Dank Ronaldo waren die Brasilianer für einige Tage die Könige der Welt. Doch genauso wie ein einzelner Sportler das ganze Land in den Himmel gehoben hat, könnte nun ein einzelner Politiker für den wirtschaftlichen Totalabsturz sorgen.
Fußball: Brasilien ist groß und Ronaldo ist sein Prophet
Wenn Brasilianer feiern, dann geben sie alles. Nach dem sonntäglichen WM-Sieg über Deutschland tanzten die enthemmten Fans bis zur Ankunft ihrer Seleção-Helden am Dienstag durch. Während des bis Donnerstag andauernden Triumphzugs der Nationalmannschaft durch Brasilia, São Paulo und Rio de Janeiro ging der winterliche Karneval weiter. Die italienische Tageszeitung "Corriere della Sera" fasste die Stimmung am Zuckerhut zusammen: "Brasilien ist groß und Ronaldo ist sein Prophet".
Manches Gelbhemd würde gerne weiter Caipirinhas kippen, doch der WM-Sieg könnte Brasiliens letzte große Party gewesen sein. Das Land schlittert Tag für Tag tiefer in eine Finanzkrise, die mit einem kollektiven Platzverweis, der Zahlungsunfähigkeit des größten südamerikanischen Staates enden könnte.
Die jüngsten Daten sind der reine Horror: Der brasilianische Real ist gegenüber dem Dollar um 20 Prozent gefallen. Staatsanleihen des Landes befinden sich im Sturzflug, weil Investoren einen Staatsbankrott wie in Argentinien befürchten. Die Weltfinanzmärkte anzuzapfen, ist für Brasilien inzwischen fast unbezahlbar: Als Risikoprämie verlangen Investoren derzeit einen Zinssatz, der 17 Prozent über dem von US-Staatsanleihen liegt.
Fußball-Erlöser und Börsen-Teufel
Beim Fußball hing alles an einem Spieler. Der aus einfachen Verhältnissen stammende Ronaldo Luíz Nazario de Lima, das Favela-Kind, das früher nicht einmal die Busfahrt zum weit entfernt gelegenen Sportplatz bezahlen konnte, versetzt das ganze Land in Ekstase. "Il Fenomeno" ist spätestens seit dem Sieg von Yokohama endgültig der "Messias" ("El Pais") Brasiliens.
Auch Brasiliens Wirtschaft schaut derzeit auf einen Mann - nur die Vorzeichen sind andere: Ein Landsmann Ronaldos verbreitet Angst und Schrecken. Die Rede ist von Luíz Inacio Lula da Silva, Arbeiterführer, Präsidentschaftskandidat, Schrecken der Börse.
Ronaldo & Co. galten bei der WM von Anfang an als Favorit. Genauso wie die Seleção wird auch Politprofi da Silva klar auf Eins gesetzt: Der bullige Mann, den alle nur Lula nennen, ist der Favorit bei den für Oktober anstehenden Präsidentschaftswahlen - 36 Prozent der Brasilianer wollen ihm laut Umfragen ihre Stimme geben. Sein größter Widersacher, José Serra von den regierenden Sozialdemokraten, kommt gerade mal auf 20 Prozent. Und genau da liegt das Problem: Aus Sicht der internationalen Finanzmärkte, an deren Tropf Brasilien hängt, ist der Kandidat der Arbeiterpartei (PT) nicht nur irgendein - Igitt! -Gewerkschafter. Lula ist an der Wall Street ähnlich populär wie Stefan Effenberg beim Fußballpublikum.
Brasilien-Fans: Letzte Party vor dem Kollaps?
Die Furcht vor Lula hat inzwischen bizarre Formen angenommen. An den Märkten dreht sich derzeit alles um den Schwarzen Mann vom Zuckerhut. Dass ein braunäugiger, milchkaffeefarbener Balltänzer wie Ronaldo zu einer öffentlichen Obsession werden kann, ist nachvollziehbar, aber Lula? Nicht volkswirtschaftliche Daten oder Gewinnprognosen lassen den Real auf immer neue Tiefstände rutschen - stattdessen macht sich der Markt jedes Mal fast in die Hosen, wenn Lula in einer Wahlumfrage einen Prozentpunkt zulegt.
Die Investmentbank Goldman Sachs hat kürzlich sogar ein so genanntes Lulameter präsentiert, das die Siegchancen des Arbeiterführers anzeigt. Dieses mathematische Modell errechnet, für wie wahrscheinlich die Devisenmärkte einen Lula-Sieg halten. Derzeitige Rate: 47 Prozent. Ein eigens entworfenes Politbarometer - und alles nur wegen Lula, der - um ein Fußball-Bild zu benutzen - noch nicht mal eingewechselt worden ist, sondern lediglich die Seitenlinie auf- und abschlendert.
Panische Angst vor dem Kapitalistenfresser
Die Sorgen der Märkte scheinen nicht ganz unberechtigt: Lula hat in der Vergangenheit mehrmals gesagt, er wolle nach seinem Sieg die Schulden Brasiliens in Höhe von 280 Milliarden Dollar "neu verhandeln" (lies: nicht oder nur teilweise zurückzahlen). Seine Berater denken laut über einen "Bruch" mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) nach. Börsianer sind in Lulas Diktion "ökonomische Terroristen".
