Rushdie-Fatwa), 1991 (Zweiter Golfkrieg) und 1995 (Streit um Annemarie Schimmel als Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels) geführt wurden.
» Offenbarungsreligionen, das hat auch die Geschichte des christlichen Abendlandes gezeigt, sind anfällig dafür, zur Ideologie zu werden, wenn sie als politische Handlungsanweisung verstanden werden. «
Im Kern geht es um das Verhältnis von Islam und nichtmuslimischer Welt und um die Frage, wie auf den islamischen Fundamentalismus angemessen zu reagieren sei. Nicht selten hört man dieser Tage die Beteuerung, der islamische Fundamentalismus im Allgemeinen und die jüngsten Anschläge im Besonderen seien eine politische Angelegenheit, ausgelöst durch die westliche Nahostpolitik.
Die Akteure bedienten sich nur religiöser Versatzstücke, hätten mit dem Islam als einer „eigentlich“ friedlichen Religion nichts zu tun, mehr noch, im Grunde sei das, was sie tun, unislamisch. Das mag, vor allem mit Blick auf die im Westen lebenden Muslime, gut gemeint sein, zielt an der Sache aber vorbei und führt in zweifacher Hinsicht in eine argumentative Sackgasse.
Zum einen wird dabei eine Trennung von Religion und Politik vorausgesetzt, die für die Fundamentalisten irrelevant ist, die sie im Gegenteil gerade rückgängig machen wollen. Bin Ladens Erklärung ist das aktuellste Beispiel dafür. Zum anderen ist die Beteuerung die Kehrseite dessen, wofür die Fundamentalisten stehen.
Offenbarungsreligionen, das hat auch die Geschichte des christlichen Abendlandes gezeigt, sind anfällig dafür, zur Ideologie zu werden, wenn sie als politische Handlungsanweisung verstanden werden. Mit dem Neuen Testament unter dem Arm wurden bewaffnete Wallfahrten gen Jerusalem veranstaltet, den indianischen Hochkulturen in Lateinamerika das Heil beschert und Ketzer und Hexen dem Scheiterhaufen überantwortet. Das mag man widerwärtig finden, aber es ändert nichts daran, dass Kreuzfahrer und Inquisitoren überzeugt waren, im Namen Gottes zu handeln.
Vordenker der Fundamentalisten
Im Falle des islamischen Fundamentalismus ist das nicht anders. Wenn man die spirituelle Anleitung zu den Anschlägen liest, stößt man nirgends auf weltlich-politische Motive, um so mehr dafür auf die Überzeugung, einen göttlichen Willen zu erfüllen. Dementsprechend greift die Verknüpfung etwa mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt zu kurz: Der erste Anschlag auf das World Trade Center fand 1993 statt, im Jahr des Gaza-Jericho-Abkommens, als man wenigstens kurzzeitig auf einen Friedensprozess hoffen durfte.
Auch haben die Amerikaner mit ihrer Afghanistan-Politik den Fundamentalismus nicht erfunden, sondern nur in unverantwortlicher Weise gefördert. Doch daraus nun abzuleiten, sie seien selber schuld an den Attentaten, wäre infam. Zweifellos sind der Nahostkonflikt und die westliche Politik in der Region wichtige Faktoren, aber wenn man sich die Verlautbarungen der „al-Qaida“ ansieht, kann man nicht mehr entscheiden, ob sich politisch motivierter Hass religiöser Versatzstücke bedient – oder umgekehrt.
Weltgeschichte herausgelöst
Der europäische Kolonialismus und die westliche Nahostpolitik der letzten 50 Jahre haben gewiss das Ihre dazu beigetragen, den Eindruck der Demütigung zu verfestigen. Aber die bedeutendsten Ahnherren heutiger Fundamentalisten, etwa den 1328 gestorbenen Theologen Ibn Taimiya oder die Wahhabiten, gab es schon vorher. Wie man es dreht: Der islamische Fundamentalismus hat eine Doppelnatur. Er ist ein politisches und religiöses Problem zugleich. Politisch, weil er auf die Politik des Westens und die politische Situation in der islamischen Welt reagiert.
Religiös, weil die Wortwahl und das Geschichtsbild dezidiert islamisch sind. Koran und Prophetenvorbild sind die einzig anerkannte Legitimation; die Rückkehr zu dieser mythisch überhöhten Frühzeit ist das Ziel. Quellen und Geschichtsbild werden so aus dem Kontext der Weltgeschichte herausgelöst und mit einem überzeitlichen Geltungsanspruch versehen. Große Teile der realen Geschichte, die auch im Islam eine andere Richtung nahm als in der Theorie vorgesehen, gelten als eine Zeit des moralischen Verfalls und des Niedergangs. Deshalb muss die Diskussion beide Aspekte berücksichtigen.
