OPERATION "TIPS"
Bush will ein Land voller Spitzel
Von Alexander Schwabe
Nahezu ein Jahr nach den Anschlägen vom 11. September versucht US-Präsident George W. Bush das Land in eine Gesellschaft voller Spione zu verwandeln. Im August startet die Operation "TIPS", seine neueste Waffe im Kampf gegen den Terrorismus. Sollte sich das Pilotprojekt bewähren, wird die Spitzel-Quote in den Staaten bald höher sein, als sie in der DDR je war.
AP
Hamburg - William Harvey ist ein mutiger Mann. Rund drei Wochen nach den verheerenden Angriffen auf das World Trade Center stellt er sich in Manhattan nahe Ground Zero hin und hebt ein Schild in die Höhe, auf dem das World Trade Center abgebildet ist. Auf dem Poster ist neben den Türmen das Konterfei Osama Bin Ladens zu sehen. Harvey verteilt auch Flugblätter und sagt jedem, der es hören will: "Amerika muss dafür büßen, was es islamischen Ländern antut."
Freilich wollte dies niemand hören. "Sperrt diesen fucking guy ein, bevor ich ihn erschieße", rief ein empörter Mann aus der Menge. Diese Forderung wurde schnell erfüllt. Harvey wurde festgenommen und wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses angeklagt.
Noch fünf Monate nach dem 11. September schmetterte ein Gericht Mitte Februar Harveys Antrag ab, die Klage fallen zu lassen. Der New Yorker Richter Neil Ross begründete die Ablehnung damit, dass Harvey in Kauf genommen habe, Ärger zu machen. Dabei hatte er nicht mehr getan, als seine Meinung gesagt - ein fundamentales Verfassungsrecht.
Es war eingetreten, was der amerikanische Philosoph und Literaturwissenschaftler Richard Rorty gleich nach dem 11. September befürchtet hatte: Wenn ein Land Krieg führt, leiden die Bürgerrechte. Bereits eine Woche nach den Anschlägen beklagte der Stanford-Professor die Arroganz der US-Regierung und bescheinigte den Staaten, einem Imperium ähnlicher zu sein als einer Republik.
Seither ist das Imperium dabei, neue Truppen zu rekrutieren, um gegen einen nahezu unsichtbaren Feind, den Terrorismus, ins Feld zu ziehen. In den USA soll sich ein gigantisches Bürgerheer Freiwilliger formieren, welches das ganze Land überziehen wird. Aufgerüttelt von den Auswirkungen der Angriffe des 11. September und getragen vom Gefühl, in der Schuld des Vaterlandes zu stehen, sind die Amerikaner von Florida bis Oregon, von New Mexico bis Maine aufgerufen, sich für das "USA Freedom Corps" registrieren zu lassen.
Jeder Amerikaner soll zwei Jahre opfern
US-Präsident George W. Bush versucht die patriotische Stimmung im Land zu nutzen. Ihm schwebt vor, dass alle Amerikaner etwa zwei Jahre ihres Lebens in den Dienst der Sicherheit des Vaterlandes stellen - in 4000 Einsatzstunden verteilt über ihre Lebenszeit. 560 Millionen Dollar will Bush allein für die Organisation der "Citizen Corps" ausgeben.
Insgesamt lässt sich die Regierung die staatsicherheitliche Aufrüstung viel mehr kosten. Das von Bush konzipierte Ministerium für nationale Sicherheit soll 170.000 Mitarbeiter haben und zu einem der größten Regierungsapparate der USA ausgebaut werden. Diese Heimatschutzbehörde will der Präsident mit einem Jahresbudget von 37,4 Milliarden Dollar ausstatten.
Wichtigtuer, Naseweise, Spanner und Schnüffler
Das "Citizen Corps" soll aus fünf schlagkräftigen Divisionen bestehen: Das "CERT" (Community Emergency Response Team, Team für Notfälle in Gemeinden), das Medical Reserve Corps (Einsatzgruppe für medizinische Versorgung), die Initiative Neighborhood Watch (Nachbarschaftsüberwachung), den "VIPS" (Volunteers in Police Service, Freiwillige für den Polizeidienst) und das "TIPS" (Terrorism Information and Prevention System, das Terrorismusinformations- und Vorbeugesystem).
