Problemfall Rudolf Scharping
Affären. Der Minister in Not - immer neue Enthüllungen, immer neue Anschuldigungen. Wie lange noch?
Hamburg - Die drahtigen Fallschirmjäger in Mazedonien konnten sich das Schmunzeln kaum verkneifen, als ihr oberster Dienstherr aus dem Hubschrauber stieg: vorgebeugter Oberkörper, durchgedrücktes Kreuz, steifer Schritt. Auftritt Rudolf Scharping: Es wirkt einstudiert, wenn er mit Soldaten fürs obligatorische Foto posiert oder ihnen die Autogrammkarten signiert. Manchmal wirkt er irgendwie abwesend, wie nicht von dieser Welt.
Rudolf Scharping - und seine Wirklichkeiten. Dass sie sich nicht immer mit der Realität decken, weiß die deutsche Öffentlichkeit spätestens seit der Kosovo-Krise, als der Verteidigungsminister Fotos präsentierte, die angeblich Menschenschlangen auf dem Weg in ein Konzentrationslager ins Fußballstadion von Pristina zeigten. Das hat ihm schon früh die Kritik von Bundeskanzler Gerhard Schröder eingetragen. Der Rudolf, ließ er seine Vertrauten wissen, lebe in zwei Welten - und nicht nur, weil in Scharpings Welt der Pfälzer als der bessere Kanzler gilt. Bis heute.
Eine Art Realitätsverlust glauben auch die Militärs beobachtet zu haben. Wie im April auf der Kommandeurtagung in Hannover, als ihn Generale offen kritisierten. Scharping nahm die Attacken auf die ihm eigene Weise hin: gläserner Blick, die Augen auf etwas gerichtet, das nur er sieht. Am Tag danach ließ er Videobänder von der Veranstaltung und der Rede des damaligen Generalinspekteurs Harald Kujat per Kurier nach Berlin schaffen. Statt sich offen mit der Kritik seiner Generale auseinander zu setzen, bestellte er Kujat zum Rapport. Seitdem, sind sich etliche Generäle einig, "hat er das letzte Vertrauen verspielt, das wir noch in ihn gesetzt haben".
Dabei hatte es gut angefangen mit Scharping und der Bundeswehr. Keine Wunschehe. Der Kanzler hatte diskret, aber bestimmt nachgeholfen, als er den Pfälzer an die Spitze des Wehrressorts stellte, um den früheren Rivalen ums Kanzleramt vom Posten des Fraktionsvorsitzenden wegzuloben und in die Kabinettsdiziplin einzubinden. Ein Himmelfahrtskommando für den als dröge und detailversessen geltenden Scharping. Tatsächlich war der Genosse schnell bei Landsern und Offizieren beliebt. "Papst" taufte ihn die Truppe liebevoll wegen seiner häufigen Besuche. Da kam einer, der zuhörte. Der Mängel offen und ungeschminkt kritisiert wissen wollte. Und wenn sich die deutschen Friedenshüter auf dem Balkan zur Erbsensuppe mit dem durchreisenden Minister versammelten, und der dröhnte: "Na, alles klar?", dann war die Welt der Soldaten in Ordnung. Scharping war genau das Gegenteil von dem, was sie unter seinem Vorgänger Volker Rühe (CDU) erlebt hatten: nett, zuhörend, verständnisvoll.
Verwundert rieben sich selbst die Parteifreunde in der SPD die Augen: Der Rudi kam bei der Truppe gut an. Was hatte er nicht alles einstecken müssen: Ex-Parteivorsitzender, Ex-Fraktionschef, Ex-Kanzlerkandidat - immer gescheitert, immer, ohne tiefe Spuren zu hinterlassen. Auf der Bonner Hardthöhe war aus dem braven Parteisoldaten ein Chef der Soldaten geworden, der sich in sein Amt malochte.
Bis zum Kosovo-Krieg. Da wusste Scharping nicht nur von angeblichen Konzentrationslagern, sondern auch von einem "Hufeisenplan", mit dem die serbische Soldateska die Albaner aus der Krisenprovinz jagen wollte. In Wahrheit waren, wie sich später herausstellte, offenbar Geheimdienstschnipsel in Scharpings eigenem Ministerium zu einem Masterplan des Bösen aufgepeppt worden.
