CCCeBIT 2002

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CCCeBIT 2002

 
20.03.02 18:29
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Rote Netzkarten für filternde Provider



1. Filterung im Jahre 2002

"Fieses gehört verboten!" Die alte Denke macht auch heute nicht vor dem WWW halt. Diese Meinung zieht konsequenter Weise eine Zensur nach sich, die jetzt auch auf ein Medium angewendet wird, das dazu erfunden wurde, Stolpersteine im Kommunikationsweg locker zu umschiffen. Früher konnte man sich damit trösten, daß diejenigen, die lautstark eine wie auch immer geartete Zensur installieren wollten, sofort durch ihr mangelndes Sachverständnis entlarvt werden konnten.

Doch je schwerer es einem deutschen Bürokraten gemacht wird, desto energischer reagiert er. Mit der Zeit heizten sich die Zensurideen von Gedankenspielen zu Taten auf. Im Land NRW ist die Landes-Aufsichtsbehörde für den gesetzlichen Jugendschutz (gemäß des Mediendienstestaatsvertrags) die Bezirksregierung Düsseldorf, namentlich der momentane Regierungspräsident Jürgen Büssow. Und der hat - als erster und bisher einziger - den Hebel bei den Internet-Providern angesetzt, die für den Endnutzer den Zugang zu den Diensten bereit stellt, indem er im Oktober letzen Jahres einige Provider aufgefordert hat, einige explizit genannte Webseiten zu filtern. Zu dem Zeitpunkt war die Grundlage, auf der eine solche Aufforderung stand - und ist immer noch - strittig. Dennoch sind diesem sanften Druck mehrere Provider nach einer Anhörung im November gefolgt.

Inzwischen entwickelt sich der aus der Glut der Besserwisserei entstandene Funke zu einem ansehnlichen Feuer. Anfang Februar hat die Bezirksregierung 80 Provider in NRW aufgefordert, ihre Liste mit Webangeboten für den Endnutzer nicht zugänglich zu machen. Antworten der Provider, Widerspruch und ggf. Verfahren stehen noch aus, werden aber weichenstellend für die Entwicklung des Netzes in Deutschland sein.

2. Die Provider

Von einer zentralen Regierungsstelle, die für die Verwaltung und das Wohl der Bevölkerung eingerichtet wurde, erwartet man ja historisch nichts anderes, als daß sie mit der Zeit versucht, für ihre Untertanen zu Denken und ihnen später selbiges zu verbieten. Doch aus reiner Angst vor einer umstrittenen Aufforderung haben z.B. folgende Provider in einem Akt vorauseilendem Gehorsams direkt gehandelt und bereits kurze Zeit nach dem Gespräch mit der Bezirksregierung in ihr System eine Sperre eingebaut:

ISIS in Düsseldorf waren der erste Provider. Kein Wunder, denn hier ist Jürgen Büssow Aufsichtsratsmitglied
Ahrens in Lüdinghausen
Versatel in Dortmund
Vision Consulting in Köln

Des weiteren auch Hochschulen:

RWTH AAchen
Uni Dortmund - hier werden Filterlösungen für mehrere Hochschulen erforscht und getestet
FH Köln

In den letzten Jahren konnten die Provider nachweisen, daß die Einrichtung einer Sperre nicht nur technisch mit Aufwand und Kosten verbunden ist. Klar, daß sich der Provider als Unternehmer gegen eine solche Sperre wehrt. Da das scheinbar Unaufhaltsame aber jetzt zu kommen scheint, akzeptieren es die Provider wie ein Naturereignis und kümmern sich nicht mehr um die Qualität ihres Produktes, nämlich der Bereitstellung von Internetzugang an ihre Kunden. Wenn die Qualität der Dienstleistung auch aller anderen Konkurrenten am Markt (also der anderen Provider in NRW) ebenfalls sinkt, so können ihm die (meisten) Kunden nicht abwandern. Warum soll er sich also um die Qualität seines Produktes kümmern?