Besonders "TIPS" hat den scharfen Protest von Verfassungsrechtler und Bürgerrechtler hervorgerufen. Einige befürchten, dass sich das Land in eine Gesellschaft von Aufdringlingen, Wichtigtuern, Schnüfflern und Naseweise verwandeln könnte. Rachel King, Rechtsberaterin der 1913 gegründeten American Civil Liberties Union (ACLU), der einflussreichen Bürgerrechtsorganisation, sagt: "Die Regierung will offenbar ein Programm einführen, das Gasinstallateure, Telefonvermittler und Elektriker in von ihr herangezogene peeping toms (Spanner) verwandelt."
Verdächtige terroristische Aktivitäten
Nach Angaben des Zentrums für Verfassungsrecht in New York soll auf 24 Amerikaner ein Informant kommen, der für das Justizministerium Augen und Ohren offenhält. Rund vier Prozent der amerikanischen Staatsbürger sollen zivile Spione werden, die "verdächtige terroristische Aktivitäten" an die Behörden melden. Tom Ridge, Sicherheitschef der Heimatlandbehörde, ist bereits in die Defensive geraten. Er beteuert: "Das letzte, was wir wollen, ist, dass Amerikaner Amerikaner ausspionieren."
Die Behörden wollen vor allem Personen gewinnen, die an Schaltstellen des öffentlichen Lebens tätig sind oder an Schnittstellen zwischen öffentlichem Raum und Privatsphäre. Busfahrer, Postboten, Telefonisten, Lastwagenfahrer, Angestellte bei Strom-, Gas- oder Wasserversorgern, Schaffner, Kapitäne und Hafenarbeiter sollen mit geschärften Sinnen und dem Willen durch die Welt gehen, eine eigens eingerichtete gebührenfreie Nummer anzurufen, falls ihnen etwas verdächtig vorkommt.
Senator Joseph McCarthy blies zur Hexenjagd
In zehn Städten wird im August das Pilot-Projekt starten. Eine Million Informanten sollen ihre Mitbürger überwachen. Trifft der Versuch die zehn größten Städte der USA, bedeutete dies, dass eine Million Informanten auf 24 Millionen Einwohner (knapp vier Prozent) kämen. In den Ballungsräumen gäbe es damit mehr informelle Mitarbeiter als es in der DDR Stasi-Spitzel gab. Dort kamen auf rund 17 Millionen Einwohner unterschiedlichen Angaben zufolge zwischen 110.000 und 170.000 informelle Stasi-Mitarbeiter, weniger als ein Prozent der Bevölkerung.
Erinnerungen an McCarthy
Dass beim Justizministerium Akten über Verdächtige angelegt werden sollen, erinnert an die McCarthy-Zeit der fünfziger Jahre, als FBI-Direktor J. Edgar Hoover schwarze Listen mit den Namen Hunderter pflegte, die angeblich mit dem Kommunismus sympathisierten. Die gespeicherten Informationen sollen für Polizeistationen und Geheimdienste zugänglich sein. Betroffene Bürger sollen über ihre Mappe nicht benachrichtigt werden.
FBI-Chef J. Edgar Hoover führte die Listen
Bisher ist nicht abzusehen, ob es wie damals zu einer Hexenjagd kommen wird. Denn noch lassen die Behörden offen, wie weit die Schnüffelei der geplanten elf Millionen Informanten gehen darf. Die Bürgerrechtsbewegung ACLU warnt, eine große Bandbreite von Überprüfungsmöglichkeiten von Bürgern öffne dem Missbrauch Tür und Tor. Worauf soll das Heer von Privatspionen ihr Augenmerk richten? Auf Waren und Güter oder vor allem auf Menschen in deren Privatsphäre?
"Wir brauchen keine Block-Führer"
Auch sei überhaupt nicht klar, ob der Orwellsche Alptraum "Your fellow's watching you!" effektiv sein wird. Ein 1992 in Harvard veröffentlichter Bericht belegt, dass viele Informanten wenig verlässliche Quellen sind. Einige schmückten die Wahrheit aus, andere erdichteten sie freiweg - etwa um Mitmenschen zu denunzieren. Robert Levy vom Cato-Institut, einer Organisation, die für die Freiheit des Einzelnen eintritt, rechnet mit einer Lawine wertloser Tips, die voraussichtlich die Behörden lahmlegen werden. "Wir fahren ohne Block-Führer besser", sagt er.