Rudolf Scharping genoss nicht nur seine neue Popularität, er schwebte, politisch, auf Wolke sieben. In Hintergrundgesprächen präsentierte er sich unverhohlen als der bessere Kanzler, als Schröders Umfragewerte damals in den Keller abgerutscht waren - immer wohl wissend, dass seine vertraulichen Attacken spätestens drei Tage in den Zeitungen zu lesen waren. In den ARD-Tagesthemen kokettierte er schließlich ganz offen mit seinen Ambitionen: "Was soll ich denn tun, schlechtere Arbeit machen, damit mein Ansehen sinkt? Oder mich erschießen?"
Scharping war auf dem Gipfel der Beliebtheit. Von da an ging es bergab. Er feuerte den in der Truppe beliebten Generalinspekteur Hans-Peter von Kirchbach im Sommer 2000 - jenen Mann, der als Held vom Oderbruch beim verheerenden Hochwasser in den Medien bejubelt worden war.
Nur Wochen später präsentierte er eine zwar gut strukturierte, aber unsolide finanzierte Bundeswehrreform. Er wischte alle Bedenken zur Seite, die darauf aufmerksam machten, dass nur über den Verkauf von Liegenschaften der Bundeswehr deren Reform nicht zu finanzieren sei.
Die um den ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker eingesetzte Kommission brüskierte er, indem er unmittelbar nach deren Bericht zum Umbau der Streitkräfte ein eigenes Papier präsentierte. "Da haben wir für die Tonne gearbeitet", ärgerte sich ein Mitglied der Kommission. Der Scharping, sagte damals ein Sozialdemokrat aus dem Verteidigungsausschuss, "ist beratungsresistent". Das war er offenbar auch ein Jahr später, als er sich im Sommer 2001 mit seiner Lebensgefährtin Kristina Gräfin Pilati-Borggreve verliebt plantschend in einem Swimmingpool auf Mallorca ablichten ließ. Selbst die Macher der "Bunten", die Scharpings Fotos abdruckten, schlugen sich vor Lachen auf die Schenkel, als Scharping die Bilder "Klasse" fand und derem Abdruck zustimmte.
Dass zur selben Zeit deutsche Soldaten in eine lebensgefährliche Mission nach Mazedonien geschickt wurden, steigerte Scharpings Ansehen in der Truppe nicht. Im Gegenteil: Deren Frust entlud sich in Sarkasmus. Den "scharfen Rudi" tauften sie ihn auf den Fluren des Ministeriums. Und der Kanzler schäumte. Zu gut erinnerte der sich an seine missratene PR-Aktion mit Fotos für den italienischen Modeschöpfer Brioni und die folgende Häme im Volk.
Schröder hätte darüber hinwegsehen können, wenn Scharping nicht genau zu diesem Zeitpunkt den Aufmarschplan der Bundeswehr in Mazedonien während einer Pressekonferenz verriet. Nur mit Mühe und Not konnte der 14,7 Kilometer lange Heerwurm angehalten und in einer Nacht- und Nebelaktion über eine schwierige Ersatzstrecke genau durch die mazedonisch-albanische Front geleitet werden.
Die politischen Folgen lagen auf der Hand: Als Scharping seine Plauderei den Briten in die Schuhe schieben wollte, mochte auch Schröder nicht mehr an ihm festhalten. Dabei war sich der Kanzler mit der Union einig. Deren Verteidigungsexperte Paul Breuer ist sich sicher, dass Scharping im September vergangenen Jahres Minister auf Abruf war. Nur die Terroranschläge in New York und Washington hätten "ihn vor dem Rausschmiss gerettet".
Und als Scharping im Frühjahr vom Bundesverfassungsgericht bescheinigt bekam, dass er den Kauf von 73 Transport-Airbussen mit ungedecktem Wechsel über die Bühne bringen wollte, hielt ihn nur noch die nahende Bundestagswahl und die Tatsache, dass bereits neun Minister zurückgetreten waren im Amt. Dem Airbus-Chaos folgte vergangene Woche der Stopp für den Schützenpanzer "Panther".
Zu viel Pannen in einer Legislaturperiode. Sie haben Scharping das Vertrauen der Armee gekostet - und das seines Kanzlers auf beinahe null gebracht. Für Schröder offenbar eine Art lebende Tretmine. HA
erschienen am 18. Jul 2002 in Politik
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Immer wieder Scharping
K O M M E N T A R
Von Frank Ilse
Bevor jetzt alle wieder "Rücktritt" rufen, muss auf einen simplen Tatbestand hingewiesen werden: In Deutschland gilt die Unschuldsvermutung, solange ein Fehlverhalten nicht hieb- und stichfest nachgewiesen ist. Dies dürfen auch Minister für sich reklamieren. Erst recht in Wahlkampfzeiten, wo gern mal Dreck fliegt mit dem Hintergedanken: "Mal sehen, was hängen bleibt."
