China - Bremsen für Besserverdienende

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China - Bremsen für Besserverdienende

 
06.05.02 06:01
China feiert seine Privatunternehmer - doch Seilschaften und die Macht der Staatsbetriebe hindern die Erneuerung der Wirtschaft.

Der Mann sieht deplatziert aus mit dem zurückgegelten Haar, dem etwas schäbigen blauen Anzug und den Nylonsocken, die aus schwarzen, staubigen Slippern Made in China hervorlugen. Neben Zhang Yue sitzen vier weitere Herren auf dem Podium im Pekinger Grand Hyatt - alle in perfekt geschnittenen Maßanzügen. Doch für die interessiert sich kaum jemand. Erst als Zhang gesprochen hat, tobt der Saal wie bei einem Rockkonzert.

Es ist nur eine Podiumsdiskussion über Privatwirtschaft. Doch der hagere Mittvierziger macht das, wovon andere nur reden: Geschäfte. Er und sein Bruder Zhang Jian stehen mit ihrem Unternehmen Broad Air Conditioning auf Platz 27 der Forbes-Liste der wohlhabendsten Leute in China.

Unternehmer wie er werden nicht nur auf dem Wirtschaftsgipfel "China World Business Summit" gefeiert. Auch die Kommunistische Partei hat die neuen Reichen inzwischen in ihre Heldengalerie aufgenommen.

Privatunternehmer als Helden der Arbeit

Bislang wurden zum 1. Mai als "Modellarbeiter" stets Werktätige ausgezeichnet, die freiwillig Sonderschichten schoben oder auch mal nach Dienstschluss unentgeltlich alle Leitungen in ihren Wohnblocks flickten. Dieses Jahr wurden dem Volk ausschließlich Privatunternehmer als Helden der Arbeit vorgeführt. "Es ist ruhmvoll, reich zu werden", hatte Deng Xiaoping gesagt, der Architekt der chinesischen Wirtschaftsreformen, der 1978 begann, das Riesenreich zu einer Marktwirtschaft umzubauen.

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Zwar wird der Beitrag der Privatunternehmer zum Bruttoinlandsprodukt zwischen 28 und 53 Prozent geschätzt. Trotzdem kämpfen die Unternehmer weiterhin gegen die Übermacht der Staatsbetriebe.

"Ich arbeite mit den Techniken, die wir im Befreiungskrieg gelernt haben: nie auf offenem Feld operieren, immer aus dem Hinterhalt angreifen", sagt Wang Guoqiang. Er ist Vorstandschef der "Pekinger Briefmarken- und Münzagentur" und einer der vielen, die auf dem Pekinger Wirtschaftsgipfels Vorzeigeunternehmer Zhang beklatschen. Wangs Firma verkauft Briefmarken, Münzen und Telefonkarten. Doch das Geschäft ist mühsam. "Uns bleiben nur die kleinen, dunklen Gassen", klagt der Chef, "die Hauptstraße ist komplett von der Post blockiert."

Nahezu blockiert sind für Unternehmer wie ihn auch die wichtigen Finanzierungskanäle. Ende 1999 entfiel laut der International Finance Corporation (IFC) nur ein Prozent des von Chinas Banken vergebenen Kreditvolumens auf private Firmen.

Private als Risiko

Die vier großen Staatsbanken machen kaum Anstalten, daran etwas zu ändern. "Wir arbeiten jetzt nach unternehmerischen Kriterien", sagt Zhang Yong, Manager bei der Industrial and Commercial Bank of China (ICBC): "Und von diesem Standpunkt aus gesehen sind die meisten Privaten für uns ein Risiko."

Dabei leiden die Banken vor allem unter dem Erbe der Kommandowirtschaft. Die ICBC wie auch die Bank of China, die China Construction Bank und die Agricultural Bank of China ächzen unter faulen Krediten. "Der Anteil der notleidenden Kredite am Gesamtkreditvolumen liegt um 30 Prozent, wenn er nach internationalen Kriterien berechnet wird", musste Zentralbankchef Dai Xianglong kürzlich zugeben. Jahrzehntelang mussten die Banken auf Anordnung der Regierung die Staatsunternehmen mit Geld versorgen.

Schwierige Börsengänge

Damit sei jetzt Schluss, behauptet Zhang Yong: "Wir müssen schließlich die Qualität unseres Kreditportfolios verbessern. Deshalb arbeiten wir mit den Kunden zusammen, die wir schon lange kennen - bei denen wissen wir, woran wir sind." Und meint damit genau jene Staatsbetriebe, die seinem Institut all die Scherereien bereitet haben.

Auch Börsengänge sind für Private schwierig. Bisher sind nur rund ein Prozent der an Chinas Aktienmärkten notierten 1160 Firmen in privater Hand. Zwar gibt es "heute nichts mehr, was einen Privatunternehmen daran hindert, einen Börsengang zu beantragen", insistiert Laura Cha, Vizevorsitzende der Börsenaufsicht CSRC in Peking. Doch die Regierung fror letztes Jahr ihre Pläne für einen Neuen Markt ein, auf den viele Private gehofft hatten. Und nun ist die Schlange derer, die an die beiden chinesischen Börsen wollen, sehr lang.

