Ein internationales Insolvenzverfahren kann Krisenländer aus der Schuldenfalle befreien - solange der IWF draußen bleibt
Schier unentrinnbar sitzt das einstmals reiche Argentinien in der Schuldenfalle. Plötzlich wird eine alte Idee neu diskutiert: Wie private Unternehmen sollen auch Staaten offiziell ihre Zahlungsunfähgikeit erklären können - und damit die Chance für einen Neuanfang erhalten.
Die stellvertretende Vorsitzende des Internationalen Währungsfonds (IWF) Anne Krueger hat vor nicht allzu langer Zeit ihre Forderung nach einem internationalen Insolvenzverfahren gleich mit einem konkreten Konzept untermauert. Seitdem hat das Thema weiter an Brisanz gewonnen. Ein neues Rechtsgebiet ist entstanden.
Doch ist der Grund für Kruegers überraschenden Vorstoß tatsächlich allein die Krise in Argentinien oder doch eher der 11. September und seine Nachwirkung? Schwer zu sagen. Jedenfalls war die Ostasienkrise vor einigen Jahren mit ihrem Übergreifen auf Russland und Brasilien für die Weltwirtschaft wesentlich bedrohlicher - aber damals hat niemand beim IWF einen derartigen Vorschlag auch nur erwogen. Bedenkt man außerdem, dass Außenminister Joschka Fischer in einem Interview Ende September feststellte: "Wenn wir uns nicht um die Probleme der Welt kümmern, kommen sie zu uns", dann impliziert Kruegers Forderung die Einsicht, dass das Zusammenleben der etwa 190 Nationen dieser Welt neu geordnet werden muss.
Bisher ist es noch so: Ist ein Land dauerhaft überschuldet, dann folgen darauf bestenfalls Ad-hoc-Maßnahmen (wie zum Beispiel die "Initiative für schwer verschuldete Länder" von IWF und Weltbank), oder Vertreter von Schuldner- und Gläubigerländern setzen sich etwa im Rahmen des so genannten Pariser Clubs oder Londoner Clubs zusammen und vereinbaren Umschuldungsmaßnahmen. Aber solche eher archaischen Treffen erfüllen nicht einmal rechtsstaatliche Minimalforderungen - man einigt sich, worauf man sich einigt, die Starken geben den Ton an. Stattdessen ein transparentes und ausgewogenes Verfahren zu schaffen würde einen gewaltigen Schritt in Richtung Rechtsstaatlichkeit bedeuten - auch wenn die Länder so nicht automatisch von ihrer Schuldenlast befreit wären.
Der Vorschlag Anne Kruegers ist noch verbesserungsfähig, der Ausgangspunkt ist jedoch treffend: Unter der Leitung eines neutralen Dritten verhandeln Gläubiger und Schuldner so lange über einen vom Schuldner vorgelegten Schuldenregulierungsplan, bis sie ihm mehrheitlich zustimmen. Damit würde auf internationaler Ebene das eingeführt, was national längst bekannt ist. Auch in Deutschland gehört seit 1999 eine entsprechende Regelung zum privatrechtlichen Insolvenzverfahren. Damit geht ein Wertewandel einher: weg vom "Makel des Konkurses", wie er etwa noch von Thomas Mann bei Tony Grünlich, geb. Buddenbrook, eindringlich dargestellt ist - und hin zu einem Wirtschaftsvorgang ohne diskreditierenden Einschlag.
Der ganz wesentliche Zweck eines Insolvenzverfahrens besteht darin, durch seine bloße Existenz Schuldner wie Gläubiger bereits im Vorfeld zu disziplinieren. Als worst case scenario bildet es den Rahmen, an dem sich das "normale" Handeln ausrichtet.
