Der Markt erzählt uns gar nichts! (viel Text)

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Der Markt erzählt uns gar nichts! (viel Text)

 
26.03.01 14:24
Der Markt erzählt uns gar nichts!

Von Bernd Niquet
Alle Jahre wieder! Jetzt ist sie wieder da, die Zeit, in der an der Börse lauter wundersame Dinge passieren sollen, die es im sonstigen Leben niemals geben könnte. Und die im normalen Leben auch jedermann als Unsinn auffallen würden, an der Börse jedoch gemeinhin in einer Unbedarftheit akzeptiert werden, die ihresgleichen erst noch finden muss. Ja, jetzt sind sie alle wieder da, wie die vom Himmel fallende Liquidität, die sich auf die Jagd nach steigenden Kursen begibt, wie die Anleger, die sich vorher von den Aktien getrennt haben, in die Rentenmärkte geflüchtet sind und nun wieder in Aktien investieren - und natürlich auch wie der Markt, der uns stets so weise Dinge zu sagen hat. Alle Jahre wieder!

Es ist schon wirklich ein erstaunliches Lehrstück menschlicher Vernunft und menschlichen Verstandes: Da haben wir nun weltweit orientierte Aktien- und Finanzmärkte, die letztlich sogar mehr Macht und Durchsetzungsfähigkeit besitzen als alle demokratisch gewählten Regierungen dieser Welt - und trotzdem liegen die Argumente, mit denen die Marktteilnehmer sich in diesem System miteinander auseinandersetzen, durchaus nicht höher als auf dem Niveau des heliozentrischen Weltbildes, nach dem die Erde ein Scheibe ist, um die sich die Sonne dreht: Ist ja eigentlich auch klar! Denn morgens geht stets die Sonne auf - und eine Krümmung der Erde ist ebenfalls nicht zu sehen.

Der Teil und das Ganze

99 von 100 Börsianern und Finanzjournalisten sind leider nicht in der Lage, zwischen den Entscheidungsalternativen eines einzelnen Investors (!) und der Gesamtheit (!) der Investoren - sprich: dem Aggregat - zu unterscheiden. Heraus kommen dabei lauter Schlagzeilen, wie wir sie in den letzten Wochen lesen konnten: "Die Anleger trennen sich von ihren Aktien", "Die Anleger tauschen ihre Aktien in Rentenpapiere" und "Die Anleger fliehen in den Rentenmarkt".

Entscheidend hierbei ist jedoch, dass diesen Weg zwar einzelne Anleger beschreiten können und dies auch tun, die Gesamtheit dies jedoch niemals kann. Denn das ist ja gerade das Brutale des Aktienmarktes, dass die Anleger die Aktien in der Gesamtheit niemals loswerden können, sondern sie stets nur unter sich neu verteilen können, weswegen die Preise in den letzten Monaten auch so gnadenlos heruntergeprügelt worden sind. Könnten die Anleger also tatsächlich aus den Aktien in die Renten fliehen, dann wäre alles gar nicht so schlimm, denn dann müssten sie nur die richtigen Entscheidungen treffen und könnten derart sogar in der Gesamtheit (!) ihr Vermögen sichern. Doch diese rosarote Welt des Alogischen entspricht leider nicht der Wirklichkeit. Denn in der Wirklichkeit können sie immer nur versuchen (!) zu fliehen und richten gerade dadurch - gleichsam wie eine Horde hungriger Wildschweine auf der Suche nach Nahrung nur umso größeren Flurschaden an.

Die Mär von der Allwissenheit

Aber auch hier zeigt bereits ein Grundkurs in Logik, dass derartige Behauptungen ebenfalls unhaltbar sind. Denn obige Äußerung impliziert, dass es prinzipiell zwei unterschiedliche Kategorien von Marktteilnehmern geben könnte: Einerseits die "normalen" Marktteilnehmer und Journalisten, die versuchen, die Wirtschaftdaten zu interpretieren, um daraus einen (subjektiven) Schluss in Hinsicht auf die Wirtschaftslage zu ziehen, und auf der anderen Seite Allwissende, die diese Zukunft bereits kennen.

Doch auch so etwas gibt es natürlich nur bei "Alice im Wunderland" und im Börsenfernsehen, in der Realität jedoch niemals. Bei einzelnen Aktien ist ein derartiges Insiderwissen natürlich stets möglich und seine Ausnutzung auch realistischerweise stets anzunehmen. Doch im makroökonomischen Kontext kann es ein derartiges Wissen niemals (!) geben. Der letztwöchige Kurssturz sagt uns daher auch nur, dass die Erwartungen (!) der Marktteilnehmer deutlicher gesunken sind als die Zinsen - und dass sich dies in dieser Woche möglicherweise temporär wieder umkehrt. Doch ein sinkender Aktienmarkt kann uns niemals sagen, dass uns etwas Schlimmes in der realen Wirtschaft bevorsteht, was die jetzt bekannten Zahlen übersteigt.

Resümee

Ein deutlich fallender Aktienmarkt kann daher auch nur zweierlei: Einerseits uns signalisieren, dass die Marktteilnehmer Angst vor einer Wirtschaftskrise haben. Und andererseits eben diese Wirtschaftskrise selbst herbeiführen, was wir jedoch lieber nicht hoffen wollen. Er kann uns jedoch niemals signalisieren, ob unsere gegenwärtigen Befürchtungen zutreffend sind oder nicht. Selbst dann nicht, wenn alle Fernsehsender und Zeitungen dieser Welt uns ständig den selben Sand in die Augen streuen.


mfg
gere1
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