Die US-Industrie hat die Furcht vor weiteren Terroranschlägen als unschlagbares Marketinginstrument entdeckt. Die Angst der Amerikaner vor Osama und Konsorten kommt vielen Firmen äußerst gelegen, denn sie lässt die oft zweifelhafte Qualität ihrer Produkte in den Hintergrund treten.
Strahlenmesser: Sei bereit, wenn es passiert
Hamburg - Hastig steigt der Mann mit dem schwarzen Trenchcoat aus dem Wagen. In seiner Rechten trägt er einen silbernen Alukoffer. Schnitt. Lachende Kinder toben mit ihrem Vater auf dem Sofa. Schnitt. Der Mann mit dem Koffer steigt in einen Fahrstuhl. "Beim nächsten Mal", warnt eine Stimme aus dem Off, "passiert es vielleicht nicht durch Flugzeuge, die Beton und Stahl zerschmettern" ...
Diese Szene stammt aus einem Fernsehspot des amerikanischen Unternehmens Homeland Protection. Die Firma vertreibt einen Gammastrahlendetektor namens Raditect, der frühzeitig vor nuklearen Katastrophen warnen soll. Seit dem 11. September haben Homeland Protection und andere Unternehmen, die Sicherheits- oder Schutzvorrichtungen herstellen, ein unschlagbares Verkaufsargument: Die Angst vor dem nächsten großen Knall.
Die Branche nutzt die Verunsicherung der Bevölkerung weidlich aus. Dass viele der angepriesenen Produkte nur von eingeschränktem Nutzen sind oder überhaupt nicht funktionieren, ist Nebensache. In vielen Werbekampagnen steht statt seriöser Informationen ein - häufig diffuses - Bedrohungsszenario im Vordergrund. Den Marketingstrategen von Homeland Protection hat es offenbar die Gefahr einer mit radioaktivem Abfall bestückten, so genannten schmutzigen Bombe angetan.
Die Kamera schwenkt über die dampfenden Kühltürme eines Atomkraftwerks. Von irgendwoher hört man ein dumpfes Grollen....
Kaliumjodid-Pillen: Helfen nicht gegen Strahlung, beruhigen aber
Auf seiner Website hat das Unternehmen einen "Nachrichtenticker" mit ausgesuchten Schauermeldungen platziert: "New York Times - Nukleare Alpträume" oder "CNN.com - Möglicher 'schmutziger Bomber' verhaftet, sagt Ashcroft". Dass die meisten Beobachter die Festnahme des angeblichen "Dirty Bombers" al-Mudschahir inzwischen als PR-Manöver der US-Regierung betrachten, erwähnt die Seite lieber nicht. Dafür werden in einer eigenen Rubrik "wahrscheinliche Arten des nuklearen Terrorismus" eingehend beschrieben.
Beruhigungspillen
Ebenfalls en vogue sind Kaliumjodid-Pillen, die gleich von mehreren Firmen angepriesen werden. Eine Website mit dem schönen Namen Nukepills.com verspricht, dass die Tabletten (14 Stück für nur 9,95 Dollar) die Absorption krebserregenden radioaktiven Jods durch den Körper blockieren und damit im Falle eines nuklearen Unfalls oder Anschlags vor Schilddrüsenkrebs schützen.
Das stimmt. Allerdings helfen die Pillen nicht gegen frei werdende Strahlung oder andere Krebsarten. Dieses Faktum erwähnt der Hersteller lieber nur am Rande. Stattdessen zeigt die Website eine Furcht erregende Karte, auf der alle 103 Atomkraftwerke der Vereinigten Staaten eingezeichnet sind. Die Gegenden, die bei einem Anschlag von radioaktivem Niederschlag betroffen sein könnten, blinken rot. Bedroht sind angeblich alle US-Staaten. Außer Wyoming und Hawaii. Eine Quelle für die verwendeten Daten nennt Nukepills.com nicht.
Der schwarz gekleidete Mann öffnet seinen Koffer. Er enthält eine Höllenmaschine aus Zylindern und Kabeln. "Wenn es passiert, ob durch eine schmutzige Bombe, einen Nuklearunfall oder ein Erdbeben, das Strahlung freisetzt, dann werden Sie keine Zeit mehr haben, loszulaufen und dieses erstaunliche Frühwarnsystem zu kaufen"...
Für echte Nuklearparanoiker bietet das Unternehmen Two Tigers Radiological gleich ein ganzes Sortiment von Schutzvorrichtungen und Messgeräten an. Fast hat es den Anschein, als hätte jemand die Restbestände aus dem Kalten Krieg komplett aufgekauft. Die große Auswahl an esoterisch anmutenden Instrumenten wie dem "CD V-742 Taschendosimeter" oder Handbüchern wie "Strahlungssicherheit in Bunkern" lässt kaum Wünsche offen. Wer etwas mehr anlegen möchte, erhält für 3200 Dollar einen kompletten Schutzbunker für die ganze Familie. "Fertig zum Eingraben", wie der Anbieter vermerkt.