Sache der Auslegung
Gerade heute muss man dringend über eine Friedensordnung im Nahen Osten nachdenken, auch über die Verteilung der Reichtümer auf dieser Welt. Aber der Islam muss sich der Diskussion ebenfalls stellen. Nichts wird man durch die reflexhafte Apologetik erreichen, der Islam an sich sei eine friedliche Religion, der Fundamentalismus dagegen sei unislamisch.
Es ist richtig, dass es im Koran heißt „In der Religion gibt es keinen Zwang“ (Sure 2, Vers 256). Aber es steht auch darin, man solle die Heiden erschlagen, wo immer man sie finde (Sure 9, Vers 5). Es ist richtig, dass der Begriff „Dschihad“ den spirituellen Kampf gegen innere Anfechtungen bezeichnet. Aber er umfasst eben auch den bewaffneten Kampf gegen die, die als Ungläubige identifiziert wurden. Wer will entscheiden, was die richtige Auslegung ist?
Es gibt im Islam keine institutionalisierte Gelehrtenhierarchie, die – und sei es auch nur für einzelne Konfessionsgruppen – eine verbindliche Lehrmeinung vertreten könnte. Wie sinnvoll ist es dann, unter Berufung auf einzelne Koranverse erklären zu wollen, was der Islam eigentlich sei? Wer behauptet, diese oder jene Facette der islamischen Geschichte oder der heutigen islamischen Welt habe mit dem Islam in Wirklichkeit nichts zu tun, sagt zugleich, dass es diesen „eigentlichen“ Islam gibt, dessen alleinige Grundlagen, den Koran und das Prophetenvorbild, man nur richtig zu interpretieren brauche.
Fundamente des Glaubens
Was damit nicht übereinstimmt, wird so zur unstatthaften Abweichung, zur Außerkraftsetzung dieses „wahren“ Islams. Das aber ist nur die Rückseite einer Medaille, auf deren Vorderseite die Fundamentalisten zum selben Ergebnis kommen.
Religionen sind zu große Gebilde, als dass man sie in derart essenzialistischer Manier pauschal verurteilen oder freisprechen könnte. Eine Religion ist immer nur so tolerant, wie es ihre Anhänger unter bestimmten Umständen zulassen. Der Fundamentalismus mag ein hässlicher Aspekt der Religion sein, den die meisten Gläubigen ablehnen, aber er ist ein Aspekt der Religion.
Dass man Fundamentalisten mit solchen Überlegungen von ihrem Tun abhalten könnte, wäre eine naive Vorstellung. Was bleibt, ist das Bemühen, den Dialog mit all den anderen zu suchen, und der Versuch, die Fundamente des Glaubens, den Koran und das Prophetenvorbild, zu historisieren, sie aus ihrer Überzeitlichkeit und bedingungslosen Absolutheit herauszulösen.
Das ist angesichts der fehlenden Lehrautoritäten und der Überzeugung, dass es sich beim Koran um die direkte Rede Gottes handle, nicht einfach und stößt nicht nur bei Fundamentalisten auf Widerstand. Die bisherigen Ansätze scheiterten. Am spektakulärsten war der Fall des ägyptischen Gelehrten Nasr Hamid Abu Zaid, der zum Apostaten erklärt und dessen Ehe zwangsgeschieden wurde.
Aber ein friedfertiges Zusammenleben der Kulturen scheint nur möglich, wenn auf die ewiggültigen und universalen Absolutheitsansprüche im Namen welchen Gottes auch immer verzichtet wird. Wichtig ist eine Neubewertung der religiösen Quellen. Es geht nicht um die Abschaffung des Islams, sondern um eine „aufgeklärte“ Religiosität. Der Orientalist und preußische Kultusminister Carl Heinrich Becker schrieb bereits vor über 90 Jahren: „Wem endlich zur Erklärung der gegenwärtigen Tatsache des Islams der Koran und das Leben Muhammeds genügen, dem ist überhaupt nicht zu helfen.“
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nachdem die Militärschläge gegen Afghanistan begonnen hatten, sprach Osama bin Laden davon, dass nun die „Schlacht zwischen dem Glauben und dem Unglauben“ begonnen habe. Eine von Gott gesegnete Gruppe des Islams, die „Speerspitzen des Islams“, habe Amerika zerstört. Diese Rhetorik wird der seit den Anschlägen aufgeflammten Diskussion über den Islam weitere Nahrung geben.
