Amerikanische Schuldenblase
Was genau ist die Besonderheit der angelsächsischen Wirtschaften? In all diesen Ländern gibt es kapitalistische Scheinblüten, inflationäre Blasen. Das heißt, das Wirtschaftswachstum in diesen Ländern beruhte in den letzten Jahren ohne Ausnahme auf inflationären Blasen, vor allem einer Inflation der Immobilienpreise. Die Inflation der Immobilienpreise förderte eine Kreditblase.
Das ins Auge springende Symptom dieses Blasen-Wachstums ist ein großes Außenhandelsdefizit. Alle angelsächsischen Staaten, mit Ausnahme Kanada haben ein riesiges Außenhandelsdefizit bei gleichzeitig verschwindender Sparquote. In allen diesen Ländern boomt der Konsum und nur der Konsum. Das Wirtschaftswachstum ist höher als in Europa, aber die Qualität dieses Wachstums ist miserabel wie nie zuvor. In der Weltwirtschaft spielten die USA die Hauptrolle. In den letzten Jahren spielten sie diese Rolle, weil ihr Handelsdefizit seit dem Jahr 2000 von rund 400 Mrd. Dollar Jahr für Jahr stieg, bis auf gegenwärtig rund 800 Mrd. Dollar. 800 Mrd. US-Dollar ist eine riesige Summe, sogar für einen so großen Wirtschaftsraum wie die USA.
In den USA bläht sich die größte Kreditblase seit Menschengedenken auf. Als Greenspan Chef der FED wurde, betrug die Gesamtverschuldung der USA 10 Billionen USD, heute sind es mehr als 37 Billionen. Das heißt, die US-Verschuldung hat sich mehr als verdreifacht, und die Frage ist: Wohin floss all dieses Geld?
In den Preisindizes taucht es nicht auf. Die amerikanischen Führungskräfte schauen wirklich nur auf den Preisindex. Ein stabiler Preisindex heißt für sie stabile Finanzen und das bedeutet für sie stabiles Wachstum. Gut, überprüfen wir einmal diese Zahlen. Kreditwachstum ist immer ein Schlüsselelement, wenn man eine Volkswirtschaft analysiert. Wenn man auf das Kreditwachstum in den USA seit den späten 70er und den folgenden Jahren schaut, so hatten die USA anfangs ein Kreditwachstum von 1,4 Dollars für jeden zusätzlichen Dollar im BSP. Unlängst betrug dieses Verhältnis 4 zu 1. Jeder zusätzliche Dollar im Wirtschaftswachstum verursacht vier Dollar Schulden. Das ist das miserabelste Verschuldungs-Verhältnis der Wirtschaftsgeschichte - auch im Vergleich zu jedem anderen Land.
Die Frage ist: Wie ist das möglich? Die Antwort darauf liegt in der Frage: Wohin floss all dieses Geld? In früherer Zeit flossen zusätzliche Kredite in die Ausgaben von Unternehmen oder privaten Konsumenten. Konsumenten und Firmen borgten Geld für den einzigen Zweck, um es für Waren der Warenproduktion auszugeben. Das änderte sich in den 80er Jahren. Mehr und mehr geborgtes Geld floss in die Finanzmärkte. Das führte zuerst zur Inflation der Aktienpreise. Andererseits löste sich allmählich die Verbindung zwischen Kreditwachstum und Einkommenswachstum, schließlich wurde diese Verbindung ganz unterbrochen.
Mehr und mehr geliehenes Geld floss in andere Kanäle als in das reale Wirtschaftswachstum. (Karl Marx erklärte dieses Phänomen als Überproduktion von Kapital - Geldkapital, das in der Warenproduktion keine profitable Anlage mehr findet. Das führte zu der Krise von 1998. Man wird sich an dieses Jahr erinnern, als das Jahr der Asien-Krise, der russischen Krise und der Krise des Investmentfonds LTCM. Das war die Zeit, als die Federal Reserve in die Finanzmärkte intervenierte, um LTCM zu retten. Seit diesem Jahr 1998 explodierten die Finanzkredite. Das heißt, mehr und mehr geborgtes Geld floss in die Finanzmärkte, vor allem in den Aktienmarkt.
Gleichzeitig vergrößerte sich das Handelsdefizit. Ein Handelsdefizit bedeutet eigentlich eine Schrumpfung des Inlandseinkommens. Die Konsumentenausgaben fließen nicht mehr zu heimischen Produzenten, um deren Profite zu erhöhen. Statt dessen fließen sie zu ausländischen Produzenten und bringt denen Profite. Das amerikanische Außenhandelsdefizit vergrößert die Profite in Asien. Als Resultat schrumpfen die US-Profite. Jedes Handelsdefizit bedeutet Dollar für Dollar einen Einkommensverlust im Inland und einen Einkommensgewinn für das Exportland. Zur Zeit verliert die US-Wirtschaft in jedem Jahr 800 Mrd. Dollar an ausländische Produzenten.