Das Terrorpräventivprogramm ist ein weiterer Schritt im Rahmen der Patriot Act, die individuellen Freiheitsrechte einzuschränken. Die New Yorker Verfassungsrechtlerin Nancy Chang fürchtet, das Vaterlandsgesetz führe dazu, dass immer mehr Bürger auf Grund ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer ideologischen Überzeugung ins Visier von Profilern geraten. Auch das in der Verfassung verankerte Prinzip der Gleichbehandlung bei Prozessen ist insbesondere bei festgenommenen Immigranten bereits aufgeweicht worden.
Was ist mit Amerikas Stolz?
REUTERS
Corporate Responsability: Jeder Bürger muss Opfer bringen
Doch es steht mehr auf dem Spiel als eventuelle Unannehmlichkeiten für einzelne Bürger. Seit Bush am 26. Oktober 2001 das Gesetz zur "Einigung und Stärkung Amerikas durch die Verordnung angemessener Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus", unterzeichnet hat, das mit 356 zu 66 Stimmen durchs Repräsentantenhaus und mit 98 zu einer Stimme durch den Senat ging, sieht Chang die Grundrechte in Gefahr, auf die Amerikas Stolz gründet. "Was ist so patriotisch daran, auf der Bill of Rights herumzutrampeln?", fragt die leitende Anwältin beim Zentrum für Verfassungsschutz.
Für Chang opfert der Patriot Act in einem beispiellosen Ausmaß "unsere politische Freiheit im Namen der nationalen Sicherheit". Die demokratischen Werte würden plötzlich über den Haufen geworfen, indem die Überwachungsmöglichkeiten der Polizeiorgane und die Kompetenzen der Geheimdienste ungeheuerlich gestärkt werden.
Wie häufig in Krisenzeiten beugt sich die Judikative vor den Interessen der Politiker. Das hat in den USA Tradition. Während des Ersten Weltkrieges etwa bestätigte der Oberste Gerichtshof die Verurteilung des Sozialisten Eugene Debs, als dieser gegen die Kriegsteilnahme der USA demonstrierte. Die Richter weigerten sich, Debs' Einsatz für Gewaltlosigkeit zu tolerieren, obwohl die Verfassung - wie im Fall Harvey - eigentlich die freie Rede eines jeden Amerikaners garantiert.
Pearl Habor, 1941: Die USS Arizona geht in Flammen auf
Auch nach der Bombardierung von Pearl Harbor wurden wesentliche Grundrechte für Bürger außer Kraft gesetzt. Das Oberste US-Gericht urteilte damals, die Internierung von mehr als 100.000 japanischen Einwanderern und von Bürgern japanisch-amerikanischer Herkunft, sei rechtens. Das elementare Recht der Gleichstellung eines jeden Bürgers vor dem Gesetz galt in dieser Krisenzeit wenig.
Beim Zentrum für Verfassungsrecht in New York stellt man besorgt fest, dass die Ereignisse vom 11. September offenbar auch von höchsten Richtern als Kriegsereignisse von der Qualität des Ersten Weltkriegs und von Pearl Habor gesehen werden. Nicht einmal von der obersten Hüterin der Grundrechte, Supreme-Court-Richterin Sandra Day O'Connor, sei zu erwarten, dass sie sich voll für die Freiheitsrechte der Bürger einsetzen werde. Als O'Connor am Ground Zero stand, sagte sie: "Wir werden möglicherweise eine stärkere Einschränkung der Freiheit des Einzelnen erfahren als jemals zuvor in diesem Land."
Geheimdienst-Experten in der Rolle von Terroristen
Die Richterin scheint Recht zu behalten. Erst vergangene Woche wiederholte Bush, der Schutz des Heimatlands vor Terroranschlägen sei die wichtigste Mission seiner Regierung. Dafür hat er eine ganze Latte von Maßnahmen vorgelegt: Die Streitkräfte sollen künftig auch innerhalb der USA eingesetzt werden können, die Führerscheinbestimmungen in den Bundesstaaten vereinheitlicht werden, Auslieferungsabkommen mit anderen Staaten erweitert werden, Schiffscontainer in den USA und in ausländischen Häfen gründlicher inspiziert werden, die Arbeit von Regierungsbehörden besser koordiniert werden, und die Impfstoffdepots des Landes sollen aufgerüstet werden.
Der Heimatverteidigungsplan sieht sogar vor, dass "intelligence threat divisions" geschaffen werden. "Rote Teams" bestehend aus Geheimdienst-Experten werden in die Rolle von Terroristen schlüpfen und Anschläge aushecken, so dass aus daraus gewonnenen Erfahrungen Methoden entwickelt werden können, solchen Angriffen möglichst vorzubeugen.