Al-Qaida als Allzweckargument
Bunker: Muss nur noch verbuddelt werden
Auch Unternehmen, die komplexere Produkte als Kaliumjodid-Kapseln anbieten, setzen auf den "fear factor". So etwa das Biometrie-Unternehmen Identix, das eine Software zur Gesichtserkennung namens FaceIt herstellt. Anfang Oktober verstieg sich Identix-Chef Joseph Atick während eines Chats bei CNN.com zu der waghalsigen Behauptung, mehrere der Attentäter des 11. September hätten vorher gefasst werden können - wenn die Flughäfen seine Technologie verwendet hätten.
Der kleine schwarze Kasten auf dem Beistelltisch fängt an zu blinken. Die Familie springt auf, der Vater führt die Kinder zur Tür. "Raditect warnt Sie akustisch vor Strahlung, lange bevor die Nachrichten es melden. Es gibt Ihnen den Vorsprung, den Sie brauchen, um die Panik und den Horror der Strahlung zu vermeiden" ...
Dabei ist es höchst zweifelhaft, ob die Gesichtserkennungssoftware überhaupt schon so weit ausgereift ist, dass man sie im Kampf gegen Terroristen einsetzen kann. In der Theorie hört sich das Ganze gut an: Kameras nehmen zum Beispiel an Flughäfen alle Passagiere auf, die die Sicherheitssperre passieren. Ein Computer gleicht die aufgenommenen Bilder mit einer Datenbank ab, in der verdächtige oder auf der Fahndungsliste stehende Personen gespeichert sind. Stimmt ein Gesicht mit dem Archiv überein, schlägt der Computer Alarm und das Sicherheitspersonal überprüft, ob es sich tatsächlich um einen Terroristen handelt.
Atick, der gerne in einer Stars-and-Stripes-Lederjacke vor die Presse tritt, hält seine Technologie für so präzise, "dass sie nicht durch Verkleidungen wie Perücken oder falsche Bärte genarrt werden kann". Tatsächlich versagt FaceIt offenbar schon bei unmaskierten Personen regelmäßig. Am Bostoner Flughafen Logan wurde die Software 90 Tage lang getestet. Das Ergebnis war niederschmetternd. "Die Technik ist noch nicht bereit für den großen Einsatz", sagte Projektleiter Richard Roth von der Beratungsfirma Counter Technology dem "Boston Globe". Nicht nur das Produkt von Identix habe versagt, auch die Software des Konkurrenten Viisage Technology erziele nicht die gewünschten Resultate. Auch ein weiteres Projekt am Internationalen Flughafen Palm Beach (Florida) war ein Fehlschlag.
Tausende Fehlalarme pro Tag
Bunker-Handbuch: Altbekanntes aus dem Kalten Krieg
Gesichtserkennungssoftware lässt sich in der Regel so einstellen, dass sie entweder schon bei einer geringen Übereinstimmung von physiologischen Merkmalen Alarm auslöst oder lediglich bei deutlichen Ähnlichkeiten anschlägt. In Boston konnten die Probanden bei niedriger Sensitivität das System bereits durch eine ungewöhnliche Haltung des Kopfes überlisten. Wurde die Software so eingestellt, dass bereits kleine Übereinstimmungen Alarm auslösten, war das Personal schnell völlig überfordert.
Identix zufolge hat FaceIt eine "phänomenal" niedrige Fehlerrate. Lediglich in 1,5 Prozent der Fälle komme es zu einem falschen Alarm. Was sich tolerabel anhört, wäre in der Praxis ein ernsthaftes Problem: An einem Flughafen wie Frankfurt am Main bedeutete diese Fehlerquote, dass an einem Tag 2000- bis 3000-mal Terroristenalarm ausgelöst würde - ein normaler Betrieb wäre kaum noch möglich. Atick sieht das anders. "Wenn einer von 50 Passagieren von Sicherheitsleuten eingehend überprüft werden muss (...) ist das zu viel Arbeit für die Verbesserung der Sicherheit an Amerikas Flughäfen? Ich glaube, das amerikanische Volk würde das anders sehen." Auch Viisage spielt angesichts der erheblichen Zweifel an seinem Produkt die Terrorkarte: "Es ist klar, dass Gesichtserkennungssoftware die Identifikation von Terroristen maßgeblich verbessern kann" heißt es in einer Presseerklärung.
