Das Neueste aus der Hauptstadt der Bundesrepublik
Nach knapp 16 Amtsjahren als Regierender Bürgermeister Berlins will sich Diepgen nicht noch einmal für diesen Posten zur Wahl stellen
Von Adrienne Woltersdorf
Der kommunale Übervater Eberhard Diepgen ist dieser Tage ein Mann, dem man plötzlich so etwas wie Mitgefühl entgegenbringen möchte. Zwischen all den gebräunten Bodyguards und Oppositionspolitikern sitzt, steht oder schreitet der Regierende Bürgermeister ziemlich blass herum. Er sieht müde aus. "Die Lage ist beschissen", mehr dringt nicht nach außen. Kein Zorn, keine innerlich tobende Empörung auf dem Gesicht. "Schnee von gestern" nennt er bereits die vergangene Woche, in der die Sozialdemokraten ihm und der Union die Zusammenarbeit aufgekündigt haben.
Heute wählen seine Gegner, Sozialdemokraten und Grüne ("graugewordene Hausbesetzer"), einen Übergangssenat und sägen mit Hilfe der PDS-Stimmen den ewigen Eberhard endgültig ab. Frühzeitig zurücktreten wollte er nicht. Niemals. Dass er das parlamentarische Spektakel des Misstrauensvotums noch durchleiden will, gilt in seinen Reihen als "Dienst an der Partei". Ebi, der Pflichterfüller. Die Welt solle sehen, wünschen sich die empörten Fraktionäre, dass alles ein von "langer und professioneller Hand" orchestrierter "Putsch der Linken" sei. Offenbar so professionell, dass die mit Schönredereien beschäftigten CDU-Landsknechte erst merkten, was los ist, als der Knüppel auf ihren Köpfen aufschlug.
Diepgens Sturz ist die logisch-moralische Konsequenz aus dem Bankenskandal. Und doch umgibt den Mann ein Hauch von Tragik. Denn der "Regiermeister", wie er manchmal in den Kiezen genannt wird, ist tatsächlich bei vielen Berlinern, egal welcher Couleur, beliebt. Diepgen war zwar im Wesen keiner von ihnen, aber mittelmäßig genug, damit sich die Berliner gut von ihm vertreten fühlten. Zuviel hat der Mann mit dem hellen Teint von den Berlinern nie verlangt. Diepgen, die Berliner Weiße der deutschen Republik.
Im November wäre er turnusgemäß Bundesratsvorsitzender geworden. Laut Protokoll Stellvertreter des Bundespräsidenten. Das hätte seiner Karriere, die ausgerechnet zur Wendezeit unterbrochen war, das noch fehlende i-Tüpfelchen verpasst. An Johannes Raus Statt im Schloss Bellevue die Staatsgäste hofieren . . . Mit der Zeitbombe Klaus Landowsky platzte auch der Traum des Patriarchen. Auch dies ein bisschen tragisch. Es war wohl eine der längsten und best-funktionierenden Männerfreundschaften in der deutschen Politik. Das seit drei Jahrzehnten agierende Duo havarierte nun gemeinsam. Kaum war Landowsky weg, stürzte Diepgens Stern gleich hinterher.
Niemand hat ein Bundesland länger regiert als der "blasse Eberhard". Knapp 16 Jahre lenkte der Mann aus dem Wedding die Geschicke Berlins. Erst in Koalition mit der FDP, dann, nach kurzer Auszeit während der Wende, ein Jahrzehnt lang mit den Sozialdemokraten. Wenn preußische Qualitäten die Antithese zur Spaßgesellschaft sind, verkörpert sie der 59-jährige Jurist: Zuverlässigkeit, Pflichtbewusstsein, Detailkenntnis und eine Aura der Bescheidenheit. Da ist auch Sprödigkeit, Steifheit, Langeweile. Diepgen ist keiner, der die Hauptstadt-Massen mit flammenden Reden durch die Mühen der Ebene führte. Wenn alles gut lief, war Ebi Spitze. Verwalten ist eben leichter als gestalten.
