Das Kapital: Ein anderer Blick auf das KGV
Es gibt eine Ausnahme. Aber grundsätzlich können Aktien langfristig
nicht schneller steigen als die Gewinne der Unternehmen. Sonst
würde das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) unaufhörlich wachsen. Und
eben da liegt die Ausnahme.
Aktien können für eine Weile schneller steigen als die Gewinne, indem sie mit
einem immer höheren KGV bewertet werden. Seit Ende der achtziger Jahre
bis heute haben die operativen Gewinne pro Aktie im S&P 500 im Schnitt um
jährlich 6,8 Prozent zugelegt. Gleichzeitig ist das KGV von 14,5 auf gut 23
geklettert. Im Ergebnis hat der Index Kursgewinne von durchschnittlich elf
Prozent jährlich eingebracht.
Wir reden über das goldene Jahrzehnt. Die Gewinnquote in der US-Wirtschaft,
also der Anteil der Gewinne am Bruttoinlandsprodukt, ist von 1989 bis 2000
von 7,2 auf 9,5 Prozent gestiegen. Abgesehen von 1996 und 1997, als die
Gewinnquote auf zehn Prozent kletterte, ist das der höchste Wert der
vergangenen dreißig Jahre. Die US-Unternehmen waren bis zuletzt hoch
rentabel, und die Chance, noch profitabler zu werden, ist mehr als
bescheiden. Dann können die Gewinne aber nicht schneller wachsen als die
Wirtschaft. Wettbewerb, Lohndruck, Überkapazität und Nachfrageschwäche
sprechen eher dafür, dass der seit zwei Quartalen zu beobachtende
Margenschwund weitergeht.
Wenn alles gut läuft, werden die Firmen die Gewinne künftig im Einklang mit
der Wirtschaft steigern. Zwischen 1989 und heute lag das nominale
US-Wachstum bei 5,6 Prozent. Schütten die Firmen zwei Prozent ihres
Gewinns in Form von Dividenden oder Aktienrückkäufen aus, ergibt das eine
Gesamtrendite von 7,6 Prozent, was in einer inflationsfreien Welt nicht
schlecht ist.
Das KGV von 23 spiegelt die Erwartung einer Rendite von 7,6 Prozent in etwa
wider. Doch die tatsächlichen Erwartungen der meisten Anleger liegen klar
höher, und das wird die US-Börse - trotz hoher Schwankungen - noch Jahre
belasten. Besser sind Europa und vor allem Japan, weil die Unternehmen dort
an der Profitabilität noch ordentlich schrauben können.
Consumer Electronic
Minus 17,5 Prozent bei Consumer Electronic am Freitag - es verwundert, dass
deren Gewinnwarnung noch überraschen konnte. Der Chip-Broker hat
angekündigt, er werde in diesem Jahr seine operative Marge von "1,8 Prozent
im ersten Quartal" zumindest halten. Im letzten Jahr waren es noch 4,5
Prozent. Die Analysten erwarteten bislang eine ähnliche Größenordnung.
Nebenbei bemerkt für jene, die es gerne genau bei den Zahlen haben wollen:
Vielleicht sind es auch nur 1,7 Prozent - zumindest dann, wenn man den
angegebenen Gewinn vor Steuern und Zinsen von 4,1 Mio. DM durch den
angegebenen Quartalsumsatz von 245,0 Mio. DM teilt. Wie auch immer, die
eingebrochene Marge erstaunt aus drei Gründen ebenso wenig wie der
Ausblick für das Gesamtjahr.
Erstens, die Halbleiterbranche leidet unter dramatischem Überangebot. Das
sind nicht die besten Zeiten für einen Chip-Broker, der die Nachfrager zum
Angebot führt. Seit Anfang April ist der Preis für die maßgeblichen 64 Megabit
DRAM-Chips weiter abgerutscht und notiert jetzt kaum noch über zwei Dollar.