Die gewöhnliche Argumentation in Amerika geht ungefähr so: "Unser Handelsdefizit spielt keine Rolle! Wir haben trotz dieses Handelsdefizit ein höheres Wirtschaftswachstum als die Europäer, also wo liegt das Problem? Diese Antwort zeigt, dass die US-Ökonomen nicht die geringste Ahnung haben, wie das Handelsdefizit ihrer Ökonomie schadet.
Die Sache verläuft ungefähr so: Ein Handelsdefizit entsteht aus "billigem Geld" und die Federal Reserve reagiert auf das Defizit mit beschleunigtem Gelddrucken, um die heimischen Einkommensverluste auszugleichen. Im weiteren Fortgang muss das Handelsdefizit weiter wachsen, und ebenso muss die Kreditexpansion mit dem billigen Geld wachsen, um den Geldfluss ins Ausland aufrechtzuerhalten.
In den USA werden schlechte Wirtschaftsmeldungen vom Tisch gewischt mit der Reaktion: "Das ist besser als erwartet!" So werden schlechte Nachrichten in gute Nachrichten umgelogen.
Nach dem Aktiencrash von 2001 wurden die Bankzinsen von 6,5% auf 2% und dann noch auf 1% gesenkt, in der Erwartung, das würde in Kombination mit den Steuererleichterungen die Wirtschaft wieder in Gang bringen. Aber das geschah nicht wirklich. Die Arbeitslosenrate stieg ... Soweit die Wirtschaft wuchs, wuchs sie durch vermehrte Konsumtion, und alles das basierte auf Blasen.
Die amerikanischen Ökonomen haben in den letzten zehn Jahren erhebliche Veränderungen in ihren statistischen Erhebungen vorgenommen. Vor allem in den Daten, die die größten wirtschaftspolitischen Auswirkungen haben. So zum Beispiel änderten sie die Messlatte zur Messung der Inflation. Das Argument der Fachleute war: Wir müssen die Verbesserungen der Gebrauchswerte als Preisrückgang darstellen. Ursprünglich wurde dies bei nur bei verkauften Computern in die Preisstatistik eingerechnet, inzwischen wurde diese Berechnung auf die gesamte Wirtschaftsstatistik ausgedehnt. (als Beispiel: Verdoppelte sich innerhalb eines Jahres die Leistung bei einem 1000-Dollar-Computer, dann wanderten die für 1000 Dollar bezahlten Computer nur mit 500 Dollar in die "hedonistische" offizielle Statistik. w.b.)
Konservative Schätzungen nehmen an, dass diese Änderungen der Indizes die Inflationsrate um 1,5 Punkte senken. Andere gehen von 3 Punkten aus. Was wir auch immer ansetzen, wenn wir diese Zahl der offiziellen Inflationszahl hinzurechnen, dann bleibt keinerlei Wirtschaftswachstum übrig. Haben Sie das verstanden? Nach Abzug der wirklichen Inflation gibt es in den USA, so denke ich, seit Jahren so gut wie kein reales Wirtschaftswachstum.
Die andere Sache von Wichtigkeit: Die Messzahlen zur Erhebung der Arbeitslosigkeit wurden verändert. Vor seiner Wiederwahl wollte Bill Clinton niedrigere Arbeitslosenzahlen. Zu diesem Zweck fügten sie eine zusätzliche Frage bei der Erfassung der Arbeitslosen ein. Es ist kaum bekannt, dass in den USA die Arbeitslosenzahlen dadurch erfasst werden, dass jeden Monat 50.000 Menschen gefragt werden: "Haben Sie ihren Job verloren?", "Sind Sie arbeitslos?" und so weiter. In diesen Fragebogen wurde die Frage eingefügt: "Haben Sie aktiv nach einer neuen Arbeit gesucht?" Auf Deutsch: "Haben Sie eine Bewerbung für einen Arbeitsplatz losgeschickt, bzw. hat Ihnen eine Firma einen neuen Job angeboten?" Man glaubt es kaum, aber wer auf diese Frage mit "Ja" antwortet, wird nicht mehr als Arbeitsloser gezählt. Andererseits, wer es aufgeben hat, nach Arbeit zu suchen, auch der wird nicht mehr als Arbeitsloser gezählt. Man schätzt diese "frustrierten Arbeitslosen" auf mehr als 5 Millionen. Wenn man sie in die Arbeitslosenzahlen einrechnet, dann liegt die Arbeitslosenrate in den USA bei rund 8% bis 9% und nicht bei den behaupteten 5%.
Als Ergebnis bekommt man eine geringe Beschäftigungsrate bei einem geringen Wirtschaftswachstum. Aber die Betrügereien bei der Festlegung der Arbeitslosenzahlen sind nicht einmal das Schwerwiegendste. Tatsache ist, dass der größte Betrug passiert bei der Festlegung des BSP und daraus folgt eine Unterschätzung der Inflation. Es hängt alles davon ab, ob man behauptet, die Inflationsrate sei 1% oder 2% oder 3%.