Allein der Gedanke, dass so jemand Präsident des größten lateinamerikanischen Landes werden könnte, treibt der Finanzwelt Schweißperlen auf die Stirn. "Wenn Ihnen Brasiliens Zukunftsaussichten ohnehin nicht gefallen, dann stellen sie sich diese erst mal mit Lula vor", meint der amerikanische Wirtschaftsexperte David DeRosa. Nach Ansicht des Devisengurus George Soros ist ein finanzieller Kollaps Brasiliens sicher, falls Lula siegt.
Etwas mehr Gelassenheit wäre hilfreich: Anders als Argentinien hat Brasilien den Banken- sowie den Unternehmenssektor erfolgreich reformiert; die Inflation ist auf einem vertretbaren Niveau; das Land hat einen Budgetüberschuss, mit dem die Auslandsschulden bedient werden können; der IWF hat Brasiliens Finanz- und Wirtschaftspolitik kürzlich nochmals ausdrücklich gelobt.
Luiz Inacio Lula Da Silva: Brasiliens Börsen-Beelzebub
Allerdings könnte der Zeitpunkt bereits verstrichen sein, an dem sich Brasiliens Fahrt ins finanzielle Aus noch hätte stoppen lassen: Das Land kann seinen finanziellen Verpflichtungen nur noch mit Mühe nachkommen. Wenn die Märkte Brasilien aus Furcht vor dem Zusammenbruch jedoch weiter Kapital entziehen, wird der Kollaps immer wahrscheinlicher - eine self-fulfilling prophecy. Morris Goldstein vom Institute for International Economics in Washington sieht das Risiko eines Staatsbankrotts bis Ende 2003 bei 70 Prozent.
Schon kursieren an der Wall Street Horrorszenarien: Fällt Brasilien, könnte das an den ohnehin schon schwindsüchtigen Märkten eine weltweite Panik auslösen - die "Tequila-Krise" von 1994/95 ist vielen noch in bester Erinnerung. Damals kollabierte zuerst Mexiko, ein lateinamerikanischer Staat nach dem anderen folgte. Falls zusätzlich die USA erneut in die Rezession rutschen, wie es etwa Morgan Stanleys Chefökonom Stephen Roach prophezeit, wäre - im negativen Sinn - alles möglich. Vor und während der WM hat ganz Brasilien seinen Superstürmer Ronaldo zum Sieg gebetet. Jetzt, so meinen Finanzexperten, sollte der Rest der Welt hoffen, dass Lula gar nicht erst ins Spiel kommt.
Fußball: Brasilien ist groß und Ronaldo ist sein Prophet
Wenn Brasilianer feiern, dann geben sie alles. Nach dem sonntäglichen WM-Sieg über Deutschland tanzten die enthemmten Fans bis zur Ankunft ihrer Seleção-Helden am Dienstag durch. Während des bis Donnerstag andauernden Triumphzugs der Nationalmannschaft durch Brasilia, São Paulo und Rio de Janeiro ging der winterliche Karneval weiter. Die italienische Tageszeitung "Corriere della Sera" fasste die Stimmung am Zuckerhut zusammen: "Brasilien ist groß und Ronaldo ist sein Prophet".
Manches Gelbhemd würde gerne weiter Caipirinhas kippen, doch der WM-Sieg könnte Brasiliens letzte große Party gewesen sein. Das Land schlittert Tag für Tag tiefer in eine Finanzkrise, die mit einem kollektiven Platzverweis, der Zahlungsunfähigkeit des größten südamerikanischen Staates enden könnte.
Die jüngsten Daten sind der reine Horror: Der brasilianische Real ist gegenüber dem Dollar um 20 Prozent gefallen. Staatsanleihen des Landes befinden sich im Sturzflug, weil Investoren einen Staatsbankrott wie in Argentinien befürchten. Die Weltfinanzmärkte anzuzapfen, ist für Brasilien inzwischen fast unbezahlbar: Als Risikoprämie verlangen Investoren derzeit einen Zinssatz, der 17 Prozent über dem von US-Staatsanleihen liegt.
Fußball-Erlöser und Börsen-Teufel
Beim Fußball hing alles an einem Spieler. Der aus einfachen Verhältnissen stammende Ronaldo Luíz Nazario de Lima, das Favela-Kind, das früher nicht einmal die Busfahrt zum weit entfernt gelegenen Sportplatz bezahlen konnte, versetzt das ganze Land in Ekstase. "Il Fenomeno" ist spätestens seit dem Sieg von Yokohama endgültig der "Messias" ("El Pais") Brasiliens.
Auch Brasiliens Wirtschaft schaut derzeit auf einen Mann - nur die Vorzeichen sind andere: Ein Landsmann Ronaldos verbreitet Angst und Schrecken. Die Rede ist von Luíz Inacio Lula da Silva, Arbeiterführer, Präsidentschaftskandidat, Schrecken der Börse.