3. Folgen

Doch das Netz ist eben kein Produkt wie jedes andere. Es wird immer Methoden und Wege geben, an die verbotenen Inhalte zu gelangen. Und in einer digitalen Welt, in der das Gut Information ohne Qualitätsverlust beliebig oft kopiert und vervielfältigt werden kann, werden eben nur Hindernisse geschaffen, die nicht wirklich aufhalten. Aber es werden für viele Erschwernisse geschaffen, auch für diejenigen, die ein berechtigtes Interesse am Zugriff zu verpönten Daten haben (z.B. Studierende zu Nazi-Seiten). Leider werden solche Hindernisse auch in den Kommunikationsweg gelegt zu Informationen, die zufällig nur in der Nachbarschaft der verpönten Informationen sind. Solcher Kollateralschaden wird zunehmend als akzeptierbar eingeschätzt.

4. CCCeBIT

Der CCC will neben Aktivitäten im Netz auch außerhalb des Netzes auf die Feigheit der Provider aufmerksam machen und für einen unzensierten und von Regierungswillkür freien Zugang zum Netz werben. Daher sind die genannten Provider nominiert und werden auf ihr Verhalten von uns angesprochen: Ihnen wird die rote Netzwerkkarte gezeigt!

Auf der CeBIT wird der CCC also die Stände der Provider nacheinander in einer Art Schitzeljagd besuchen, die sich durch besonders eifrige Erfüllung der Zensur hervorgetan haben und ihnen den diesjährigen Chaos CeBIT Award verleihen. Angefertigt wurde der diesjährige Preis durch das Künstler/innenkombinat "Panischer Kern nach gepowercycelt".

5. Background

Bisher haben sich der CCC und seine Freunde jedes Jahr auf der CeBIT bei einem Aussteller getroffen, der sich im davor vergangenen Jahr durch Ausnutzung oder Erweiterung eines Monopols hervorgetan hat oder dem Netz,den Nutzern oder dem CCC Schaden wollte. Der CCC hat sich aber auch mit dem Aussteller getroffen um im Rahmen einer kleinen Preisübergabe auf den aufgefallenen Mißstand aufmerksam zu machen und direkt mit ihm darüber ein wenig zu reden.

Daneben wird die wegen der CeBIT sowieso üppig vorhandene Presse ebenfalls dazu eingeladen, um durch unsere Präsenz und mit nettem Bild- und Textmaterial die Öffentlichkeit zu informieren, was dem CCC bisher gestunken hat.

Dieses Treffen dient aber auch dazu, daß sich die CCC-Mitglieder auf der Messe mal untereinander und mit allgemein am Chaos Interessierten treffen. Wenn dabei der Rahmen angenehm mit Konferenzgebäck und Erfrischungsgetränken gestaltet wird, so ist das immer Lebensqualität- und dadurch auch Laune-steigernd.

In den letzten Jahren war die CCCeBIT-Aktion bei Siemens, Microsoft und der Telekom bzw. ihren Vorgängern.


Der Chaos CeBIT Award


Dieses Jahr gibt es rote Netzwerkkarten.

Dieses Jahr werden mehrere Preise vergeben an die Provider NRWs, die gefiltert haben. Parallel zu der Roten Karte beim Fußball werden den Providern von uns rote Netzwerkkarten gezeigt. Sie symbolisieren als Aussage ein deutliches "Stopp!" von Nutzern des Netzes gegen die Schwäche der Internetprovider gegenüber der Bezirksregierung

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Gruß
Happy End
ccc.de
Happy End:

Polit. Botschaften in einer Zirkusveranstaltung

 
20.03.02 18:33
Wenn der CCC auf der CeBIT Preise verleiht

In Kriegszeiten ist Feigheit vor dem Feind ein schweres Vergehen. So mancher Soldat musste deshalb sein Leben lassen. In Friedenszeiten pressiert es nicht ganz so sehr, man bekommt höchstens von ein paar Hackern die rote Karte präsentiert - eine Netzwerkkarte wohlgemerkt.

Für manche war es nicht ganz leicht herauszufinden, wer oder was dort durch die Hallen der CeBIT wanderte und noch mehr Lärm verbreitete als so mancher Messestand.

"Kommt da eine Schulklasse?", fragte ein irritierter Messebesucher, ein anderer vermutete Studentenproteste. Eine ganze Rotte von vorwiegend jungen Leuten hatte sich zusammengerottet und stürmte verschiedene Stände. Wer genau hinhörte und einen der Demonstranten zur Rede stellte, erfuhr worum es ging: der Chaos Computer Club sorgt sich um die Freiheit des Internet.

