Bericht: Aussichten 2003 - DAX 4000 ist locker drin
15.12.2002 09:36:00
Deutschlands Börsen-Experten sind sicher, dass 2003 endlich wieder Gewinne winken. Eine Umfrage unter den führenden Banken ergab: Sie erwarten beim DAX im Schnitt ein Plus
von Stefan Beste / Euro am Sonntag
Au weiah!", entfährt es Frank Bulthaupt. Freuen mag sich der Kapitalmarkt-Experte der Dresdner Bank über die Glückwünsche nicht. Zwar hatte sein Institut im vergangenen Jahr bei der Umfrage zu den Marktaussichten für 2002 die pessimistischste und damit zutreffendste Prognose abgegeben. Aber von den 5300 Punkten für den DAX, die die Experten des Bankhauses damals vorhergesagt haben, ist der Dax derzeit Lichtjahre entfernt.
Das Wunschdenken des Jahres 2001 ist längst dem Realismus gewichen.Wie sehr sich die Stimmung an den Aktienmärkten eingetrübt hat, zeigt das Ergebnis der Umfrage in diesem Jahr, an der sich die Experten von 30 der führenden Banken und Fondsgesellschaften beteiligt haben. 5300 Punkte für den Dax - das vorherzusagen, trauen sich nicht mal die größten Optimisten.
Zuversichtlich sind sie dennoch - frei nach der Devise: Irgendwann muss der Horror doch mal ein Ende haben! Minus 40 Prozent in einem Jahr, das gab’s noch nie. Dazu das dritte Jahr in Folge mit einer negativen Bilanz - noch ein Negativ-Rekord. So wird es nicht weitergehen, das ist die einhellige Meinung der 30 Bankhäuser, die von EURO befragt wurden. Niemand geht davon aus, dass der DAX 2003 erneut Verlust machen wird. Im Gegenteil: Im Schnitt tippen die Experten auf 4074 Punkten - gegenüber dem Schlussstand vom vergangenen Freitag (30xx Punkte) wäre das ein Plus von mehr als 30 Prozent.
Selbst der Ober-Bär des vergangenen Jahres, die Dresdner Bank, gibt sich optimistisch. Zwar liegt Kapitalmarktexperte Bulthaupt mit seiner Prognose von 3750 Punkten auch dieses Mal wieder am unteren Ende der Skala. Von Pessimismus freilich will er nichts wissen: "Warum denn? 3750 Punkte im DAX wären gegenüber heute doch ein schönes Plus von knapp 15 Prozent."
Die Mehrzahl der Analysten freilich mag sich mit 15 Prozent nicht zufrieden geben: Rolf Geck, Aktienstratege bei der WGZ-Bank, tippt auf deutlich mehr: "DAX 5000", lautet seine mutige Prognose, die manches Anlegerherz höher schlagen lässt.
Das wäre ein Plus von rund 60 Prozent. "Warum denn nicht?", fragt Geck. Nach dem Einbruch wegen der Terroranschläge des 11. Septembers 2001 habe der DAX schließlich auch in einem halben Jahres um mehr als 45 Prozent zugelegt: von 3787 auf 5462 Punkte. Geck hat noch mehr Argumente parat: Die Bewertung der großen DAX-Konzerne sei derzeit extrem niedrig, und auch das - von ihm erwartete - moderate Wachstum sei noch nicht in den Kursen enthalten. Zudem setzt Geck auf eine "nachhaltige Lösung des Irak-Problems", sprich: eine Friedenslösung oder einen schnellen Sieg der USA. "Beides würde den Weltbörsen starken Auftrieb geben", sagt der WGZ-Mann.
Optimistisch geben sich Deutschlands Aktienstrategen auch für die wichtigen Märkte in Europa, den USA und Japan. Glaubt man den Vorhersagen, wird sich der Euro Stoxx 50 im kommenden Jahr ebenfalls deutlich erholen. Im Schnitt tippen die Experten auf 3167 Punkte, gegenüber dem heutigen Stand ein Zuwachs von immerhin gut 30 Prozent. Nicht ganz so schnell dürfte es in Amerika aufwärts gehen. "Schließlich", so Roland Ziegler von der ING Bhf-Bank, "ist die USA ja auch nicht so stark gefallen wie die Europäer". Mit durchschnittlich 10029 Punkten beim Dow Jones prophezeien die Fachleute aber auch hier ein Plus von knapp 20 Prozent. Sogar Dauerpatient Japan sollte den Investoren 2003 Freude machen. Der vorhergesagte Anstieg auf 10444 Punkte würde immerhin mehr als 20 Prozent Plus bedeuten.