Bush will ein Land voller Spitzel
Von Alexander Schwabe
Nahezu ein Jahr nach den Anschlägen vom 11. September versucht US-Präsident George W. Bush das Land in eine Gesellschaft voller Spione zu verwandeln. Im August startet die Operation "TIPS", seine neueste Waffe im Kampf gegen den Terrorismus. Sollte sich das Pilotprojekt bewähren, wird die Spitzel-Quote in den Staaten bald höher sein, als sie in der DDR je war.
AP
Hamburg - William Harvey ist ein mutiger Mann. Rund drei Wochen nach den verheerenden Angriffen auf das World Trade Center stellt er sich in Manhattan nahe Ground Zero hin und hebt ein Schild in die Höhe, auf dem das World Trade Center abgebildet ist. Auf dem Poster ist neben den Türmen das Konterfei Osama Bin Ladens zu sehen. Harvey verteilt auch Flugblätter und sagt jedem, der es hören will: "Amerika muss dafür büßen, was es islamischen Ländern antut."
Freilich wollte dies niemand hören. "Sperrt diesen fucking guy ein, bevor ich ihn erschieße", rief ein empörter Mann aus der Menge. Diese Forderung wurde schnell erfüllt. Harvey wurde festgenommen und wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses angeklagt.
Noch fünf Monate nach dem 11. September schmetterte ein Gericht Mitte Februar Harveys Antrag ab, die Klage fallen zu lassen. Der New Yorker Richter Neil Ross begründete die Ablehnung damit, dass Harvey in Kauf genommen habe, Ärger zu machen. Dabei hatte er nicht mehr getan, als seine Meinung gesagt - ein fundamentales Verfassungsrecht.
Es war eingetreten, was der amerikanische Philosoph und Literaturwissenschaftler Richard Rorty gleich nach dem 11. September befürchtet hatte: Wenn ein Land Krieg führt, leiden die Bürgerrechte. Bereits eine Woche nach den Anschlägen beklagte der Stanford-Professor die Arroganz der US-Regierung und bescheinigte den Staaten, einem Imperium ähnlicher zu sein als einer Republik.
Seither ist das Imperium dabei, neue Truppen zu rekrutieren, um gegen einen nahezu unsichtbaren Feind, den Terrorismus, ins Feld zu ziehen. In den USA soll sich ein gigantisches Bürgerheer Freiwilliger formieren, welches das ganze Land überziehen wird. Aufgerüttelt von den Auswirkungen der Angriffe des 11. September und getragen vom Gefühl, in der Schuld des Vaterlandes zu stehen, sind die Amerikaner von Florida bis Oregon, von New Mexico bis Maine aufgerufen, sich für das "USA Freedom Corps" registrieren zu lassen.
Jeder Amerikaner soll zwei Jahre opfern
US-Präsident George W. Bush versucht die patriotische Stimmung im Land zu nutzen. Ihm schwebt vor, dass alle Amerikaner etwa zwei Jahre ihres Lebens in den Dienst der Sicherheit des Vaterlandes stellen - in 4000 Einsatzstunden verteilt über ihre Lebenszeit. 560 Millionen Dollar will Bush allein für die Organisation der "Citizen Corps" ausgeben.
Insgesamt lässt sich die Regierung die staatsicherheitliche Aufrüstung viel mehr kosten. Das von Bush konzipierte Ministerium für nationale Sicherheit soll 170.000 Mitarbeiter haben und zu einem der größten Regierungsapparate der USA ausgebaut werden. Diese Heimatschutzbehörde will der Präsident mit einem Jahresbudget von 37,4 Milliarden Dollar ausstatten.
Wichtigtuer, Naseweise, Spanner und Schnüffler
Das "Citizen Corps" soll aus fünf schlagkräftigen Divisionen bestehen: Das "CERT" (Community Emergency Response Team, Team für Notfälle in Gemeinden), das Medical Reserve Corps (Einsatzgruppe für medizinische Versorgung), die Initiative Neighborhood Watch (Nachbarschaftsüberwachung), den "VIPS" (Volunteers in Police Service, Freiwillige für den Polizeidienst) und das "TIPS" (Terrorism Information and Prevention System, das Terrorismusinformations- und Vorbeugesystem).