Die Debatte unterscheidet sich wenig von jenen, die schon 1979 (Iranische Revolution), 1989 (Rushdie-Fatwa), 1991 (Zweiter Golfkrieg) und 1995 (Streit um Annemarie Schimmel als Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels) geführt wurden.
» Offenbarungsreligionen, das hat auch die Geschichte des christlichen Abendlandes gezeigt, sind anfällig dafür, zur Ideologie zu werden, wenn sie als politische Handlungsanweisung verstanden werden. «
Im Kern geht es um das Verhältnis von Islam und nichtmuslimischer Welt und um die Frage, wie auf den islamischen Fundamentalismus angemessen zu reagieren sei. Nicht selten hört man dieser Tage die Beteuerung, der islamische Fundamentalismus im Allgemeinen und die jüngsten Anschläge im Besonderen seien eine politische Angelegenheit, ausgelöst durch die westliche Nahostpolitik.
Die Akteure bedienten sich nur religiöser Versatzstücke, hätten mit dem Islam als einer „eigentlich“ friedlichen Religion nichts zu tun, mehr noch, im Grunde sei das, was sie tun, unislamisch. Das mag, vor allem mit Blick auf die im Westen lebenden Muslime, gut gemeint sein, zielt an der Sache aber vorbei und führt in zweifacher Hinsicht in eine argumentative Sackgasse.
Zum einen wird dabei eine Trennung von Religion und Politik vorausgesetzt, die für die Fundamentalisten irrelevant ist, die sie im Gegenteil gerade rückgängig machen wollen. Bin Ladens Erklärung ist das aktuellste Beispiel dafür. Zum anderen ist die Beteuerung die Kehrseite dessen, wofür die Fundamentalisten stehen.
Offenbarungsreligionen, das hat auch die Geschichte des christlichen Abendlandes gezeigt, sind anfällig dafür, zur Ideologie zu werden, wenn sie als politische Handlungsanweisung verstanden werden. Mit dem Neuen Testament unter dem Arm wurden bewaffnete Wallfahrten gen Jerusalem veranstaltet, den indianischen Hochkulturen in Lateinamerika das Heil beschert und Ketzer und Hexen dem Scheiterhaufen überantwortet. Das mag man widerwärtig finden, aber es ändert nichts daran, dass Kreuzfahrer und Inquisitoren überzeugt waren, im Namen Gottes zu handeln.
Vordenker der Fundamentalisten
Im Falle des islamischen Fundamentalismus ist das nicht anders. Wenn man die spirituelle Anleitung zu den Anschlägen liest, stößt man nirgends auf weltlich-politische Motive, um so mehr dafür auf die Überzeugung, einen göttlichen Willen zu erfüllen. Dementsprechend greift die Verknüpfung etwa mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt zu kurz: Der erste Anschlag auf das World Trade Center fand 1993 statt, im Jahr des Gaza-Jericho-Abkommens, als man wenigstens kurzzeitig auf einen Friedensprozess hoffen durfte.
Auch haben die Amerikaner mit ihrer Afghanistan-Politik den Fundamentalismus nicht erfunden, sondern nur in unverantwortlicher Weise gefördert. Doch daraus nun abzuleiten, sie seien selber schuld an den Attentaten, wäre infam. Zweifellos sind der Nahostkonflikt und die westliche Politik in der Region wichtige Faktoren, aber wenn man sich die Verlautbarungen der „al-Qaida“ ansieht, kann man nicht mehr entscheiden, ob sich politisch motivierter Hass religiöser Versatzstücke bedient – oder umgekehrt.
Weltgeschichte herausgelöst
Der europäische Kolonialismus und die westliche Nahostpolitik der letzten 50 Jahre haben gewiss das Ihre dazu beigetragen, den Eindruck der Demütigung zu verfestigen. Aber die bedeutendsten Ahnherren heutiger Fundamentalisten, etwa den 1328 gestorbenen Theologen Ibn Taimiya oder die Wahhabiten, gab es schon vorher. Wie man es dreht: Der islamische Fundamentalismus hat eine Doppelnatur. Er ist ein politisches und religiöses Problem zugleich. Politisch, weil er auf die Politik des Westens und die politische Situation in der islamischen Welt reagiert.
