Ein Liter Rohöl geht auf Reisen Von der Quelle bis zur Raffinerie steigt der Ölpreis um ein Vielfaches
- Dienstag, 27. Mai 2008, 21.00 - 21.45 Uhr .
- Samstag, 31. Mai 2008, 10.20 - 11.05 Uhr (Wdh.).
Rohrnetz im Wüstensand: eine Ölaufbereitungsanlage
Die Reise unseres Liters Rohöl beginnt in Kuwait. Hier fördern Mitarbeiter der staatlichen kuwaitischen Ölgesellschaft täglich 1,8 Millionen Barrel Rohöl –eine Großtanker-Ladung von 285 Millionen Litern. Öl in Kuwait ist leicht zu fördern. Denn die Schwerkraft des Wassers, das unterirdisch auf der Ölschicht liegt, drückt jeden einzelnen Liter in Pipelines – dafür brauchen die Kuwaiter noch nicht mal Bohrtürme.
Wir begleiten einen Liter Rohöl von der Quelle in Kuwait bis nach Deutschland – auf einer 10.000 Kilometer langen Reise und wir verfolgen dabei die Preissteigerung, die unser Liter auf dieser Reise erfährt. Sein Wert in Kuwait: Nicht einmal ein halber Cent, genau 0,4 Euro-Cent. So viel kostet es, einen Liter Rohöl zu fördern. Bis zur Raffinerie in Gelsenkirchen wird sich der Preis um das 115-fache erhöhen. Die Transportkosten sind dafür aber nicht der einzige Grund.
Der Liter Öl geht an Bord
Schwimmende Pipelines: In diesen Leitungen wird das Öl an Bord gepumpt
Im Hafen von Al Ahmadi wird das Öl in einem Pipeline-Netz aufbereitet. Das ausgeklügelte System trennt Wasser vom Öl. Denn Wasser würde unseren Liter verunreinigen. Eine der vielen Leitungen zweigt Gas ab, das im Öl eingeschlossen ist und leitet es in Tanks oder direkt zu einer Gasfackel. Das alles passiert fast vollautomatisch. Gereinigt verschwindet das braune, stinkende Öl in einer der Pipelines und fließt weiter, bis zum Schiff: Unser Liter Öl fließt in die Al Shuadaa – 322 Meter lang, 56 Meter breit, mit einem Tiefgang von 21 Metern. Direkt an der Küste kann der Tanker allerdings nicht voll betankt werden. Er würde auf Grund laufen. Also wird ein Großteil des Rohöls über schwimmende Pipelines an Bord befördert. Und genau da passiert es: In dem Moment, in dem das Öl den Tanker erreicht, klettert der Preis des Liters auf 44,3 Cent! Die Fracht wird plötzlich um das 111-fache teurer, aber warum? An diesem enormen Preissprung verdienen viele: in erster Linie die Verkäufer, also die Kuwaiter. Aber auch die Händler und. Zwischenhändler an den Börsen streichen Gewinne ein, sie spekulieren mit Öl. Auch die Mineralölkonzerne wollen ein gutes Geschäft machen. Fakt ist: Monate vor der Förderung hatte am 9. März 2008 ein Händler eines Mineralölkonzerns unseren Liter Öl an der New Yorker Börse gekauft - ein sogenanntes „Termingeschäft“. Für eine Öllieferung, die erst zwei Monate später zustande kommt, wurde bereits im Vorfeld ein Preis ausgehandelt. Der liegt bei 109 US-Dollar für das Barrel. Das macht umgerechnet genau 44,3 Cent pro Liter. Natürlich verursacht auch der Tanker Kosten. 2,5 Millionen US-Dollar kostet die Chartergebühr – das ist umgerechnet ein halber Cent pro Liter Öl. Der Preis von unserem Liter Öl steigt auf 44,8 Cent.
Der Liter Öl auf hoher See
Zu viel Tiefgang: So voll beladen würde der Tanker im Suezkanal auf Grund laufen
Die Reise der Al Shuadaa führt am Persischen Golf und an Krisengebieten in Richtung Arabisches und Rotes Meer. Nach 5.500 Kilometern erreicht das Schiff unbeschadet den Suezkanal. Das Öl im Bauch des Tankers ist fast 14 Tage hin und her geschwappt. Der Preis unseres Liters war in dieser Zeit den Nachrichten und Gerüchten der Welt und den damit verbundenen Preisspekulationen ausgesetzt. Er hat sich aber trotzdem nicht verändert.
Der Liter Öl am Suezkanal
Die Ruhr-Öl-Raffinerie in Gelsenkirchen verarbeitet das Rohöl weiter
Die Al Shuadaa erreicht 5500 Kilometer nach ihrem Start den Suezkanal. Etwa 200 Kilometer ist der lang, aber nur knapp 20 Meter tief. Der Tanker würde –voll beladen wie er ist – auf Grund laufen. Deshalb muss ein Großteil des Öls einen anderen Weg nehmen: Auch unser Liter wird aus dem Tanker gepumpt, um parallel zum Kanal über eine Pipeline zu fließen. Ein finanzieller Aufwand, der sich lohnt, denn der Suezkanal ist die kürzeste und wichtigste Route von den arabischen Ländern nach Europa. Trotzdem wird unser Liter Öl jetzt wieder teurer – um einen halben Cent. So viel kostet die Reise von Suez nach Port Said: Der Tanker zahlt Gebühren im Suezkanal und für das Öl werden Pipeline-Gebühren fällig. Drei Tage brauchen Schiff und Öl bis Port Said. Am Mittelmeerende des Kanals nimmt die Besatzung das Öl wieder an Bord. Der Preis unseres Liters ist mittlerweile bei 45,3 Cent angelangt. Im Mittelmeer nimmt die Al Shuadaa Kurs in Richtung Gibraltar. Noch etwa 4.000 Kilometer Seeweg hat der Liter vor sich.
Der Liter Öl am Ziel
Unser Liter Öl ist in Rotterdam angekommen. Für das Schiff im Hafen werden 0,1 Cent Gebühr pro Liter veranschlagt. Am Ende der Schiffsreise kostet unser Liter Öl also 45,4 Cent. In Rotterdam lagert der Liter jetzt mit einem Großteil der gesamten Rohölvorräte Europas. 32 Tage Reise liegen hinter ihm. Aber das Ziel ist noch nicht ganz erreicht. Die Rotterdam-Rhein-Pipeline ist die letzte Zwischenstation. Pipeline-Gebühren gibt es auch hier. Als das Öl schließlich Anfang Mai 2008 in der Raffinerie in Gelsenkirchen ankommt, hat unser Liter seinen Preis ver-115-facht: von 0,4 Cent auf 46 Cent pro Liter Rohöl. An der Tankstelle klettert der Benzinpreis zeitgleich auf 1,48 Euro.
Autor:
Stephan Witschas; Mitarbeit: Reiner Luyken