Besonders "TIPS" hat den scharfen Protest von Verfassungsrechtler und Bürgerrechtler hervorgerufen. Einige befürchten, dass sich das Land in eine Gesellschaft von Aufdringlingen, Wichtigtuern, Schnüfflern und Naseweise verwandeln könnte. Rachel King, Rechtsberaterin der 1913 gegründeten American Civil Liberties Union (ACLU), der einflussreichen Bürgerrechtsorganisation, sagt: "Die Regierung will offenbar ein Programm einführen, das Gasinstallateure, Telefonvermittler und Elektriker in von ihr herangezogene peeping toms (Spanner) verwandelt."
Verdächtige terroristische Aktivitäten
Nach Angaben des Zentrums für Verfassungsrecht in New York soll auf 24 Amerikaner ein Informant kommen, der für das Justizministerium Augen und Ohren offenhält. Rund vier Prozent der amerikanischen Staatsbürger sollen zivile Spione werden, die "verdächtige terroristische Aktivitäten" an die Behörden melden. Tom Ridge, Sicherheitschef der Heimatlandbehörde, ist bereits in die Defensive geraten. Er beteuert: "Das letzte, was wir wollen, ist, dass Amerikaner Amerikaner ausspionieren."
Die Behörden wollen vor allem Personen gewinnen, die an Schaltstellen des öffentlichen Lebens tätig sind oder an Schnittstellen zwischen öffentlichem Raum und Privatsphäre. Busfahrer, Postboten, Telefonisten, Lastwagenfahrer, Angestellte bei Strom-, Gas- oder Wasserversorgern, Schaffner, Kapitäne und Hafenarbeiter sollen mit geschärften Sinnen und dem Willen durch die Welt gehen, eine eigens eingerichtete gebührenfreie Nummer anzurufen, falls ihnen etwas verdächtig vorkommt.
Senator Joseph McCarthy blies zur Hexenjagd
In zehn Städten wird im August das Pilot-Projekt starten. Eine Million Informanten sollen ihre Mitbürger überwachen. Trifft der Versuch die zehn größten Städte der USA, bedeutete dies, dass eine Million Informanten auf 24 Millionen Einwohner (knapp vier Prozent) kämen. In den Ballungsräumen gäbe es damit mehr informelle Mitarbeiter als es in der DDR Stasi-Spitzel gab. Dort kamen auf rund 17 Millionen Einwohner unterschiedlichen Angaben zufolge zwischen 110.000 und 170.000 informelle Stasi-Mitarbeiter, weniger als ein Prozent der Bevölkerung.
Erinnerungen an McCarthy
Dass beim Justizministerium Akten über Verdächtige angelegt werden sollen, erinnert an die McCarthy-Zeit der fünfziger Jahre, als FBI-Direktor J. Edgar Hoover schwarze Listen mit den Namen Hunderter pflegte, die angeblich mit dem Kommunismus sympathisierten. Die gespeicherten Informationen sollen für Polizeistationen und Geheimdienste zugänglich sein. Betroffene Bürger sollen über ihre Mappe nicht benachrichtigt werden.
FBI-Chef J. Edgar Hoover führte die Listen
Bisher ist nicht abzusehen, ob es wie damals zu einer Hexenjagd kommen wird. Denn noch lassen die Behörden offen, wie weit die Schnüffelei der geplanten elf Millionen Informanten gehen darf. Die Bürgerrechtsbewegung ACLU warnt, eine große Bandbreite von Überprüfungsmöglichkeiten von Bürgern öffne dem Missbrauch Tür und Tor. Worauf soll das Heer von Privatspionen ihr Augenmerk richten? Auf Waren und Güter oder vor allem auf Menschen in deren Privatsphäre?
"Wir brauchen keine Block-Führer"
Auch sei überhaupt nicht klar, ob der Orwellsche Alptraum "Your fellow's watching you!" effektiv sein wird. Ein 1992 in Harvard veröffentlichter Bericht belegt, dass viele Informanten wenig verlässliche Quellen sind. Einige schmückten die Wahrheit aus, andere erdichteten sie freiweg - etwa um Mitmenschen zu denunzieren. Robert Levy vom Cato-Institut, einer Organisation, die für die Freiheit des Einzelnen eintritt, rechnet mit einer Lawine wertloser Tips, die voraussichtlich die Behörden lahmlegen werden. "Wir fahren ohne Block-Führer besser", sagt er.
