Liebe Leserinnen und Leser,
die Börse ist wunderbar. Alles so schön bunt hier und bullish sowieso. Wir erleben gerade eine gefühlte Trendwende und spüren förmlich, wie die Frühlingsgefühle Millionen Amerikaner in die Läden spült, um - egal was - zu kaufen. Hauptsache Konsum, Hauptsache Wachstum. Zumindest wird uns Investoren dieser Eindruck förmlich injiziert, wenn man sich die Medienlandschaft so ansieht. Kaum steigen die Aktienmärkte ein paar Tage, werden die Dauerbullen aus dem Kühlfach gezerrt, sorgsam aufgetaut und mit frischen Batterien versehen (kann Augen schließen, lachen, Pipi machen und „bullish" sagen). Die freien Kühlfächer werden von den Dauerbären besetzt (können weinen, Stirn runzeln und „bearish" sagen), die uns noch vor zwei Wochen, als der Dax unter die 6.200 tauchte, mit Leichenbittermiene darauf vorbereiteten, dass es nun aber mindestens wenn nicht noch tiefer nach unten gehen könne. Alles Unfug, gelle? Und erst die Charts – allerliebst! Nörgelkönige wie ich würden nun die knospende Hausse vermiesen indem sie einwenden, dass das mit den Bodenbildungen erst einmal der Vollendung bedürfe. Jede spontane Ansammlung von Kaufwilligen würde gesprengt, wollte man darauf hinweisen, dass wir z.B. im S&P 500-Index bislang nur eine Seitwärtsbewegung sehen. Ein so genanntes konsolidierendes „Rechteck", das zwar ein Boden werden könnte, in der Mehrzahl der Fälle aber nur die Konsolidierung vor dem zweiten größeren Abwärtsimpuls darstellt. Ich könnte all das ansprechen. Tue ich aber nicht. Wer will denn ohne Not die aufkeimende Freude dämpfen, die sich unter vielen Investoren breit macht und mit jedem Prozent Kursgewinn weiter wächst? So wie in der Zeit von Ende Januar bis Ende Februar.
Was hat sich in den letzten Wochen verändert?
Moment mal, werden Sie sagen. Zu der Zeit war das logisch, weil sich ja die Rahmenbedingungen weiter verschlechtert hatten. Klar, dass da die Kurse wieder zurückkamen. Da haben Sie völlig recht. Andererseits ... verbessern sie sich denn jetzt? Ei wo denn? Einige Konjunkturdaten, wie zuletzt die US-Einkaufsmanager-Indizes, fielen über den Erwartungen aus. Schon. Aber das suggeriert doch nur dem hoffenden Geist, dass sich die Lage dadurch verbessern würde. Nein, Fakt ist: Es geht nur etwas langsamer bergab als befürchtet, aber nicht bergauf! Und die jüngsten Daten zu den US-Auftragseingängen ... o je. Nein, das einzige, was sich in den vergangenen Tagen faktisch verbessert hat, ist die Stimmung, zudem getragen von den typischen Käufen der Fonds zum Quartalsbeginn und diesmal zusätzlich befeuert durch Eindeckungswellen der Baissiers, die damit offenbar teilweise nicht gerechnet hatten. Nur, um unschöne und eventuell verdrängte Erinnerungen wieder zu wecken oder es den Börsenbrief-Champions zu erklären, deren siebenhundertjährige Erfahrung nicht soweit zurückreicht, um zwischen 2000 und 2003 schon Aktien gehandelt zu haben: Was meinen Sie, welche Basis die teilweise weitreichenden und scharfen Rallyes innerhalb des damaligen, langen Abwärtstrends hatten? Weil gerade Zeit war? Hoffnung? Temperaturschwankungen? Zutreffendes bitte ankreuzen
☺ Aber – wer mich garstigerweise als Dauer-Bären ansieht, mag nun ohnmächtig niedersinken – es gibt durchaus eine Möglichkeit, dass diese gefühlte Trendwende zumindest zu einer ein paar Wochen oder gar Monate anhaltenden Erholung wird. Sogar eine winzige Chance, dass die bisherigen Tiefs wirklich die Tiefs waren. Moment, das gilt es zu unterstreichen: winzig!! Sie sehen im Chart des S&P 500 (Stand 17 Uhr), dass der Index dann charttechnisch klar positiv zu beurteilen wäre, wenn er die momentane Seitwärtsspanne und den Abwärtstrend mit Kursen über 1.420 verlassen würde. Was könnte ihn dazu bringen?winzige Chance, welche die Märkte aktuell haben. Was braucht es hierzu?