Ronaldo & Co. galten bei der WM von Anfang an als Favorit. Genauso wie die Seleção wird auch Politprofi da Silva klar auf Eins gesetzt: Der bullige Mann, den alle nur Lula nennen, ist der Favorit bei den für Oktober anstehenden Präsidentschaftswahlen - 36 Prozent der Brasilianer wollen ihm laut Umfragen ihre Stimme geben. Sein größter Widersacher, José Serra von den regierenden Sozialdemokraten, kommt gerade mal auf 20 Prozent. Und genau da liegt das Problem: Aus Sicht der internationalen Finanzmärkte, an deren Tropf Brasilien hängt, ist der Kandidat der Arbeiterpartei (PT) nicht nur irgendein - Igitt! -Gewerkschafter. Lula ist an der Wall Street ähnlich populär wie Stefan Effenberg beim Fußballpublikum.
Brasilien-Fans: Letzte Party vor dem Kollaps?
Die Furcht vor Lula hat inzwischen bizarre Formen angenommen. An den Märkten dreht sich derzeit alles um den Schwarzen Mann vom Zuckerhut. Dass ein braunäugiger, milchkaffeefarbener Balltänzer wie Ronaldo zu einer öffentlichen Obsession werden kann, ist nachvollziehbar, aber Lula? Nicht volkswirtschaftliche Daten oder Gewinnprognosen lassen den Real auf immer neue Tiefstände rutschen - stattdessen macht sich der Markt jedes Mal fast in die Hosen, wenn Lula in einer Wahlumfrage einen Prozentpunkt zulegt.
Die Investmentbank Goldman Sachs hat kürzlich sogar ein so genanntes Lulameter präsentiert, das die Siegchancen des Arbeiterführers anzeigt. Dieses mathematische Modell errechnet, für wie wahrscheinlich die Devisenmärkte einen Lula-Sieg halten. Derzeitige Rate: 47 Prozent. Ein eigens entworfenes Politbarometer - und alles nur wegen Lula, der - um ein Fußball-Bild zu benutzen - noch nicht mal eingewechselt worden ist, sondern lediglich die Seitenlinie auf- und abschlendert.
Panische Angst vor dem Kapitalistenfresser
Die Sorgen der Märkte scheinen nicht ganz unberechtigt: Lula hat in der Vergangenheit mehrmals gesagt, er wolle nach seinem Sieg die Schulden Brasiliens in Höhe von 280 Milliarden Dollar "neu verhandeln" (lies: nicht oder nur teilweise zurückzahlen). Seine Berater denken laut über einen "Bruch" mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) nach. Börsianer sind in Lulas Diktion "ökonomische Terroristen".
Allein der Gedanke, dass so jemand Präsident des größten lateinamerikanischen Landes werden könnte, treibt der Finanzwelt Schweißperlen auf die Stirn. "Wenn Ihnen Brasiliens Zukunftsaussichten ohnehin nicht gefallen, dann stellen sie sich diese erst mal mit Lula vor", meint der amerikanische Wirtschaftsexperte David DeRosa. Nach Ansicht des Devisengurus George Soros ist ein finanzieller Kollaps Brasiliens sicher, falls Lula siegt.
Etwas mehr Gelassenheit wäre hilfreich: Anders als Argentinien hat Brasilien den Banken- sowie den Unternehmenssektor erfolgreich reformiert; die Inflation ist auf einem vertretbaren Niveau; das Land hat einen Budgetüberschuss, mit dem die Auslandsschulden bedient werden können; der IWF hat Brasiliens Finanz- und Wirtschaftspolitik kürzlich nochmals ausdrücklich gelobt.
Luiz Inacio Lula Da Silva: Brasiliens Börsen-Beelzebub
Allerdings könnte der Zeitpunkt bereits verstrichen sein, an dem sich Brasiliens Fahrt ins finanzielle Aus noch hätte stoppen lassen: Das Land kann seinen finanziellen Verpflichtungen nur noch mit Mühe nachkommen. Wenn die Märkte Brasilien aus Furcht vor dem Zusammenbruch jedoch weiter Kapital entziehen, wird der Kollaps immer wahrscheinlicher - eine self-fulfilling prophecy. Morris Goldstein vom Institute for International Economics in Washington sieht das Risiko eines Staatsbankrotts bis Ende 2003 bei 70 Prozent.
Schon kursieren an der Wall Street Horrorszenarien: Fällt Brasilien, könnte das an den ohnehin schon schwindsüchtigen Märkten eine weltweite Panik auslösen - die "Tequila-Krise" von 1994/95 ist vielen noch in bester Erinnerung. Damals kollabierte zuerst Mexiko, ein lateinamerikanischer Staat nach dem anderen folgte. Falls zusätzlich die USA erneut in die Rezession rutschen, wie es etwa Morgan Stanleys Chefökonom Stephen Roach prophezeit, wäre - im negativen Sinn - alles möglich. Vor und während der WM hat ganz Brasilien seinen Superstürmer Ronaldo zum Sieg gebetet. Jetzt, so meinen Finanzexperten, sollte der Rest der Welt hoffen, dass Lula gar nicht erst ins Spiel kommt.