Rote Karten

Die Kölner Sektion des CCC hatte die jährliche Verleihung des Negativ-Preises  CCCebit-Awards organisiert und sich der Sperrungsverfügungen aus Düsseldorf angenommen. Das Problem: der Urheber, die Bezirksregierung Düsseldorf, war nicht auf der CeBIT vertreten. Also suchte man nach anderen Ausstellern, denen gegenüber man seinen Protest kundtun konnte. Als symbolische Preise hatten die Hacker einige Netzwerkkarten schön rot angemalt, die jeweils den Standleitern überreicht werden sollten.

In dem  Manifesto zur Preisverleihung ist von der "Glut der Besserwisserei" die Rede und von der "Feigheit der Provider". Der angemeldete Widerstand aus der Wirtschaft gegen die Zensurpläne aus Düsseldorf entspricht nicht den Ansprüchen der Hacker:

"Da das scheinbar Unaufhaltsame aber jetzt zu kommen scheint, akzeptieren es die Provider wie ein Naturereignis und kümmern sich nicht mehr um die Qualität ihres Produktes, nämlich der Bereitstellung von Internetzugang an ihre Kunden. Wenn die Qualität der Dienstleistung auch aller anderen Konkurrenten am Markt (also der anderen Provider in NRW) ebenfalls sinkt, so können ihm die (meisten) Kunden nicht abwandern. Warum soll er sich also um die Qualität seines Produktes kümmern?"  
 
Von Stand zu Stand

Gerade deshalb galt es, bei den Internetanbietern einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. Erstes Opfer war der kleine Kölner Provider  Vision Consulting, dessen Stand geradezu verschwindend klein war. Trotz der gewaltigen Übermacht auf Hackerseite nahm der technische Leiter André Ruppert den Preis entgegen und versicherte, dass sein Unternehmen auch weiterhin Seiten sperren werde. Die Firmenkunden wollten diesen Service. Bei Privatkunden sähe das anders aus, aber die bediene Vision Consulting nun mal nicht.

Bei dem ungleich größeren Stand von Arcor verhielt man sich weniger souverän. Die Hacker kamen unangekündigt und unerwartet - war es doch nur die Tochterfirma  ISIS, die den Zorn der Hacker erregt hatte. Doch zornig wurde nun das Standpersonal und sah sich weder bereit, den Preis anzunehmen, noch irgendeine Stellungnahme abzugeben.

Im falschen Film?

Der Standleiter des  nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministeriums Johann Kees improvisierte hingegen eine schnelle Rede, in der er sich zwar für ein freie Internet aussprach, allerdings eine Freiheit in Grenzen wie bei Printmedien. So wäre zum Beispiel Kinderpornographie nicht hinnehmbar. Dass die Bezirksregierung bisher allerdings keine kinderpornographische Seite zur Sperrung finden konnte, wusste Kees nicht. Er sei der falsche Ansprechpartner, versicherte er, man solle sich doch bitte an die zuständige Behörde wenden.

In einem falschen Film wähnte sich auch das Standpersonal des  Forschungslandes Nordrhein-Westfalen. Leiterin Katharina Roderburg war ziemlich überrascht, als sie von Demonstranten umringt war. Nur am Rande habe sie in einem Pressespiegel mal etwas von den Sperrungen gelesen, nun ließ sie ihr Team aber noch einmal auf der Webseite des  CCC nachlesen. Dass eine nordrhein-westfälische Universität an Filterlösungen für das Internet arbeitet, ging im Trubel etwas unter.

So richtig getroffen schien keiner der Preisträger zu sein. Nur einer der Ausgezeichneten war überhaupt über die Problematik informiert, der Rest wird sich vielleicht in den nächsten Tagen kundig machen. Auch die Messebesucher waren nach den Verleihungen nicht wesentlich schlauer als vorher. Das Echo innerhalb der Hacker war denn auch gemischt. Keine chaotische, sondern eine "verpeilte" Aktion sei es gewesen, sagt ein CCC-Mitglied. Andere betonen den Spaßfaktor solcher Aktionen und sehen die Information der Öffentlichkeit als Nebeneffekt.

Der Hacker mit dem Pseudonym ISCS glaubt nicht, dass die Messe Plattform für den CCC taugt: "Die CeBIT ist eine Zirkusveranstaltung. Da kann man schlecht politische Botschaften verbreiten."

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