H.J. KNIPPER, C. POTTHOFF, N.WALTER
Commerzbank-Vorstandschef Klaus-Peter Müller warnt: Sein unter Druck stehendes Institut könnte Opfer einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden, wenn Investoren und Banken den Gerüchten weiter glauben.
FRANKFURT/M. Commerzbank-Chef Klaus-Peter Müller sieht seine Bank in einer sehr ernsten Lage. „Wir nähern uns dem Punkt, an dem aus den Gerüchten eine sich selbst erfüllende Prophezeiung wird. Dann wird es wirklich gefährlich für die Bank“, sagte er gestern im Gespräch mit dem Handelsblatt. Seit September haben Gerüchte über angebliche Liquiditäts- und Eigenkapitalprobleme sowie hohe Verluste im Derivatgeschäft die Bank an Aktien- und Anleihemärkten unter Druck gesetzt. „Wir werden weiter sachlich und nüchtern auf Gerüchte reagieren. Wir sind nicht in einer larmoyanten oder fatalistischen Stimmung, sondern wir werden kämpfen. Ich werde nicht aufgeben“, betonte Müller.
Ein harter Schlag war allerdings die Rating-Änderung durch Standard & Poor’s am Dienstag. „Durch die völlig unerwartete Herabstufung unseres Ratings von „A“ auf „A-“ wird sich unsere Refinanzierung voraussichtlich so stark verteuern, dass sie die Margen, die wir in diesem Jahr im Aktivgeschäft verdient haben, aufzehrt“, sagt Müller.
Von dem Druck der Finanzmärkte will er sich aber nicht beeindrucken lassen. So kommt eine vorgezogene Veröffentlichung der Quartalszahlen vor dem 12. November für Müller nicht in Frage. „Die Zahlen für das dritte Quartal sind vor dem Hintergrund der katastrophalen Verfassung an den Kapitalmärkten nicht schlecht“, deutet Müller an. Der wichtigste Ertragsbringer, das Firmenkundengeschäft sei profitabel. Das Privatkundengeschäft sei bis August profitabel, die Septemberzahlen kenne er noch nicht. Im Treasury habe man gut verdient. Schwierig sei das Investment-Banking. „Im Asset Management schreiben wir noch rote Zahlen, haben das Geschäftsfeld durch die Neustrukturierung auf einen guten Weg gebracht, wie wir glauben“, sagt Müller. „Und wir haben nach meiner Einschätzung das beste Risikobuch in Deutschland – obwohl wir nicht die ersten sind, die sich zurückziehen, wenn Firmenkunden in Schwierigkeiten geraten.“
In Londoner Bankenkreisen hieß es gestern, derzeit verfüge die Commerzbank auf jeden Fall über ausreichend Liquidität. Kein Institut habe aufgehört mit der Frankfurter Bank Geschäfte zu machen. Dass die Commerzbank längerfristig schwere strukturelle Probleme habe, die sie schleunigst lösen müsse, sei bekannt. Einige Marktteilnehmer gingen aber davon aus, dass das Frankfurter Geldhaus kaum in der Lage sei, sich selbstständig aus der Ertragskrise zu befreien. Um als Übernahmekandidat interessant zu werden, müsse die Bank aber im nächsten Jahr beweisen, dass sie operativ profitabel arbeiten könne.