Allerdings: Es gibt auch pessimistische Stimmen. Die Analysten von HSBC Trinkaus und Burkhardt trauen dem DAX bis Ende 2003 nur 3350 Punkte zu - wenig mehr als der aktuelle Stand. "Es ist keine tief greifene Erholung der Konjunktur in Sicht. Daher besteht weiter ein hohes Risiko, dass die Ergebnisse der Unternehmen enttäuschend ausfallen", sagt HSBC-Aktienstratege Volker Borghoff. Die Aussichten - gerade für den deutschen Markt - seien alles andere als gut. Borghoff: "Unsere Prognose ist vielleicht sogar noch zu optimistisch." Vorjahressieger Bulthaupt von der Dresdner Bank hingegen ist überzeugt, dass die Phase der Unsicherheit, die das laufende Jahr geprägt hat, bald endet. "Die Unterbewertung an den Aktienmärkten wird sich im kommenden Jahr langsam abbauen", sagt er. Bulthaupt setzt auf Europa, das zuletzt besonders stark unter der Krise gelitten hat. "Dafür dürfte auch die Erholung um so kräftiger ausfallen."
Ähnlich sieht es Roland Ziegler von der ING BHF-Bank. Die großen Probleme des vergangenen Jahres - die Vertrauenskrise auf Grund der Bilanztricksereien in den USA, der mögliche Krieg im Irak, die drohende Wirtschaftskrise in Brasilien - seien inzwischen in den Kursen verarbeitet. "Selbst wenn wieder etwas Schlimmes passiert, würde dies an den Märkten nicht mehr so starke Auswirkungen haben", ist Ziegler überzeugt. Im Übrigen setzt er auf den Konjunkturmotor USA: "Die US-Unternehmen haben ihre Hausaufgaben gemacht und stark rationalisiert." Damit sei der Weg frei für steigende Gewinne - und für steigende Kurse.
Dennoch sollten Anleger besonders den europäischen Markt im Auge behalten. "Wenn sich die Stimmung im Führungsmarkt USA ändert, profitiert auch Europa." Analyst Ziegler erwartet, dass die Kurse auf dem alten Kontinent dann sogar deutlich stärker ansteigen dürften als in Amerika. Die europäischen Blue Chips seien nun mal volatiler als die amerikanischen. Konsequenz: Nachdem sie im Krisenjahr 2002 stärker gefallen seien, hätten sie nun auch das größere Aufholpotenzial.
Mit seiner Einschätzung befindet sich Ziegler in guter Gesellschaft. Immerhin 15 der befragten 30 Banken nannten Westeuropa oder Euroland als Region mit den besten Marktaussichten. Mit weitem Abstand folgen USA und Asien - mit jeweils acht Nennungen. Für ein Investment in Europa spricht auch die Prognose für den Wert des Euro. Hier erwarten die Experten einen weiteren leichten Anstieg auf 1,02 Dollar. Manch einer hält das freilich für zu vorsichtig: "Wer auf Amerika setzt, läuft Gefahr, dass ein steigender Euro einen Teil seiner Performance wieder auffrisst", warnt Heinz-Gerd Sonnenschein von der Deutschen Postbank. Die besten Chancen auf hohe Kursgewinne versprechen nach Angaben der Befragten im kommenden Jahr Finanzdienstleister (15 Nennungen) und Telekommunikationswerte (elf Nennungen). Darüber hinaus setzen viele auf Frühzykliker (zehn) wie Chemie, Stahl oder Papier, die bei einem einsetzende Aufschwung normalerweise als erste profitieren (siehe Kästen Anlagechancen).
Deutschland freilich wird auf den Aufschwung nach Einschätzung der Fachleute wohl noch warten müssen. Die Volkswirte der Banken rechnen im Schnitt nur mit einem Miniwachstum von 0,9 Prozent. Entsprechend pessimistisch fallen auch die Prognosen für den Arbeitsmarkt aus, wo trotz Hartz-Konzept keiner der Experten mit starken Verbesserungen rechnet. Im Gegenteil: Die Zahl der Jobsuchenden dürfte auch 2003 deutlich über der Marke von vier Millionen Menschen verharren. "Die Steuer- und Abgabenpolitik der Regierung wird dazu führen, dass wir eine sehr schwache Binnennachfrage bekommen", sagt HSBC-Mann Borghoff. Stefan Schilbe, Chefvolkswirt beim gleichen Institut, sieht zudem Gefahren in der Politik der US-Regierung. Er fürchtet, dass die USA ihr Leistungsbilanzdefizit weiter ausweiten. Ein sinkender Dollar- und ein steigender Euro-Kurs wären die Folge. Schilbe prognostiziert einen Euro-Kurs von 1,08 Dollar. Freuen dürfte das nur USA-Urlauber: Denn für die deutsche Wirtschaft würde dies bedeuten, dass nun auch noch die Exportwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen würde - der einzige Sektor, der noch für erfreuliche Zahlen sorgt.
Die Schwarzmaler - sie sitzen eben zurzeit bei HSBC. Ob die Bären am Ende erneut Recht behalten, wird sich zeigen. Die Mehrheit ist anderer jedenfalls Meinung. Wir werden sehen, ob die Bullen diesmal mit dem guten Börsenjahr 2003 Recht behalten.
-red-