Hieran muss sich auch das Insolvenzverfahren für Staaten orientieren. Deshalb darf der neutrale Dritte nicht dem IWF eingegliedert sein, sondern er muss als unabhängige Instanz etwa bei dem bereits existierenden Internationalen Gerichtshof in Den Haag eingerichtet werden. Auch darf der Antrag eines Schuldnerlandes auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht davon abhängig gemacht werden, ob der IWF dem Antrag zustimmt: Das wäre eine stumpfe Waffe, wenn der Schuldner etwa bei den Beratungen im Pariser Club mit einem Insolvenzantrag drohen wollte - denn der IWF gehört ja nicht nur meist selbst zu den Gläubigern, sondern er wird darüber hinaus als Institution auch noch von denjenigen Ländern dominiert, die im Pariser Club regelmäßig die wichtigsten Gläubigerländer sind.
Deshalb muss das Schuldnerland das alleinige Recht zur Antragstellung haben. Zum Ausgleich dieses "Machtüberschusses" hat der neutrale Dritte mehreres vorab zu prüfen: Enthält der Schuldenregulierungsplan realistische Vorstellungen über die Schuldenbereinigung und die partielle oder vollständige Befriedigung der Gläubiger? Oder dient der Insolvenzantrag nur dazu, einen Zahlungsstopp zu erlangen, um etwa kriegsbedingten Reparationszahlungen zu entgehen? Oder handelt es sich gar um einen wiederholten Antrag? Aber auch inhaltliche Vorgaben, wie etwa die Verbesserung der Schulen und Armutsbekämpfung, könnten in dem Plan enthalten sein.
Darüber hinaus könnte man den neutralen Dritten auch beauftragen, im Vorfeld des Verfahrens bestimmte Transaktionen der jeweiligen Regierungungen rückgängig zu machen - etwa die Überweisungen eines korrupten Premiers auf sein schweizerisches Privatkonto. Allerdings wäre das schon ein recht ehrgeiziger Anspruch.
In jedem Fall aber hat der neutrale Dritte die Diskussionen und Verhandlungen sowie die Abstimmung über den Plan zu leiten. Wie die dafür erforderliche Mehrheit festgesetzt werden sollte, ist wieder eine Frage des gewünschten Disziplinierungseffekts. Je geringer die Mehrheit, desto eher werden (im Privatrecht so genannte) "Akkordstörer" bei den Vorverfahrensverhandlungen neutralisiert - also Gläubiger, denen es nur darum geht, eine Übereinkunft zu verhindern. Andererseits gewinnt dadurch aber auch der Schuldner an Macht.
Dahinter verbirgt sich ein weiteres Problem: Für wen soll das Verfahren gelten? Für die staatlichen Gläubiger und die Banken sicherlich - aber auch für Privatleute, die Staatsanleihen gekauft haben? Soll man zwischen in- und ausländischen Privatanlegern unterscheiden?
Während jeder nationale Gesetzgeber eine Zwangsgemeinschaft aller Gläubiger schaffen kann, fehlt ein entsprechendes Gesetzgebungsorgan im globalen Bereich. Folglich wird man auf absehbare Zeit auf vertragliche Zustimmung angewiesen sein. Das heißt, sämtliche Verträge müssen Klauseln enthalten, welche die Beteiligten verpflichten, sich einer bestimmten Mehrheitsentscheidung zu unterwerfen.
Haben die Gläubiger dem Plan schließlich zugestimmt, muss der neutrale Dritte auch die Umsetzung überwachen. Man kann das schwerlich dem Schuldnerland zur alleinigen Verantwortung übertragen, denn es geht darum, dass dessen Regierung tatsächlich Haushaltsdisziplin übt und etwa die Sozialprogramme kürzt - schmerzhafte Maßnahmen, die ohne Kontrolle allzu oft umgangen würden. Sollte ein Schuldnerland den Verpflichtungen nicht nachkommen, könnte das Insolvenzrecht für Staaten vorsehen, dass die alten, durch den Regulierungsplan (ganz oder teilweise) erloschenen Gläubigerforderungen wieder aufleben. Das wäre umso bedrohlicher, wenn ein erneuter Insolvenzantrag innerhalb einer bestimmten Frist abgewiesen werden könnte.
Die Vorgabe von Anne Krueger erweist sich also als ein neuer, vielversprechender Weg. Schon deshalb, weil Argentinien nicht das letzte Land sein wird, das vor dem Bankrott steht.