Mit dem Jeep rast die Familie den Highway entlang, weg von der tödlichen Strahlung, in Richtung Sicherheit. "Holen Sie sich Raditect noch heute, für 149 Dollar. Wählen Sie 1-888-888-6008. Schützen Sie jene, die Sie lieben. Rufen Sie jetzt an."
Strahlenmesser: Sei bereit, wenn es passiert
Hamburg - Hastig steigt der Mann mit dem schwarzen Trenchcoat aus dem Wagen. In seiner Rechten trägt er einen silbernen Alukoffer. Schnitt. Lachende Kinder toben mit ihrem Vater auf dem Sofa. Schnitt. Der Mann mit dem Koffer steigt in einen Fahrstuhl. "Beim nächsten Mal", warnt eine Stimme aus dem Off, "passiert es vielleicht nicht durch Flugzeuge, die Beton und Stahl zerschmettern" ...
Diese Szene stammt aus einem Fernsehspot des amerikanischen Unternehmens Homeland Protection. Die Firma vertreibt einen Gammastrahlendetektor namens Raditect, der frühzeitig vor nuklearen Katastrophen warnen soll. Seit dem 11. September haben Homeland Protection und andere Unternehmen, die Sicherheits- oder Schutzvorrichtungen herstellen, ein unschlagbares Verkaufsargument: Die Angst vor dem nächsten großen Knall.
Die Branche nutzt die Verunsicherung der Bevölkerung weidlich aus. Dass viele der angepriesenen Produkte nur von eingeschränktem Nutzen sind oder überhaupt nicht funktionieren, ist Nebensache. In vielen Werbekampagnen steht statt seriöser Informationen ein - häufig diffuses - Bedrohungsszenario im Vordergrund. Den Marketingstrategen von Homeland Protection hat es offenbar die Gefahr einer mit radioaktivem Abfall bestückten, so genannten schmutzigen Bombe angetan.
Die Kamera schwenkt über die dampfenden Kühltürme eines Atomkraftwerks. Von irgendwoher hört man ein dumpfes Grollen....
Kaliumjodid-Pillen: Helfen nicht gegen Strahlung, beruhigen aber
Auf seiner Website hat das Unternehmen einen "Nachrichtenticker" mit ausgesuchten Schauermeldungen platziert: "New York Times - Nukleare Alpträume" oder "CNN.com - Möglicher 'schmutziger Bomber' verhaftet, sagt Ashcroft". Dass die meisten Beobachter die Festnahme des angeblichen "Dirty Bombers" al-Mudschahir inzwischen als PR-Manöver der US-Regierung betrachten, erwähnt die Seite lieber nicht. Dafür werden in einer eigenen Rubrik "wahrscheinliche Arten des nuklearen Terrorismus" eingehend beschrieben.
Beruhigungspillen
Ebenfalls en vogue sind Kaliumjodid-Pillen, die gleich von mehreren Firmen angepriesen werden. Eine Website mit dem schönen Namen Nukepills.com verspricht, dass die Tabletten (14 Stück für nur 9,95 Dollar) die Absorption krebserregenden radioaktiven Jods durch den Körper blockieren und damit im Falle eines nuklearen Unfalls oder Anschlags vor Schilddrüsenkrebs schützen.
Das stimmt. Allerdings helfen die Pillen nicht gegen frei werdende Strahlung oder andere Krebsarten. Dieses Faktum erwähnt der Hersteller lieber nur am Rande. Stattdessen zeigt die Website eine Furcht erregende Karte, auf der alle 103 Atomkraftwerke der Vereinigten Staaten eingezeichnet sind. Die Gegenden, die bei einem Anschlag von radioaktivem Niederschlag betroffen sein könnten, blinken rot. Bedroht sind angeblich alle US-Staaten. Außer Wyoming und Hawaii. Eine Quelle für die verwendeten Daten nennt Nukepills.com nicht.
Der schwarz gekleidete Mann öffnet seinen Koffer. Er enthält eine Höllenmaschine aus Zylindern und Kabeln. "Wenn es passiert, ob durch eine schmutzige Bombe, einen Nuklearunfall oder ein Erdbeben, das Strahlung freisetzt, dann werden Sie keine Zeit mehr haben, loszulaufen und dieses erstaunliche Frühwarnsystem zu kaufen"...
Für echte Nuklearparanoiker bietet das Unternehmen Two Tigers Radiological gleich ein ganzes Sortiment von Schutzvorrichtungen und Messgeräten an. Fast hat es den Anschein, als hätte jemand die Restbestände aus dem Kalten Krieg komplett aufgekauft. Die große Auswahl an esoterisch anmutenden Instrumenten wie dem "CD V-742 Taschendosimeter" oder Handbüchern wie "Strahlungssicherheit in Bunkern" lässt kaum Wünsche offen. Wer etwas mehr anlegen möchte, erhält für 3200 Dollar einen kompletten Schutzbunker für die ganze Familie. "Fertig zum Eingraben", wie der Anbieter vermerkt.