Dass er keine Visionen hatte, wird gern kolportiert. Doch Eberhard Diepgen hatte Visionen. Es waren kleine, überschaubare, umsetzbare Ideen, was mit dieser Stadt zu machen sei. Während die meisten in der westberlinisch dominierten Union bis heute geistig zu Hause blieben, hat Diepgen die Demarkationslinie zum Osten beherzt überschritten.
In kleinen Etappen bemühte er sich um ein Zusammenwachsen der beiden Stadthälften. Die Tarifangleichung im öffentlichen Ost-Dienst war seine mutigste Tat. Nun wird er mit Unterstützung der PDS in die Ecke gestellt.
Das gießt Wasser auf die Mühlen. Anti-kommunistische Rhetorik schäumt schon dieser Tage aus den Manuskripten der Union. Nun sagt auch Eberhard Diepgen Sätze wie: "Durch die Einbeziehung alter Stasi-Leute in die politische Zukunft dieser Stadt könnte der innere Frieden gefährdet werden." Und, mit zusammengekniffenen Augen und leiser, tiefer Stimme: "Da habe ich Sorge." Man glaubt es ihm. Denn niemand in der Stadt verkörperte die konservativ-bürgerliche Überschaubarkeit der Welt besser als er.
Für den Jogger Diepgen ist das Rennen nun vorbei. Zwar hat selbst der Landesvorstand der Jungen Union ihn bekniet, noch einmal die CDU in den Wahlkampf zu führen. Am morgigen Sonntag aber wird er sagen, dass er nicht wieder antritt. Das zelebrierten die Christdemokraten schon am Donnerstag wie ein Staatsbegräbnis: "Bürgermeister der Herzen" nannte ihn sein designierter Nachfolger und CDU-Fraktionschef Frank Steffel.
Er sei Realist, heißt es von denen, die ihn lange kennen. "Man ist schlauer, wenn man aus dem Rathaus kommt", sagt er. "Das Krisenmanagement hätte definitv anders laufen müssen", meint ein jüngeres Fraktionsmitglied. Bei Diepgen ist immerhin die Einsicht gereift, dass es ein Fehler war, den Berliner Augiasstall aus Filz und Finanzen nicht rechtzeitig entmistet zu haben. Zu lange habe er an Klaus Landowsky festgehalten, bekennt er öffentlich. Jeder Tag, den der unentbehrliche Polit-Kompagnon nach Bekanntwerden der 40 000- Mark-Spendenaffäre im Januar länger im Amt war, hat die ehedem dahinsiechende Sozialdemokratie gestärkt.
In seiner letzten Regierungserklärung am Donnerstag touchierte Diepgen das rund sechs Milliarden Mark teure Thema Bankenkrise nur en passant. Bekenntnisse gab es dazu nicht. Die Beschlüsse habe die große Koalition gemeinsam getroffen, heißt es trotzig und unisono in der Union. "Wir haben uns diese Vorwürfe viel zu lange gefallen lassen", lautet die maximale Fehleranalyse. "Die Schuldfrage ist noch lange nicht geklärt", heißt es hitzig aus dem Fraktionsvorstand.
Mit dieser Haltung wollen die Schwarzen nun die Angst des Bürgers vor den Roten schüren. Auswärtige Kandidaten wird es dazu nicht geben. Kein Unions-Kopf von Format scheint es als attraktiv zu erachten, mit der Berliner Union den Brunnen auszuputzen. Zudem ist das Berliner Kumpelnest berüchtigt dafür, politische Bundes-Überflieger gleich welcher Couleur gründlich zu neutralisieren. Wer in dieser Weltstadt im Herzen Europas nichts von Parkraumbewirtschaftung in Steglitz versteht, kommt nicht an. Es sind nicht die Konzepte zur Museumsinsel oder die Visionen eines Brückenkopfes der Osterweiterung, die die Herzen im Kiez erwärmen. Damit unterscheidet sich Berlin nicht von anderen Städten. Wohl aber von anderen Hauptstädten. Keine ist politisch so sehr Provinz wie die "aufregendste Stadt" Europas.