Schier unentrinnbar sitzt das einstmals reiche Argentinien in der Schuldenfalle. Plötzlich wird eine alte Idee neu diskutiert: Wie private Unternehmen sollen auch Staaten offiziell ihre Zahlungsunfähgikeit erklären können - und damit die Chance für einen Neuanfang erhalten.
Die stellvertretende Vorsitzende des Internationalen Währungsfonds (IWF) Anne Krueger hat vor nicht allzu langer Zeit ihre Forderung nach einem internationalen Insolvenzverfahren gleich mit einem konkreten Konzept untermauert. Seitdem hat das Thema weiter an Brisanz gewonnen. Ein neues Rechtsgebiet ist entstanden.
Doch ist der Grund für Kruegers überraschenden Vorstoß tatsächlich allein die Krise in Argentinien oder doch eher der 11. September und seine Nachwirkung? Schwer zu sagen. Jedenfalls war die Ostasienkrise vor einigen Jahren mit ihrem Übergreifen auf Russland und Brasilien für die Weltwirtschaft wesentlich bedrohlicher - aber damals hat niemand beim IWF einen derartigen Vorschlag auch nur erwogen. Bedenkt man außerdem, dass Außenminister Joschka Fischer in einem Interview Ende September feststellte: "Wenn wir uns nicht um die Probleme der Welt kümmern, kommen sie zu uns", dann impliziert Kruegers Forderung die Einsicht, dass das Zusammenleben der etwa 190 Nationen dieser Welt neu geordnet werden muss.
Bisher ist es noch so: Ist ein Land dauerhaft überschuldet, dann folgen darauf bestenfalls Ad-hoc-Maßnahmen (wie zum Beispiel die "Initiative für schwer verschuldete Länder" von IWF und Weltbank), oder Vertreter von Schuldner- und Gläubigerländern setzen sich etwa im Rahmen des so genannten Pariser Clubs oder Londoner Clubs zusammen und vereinbaren Umschuldungsmaßnahmen. Aber solche eher archaischen Treffen erfüllen nicht einmal rechtsstaatliche Minimalforderungen - man einigt sich, worauf man sich einigt, die Starken geben den Ton an. Stattdessen ein transparentes und ausgewogenes Verfahren zu schaffen würde einen gewaltigen Schritt in Richtung Rechtsstaatlichkeit bedeuten - auch wenn die Länder so nicht automatisch von ihrer Schuldenlast befreit wären.
Der Vorschlag Anne Kruegers ist noch verbesserungsfähig, der Ausgangspunkt ist jedoch treffend: Unter der Leitung eines neutralen Dritten verhandeln Gläubiger und Schuldner so lange über einen vom Schuldner vorgelegten Schuldenregulierungsplan, bis sie ihm mehrheitlich zustimmen. Damit würde auf internationaler Ebene das eingeführt, was national längst bekannt ist. Auch in Deutschland gehört seit 1999 eine entsprechende Regelung zum privatrechtlichen Insolvenzverfahren. Damit geht ein Wertewandel einher: weg vom "Makel des Konkurses", wie er etwa noch von Thomas Mann bei Tony Grünlich, geb. Buddenbrook, eindringlich dargestellt ist - und hin zu einem Wirtschaftsvorgang ohne diskreditierenden Einschlag.
Der ganz wesentliche Zweck eines Insolvenzverfahrens besteht darin, durch seine bloße Existenz Schuldner wie Gläubiger bereits im Vorfeld zu disziplinieren. Als worst case scenario bildet es den Rahmen, an dem sich das "normale" Handeln ausrichtet.