Al-Qaida als Allzweckargument
Bunker: Muss nur noch verbuddelt werden
Auch Unternehmen, die komplexere Produkte als Kaliumjodid-Kapseln anbieten, setzen auf den "fear factor". So etwa das Biometrie-Unternehmen Identix, das eine Software zur Gesichtserkennung namens FaceIt herstellt. Anfang Oktober verstieg sich Identix-Chef Joseph Atick während eines Chats bei CNN.com zu der waghalsigen Behauptung, mehrere der Attentäter des 11. September hätten vorher gefasst werden können - wenn die Flughäfen seine Technologie verwendet hätten.
Der kleine schwarze Kasten auf dem Beistelltisch fängt an zu blinken. Die Familie springt auf, der Vater führt die Kinder zur Tür. "Raditect warnt Sie akustisch vor Strahlung, lange bevor die Nachrichten es melden. Es gibt Ihnen den Vorsprung, den Sie brauchen, um die Panik und den Horror der Strahlung zu vermeiden" ...
Dabei ist es höchst zweifelhaft, ob die Gesichtserkennungssoftware überhaupt schon so weit ausgereift ist, dass man sie im Kampf gegen Terroristen einsetzen kann. In der Theorie hört sich das Ganze gut an: Kameras nehmen zum Beispiel an Flughäfen alle Passagiere auf, die die Sicherheitssperre passieren. Ein Computer gleicht die aufgenommenen Bilder mit einer Datenbank ab, in der verdächtige oder auf der Fahndungsliste stehende Personen gespeichert sind. Stimmt ein Gesicht mit dem Archiv überein, schlägt der Computer Alarm und das Sicherheitspersonal überprüft, ob es sich tatsächlich um einen Terroristen handelt.
Atick, der gerne in einer Stars-and-Stripes-Lederjacke vor die Presse tritt, hält seine Technologie für so präzise, "dass sie nicht durch Verkleidungen wie Perücken oder falsche Bärte genarrt werden kann". Tatsächlich versagt FaceIt offenbar schon bei unmaskierten Personen regelmäßig. Am Bostoner Flughafen Logan wurde die Software 90 Tage lang getestet. Das Ergebnis war niederschmetternd. "Die Technik ist noch nicht bereit für den großen Einsatz", sagte Projektleiter Richard Roth von der Beratungsfirma Counter Technology dem "Boston Globe". Nicht nur das Produkt von Identix habe versagt, auch die Software des Konkurrenten Viisage Technology erziele nicht die gewünschten Resultate. Auch ein weiteres Projekt am Internationalen Flughafen Palm Beach (Florida) war ein Fehlschlag.
Tausende Fehlalarme pro Tag
Bunker-Handbuch: Altbekanntes aus dem Kalten Krieg
Gesichtserkennungssoftware lässt sich in der Regel so einstellen, dass sie entweder schon bei einer geringen Übereinstimmung von physiologischen Merkmalen Alarm auslöst oder lediglich bei deutlichen Ähnlichkeiten anschlägt. In Boston konnten die Probanden bei niedriger Sensitivität das System bereits durch eine ungewöhnliche Haltung des Kopfes überlisten. Wurde die Software so eingestellt, dass bereits kleine Übereinstimmungen Alarm auslösten, war das Personal schnell völlig überfordert.
Identix zufolge hat FaceIt eine "phänomenal" niedrige Fehlerrate. Lediglich in 1,5 Prozent der Fälle komme es zu einem falschen Alarm. Was sich tolerabel anhört, wäre in der Praxis ein ernsthaftes Problem: An einem Flughafen wie Frankfurt am Main bedeutete diese Fehlerquote, dass an einem Tag 2000- bis 3000-mal Terroristenalarm ausgelöst würde - ein normaler Betrieb wäre kaum noch möglich. Atick sieht das anders. "Wenn einer von 50 Passagieren von Sicherheitsleuten eingehend überprüft werden muss (...) ist das zu viel Arbeit für die Verbesserung der Sicherheit an Amerikas Flughäfen? Ich glaube, das amerikanische Volk würde das anders sehen." Auch Viisage spielt angesichts der erheblichen Zweifel an seinem Produkt die Terrorkarte: "Es ist klar, dass Gesichtserkennungssoftware die Identifikation von Terroristen maßgeblich verbessern kann" heißt es in einer Presseerklärung.
Mit dem Jeep rast die Familie den Highway entlang, weg von der tödlichen Strahlung, in Richtung Sicherheit. "Holen Sie sich Raditect noch heute, für 149 Dollar. Wählen Sie 1-888-888-6008. Schützen Sie jene, die Sie lieben. Rufen Sie jetzt an."