Nach knapp 16 Amtsjahren als Regierender Bürgermeister Berlins will sich Diepgen nicht noch einmal für diesen Posten zur Wahl stellen
Von Adrienne Woltersdorf
Der kommunale Übervater Eberhard Diepgen ist dieser Tage ein Mann, dem man plötzlich so etwas wie Mitgefühl entgegenbringen möchte. Zwischen all den gebräunten Bodyguards und Oppositionspolitikern sitzt, steht oder schreitet der Regierende Bürgermeister ziemlich blass herum. Er sieht müde aus. "Die Lage ist beschissen", mehr dringt nicht nach außen. Kein Zorn, keine innerlich tobende Empörung auf dem Gesicht. "Schnee von gestern" nennt er bereits die vergangene Woche, in der die Sozialdemokraten ihm und der Union die Zusammenarbeit aufgekündigt haben.
Heute wählen seine Gegner, Sozialdemokraten und Grüne ("graugewordene Hausbesetzer"), einen Übergangssenat und sägen mit Hilfe der PDS-Stimmen den ewigen Eberhard endgültig ab. Frühzeitig zurücktreten wollte er nicht. Niemals. Dass er das parlamentarische Spektakel des Misstrauensvotums noch durchleiden will, gilt in seinen Reihen als "Dienst an der Partei". Ebi, der Pflichterfüller. Die Welt solle sehen, wünschen sich die empörten Fraktionäre, dass alles ein von "langer und professioneller Hand" orchestrierter "Putsch der Linken" sei. Offenbar so professionell, dass die mit Schönredereien beschäftigten CDU-Landsknechte erst merkten, was los ist, als der Knüppel auf ihren Köpfen aufschlug.
Diepgens Sturz ist die logisch-moralische Konsequenz aus dem Bankenskandal. Und doch umgibt den Mann ein Hauch von Tragik. Denn der "Regiermeister", wie er manchmal in den Kiezen genannt wird, ist tatsächlich bei vielen Berlinern, egal welcher Couleur, beliebt. Diepgen war zwar im Wesen keiner von ihnen, aber mittelmäßig genug, damit sich die Berliner gut von ihm vertreten fühlten. Zuviel hat der Mann mit dem hellen Teint von den Berlinern nie verlangt. Diepgen, die Berliner Weiße der deutschen Republik.
Im November wäre er turnusgemäß Bundesratsvorsitzender geworden. Laut Protokoll Stellvertreter des Bundespräsidenten. Das hätte seiner Karriere, die ausgerechnet zur Wendezeit unterbrochen war, das noch fehlende i-Tüpfelchen verpasst. An Johannes Raus Statt im Schloss Bellevue die Staatsgäste hofieren . . . Mit der Zeitbombe Klaus Landowsky platzte auch der Traum des Patriarchen. Auch dies ein bisschen tragisch. Es war wohl eine der längsten und best-funktionierenden Männerfreundschaften in der deutschen Politik. Das seit drei Jahrzehnten agierende Duo havarierte nun gemeinsam. Kaum war Landowsky weg, stürzte Diepgens Stern gleich hinterher.
Niemand hat ein Bundesland länger regiert als der "blasse Eberhard". Knapp 16 Jahre lenkte der Mann aus dem Wedding die Geschicke Berlins. Erst in Koalition mit der FDP, dann, nach kurzer Auszeit während der Wende, ein Jahrzehnt lang mit den Sozialdemokraten. Wenn preußische Qualitäten die Antithese zur Spaßgesellschaft sind, verkörpert sie der 59-jährige Jurist: Zuverlässigkeit, Pflichtbewusstsein, Detailkenntnis und eine Aura der Bescheidenheit. Da ist auch Sprödigkeit, Steifheit, Langeweile. Diepgen ist keiner, der die Hauptstadt-Massen mit flammenden Reden durch die Mühen der Ebene führte. Wenn alles gut lief, war Ebi Spitze. Verwalten ist eben leichter als gestalten.