Dass es nun wieder Rudolf Scharping trifft, lässt den Verteidigungsminister einmal mehr wie den Unglücksraben des rot-grünen Kabinetts aussehen. Doch an diesem Image hat er fleißig selbst gebastelt. Und auch diesmal reagiert er wie gewohnt: Er habe sich nichts vorzuwerfen.
Doch dabei kann Scharping es nicht belassen. Ähnlich wie vor einem Jahr, als ihm vorgeworfen wurde, er nutze die Flugbereitschaft der Bundeswehr zu privaten Zwecken, muss er dringend und schnell dazu beitragen nachzuweisen, dass seine Geschäftsbeziehung zum PR-Manager Moritz Hunzinger wirklich so harmlos ist, wie der Minister vorgibt.
Andernfalls steckt er in der Klemme. Und mit ihm Kanzler Gerhard Schröder, der sich ein neues Sommertheater Scharping nicht leisten kann. Der Rauswurf wäre dann wohl unausweichlich.
erschienen am 18. Jul 2002 in Politik
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Schröder-Sprecher setzt Scharping unter Druck
Honorare. Es geht um dubiose 140 000 Mark von einer PR-Agentur. Der Verteidigungsminister: Nichts Unrechtmäßiges.
Berlin - Der schon durch zahlreiche Affären in die Kritik geratene Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) steht jetzt wegen seiner Beziehungen zu dem Frankfurter PR-Unternehmer Moritz Hunzinger stark unter Druck. Scharping bestätigte gestern Abend, er habe Honorare von Hunzinger erhalten. Er wies aber Verdächtigungen zurück, dass er damit gegen das Ministergesetz verstoßen habe. Danach sind andere Einnahmequellen als das Ministergehalt untersagt.
Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye erklärte gestern, er gehe davon aus, "dass Scharping sich nichts hat zu Schulden kommen lassen". Der Minister müsse aber schnell für Aufklärung sorgen. Diese Forderung wurde als Ultimatum an Scharping gewertet.
Scharping sagte der "Bild"-Zeitung, er habe insgesamt 140 000 Mark angenommen, weil er die Ansprüche darauf vor seiner Zeit als Minister erworben habe. Es handele sich um ein 1998 gezahltes Lizenzgeld in Höhe von 80 000 Mark im Vorgriff auf das Honorar für seine Lebenserinnerungen sowie um eine Zahlung von 60 000 Mark 1999. "Das Geld ist ordentlich dem Finanzamt erklärt und versteuert worden."
Die Honorare und Lizenz-Gelder habe er unter anderem für wohltätige und politische Zwecke verwendet, sagte der Minister. "Ich spende pro Jahr rund 25 000 Mark für kulturelle, kirchliche und gemeinnützige Zwecke. Auch meine persönlichen Wahlkämpfe bestreite ich weitgehend aus eigenem Einkommen. Und ich kann auch dort einmal helfen, wo ich dies ganz persönlich für wichtig halte - zum Beispiel beim Bundeswehr-Sozialwerk", zitierte "Bild" Scharping.
Der SPD-Politiker wies auch Vorwürfe im Zusammenhang mit Spekulationsgewinnen bei Aktien-Käufen zurück: "Wie jeder andere Kunde habe ich der Sachkunde meiner Bank vertraut", erklärte Scharping im Blick auf ein von Hunzinger vor der Bundestagswahl 1998 eingerichtetes Konto, von dem Aktienkäufe finanziert worden waren. Das Magazin "Stern" hatte unter Verweis auf Unterlagen Hunzingers über ein entsprechendes Konto berichtet. Die Unterlagen sollen auch ein von Hunzinger vermitteltes Treffen Scharpings mit einem Rüstungsmanager belegen, bei dem die geplante Lieferung von zwei deutschen U-Booten nach Ägypten eine Rolle gespielt habe.
Inoffiziell hieß es gestern, Bundeskanzler Gerhard Schröder habe noch für den späten Abend ein Gespräch mit Scharping vereinbart. Es hieß weiter, Schröder habe auch ein Gespräch mit dem Hamburger SPD-Bundestagsabgeordneten Hans-Ulrich Klose geführt, der schon öfter als möglicher Scharping-Nachfolger gehandelt wurde. Erhärten ließen sich die Meldungen zunächst nicht. Eine Regierungssprecherin sagte dem Hamburger Abendblatt, derartige Termine seien ihr "nicht bekannt". HA/ap/tht
erschienen am 18. Jul 2002 in Politik
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Konto 19189
Das Abendblatt dokumentiert mit Auszügen die Vorwürfe des Magazins "Stern".