Auch Wang Guoqiang plant für 2003 den Börsengang. Darum will er von Broad-Chef Zhang Yue wissen, "wie der das gemacht hat". Als die Podiumsdiskussion im Pekinger Grand Hyatt zu Ende geht, stürmt er mit vielen anderen das Podium, streckt dem bleichen Mann seine Visitenkarte entgegen. 20 auf einmal reden auf Zhang ein.

Die Zhang-Brüder sind die Popstars des chinesischen Privatunternehmertums, sie haben sogar eine Flotte von sechs Flugzeugen. Broad ist nach eigenen Angaben weltweit Marktführer bei Klimaanlagen, die mit Gas oder Öl betrieben werden. Laut der staatlich gelenkten Medien ist das Unternehmen mit 58 Mio. Yuan (7,8 Mio. Euro) fünftgrößter Steuerzahler Chinas.

VCs suchen neue Investments

Aus eigener Kraft hätte wohl es auch Zhang nicht geschafft. Ein Pekinger Immobilienunternehmer, der sich als engen Freund des Unternehmers bezeichnet, sagt: "Er hat einen stillen Teilhaber." Ein US-Risikokapitalgeber halte 40 Prozent an Broad. Tatsächlich suchen überall in China Vertreter von Venture-Capital-Firmen nach neuen Investments.

Die meisten Unternehmen sind jedoch auf gute Kontakte angewiesen. "Es gibt in China viele Wege", orakelt der Immobilienunternehmer. Und meint: Sie alle führen zu einflussreichen Beamten. Er selbst trifft sich mit einem alten Freund zu einem Abendessen im Pekinger Aufsteiger-Stadtteil Zhongguancun. Eingeladen ist der Chef-Stadtplaner einer Ein-Millionen-Stadt in der Provinz Henan. Erst kommt ein Menü vom Feinsten auf den Tisch. Der Stadtplaner gibt feingeistige Trinksprüche zum Besten, der Unternehmer zahlt. Dann werden die Landkarten ausgebreitet. Als der Gast gegangen ist, sagt der Immobilienunternehmer seinem Freund zu, für die Kinder eines Bekannten Wohnrechte in Peking zu besorgen. Willkommen in der freien Wirtschaft.

Wer sich nicht auf einflussreiche Freunde verlassen kann, gerät schnell in unangenehme Abhängigkeiten. Bankkredite machen nur vier Prozent der Finanzierung für Privatunternehmen in China aus, fanden Ökonomen der IFC vor zwei Jahren in einer Studie heraus. Zunächst stützen sie sich zu über 90 Prozent auf eigene Ersparnisse. Je länger sie im Geschäft sind, desto öfter beziehen sie ihr Geld aus "nicht identifizierbaren Drittquellen": Laut der IFC-Studie macht das bei etablierten Unternehmen immerhin rund zehn Prozent der Mittel aus.

"Zweite Zeitbombe"

Besonders im wirtschaftlich entwickelten Südosten Chinas weiß jeder, was das für Quellen sind: Kredithaie und illegale Finanzierungsclubs. "China züchtet sich hier eine zweite Zeitbombe außerhalb des legalen Finanzsektors heran", warnt ein westlicher Banker in Schanghai. Denn da sowohl für die inoffiziellen Finanzfirmen als auch für deren Kunden jegliche Aufsicht fehle, müsse auch hier mit Bankinsolvenzen und Bankrotten gerechnet werden - wie beim staatlichen "Vorbild". "Die schnelle Zulassung von mehr Privatbanken ist der einzige Ausweg aus dieser Situation", sagt Wang Xiaolu, Ökonom am Pekinger National Economic Research Institute.

Doch wenn Politik im Spiel ist, geht in China selten etwas schnell. Die staatlichen Betriebe und Banken sind bestens vernetzt: "Woher wissen wir denn, dass eine Privatbank verantwortlicher handelt als eine staatliche?", fragt Yang Yanqing, Finanzreporterin bei der linientreuen "Befreiungszeitung" in Schanghai, und verweist darauf, dass die Minsheng Banking Corporation, einzige große Privatbank Chinas, schließlich auch Managementprobleme habe.

Staatskonzerne weiter hofiert

Die Staatsunternehmen werden weiter hofiert. Beispielhaft ist der Mischkonzern Chunlan. Das Unternehmen in Taizhou in der Ostprovinz Jiangsu produziert alles vom Kühlschrank bis zum Lastwagen. In einem eigenen Museum präsentiert eine hübsche junge Frau zwischen schwarzem Marmor, weißen Wänden und gebürstetem Stahl Produkte und Philosophie: ein Haus zum Beispiel, dessen Elektrogeräte komplett über Touchscreen per Internet steuerbar sind. Oder ein goldenes Motorrad im Stil einer Harley Davidson.

Dass auf Chinas Straßen niemand dieses Motorrad fährt und dass die vielen Fernseher und Klimaanlagen nur noch zu Kampfpreisen an den Mann gebracht werden können, ficht das Management nicht an. "Wir sind eines der 1000 großen strategischen Staatsunternehmen, und wir wollen bei allen wichtigen Produkten die Kerntechnologien in der Hand haben," schnurrt Chunlan-Vorstandschef Tao Jianxing.

Dabei kann es sich der Unterstützung der Politik gewiss sein. Schließlich ist Tao der einzige Unternehmer, der dem mächtigen Zentralkomitee der Partei als stellvertretender Delegierter angehört. Gegen solchen Einfluss ist eine "Modellarbeiter"-Medaille noch etwas dürftig.

ftd.de  
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