Der Dollar spielt die Hauptrolle
Der Dollar. Von diesem ungeliebten Grünling hängt im Augenblick vieles, wenn nicht alles ab, was kurzfristig möglich ist oder eben nicht. Die absaufende US-Konjunktur kann nicht von gestern auf gleich drehen, die Immobilien- und Kreditkrisen nicht durch literweises trinken von Wunschpunsch verschwinden. Aber es könnte der Grundstein dafür gelegt werden – und das würde reichen, die Börsen zu drehen. Dazu muss „nur" der Dollar eine tragfähige Trendwende hinbekommen. Sie sehen im Chart von Euro/Dollar und Dollar/Yen, dass die Fallsucht des Dollar kurzfristig gestoppt wurde. Sicher nicht zuletzt deshalb, weil der US-Notenbank nicht mehr allzu viel Zinssenkungsspielraum bis zum Erreichen des Japan-Levels bleibt (und dem Erreichen einer vergleichbar ausweglosen Situation wie dort von 15 Jahren). Momentan wird bei Euro-Dollar um die Unterstützung bei 1,56 gerungen, bei Dollar/Yen steht der Kurs nahe eines Kreuzwiderstands um 103,50. Sollten diese Chartmarken fallen, kann Euro/Dollar schnell auf 1,4950 zurücksetzen, Dollar/Yen in die Zone 107-109 vordringen. Und das würde bedeuten: Die durch den Dollar-Verfall initiierte Flucht in die Rohstoffe würde gebremst, eventuell sogar ins Gegenteil gekehrt, dadurch die Inflationsangst gelindert und der Inflationsdruck faktisch gestoppt. Eine solche Gegenbewegung des Dollar könnte z.B. beim Rohölpreis eine ohnehin fällige Korrektur in den Bereich um 86 Dollar bei Brent einleiten, Gold könnte in den Bereich 840 oder darunter rutschen, Industriemetalle und Agrarrohstoffe weiter „ausatmen", neue Irrwitz-Aktionen wie die Kursexplosion bei Reis würden kleiner oder ganz flach fallen. Eine solche Linderung der Preise wären eine Basis, reinen Hoffnungen ein zartes Fundament zu zimmern, denn eine Entlastung von diesem mörderischen Kostendruck würde Industrie wie Privathaushalten weltweit die Chance geben, sich zu konsolidieren und so den Abstieg der Konjunktur zu stoppen. Wenn es so kommen sollte, wenn also der Dollar nun eine Gegenreaktion vollzieht, wäre an den Aktienmärkten durchaus noch Luft nach oben. 7.000 bis 7.200 im Dax, 1.420 im S&P – das wäre allemal drin. ABER: Für mehr – sprich eine echte Trendwende am Aktienmarkt – bedarf es auch einer echten Wende beim Dollar. Kurse um 1,40 bei Euro/Dollar oder 115-120 bei Dollar/Yen. Ein Bruch der langjährigen Abwärtstrends. Das nenne ich die
Der Haken bei all den Hoffnungen
Vertrauen. Das Vertrauen in die Aufrichtigkeit und Entschlossenheit der USVerantwortlichen, die Krisen im Sinne aller Beteiligten anzugehen und zu lösen, ohne auf Wahlchancen und Pfründe zu schielen. Das Vertrauen, dass die Unternehmen weltweit, aber allen voran in den USA, das Verschleiern und Beschönigen einstellen und klar und offen gegenüber den Marktteilnehmern die Fakten nennen. Das Vertrauen in eine konsequente Inflationsbekämpfung und rigide Eindämmung der Geldmengenexplosion in den USA. Also: Vergessen Sie es. Dass diejenigen, die das Wohl und Wehe des Dollar und damit aller Börsensegmente in Händen halten, nun auf einmal geläutert und konsequent im Sinne aller Betroffenen agieren, ist ungefähr so wahrscheinlich wie die Wahl von Goofy zum nächsten US-Präsidenten. Schade eigentlich ... aber das ist eben der Haken. Ich für meinen Teil habe genug Hoffnungen im Treibsand der Realität versinken sehen, um dergleichen Wunder nicht zu erwarten. In meinen Augen hat Euro/Dollar eine Chance bis um 1,49/1,59, mehr vorerst nicht. Das bedeutet ich erwarte, dass die Aktienmärkte entweder auf aktuell erreichtem Niveau wieder abdrehen oder aber noch ca. 4-5% Luft nach oben haben. Und da nicht nur SYSTEM22 so gestaltet wurde, mich auf ewig daran zu erinnern, sondern ich es auch endlich zutiefst verinnerlicht habe, kann es für mich nun nur eines geben:
Ich sammle wieder ein – in Trendrichtung
In Trends kauft man in Korrekturen, die nahe an die Trendlinien führen. Dort ist das Verlustrisiko am geringsten, weil man so bei einem wider Erwarten erfolgenden Trendbruch schnell wieder aussteigt – während das Gewinnpotenzial logischerweise weit höher ist, als bei neuen Tiefs/Hochs im Abwärts-/Aufwärtstrend einzusteigen. SYSTEM22 hat nun, nachdem wir unsere Puts in den vergangenen Wochen sukzessive verkauft haben, 80% Barbestand. Und ich werde jetzt beginnen, dieses Kapital sukzessive wieder auf der Baisse- Seite einzusetzen. Einen Teil jetzt, einen weiteren, sofern Euro/Dollar tatsächlich bis 1,49/1,50 korrigiert. Hoffnungen mögen schön sein, aber mal ehrlich: Ist es klug, jetzt auf steigende Kurse zu setzen, solange die großen Aktienindizes innerhalb intakter Abwärtstrends eine Konsolidierung vollziehen? Zumal die Basis für mehr momentan eng limitiert ist – es sei denn, das Wunder der Dollar-Trendwende geschieht? Geschieht es, Sie würden mich voller Demut und Dankbarkeit auf den Knien sehen, denn ich wünsche mir nicht, dass die Krise sich noch weiter zuspitzt. Aber für Investments sind Wünsche Schall und Rauch. Hier gilt die Basisregel (die somit auch am öftesten in den Wind geschossen wird): Niemals gegen den Trend. Und die weisen immer noch abwärts.
Herzliche Grüße!
Ihr Ronald Gehrt
www.system22.de
Der Greenback - an diesem Burschen hängt kurzfristig alles