Hamburg - Der "Stern" veröffentlicht heute Akten über Scharpings Geschäfte mit dem Frankfurter PR-Berater Moritz Hunzinger. Die Unterlagen belegen offenbar, dass es ein Giro- und ein Wertpapierkonto bei dem Kölner Bankhaus Sal. Oppenheim jr. & Cie. gibt, das auf Scharpings Namen lautet und für das der Verteidigungsminister dem PR-Berater Hunziger eine Vollmacht erteilt hat. Die Unterlagen stammen laut "Stern" aus einer Akte, die Hunziger über den SPD-Politiker führte. Danach hat Hunzinger auf dieses Konto insgesamt mindestens 140 000 Mark eingezahlt.
In der Scharping-Akte befinden sich auch Belege über ein Aktiengeschäft auf diesem Konto, ein umfangreiches PR-Konzept Hunzingers für den Minister, eine Kleiderrechnung für Scharping in Höhe von knapp 55 000 Mark und ein Brief des CDU-Mitglieds Hunzinger über zwei Parteispenden von je 10 000 Mark an den Wahlkreis Scharpings und den rheinland-pfälzischen Landesverband der SPD.
Darüber hinaus geht aus Aufzeichnungen hervor, dass Hunzinger, der auch intensiv für Rüstungsunternehmen tätig ist, ein Treffen Scharpings mit Hannfried Haun, damals Vorstandsmitglied der Essener Ferrostaal AG, vermittelte, um den beabsichtigten Export zweier U-Boote nach Ägypten zu befördern.
Die beiden Konten unter der Kunden-Stammnummer 19189 beim Bankhaus Oppenheim hatte Scharping laut "Stern" am 25. September 1998 eröffnet, zwei Tage vor der Bundestagswahl. Hunzinger, der von dem Minister Vollmacht erhielt, stattete das Konto zunächst mit 80 000 Mark aus. Dies sei ein üblicher Vorschuss auf später zu verfassende Memoiren des Ministers gewesen, so der PR-Mann zu dem Magazin. Im Laufe des Jahres 1999 wurden mit einem Teil des Geldes Aktien gekauft. Unter anderem wurden Papiere der Utimaco Safeware AG für 9630,02 Mark am 15. Februar gekauft und zwei Tage später mit einem Gewinn von 20 000 Mark wieder veräußert.
Am 13. September 1999, rund ein Jahr nach Scharpings Amtsantritt als Minister, überwies die Hunzinger PR GmbH weitere 60 000 Mark auf dessen Konto. Hunzinger erklärte, dabei habe es sich um Honorare für drei Vorträge Scharpings auf Hunzinger-Veranstaltungen in den Jahren 1996, 1997 und 1998 gehandelt, vor dessen Amtszeit als Verteidigungsminister. Die um dreieinhalb Jahre verspätete Honorarzahlung begründete Moritz Hunzinger mit einer internen Buchüberprüfung, bei der das Versäumnis aufgefallen sei.
Das PR-Konzept für Scharping hatte Hunzinger unmittelbar nach Amtsantritt des Ministers verfasst. Danach sollte er als "erster populärer - aber hoch intelligenter - ,Soldatenminister' nach Georg Leber" aufgebaut werden. Vom 22. März 1999 stammt eine Rechnung des Frankfurter Herrenausstatters Möller & Schaar über 54 885 Mark, die an Scharping adressiert ist, aber in der Akte bei Hunzinger abgelegt war. Zu den 28 Positionen zählen unter anderem zwei Mäntel für je 3698 Mark, ein Smoking für 4598 Mark und ein Anzug mit Zweithose und Weste für 5798 Mark.
Hunzinger erklärte, diese Rechnung für Scharping sei eine "Verwechslung". Man habe gemeinsam in dem Geschäft eingekauft. In einem Brief Hunzingers an den Minister vom 24. März 1999 heißt es dazu: "Wann kann ich Ihnen die Sachen von Möller & Schaar ausliefern? Wohin?"
Das Treffen Scharpings mit dem Ferrostaal-Manager Haun schließlich arrangierte Hunzinger laut Unterlagen am 9. März 1999 in einem Frankfurter Restaurant.
Im November, kurz vor einer Ägypten-Reise Scharpings, drängte Haun den Minister schriftlich, sich bei seinem Besuch für die Lieferung von zwei U-Booten der Klasse 209 an Ägypten einzusetzen. HA/il
erschienen am 18. Jul 2002 in Politik
gruss julius