Die Ausweitung des billigen Geldes läuft seit dem Jahr 2000 auf vollen Touren, aber die Investitionsrate ging deutlicher zurück als sonst. Tatsache ist, dass bis heute die Unternehmensinvestitionen nicht angesprungen sind. Produktive Investitionen liegen kaum auf dem Niveau des Jahres 2000. Die (öffentliche und private) Konsumtion nimmt einen immer größeren Anteil des BSP ein und erreicht mittlerweile 81%, gegenüber des langfristigen Durchschnitts von 67%.
Die übliche Erklärung für das Wirtschaftswachstum trotz schlechter Beschäftigungslage ist das Produktivitätswachstum. Auf den ersten Blick scheint das plausibel. Aber wenn man in den Strukturwandel der US-Wirtschaft blickt, macht das spektakuläre Produktivitätswachstum keinen Sinn, wo doch gleichzeitig das produktive Kapital schrumpft. Wenn man sich die Sache genau anschaut, dann ist der industrielle Sektor der Hauptverlierer der US-Wirtschaft. Im verarbeitenden Gewerbe gingen 3 Millionen von 70 Millionen Jobs seit 2000 verloren. Das verarbeitende Gewerbe ist gleichzeitig der Sektor mit der höchsten Kapitalzusammensetzung (dem höchsten Anteil konstantem Kapital am Gesamtkapital). In diesem Sektor gibt es so gut wie keine Neuinvestitionen mehr, da geht nichts mehr.
Die größte Jobmaschine in den USA bildete der Immobiliensektor. Rund 40% dieser armseligen neuen Jobs geht auf das Konto der Immobilienblase. Die US-Wirtschaft ist eine Wirtschaft, wo die verarbeitende Industrie rasch und unaufhörlich schrumpft. Und während dort Monat für Monat Jobs verloren gehen, entstehen die neuen Jobs auf dem Immobiliensektor und in Dienstleistungsbranchen wie das Gesundheitswesen. Das sind schlecht bezahlte Jobs, vielleicht nicht alle, aber die meisten davon - verglichen mit den gut bezahlten Jobs, die in der verarbeitenden Industrie verloren gingen.
Ich behaupte: Die Zahlen über das amerikanische Bruttosozialprodukt sind gefälscht. Sie sind aufgeblasen, weil die wirkliche Inflationsrate unterschätzt wird. Man kann sagen: Wenn man das Bruttosozialprodukt der USA mit den Beschäftigungszahlen abgleicht, dann muss man feststellen, dass es nach 2000 keine wirtschaftliche Erholung gegeben hat. Die offiziellen Zahlen über das BSP geben ein völlig falsches Bild vom realen Wirtschaftswachstum und von der realen Wirtschaftsentwicklung in den USA. Nach meiner Meinung liegt das Problem der US-Wirtschaft gerade darin, dass der FED die US-Wirtschaft für gesund hält. Ich meine, sie fallen auf ihre eigene Propaganda herein. Zur Zeit haben Ökonomen in aller Welt die Vorstellung, dass die US-Wirtschaft in hervorragender Verfassung sei. Das zeigen die aktuellen Zinsraten und der diesjährige Boom auf den Aktienmärkten. Ich meine aber, dass sich die US-Wirtschaft in der kritischsten Lage seit dem II. Weltkrieg befindet.
Noch eine Bemerkung zu US-Einkommensstatistik. Die US-Ökonomen sprechen von "Imputed Incomes" ("zugerechnete Einkommen"). Die Statistiker behaupten, dass Konsumenten und Unternehmen eine Reihe von Dingen erhalten, für die sie nichts zahlen. Das rechnen sie als "Einkommen". Zum Beispiel die Hausbesitzer. Die US-Statistiker sagen: "Wer ein Haus hat, der zahlt keine Miete, also rechnen wir ihm ein Mieteinkommen zu. Rund 600 bis 700 Mrd. Dollar bestehen jährlich aus solchen "zugerechneten Einkommen". Ist das nicht verrückt? Ganz bestimmt!
Unter den US-Ökonomen wird das alles nicht in Frage gestellt. Warum nicht? Die US-Ökonomen sagen: "Wir brauchen keine Wirtschaftstheorie, wir haben Statistik." Die US-Ökonomen verfügen über mehr Statistiken als irgendwer sonst. Das ist ihr Theorieersatz. Ohne vernünftige Theorie sind die Ökonomen jedoch nicht in der Lage zwischen wichtigen und unwichtigen statistischen Daten zu unterscheiden. Ich persönlich denke, dass alle diese Umfragen als statistische Basis kompletter Unsinn sind, denn die befragten Leute geben dir nichts anderes zur Antwort, als was sie in den Zeitungen lesen - und das ist ziemlich wertlos. Wenn dir jeder sagt, er sei optimistisch, dann leben wir angeblich in einer boomenden Wirtschaft. Ich würde auch behaupten, dass diese Wall Street Ökonomen korrupt sind. Sie sind korrupt in dem Sinne, dass ihnen nicht erlaubt ist, etwas Kritisches zu äußern.
© Dr. Kurt Richebächer
Quelle: Auszug aus dem kostenlosen Newsletters "Investor´s Daily"