Religiös, weil die Wortwahl und das Geschichtsbild dezidiert islamisch sind. Koran und Prophetenvorbild sind die einzig anerkannte Legitimation; die Rückkehr zu dieser mythisch überhöhten Frühzeit ist das Ziel. Quellen und Geschichtsbild werden so aus dem Kontext der Weltgeschichte herausgelöst und mit einem überzeitlichen Geltungsanspruch versehen. Große Teile der realen Geschichte, die auch im Islam eine andere Richtung nahm als in der Theorie vorgesehen, gelten als eine Zeit des moralischen Verfalls und des Niedergangs. Deshalb muss die Diskussion beide Aspekte berücksichtigen.
Sache der Auslegung
Gerade heute muss man dringend über eine Friedensordnung im Nahen Osten nachdenken, auch über die Verteilung der Reichtümer auf dieser Welt. Aber der Islam muss sich der Diskussion ebenfalls stellen. Nichts wird man durch die reflexhafte Apologetik erreichen, der Islam an sich sei eine friedliche Religion, der Fundamentalismus dagegen sei unislamisch.
Es ist richtig, dass es im Koran heißt „In der Religion gibt es keinen Zwang“ (Sure 2, Vers 256). Aber es steht auch darin, man solle die Heiden erschlagen, wo immer man sie finde (Sure 9, Vers 5). Es ist richtig, dass der Begriff „Dschihad“ den spirituellen Kampf gegen innere Anfechtungen bezeichnet. Aber er umfasst eben auch den bewaffneten Kampf gegen die, die als Ungläubige identifiziert wurden. Wer will entscheiden, was die richtige Auslegung ist?
Es gibt im Islam keine institutionalisierte Gelehrtenhierarchie, die – und sei es auch nur für einzelne Konfessionsgruppen – eine verbindliche Lehrmeinung vertreten könnte. Wie sinnvoll ist es dann, unter Berufung auf einzelne Koranverse erklären zu wollen, was der Islam eigentlich sei? Wer behauptet, diese oder jene Facette der islamischen Geschichte oder der heutigen islamischen Welt habe mit dem Islam in Wirklichkeit nichts zu tun, sagt zugleich, dass es diesen „eigentlichen“ Islam gibt, dessen alleinige Grundlagen, den Koran und das Prophetenvorbild, man nur richtig zu interpretieren brauche.
Fundamente des Glaubens
Was damit nicht übereinstimmt, wird so zur unstatthaften Abweichung, zur Außerkraftsetzung dieses „wahren“ Islams. Das aber ist nur die Rückseite einer Medaille, auf deren Vorderseite die Fundamentalisten zum selben Ergebnis kommen.
Religionen sind zu große Gebilde, als dass man sie in derart essenzialistischer Manier pauschal verurteilen oder freisprechen könnte. Eine Religion ist immer nur so tolerant, wie es ihre Anhänger unter bestimmten Umständen zulassen. Der Fundamentalismus mag ein hässlicher Aspekt der Religion sein, den die meisten Gläubigen ablehnen, aber er ist ein Aspekt der Religion.
Dass man Fundamentalisten mit solchen Überlegungen von ihrem Tun abhalten könnte, wäre eine naive Vorstellung. Was bleibt, ist das Bemühen, den Dialog mit all den anderen zu suchen, und der Versuch, die Fundamente des Glaubens, den Koran und das Prophetenvorbild, zu historisieren, sie aus ihrer Überzeitlichkeit und bedingungslosen Absolutheit herauszulösen.
Das ist angesichts der fehlenden Lehrautoritäten und der Überzeugung, dass es sich beim Koran um die direkte Rede Gottes handle, nicht einfach und stößt nicht nur bei Fundamentalisten auf Widerstand. Die bisherigen Ansätze scheiterten. Am spektakulärsten war der Fall des ägyptischen Gelehrten Nasr Hamid Abu Zaid, der zum Apostaten erklärt und dessen Ehe zwangsgeschieden wurde.
Aber ein friedfertiges Zusammenleben der Kulturen scheint nur möglich, wenn auf die ewiggültigen und universalen Absolutheitsansprüche im Namen welchen Gottes auch immer verzichtet wird. Wichtig ist eine Neubewertung der religiösen Quellen. Es geht nicht um die Abschaffung des Islams, sondern um eine „aufgeklärte“ Religiosität. Der Orientalist und preußische Kultusminister Carl Heinrich Becker schrieb bereits vor über 90 Jahren: „Wem endlich zur Erklärung der gegenwärtigen Tatsache des Islams der Koran und das Leben Muhammeds genügen, dem ist überhaupt nicht zu helfen.“
Quelle: Süddeutsche Zeitung