Die Spekulation gegen die Commerzbank war vor allem ausgelöst worden durch eine Studie der US-Bank Merrill Lynch, die das Absinken der Kernkapitalquote (so genanntes Tier-1) auf unter fünf Prozent für möglich hält. Müller weist Aussagen des Merrill-Lynch-Papiers strikt zurück: „In der Studie wird fälschlicherweise unterstellt, dass die unrealisierten Verluste aus Beteiligungen unser Tier-I-Kapital reduzieren und zudem Verluste aus den Beteiligungen an den Vermögensverwaltern Jupiter und Montgomery abzuziehen sind. Beide Behauptungen sind falsch.“
Die unrealisierten Verluste, die nach der internationalen Rechnungslegungsvorschrift IAS 39 in die Neubewertungsrücklage eingehen, würden nicht vom Tier-I-Kapital, sondern von dem weiter definierten Tier-II-Kapital abgezogen. Das wirke sich in der Bankbilanz aus, habe aber aufsichtsrechtlich keine Bedeutung. „Jupiter ist profitabel, es gibt also keinen Grund, Verluste von unserem Kapital abzuziehen“, sagt Müller. „Wenn wir den schlimmsten Fall annehmen und die Wertverluste der Beteiligungen als permanent ansehen, müssen wir sie von unserem aufsichtsrechtlichen Kernkapital (Tier I) abziehen. Nach heutigen Börsenkursen würde es sich von zwölf auf neun Mrd. Euro reduzieren. Dann würden wir unsere Risikoaktiva weiter abbauen.“
Die Allfinanzaufsicht sieht derzeit keinen Anlass für eine „bankaufsichtliche Sonderbehandlung“, wie eine BAFin-Sprecherin gestern dem Handelsblatt sagte. Inzwischen hat die BAFin eine Voruntersuchung wegen möglicher Kursmanipulationen bei der Commerzbank- Aktie eingeleitet. Es bestehe der Verdacht, dass jemand die Aktie bewusst durch Gerüchte „in den Keller“ treiben wollte. Der Verdacht richte sich nicht gegen die Bank. Verdächtige Personen habe man noch nicht im Visier.
Die Aktie der Bank legte gestern in einem schwachen Markt mehr als sieben Prozent zu. Durch den Verfall der Aktie in den vergangenen Wochen ist der Wert der börsennotierten Beteiligungen der Commerzbank mit rund 2,6 Mrd. Euro mittlerweile fast so hoch wie die Marktkapitalisierung der Bank selbst. Sprich: Bei einer Übernahme der Commerzbank würde der Käufer die Bank de facto zum Nulltarif bekommen, wenn er die Beteiligungen verkauft.
HANDELSBLATT, Donnerstag, 10. Oktober 2002, 08:31 Uhr
Commerzbank-Vorstandschef Klaus-Peter Müller warnt: Sein unter Druck stehendes Institut könnte Opfer einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden, wenn Investoren und Banken den Gerüchten weiter glauben.
FRANKFURT/M. Commerzbank-Chef Klaus-Peter Müller sieht seine Bank in einer sehr ernsten Lage. „Wir nähern uns dem Punkt, an dem aus den Gerüchten eine sich selbst erfüllende Prophezeiung wird. Dann wird es wirklich gefährlich für die Bank“, sagte er gestern im Gespräch mit dem Handelsblatt. Seit September haben Gerüchte über angebliche Liquiditäts- und Eigenkapitalprobleme sowie hohe Verluste im Derivatgeschäft die Bank an Aktien- und Anleihemärkten unter Druck gesetzt. „Wir werden weiter sachlich und nüchtern auf Gerüchte reagieren. Wir sind nicht in einer larmoyanten oder fatalistischen Stimmung, sondern wir werden kämpfen. Ich werde nicht aufgeben“, betonte Müller.
Ein harter Schlag war allerdings die Rating-Änderung durch Standard & Poor’s am Dienstag. „Durch die völlig unerwartete Herabstufung unseres Ratings von „A“ auf „A-“ wird sich unsere Refinanzierung voraussichtlich so stark verteuern, dass sie die Margen, die wir in diesem Jahr im Aktivgeschäft verdient haben, aufzehrt“, sagt Müller.