Das Terrorpräventivprogramm ist ein weiterer Schritt im Rahmen der Patriot Act, die individuellen Freiheitsrechte einzuschränken. Die New Yorker Verfassungsrechtlerin Nancy Chang fürchtet, das Vaterlandsgesetz führe dazu, dass immer mehr Bürger auf Grund ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer ideologischen Überzeugung ins Visier von Profilern geraten. Auch das in der Verfassung verankerte Prinzip der Gleichbehandlung bei Prozessen ist insbesondere bei festgenommenen Immigranten bereits aufgeweicht worden.
Was ist mit Amerikas Stolz?
REUTERS
Corporate Responsability: Jeder Bürger muss Opfer bringen
Doch es steht mehr auf dem Spiel als eventuelle Unannehmlichkeiten für einzelne Bürger. Seit Bush am 26. Oktober 2001 das Gesetz zur "Einigung und Stärkung Amerikas durch die Verordnung angemessener Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus", unterzeichnet hat, das mit 356 zu 66 Stimmen durchs Repräsentantenhaus und mit 98 zu einer Stimme durch den Senat ging, sieht Chang die Grundrechte in Gefahr, auf die Amerikas Stolz gründet. "Was ist so patriotisch daran, auf der Bill of Rights herumzutrampeln?", fragt die leitende Anwältin beim Zentrum für Verfassungsschutz.
Für Chang opfert der Patriot Act in einem beispiellosen Ausmaß "unsere politische Freiheit im Namen der nationalen Sicherheit". Die demokratischen Werte würden plötzlich über den Haufen geworfen, indem die Überwachungsmöglichkeiten der Polizeiorgane und die Kompetenzen der Geheimdienste ungeheuerlich gestärkt werden.
Wie häufig in Krisenzeiten beugt sich die Judikative vor den Interessen der Politiker. Das hat in den USA Tradition. Während des Ersten Weltkrieges etwa bestätigte der Oberste Gerichtshof die Verurteilung des Sozialisten Eugene Debs, als dieser gegen die Kriegsteilnahme der USA demonstrierte. Die Richter weigerten sich, Debs' Einsatz für Gewaltlosigkeit zu tolerieren, obwohl die Verfassung - wie im Fall Harvey - eigentlich die freie Rede eines jeden Amerikaners garantiert.
Pearl Habor, 1941: Die USS Arizona geht in Flammen auf
Auch nach der Bombardierung von Pearl Harbor wurden wesentliche Grundrechte für Bürger außer Kraft gesetzt. Das Oberste US-Gericht urteilte damals, die Internierung von mehr als 100.000 japanischen Einwanderern und von Bürgern japanisch-amerikanischer Herkunft, sei rechtens. Das elementare Recht der Gleichstellung eines jeden Bürgers vor dem Gesetz galt in dieser Krisenzeit wenig.
Beim Zentrum für Verfassungsrecht in New York stellt man besorgt fest, dass die Ereignisse vom 11. September offenbar auch von höchsten Richtern als Kriegsereignisse von der Qualität des Ersten Weltkriegs und von Pearl Habor gesehen werden. Nicht einmal von der obersten Hüterin der Grundrechte, Supreme-Court-Richterin Sandra Day O'Connor, sei zu erwarten, dass sie sich voll für die Freiheitsrechte der Bürger einsetzen werde. Als O'Connor am Ground Zero stand, sagte sie: "Wir werden möglicherweise eine stärkere Einschränkung der Freiheit des Einzelnen erfahren als jemals zuvor in diesem Land."
Geheimdienst-Experten in der Rolle von Terroristen
Die Richterin scheint Recht zu behalten. Erst vergangene Woche wiederholte Bush, der Schutz des Heimatlands vor Terroranschlägen sei die wichtigste Mission seiner Regierung. Dafür hat er eine ganze Latte von Maßnahmen vorgelegt: Die Streitkräfte sollen künftig auch innerhalb der USA eingesetzt werden können, die Führerscheinbestimmungen in den Bundesstaaten vereinheitlicht werden, Auslieferungsabkommen mit anderen Staaten erweitert werden, Schiffscontainer in den USA und in ausländischen Häfen gründlicher inspiziert werden, die Arbeit von Regierungsbehörden besser koordiniert werden, und die Impfstoffdepots des Landes sollen aufgerüstet werden.
Der Heimatverteidigungsplan sieht sogar vor, dass "intelligence threat divisions" geschaffen werden. "Rote Teams" bestehend aus Geheimdienst-Experten werden in die Rolle von Terroristen schlüpfen und Anschläge aushecken, so dass aus daraus gewonnenen Erfahrungen Methoden entwickelt werden können, solchen Angriffen möglichst vorzubeugen.