Die Erholung in der Branche wird frühestens für das vierte Quartal erwartet,
nach jüngeren Prognosen sogar erst für das erste Halbjahr 2002. Zweitens,
mit der Übernahme der amerikanischen SND hat sich die Abhängigkeit vom
rezessionsbedrohten US-Markt von praktisch Null auf wohl 40 Prozent des
Umsatzes vervielfacht. Drittens, die im September 2000 erworbene SND
handelt nicht nur Chips, sondern vertreibt sie vor allem für Produzenten.
Dieses Geschäft ist aber deutlich margenschwächer als der Handel.
In den Zahlen von Consumer Electronic gibt es durchaus Lichtblicke. Die
Online-Handelsplattform läuft gut und dürfte die Größte ihrer Art in Europa
sein. Die daraus erzielten Einnahmen haben sich auf 80 Mio. DM mehr als
verdreifacht. Im stark fragmentierten Brokerage-Markt kann eine liquide
Plattform wie ein Magnet wirken und für weiteres Wachstum sorgen. Damit ist
dem wachstumsschwächeren Feuerwehrgeschäft, bei dem Firmengründer
Erich Lejeune dank seiner Kontakte kurzfristige Engpässe bei
Chip-Nachfragern wie Siemens beseitigt, der Rang abgelaufen.
Das reicht aber nicht aus, um die jetzige Bewertung zu rechtfertigen. Mit dem
0,8fachen des angestrebten Umsatzes erscheint die Aktie zunächst nicht
teuer. Aber das Unternehmen ist ein Händler. Und nach der Gewinnwarnung
hat sich die Aktie dramatisch verteuert. Eine Steuerquote von 40 Prozent und
ein ausgeglichenes Finanzergebnis unterstellt, kostet sie nun das gut 75fache
des angestrebten Gewinns. Ohnehin ist es noch zu früh für Chipaktien. Die
Börse antizipiert den Halbleitermarkt mit einem Vorlauf von drei bis sechs
Monaten. Der Tiefpunkt für Sektorwerte wäre demnach allerfrühestens im
Sommer erreicht.
© 2001 Financial Times Deutschland
Es gibt eine Ausnahme. Aber grundsätzlich können Aktien langfristig
nicht schneller steigen als die Gewinne der Unternehmen. Sonst
würde das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) unaufhörlich wachsen. Und
eben da liegt die Ausnahme.
Aktien können für eine Weile schneller steigen als die Gewinne, indem sie mit
einem immer höheren KGV bewertet werden. Seit Ende der achtziger Jahre
bis heute haben die operativen Gewinne pro Aktie im S&P 500 im Schnitt um
jährlich 6,8 Prozent zugelegt. Gleichzeitig ist das KGV von 14,5 auf gut 23
geklettert. Im Ergebnis hat der Index Kursgewinne von durchschnittlich elf
Prozent jährlich eingebracht.
Wir reden über das goldene Jahrzehnt. Die Gewinnquote in der US-Wirtschaft,
also der Anteil der Gewinne am Bruttoinlandsprodukt, ist von 1989 bis 2000
von 7,2 auf 9,5 Prozent gestiegen. Abgesehen von 1996 und 1997, als die
Gewinnquote auf zehn Prozent kletterte, ist das der höchste Wert der
vergangenen dreißig Jahre. Die US-Unternehmen waren bis zuletzt hoch
rentabel, und die Chance, noch profitabler zu werden, ist mehr als
bescheiden. Dann können die Gewinne aber nicht schneller wachsen als die
Wirtschaft. Wettbewerb, Lohndruck, Überkapazität und Nachfrageschwäche
sprechen eher dafür, dass der seit zwei Quartalen zu beobachtende
Margenschwund weitergeht.
Wenn alles gut läuft, werden die Firmen die Gewinne künftig im Einklang mit
der Wirtschaft steigern. Zwischen 1989 und heute lag das nominale
US-Wachstum bei 5,6 Prozent. Schütten die Firmen zwei Prozent ihres
Gewinns in Form von Dividenden oder Aktienrückkäufen aus, ergibt das eine
Gesamtrendite von 7,6 Prozent, was in einer inflationsfreien Welt nicht
schlecht ist.