Von dem Druck der Finanzmärkte will er sich aber nicht beeindrucken lassen. So kommt eine vorgezogene Veröffentlichung der Quartalszahlen vor dem 12. November für Müller nicht in Frage. „Die Zahlen für das dritte Quartal sind vor dem Hintergrund der katastrophalen Verfassung an den Kapitalmärkten nicht schlecht“, deutet Müller an. Der wichtigste Ertragsbringer, das Firmenkundengeschäft sei profitabel. Das Privatkundengeschäft sei bis August profitabel, die Septemberzahlen kenne er noch nicht. Im Treasury habe man gut verdient. Schwierig sei das Investment-Banking. „Im Asset Management schreiben wir noch rote Zahlen, haben das Geschäftsfeld durch die Neustrukturierung auf einen guten Weg gebracht, wie wir glauben“, sagt Müller. „Und wir haben nach meiner Einschätzung das beste Risikobuch in Deutschland – obwohl wir nicht die ersten sind, die sich zurückziehen, wenn Firmenkunden in Schwierigkeiten geraten.“
In Londoner Bankenkreisen hieß es gestern, derzeit verfüge die Commerzbank auf jeden Fall über ausreichend Liquidität. Kein Institut habe aufgehört mit der Frankfurter Bank Geschäfte zu machen. Dass die Commerzbank längerfristig schwere strukturelle Probleme habe, die sie schleunigst lösen müsse, sei bekannt. Einige Marktteilnehmer gingen aber davon aus, dass das Frankfurter Geldhaus kaum in der Lage sei, sich selbstständig aus der Ertragskrise zu befreien. Um als Übernahmekandidat interessant zu werden, müsse die Bank aber im nächsten Jahr beweisen, dass sie operativ profitabel arbeiten könne.
Die Spekulation gegen die Commerzbank war vor allem ausgelöst worden durch eine Studie der US-Bank Merrill Lynch, die das Absinken der Kernkapitalquote (so genanntes Tier-1) auf unter fünf Prozent für möglich hält. Müller weist Aussagen des Merrill-Lynch-Papiers strikt zurück: „In der Studie wird fälschlicherweise unterstellt, dass die unrealisierten Verluste aus Beteiligungen unser Tier-I-Kapital reduzieren und zudem Verluste aus den Beteiligungen an den Vermögensverwaltern Jupiter und Montgomery abzuziehen sind. Beide Behauptungen sind falsch.“
Die unrealisierten Verluste, die nach der internationalen Rechnungslegungsvorschrift IAS 39 in die Neubewertungsrücklage eingehen, würden nicht vom Tier-I-Kapital, sondern von dem weiter definierten Tier-II-Kapital abgezogen. Das wirke sich in der Bankbilanz aus, habe aber aufsichtsrechtlich keine Bedeutung. „Jupiter ist profitabel, es gibt also keinen Grund, Verluste von unserem Kapital abzuziehen“, sagt Müller. „Wenn wir den schlimmsten Fall annehmen und die Wertverluste der Beteiligungen als permanent ansehen, müssen wir sie von unserem aufsichtsrechtlichen Kernkapital (Tier I) abziehen. Nach heutigen Börsenkursen würde es sich von zwölf auf neun Mrd. Euro reduzieren. Dann würden wir unsere Risikoaktiva weiter abbauen.“
Die Allfinanzaufsicht sieht derzeit keinen Anlass für eine „bankaufsichtliche Sonderbehandlung“, wie eine BAFin-Sprecherin gestern dem Handelsblatt sagte. Inzwischen hat die BAFin eine Voruntersuchung wegen möglicher Kursmanipulationen bei der Commerzbank- Aktie eingeleitet. Es bestehe der Verdacht, dass jemand die Aktie bewusst durch Gerüchte „in den Keller“ treiben wollte. Der Verdacht richte sich nicht gegen die Bank. Verdächtige Personen habe man noch nicht im Visier.
Die Aktie der Bank legte gestern in einem schwachen Markt mehr als sieben Prozent zu. Durch den Verfall der Aktie in den vergangenen Wochen ist der Wert der börsennotierten Beteiligungen der Commerzbank mit rund 2,6 Mrd. Euro mittlerweile fast so hoch wie die Marktkapitalisierung der Bank selbst. Sprich: Bei einer Übernahme der Commerzbank würde der Käufer die Bank de facto zum Nulltarif bekommen, wenn er die Beteiligungen verkauft.
HANDELSBLATT, Donnerstag, 10. Oktober 2002, 08:31 Uhr