Dass er keine Visionen hatte, wird gern kolportiert. Doch Eberhard Diepgen hatte Visionen. Es waren kleine, überschaubare, umsetzbare Ideen, was mit dieser Stadt zu machen sei. Während die meisten in der westberlinisch dominierten Union bis heute geistig zu Hause blieben, hat Diepgen die Demarkationslinie zum Osten beherzt überschritten.
In kleinen Etappen bemühte er sich um ein Zusammenwachsen der beiden Stadthälften. Die Tarifangleichung im öffentlichen Ost-Dienst war seine mutigste Tat. Nun wird er mit Unterstützung der PDS in die Ecke gestellt.
Das gießt Wasser auf die Mühlen. Anti-kommunistische Rhetorik schäumt schon dieser Tage aus den Manuskripten der Union. Nun sagt auch Eberhard Diepgen Sätze wie: "Durch die Einbeziehung alter Stasi-Leute in die politische Zukunft dieser Stadt könnte der innere Frieden gefährdet werden." Und, mit zusammengekniffenen Augen und leiser, tiefer Stimme: "Da habe ich Sorge." Man glaubt es ihm. Denn niemand in der Stadt verkörperte die konservativ-bürgerliche Überschaubarkeit der Welt besser als er.
Für den Jogger Diepgen ist das Rennen nun vorbei. Zwar hat selbst der Landesvorstand der Jungen Union ihn bekniet, noch einmal die CDU in den Wahlkampf zu führen. Am morgigen Sonntag aber wird er sagen, dass er nicht wieder antritt. Das zelebrierten die Christdemokraten schon am Donnerstag wie ein Staatsbegräbnis: "Bürgermeister der Herzen" nannte ihn sein designierter Nachfolger und CDU-Fraktionschef Frank Steffel.
Er sei Realist, heißt es von denen, die ihn lange kennen. "Man ist schlauer, wenn man aus dem Rathaus kommt", sagt er. "Das Krisenmanagement hätte definitv anders laufen müssen", meint ein jüngeres Fraktionsmitglied. Bei Diepgen ist immerhin die Einsicht gereift, dass es ein Fehler war, den Berliner Augiasstall aus Filz und Finanzen nicht rechtzeitig entmistet zu haben. Zu lange habe er an Klaus Landowsky festgehalten, bekennt er öffentlich. Jeder Tag, den der unentbehrliche Polit-Kompagnon nach Bekanntwerden der 40 000- Mark-Spendenaffäre im Januar länger im Amt war, hat die ehedem dahinsiechende Sozialdemokratie gestärkt.
In seiner letzten Regierungserklärung am Donnerstag touchierte Diepgen das rund sechs Milliarden Mark teure Thema Bankenkrise nur en passant. Bekenntnisse gab es dazu nicht. Die Beschlüsse habe die große Koalition gemeinsam getroffen, heißt es trotzig und unisono in der Union. "Wir haben uns diese Vorwürfe viel zu lange gefallen lassen", lautet die maximale Fehleranalyse. "Die Schuldfrage ist noch lange nicht geklärt", heißt es hitzig aus dem Fraktionsvorstand.
Mit dieser Haltung wollen die Schwarzen nun die Angst des Bürgers vor den Roten schüren. Auswärtige Kandidaten wird es dazu nicht geben. Kein Unions-Kopf von Format scheint es als attraktiv zu erachten, mit der Berliner Union den Brunnen auszuputzen. Zudem ist das Berliner Kumpelnest berüchtigt dafür, politische Bundes-Überflieger gleich welcher Couleur gründlich zu neutralisieren. Wer in dieser Weltstadt im Herzen Europas nichts von Parkraumbewirtschaftung in Steglitz versteht, kommt nicht an. Es sind nicht die Konzepte zur Museumsinsel oder die Visionen eines Brückenkopfes der Osterweiterung, die die Herzen im Kiez erwärmen. Damit unterscheidet sich Berlin nicht von anderen Städten. Wohl aber von anderen Hauptstädten. Keine ist politisch so sehr Provinz wie die "aufregendste Stadt" Europas.