Das KGV von 23 spiegelt die Erwartung einer Rendite von 7,6 Prozent in etwa
wider. Doch die tatsächlichen Erwartungen der meisten Anleger liegen klar
höher, und das wird die US-Börse - trotz hoher Schwankungen - noch Jahre
belasten. Besser sind Europa und vor allem Japan, weil die Unternehmen dort
an der Profitabilität noch ordentlich schrauben können.
Consumer Electronic
Minus 17,5 Prozent bei Consumer Electronic am Freitag - es verwundert, dass
deren Gewinnwarnung noch überraschen konnte. Der Chip-Broker hat
angekündigt, er werde in diesem Jahr seine operative Marge von "1,8 Prozent
im ersten Quartal" zumindest halten. Im letzten Jahr waren es noch 4,5
Prozent. Die Analysten erwarteten bislang eine ähnliche Größenordnung.
Nebenbei bemerkt für jene, die es gerne genau bei den Zahlen haben wollen:
Vielleicht sind es auch nur 1,7 Prozent - zumindest dann, wenn man den
angegebenen Gewinn vor Steuern und Zinsen von 4,1 Mio. DM durch den
angegebenen Quartalsumsatz von 245,0 Mio. DM teilt. Wie auch immer, die
eingebrochene Marge erstaunt aus drei Gründen ebenso wenig wie der
Ausblick für das Gesamtjahr.
Erstens, die Halbleiterbranche leidet unter dramatischem Überangebot. Das
sind nicht die besten Zeiten für einen Chip-Broker, der die Nachfrager zum
Angebot führt. Seit Anfang April ist der Preis für die maßgeblichen 64 Megabit
DRAM-Chips weiter abgerutscht und notiert jetzt kaum noch über zwei Dollar.
Die Erholung in der Branche wird frühestens für das vierte Quartal erwartet,
nach jüngeren Prognosen sogar erst für das erste Halbjahr 2002. Zweitens,
mit der Übernahme der amerikanischen SND hat sich die Abhängigkeit vom
rezessionsbedrohten US-Markt von praktisch Null auf wohl 40 Prozent des
Umsatzes vervielfacht. Drittens, die im September 2000 erworbene SND
handelt nicht nur Chips, sondern vertreibt sie vor allem für Produzenten.
Dieses Geschäft ist aber deutlich margenschwächer als der Handel.
In den Zahlen von Consumer Electronic gibt es durchaus Lichtblicke. Die
Online-Handelsplattform läuft gut und dürfte die Größte ihrer Art in Europa
sein. Die daraus erzielten Einnahmen haben sich auf 80 Mio. DM mehr als
verdreifacht. Im stark fragmentierten Brokerage-Markt kann eine liquide
Plattform wie ein Magnet wirken und für weiteres Wachstum sorgen. Damit ist
dem wachstumsschwächeren Feuerwehrgeschäft, bei dem Firmengründer
Erich Lejeune dank seiner Kontakte kurzfristige Engpässe bei
Chip-Nachfragern wie Siemens beseitigt, der Rang abgelaufen.
Das reicht aber nicht aus, um die jetzige Bewertung zu rechtfertigen. Mit dem
0,8fachen des angestrebten Umsatzes erscheint die Aktie zunächst nicht
teuer. Aber das Unternehmen ist ein Händler. Und nach der Gewinnwarnung
hat sich die Aktie dramatisch verteuert. Eine Steuerquote von 40 Prozent und
ein ausgeglichenes Finanzergebnis unterstellt, kostet sie nun das gut 75fache
des angestrebten Gewinns. Ohnehin ist es noch zu früh für Chipaktien. Die
Börse antizipiert den Halbleitermarkt mit einem Vorlauf von drei bis sechs
Monaten. Der Tiefpunkt für Sektorwerte wäre demnach allerfrühestens im
Sommer erreicht.
© 2001 Financial Times Deutschland