Hieran muss sich auch das Insolvenzverfahren für Staaten orientieren. Deshalb darf der neutrale Dritte nicht dem IWF eingegliedert sein, sondern er muss als unabhängige Instanz etwa bei dem bereits existierenden Internationalen Gerichtshof in Den Haag eingerichtet werden. Auch darf der Antrag eines Schuldnerlandes auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht davon abhängig gemacht werden, ob der IWF dem Antrag zustimmt: Das wäre eine stumpfe Waffe, wenn der Schuldner etwa bei den Beratungen im Pariser Club mit einem Insolvenzantrag drohen wollte - denn der IWF gehört ja nicht nur meist selbst zu den Gläubigern, sondern er wird darüber hinaus als Institution auch noch von denjenigen Ländern dominiert, die im Pariser Club regelmäßig die wichtigsten Gläubigerländer sind.
Deshalb muss das Schuldnerland das alleinige Recht zur Antragstellung haben. Zum Ausgleich dieses "Machtüberschusses" hat der neutrale Dritte mehreres vorab zu prüfen: Enthält der Schuldenregulierungsplan realistische Vorstellungen über die Schuldenbereinigung und die partielle oder vollständige Befriedigung der Gläubiger? Oder dient der Insolvenzantrag nur dazu, einen Zahlungsstopp zu erlangen, um etwa kriegsbedingten Reparationszahlungen zu entgehen? Oder handelt es sich gar um einen wiederholten Antrag? Aber auch inhaltliche Vorgaben, wie etwa die Verbesserung der Schulen und Armutsbekämpfung, könnten in dem Plan enthalten sein.
Darüber hinaus könnte man den neutralen Dritten auch beauftragen, im Vorfeld des Verfahrens bestimmte Transaktionen der jeweiligen Regierungungen rückgängig zu machen - etwa die Überweisungen eines korrupten Premiers auf sein schweizerisches Privatkonto. Allerdings wäre das schon ein recht ehrgeiziger Anspruch.
In jedem Fall aber hat der neutrale Dritte die Diskussionen und Verhandlungen sowie die Abstimmung über den Plan zu leiten. Wie die dafür erforderliche Mehrheit festgesetzt werden sollte, ist wieder eine Frage des gewünschten Disziplinierungseffekts. Je geringer die Mehrheit, desto eher werden (im Privatrecht so genannte) "Akkordstörer" bei den Vorverfahrensverhandlungen neutralisiert - also Gläubiger, denen es nur darum geht, eine Übereinkunft zu verhindern. Andererseits gewinnt dadurch aber auch der Schuldner an Macht.
Dahinter verbirgt sich ein weiteres Problem: Für wen soll das Verfahren gelten? Für die staatlichen Gläubiger und die Banken sicherlich - aber auch für Privatleute, die Staatsanleihen gekauft haben? Soll man zwischen in- und ausländischen Privatanlegern unterscheiden?
Während jeder nationale Gesetzgeber eine Zwangsgemeinschaft aller Gläubiger schaffen kann, fehlt ein entsprechendes Gesetzgebungsorgan im globalen Bereich. Folglich wird man auf absehbare Zeit auf vertragliche Zustimmung angewiesen sein. Das heißt, sämtliche Verträge müssen Klauseln enthalten, welche die Beteiligten verpflichten, sich einer bestimmten Mehrheitsentscheidung zu unterwerfen.
Haben die Gläubiger dem Plan schließlich zugestimmt, muss der neutrale Dritte auch die Umsetzung überwachen. Man kann das schwerlich dem Schuldnerland zur alleinigen Verantwortung übertragen, denn es geht darum, dass dessen Regierung tatsächlich Haushaltsdisziplin übt und etwa die Sozialprogramme kürzt - schmerzhafte Maßnahmen, die ohne Kontrolle allzu oft umgangen würden. Sollte ein Schuldnerland den Verpflichtungen nicht nachkommen, könnte das Insolvenzrecht für Staaten vorsehen, dass die alten, durch den Regulierungsplan (ganz oder teilweise) erloschenen Gläubigerforderungen wieder aufleben. Das wäre umso bedrohlicher, wenn ein erneuter Insolvenzantrag innerhalb einer bestimmten Frist abgewiesen werden könnte.
Die Vorgabe von Anne Krueger erweist sich also als ein neuer, vielversprechender Weg. Schon deshalb, weil Argentinien nicht das letzte Land sein wird, das vor dem Bankrott steht.