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Bioplastik steckt in den StartlöchernDie meisten Produktneuerungen bei Kunststoffen auf Erdölbasis gab es um 1950, so eine Studie von McKinsey aus dem Jahr 2003. Seitdem geht der Erfindergeist in diesem Zweig der chemischen Industrie zurück. Doch der steigende Ölpreis könnte das ändern. Denn um sich von dem teuren Rohstoff unabhängig zu machen, setzen Chemieunternehmen jetzt stärker auf Biotechnologie.
Plastik für alle Situationen (Foto: Pixelquelle.de) Erdölbasierte Kunststoffe haben sich in den letzten Monaten um bis zu 80 Prozent verteuert, stellte kürzlich der Interessenverband European Bioplastics in Berlin fest. Plötzlich werden für die Chemieunternehmen biotechnologische Verfahren lukrativ, bei denen Bakterien, Pilze und Enzymeaus nachwachsenden Rohstoffen wie Stärke und Cellulose neue Kunststoffe erzeugen. In Deutschland schließen sich derzeit Industrie und Forschungseinrichtungen zu regionalen Verbünden zusammen, um den Einsatz der Biotechnologie in der Plastikindustrie zu fördern. Der baden-württembergischen Biotech-Initiative BIOPRO Baden-Württemberg zum Beispiel haben bereits 30 Unternehmen signalisiert, sich an einem Anfang Februar gegründeten Cluster zu beteiligen.
Das genügt dem baden-württembergischen Wirtschaftsminister Ernst Pfister jedoch noch lange nicht: "Ich appelliere an alle Unternehmen, die am Thema Biokunststoffe interessiert sind, sich an dem Cluster aktiv zu beteiligen." Die Initiative nimmt am Förderwettbewerb "Bioindustrie 2021" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) teil, der den Einsatz von Biotechnologie in der Industrie bis 2011 mit 60 Mio. Euro fördern will. Vom Plastikhandschuh bis zum Plastikbecher Während in Deutschland die Fördergelder noch nicht verteilt sind, planen US-Unternehmen bereits Produktionsstätten für neue Biokunststoffe. Ein Konsortium aus dem Landwirtschaftskonzern Archer Daniels Midland und der Biotechnik-Firma Metabolix will in Clinton (Iowa) eine Fabrik bauen, um jährlich 50.000 Tonnen des Biokunststoffs aus Polyhydroxyalkanoaten (PHA) aus Getreidestärke herzustellen.
PHA steht für eine Familie von biologisch abbaubaren Kunststoffen, deren Einsatzspektrum von elastischen Plastikhandschuhen bis zu starren Bechern oder Flaschen reicht. Sie eignen sich zudem zum Verpacken von Lebensmitteln, da manche von ihnen Sauerstoff besser abschirmen als andere Biokunststoffe und beinahe so sauerstoffdicht sind wie auf Erdöl basierendes Polypropylen oder Polyethylen. Auch in ihrer Verarbeitbarkeit sind PHA-Kunststoffe flexibel: Sie lassen sich gießen, bei hohen Temperaturen verformen und durch Düsen pressen. Sie sind an der Luft wie auch unter Wasser und sogar im Innern von Mülldeponien biologisch abbaubar. Bioplastik ist ...
- aus nachwachsenden Rohstoffen gefertigt
- abhängig von der Zusammensetzung recht langlebig
- biologisch abbaubar
- in ungiftige Ausgangsprodukte zerlegbar
- CO2-neutral
Der Preis des süßen Zuckers macht PHA-Hersteller sauer Wäscheklammern bald aus Bioplastik? (Foto: PixelQuelle.de)Was also steht einem breiten Einsatz von PHA-Kunststoffen im Wege? Biokunststoffe sind immer noch zu teuer: "Sie kosten zwei- bis viermal soviel wie Standardkunststoffe", so die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) im mecklenburgischen Gülzow. Auch Urs Hänggi vom Münchner Bioplastik-Hersteller Biomer ist skeptisch. Die Firma stellt die zu den PHA-Kunststoffen zählende Polyhydroxybuttersäure (PHB) für Produkte her, die in der Natur "verloren gehen", etwa Feuerwerkskörper - ein Nischenmarkt.
"Die Rohstoffpreise für die PHB-Herstellung sind weltweit extrem gestiegen", sagte Hänggi gegenüber den "VDI nachrichten". Grund sei die hohe Nachfrage nach dem Benzinzusatzstoff Ethanol, der ebenfalls aus Zucker und Stärke gewonnen werde. "Für ein Kilogramm PHB braucht man drei Kilogramm Zucker. Wegen der hohen Rohstoffpreise werden sich PHA-Kunststoffe nicht im Massenmarkt durchsetzen", prophezeit Hänggi.
Technikmix als Lösung
Die deutsche Großindustrie ist noch weit vom PHA-Einsatz entfernt: BASF erforscht zwar die Einsatzmöglichkeiten von PHB. Sabine Philipp von der BASF-Fachpressestelle Kunststoffe aber zieht ein ernüchterndes Fazit: "Sicher ist für uns nach ersten Untersuchungen, dass vor dem Einsatz dieser Materialien genau über die Rohstoffkosten und die oft aufwändige Aufarbeitung nachgedacht werden muss." Nur wenn der Ölpreis kontinuierlich weiter steigt, könnten sich Biokunststoffe lohnen. Ihr Potenzial liegt nach einer Schätzung des Branchenverbandes European Bioplastics bei 5 bis 10 Prozent des Kunststoffmarktes. Experten bezweifeln zudem, dass sich Biokunststoffe für alle Anwendungsbereiche eignen. Görge Deerberg vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen hält einen Technikmix für vorteilhaft: "Mit Mischprodukten aus Erdöl und nachwachsenden Rohstoffen könnte sich die Flexibilität eines Kunststoffs gezielt regulieren lassen."
Den Weg des Technikmix geht auch der US-Chemiekonzern DuPont. Ab Mitte dieses Jahres will er den Plastik-Grundstoff PDO (Propandiol) aus Maisstärke herstellen. Bio-PDO soll als Baustein für zwei DuPont-Kunststoffe dienen. Laut DuPont ist die Biovariante eines dieser Kunststoffe elastischer als sein auf Erdölbasis hergestelltes Pendant. Er soll für Rohre und Schläuche oder Airbag-Abdeckungen genutzt werden.
Auf lange Sicht wollen Forscher neue Kunststoffe mit völlig neuen Eigenschaften stricken. Denn die Natur kann Verbindungen knüpfen, die mit chemischen Verfahren nicht oder kaum möglich sind. Vielleicht gelingt es so, den Erfindergeist in der Plastikindustrie wieder zu beflügeln. Chancen für die Wirtschaft:
Biokunststoffe gelten als vielversprechende Innovation für verschiedenste Wirtschaftszweige:
- Landwirtschaft: Anbau von nachwachsenden Rohstoffen. Anwendung von Produkten wie Agrarfolien, Verpackungen oder Komposten im Landbau (Düngemittelersatz)
- Biotechnologie, Chemie und kunststofferzeugende Industrie: Herstellung von Monomeren, Additiven und Polymeren
- Kunststoffverarbeitende Industrie: Herstellung von Halbzeugen und Fertigprodukten
- Vertrieb und Handel
- Anwender in Food- und Non-Food-Sektoren
- Entsorgung und Recycling
Quelle: VDI nachrichten/ Chr. Meier/ber - 23.02.07
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